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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Abschied von Erdogan -

Es wird euch nicht entgangen sein, dass der neue türkische Generalpräsident Tayyp Erdogan vor zwei Wochen öffentlich behauptet hat, die Moslems hätten den amerikanischen Kontinent zweihundert Jahre vor Christoph Kolumbus entdeckt. Verschiedene aufmerksame Zeitgenossinnen haben sofort richtig reagiert und darauf hingewiesen, dass die Entdeckung Amerikas nach aktuellem Wissensstand ungefähr 15'000 Jahre früher stattgefunden hat.


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artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_48_200px.png» Aber aus europäischer Sicht handelte es sich damals eben trotz allem um eine original Entdeckung. Die Nichteuropäer und insonderheit die Lateinamerikanerinnen bezeichnen die Entdeckung im Sinne der Erkenntnistheorie eher als Erfindung, aber das sind Nebensächlichkeiten.

Jedenfalls hat Erdogan seine neueste Erkenntnis, die offenbar auf umfassenden wissenschaftlichen Forschungsarbeiten eines islamischen Theologen in der international renommierten Moschee von Yenisehir oder Sapanca aus dem Jahr 1996 beruht, eben vor lateinamerikanischen Moslems ausgebreitet. Nicht geklärt wurde die Frage, mit welchem Schiffstyp der Islam nach Kuba oder der Dominikanischen Republik übergesetzt hat. Eine Galeere wird es nicht gewesen sein, die waren laut dem schlauen Buch des Fähnleins Fieselschweif nicht besonders hochseetauglich, und auch wenn man sagen kann, dass der Pazifik der viel größere Ozean sei, so soll man doch auch den Atlantik nicht unterschätzen – mit einer Galeere hätte man auf dem Atlantik schon außerordentlich Schwein gehabt, wenn man bis nach Madeira gekommen wäre. Von den chinesischen Dschunken wollen wir gar nicht sprechen, auch wenn der britische Oberstleutnant Menzies behauptet, dass sie tatsächlich die gesamte Welt bereist hätten, bevor der chinesische Kaiser befahl, sämtliche Expeditionen einzustellen und China abzukapseln. Aber auch wenn das der Fall gewesen wäre, hätten die Chinesen wohl kaum den Islam nach Amerika gebracht, es sei denn, beim Islam handle es sich um eine biologische Form, egal, ob Krankheit oder Gesundheit. Die Chinesen waren zu jenem Zeitpunkt jedenfalls absolut unislamisch, und wenn ich es mir genau überlege, sind sie es auch heute noch.

Also was, eine Karavelle? Dabei handelte es sich allerdings um eine portugiesische Entwicklung, und auch bei den Portugieserern wäre der Islam eher in einer biologischen Form denn als Religion in den neuen Kontinent überstellt worden, einmal abgesehen davon, dass die Karavellen im Jahr 1298 noch keine Interkontinentalreisen tätigten.

Oder allenfalls nach der Methode Thor Heyerdahl? Der hat ja vor bald hundert Jahren zu beweisen versucht, dass bereits die alten Ägypter mit irgendwelchen Papyrus-Flößen den Atlantik überquert hätten, und zwar, wenn ich mich richtig erinnere, mit einem Eigenversuch. Allerdings ging es hier um die Verbindung zwischen Afrika und Südamerika, und hier existiert tatsächlich eine Meeresströmung, welche ein solches Projekt hätte befördern können und auf die sich übrigens auch Menzies beruft bei seinen Hypothesen über die Flotten des Admirals Zheng He. Im Nordatlantik läuft die Richtung des Golfstroms genau umgekehrt, was eben gewisse schiffbautechnische Voraussetzungen erfordert zur Bewältigung der entsprechenden Reiserouten, und hierzu vermisse ich sachdienliche Angaben von Tayyip Erdogan ebenso wie von seinem Fachhistoriker.

Was solls. Erdogan hat seinen amerikanischen Gästen wohl einfach mehr oder weniger das gegeben, was er zu geben hatte, nämlich nichts; neben China sind eben auch die amerikanischen Kontinente noch nie auch nur ansatzweise in den Einflussbereich der islamischen Kulturen gelangt. Der erste und vermutlich auf absehbare Zeit letzte Eintritt des Islam ins öffentliche Bewusstsein auf den amerikanischen Kontinenten fand am 9. September 2001 statt. Als PR-Aktion für das Publikum zuhause hat er seine Wirkung offensichtlich nicht verfehlt, aber von einer geglückten Initiative zur Markterschließung in Übersee selber würde man wohl auch heute noch nicht sprechen. Der Islam ist definitiv Amerika-untauglich, und wenn man von der Richtigkeit der islamischen Religion gleich überzeugt ist wie die Christen von der Richtigkeit der christlichen, dann ist dies zunächst nur traurig, und deshalb behilft man sich dann mit ein paar Luftschlössern oder Luftmoscheen oder was auch immer.
Aus unserer Sicht, die wir uns immer noch an Dinge wie eine Wahrheitsvermutung klammern als eine Art Arche Noah auf dem Furcht erregend steigenden Spiegel der Informationsflut, wirken sol­che Kapriolen natürlich lächerlich. Erdogan hat damit den abschließenden Beitrag geleistet zur Zer­stö­rung seines bis vor ein paar Jahren sehr positiven Images. Der Mann ist hinüber. Man hat es rea­lisiert, als er im Sommer sein neues Versailles bezogen hat, das weiße Haus mit den 1000 Zimmern, aber jetzt ist es offiziell. Ich nehme vorsichtshalber nicht an, dass er gaga ist, das wäre nämlich schade, wo nicht gefährlich für die Türkei, sondern er hat sich einfach dazu entschlossen, ein türkischer Berlusconi zu wer­den. Nächstens wird er behaupten, der Mond sei ein Konstrukt türkischer Archi­tekten aus Lehm vom Berg Ararat, den diese im Jahr 1132 zum 500. Todestag des Propheten in die Erdumlaufbahn kata­pultiert hätten. Darum haben die Mohammedaner ja auch ein Mond- und kein Sonnenjahr. Ja, irgend­wie so wird das gehen.

Ein erledigter Fall also, wenn man so will, bloß befindet er sich in guter Gesellschaft, zum Beispiel mit dem US-amerikanischen Außenminister John Kerry, dessen Verlautbarungen zu fast allen Themen der Zeitgeschichte eine ähnliche Schlagseite aufweisen wie die von Erdogan, respektive mir sind da diejenigen von Erdogan lieber, weil dahinter doch noch etwas Phantasie steckt, eine Art von kontrafaktischer Geschichtsschreibung, wie das wohl heißen täte, wenn es einen Namen hätte, während bei Kerry nur unverhülltes Ressentiment blitzt und donnert, sodass man froh ist, dass im Hintergrund sowohl der Präsident als auch der Vizepräsident als auch der Verteidigungsminister und der ganze Generalstab des US-Heeres über eine andere Oberstübchen-Struktur verfügen als unsere Ketchup-Kinnlade.

Vorletzte Woche hatte ich mich über den neuesten Versuch von Audi mokiert, mit einem Elektroauto auf den Markt zu kommen, na gut, mindestens mit einem Hybrid-Auto, weil ich nicht mal auf die Audi-Webseite Zugriff hatte, als ich mich über dieses fantastische Gefährt informieren wollte. Jetzt kann ich aber bestätigen: Es gibt ihn, den Audi A3 e-tron, und er verbraucht nur gerade 1.5 Liter Benzin auf 100 Kilometer, wobei man dann den Elektro-Akku nachladen muss, sonst steigt der Benzinverbrauch rapide an auf durchschnittlich ungefähr 4 Liter pro 100 Kilometer, und da stehen wir wieder in der schönen Tradition der herbei geflunkerten Verbrauchsangaben von Audi, an die ich ebenfalls vor zwei Wochen erinnert hatte. All das ist ein wenig erstaunlich, denn erstens fährt kein einziger Audi-Kunde Audi, weil er Treibstoff sparen möchte oder gar die Umwelt retten, Gott bewahre!, und kreuzet alle Finger hinter euren Rücken!, und zweitens ist doch auch ein Wert von 4 Liter Verbrauch pro 100 Kilometer für einen 150-PS-Benziner mit einem zugeschal­te­ten 50-PS-Elektromotor gar nicht so übel. Wieso macht uns also Audi den Erdogan mit solchen völlig belanglosen Schummeleien?

Im gleichen Beitrag hatte ich mich gefragt, was Martin Sonneborn eigentlich so treibe in Brüssel, wobei mein Informationsstand deswegen lückenhaft war, weil ich die November-Titanic zu diesem Zeitpunkt noch nicht erworben hatte, und diese Titanic klärte mich dann auf über seine beiden Anfragen an die designierten EU-Kommissare Oettinger und Navracsics, von denen ich wohl auch schon an anderen Orten gelesen hatte, wenn ich es mir recht überlege. Und je länger ich überlege, desto weniger schlüssig bin ich mir, was absurder ist, der Alltag des Europaparlamentes selber oder der Humor-Parasit darin. Ich gebe der Institution eine Nasenlänge Vorsprung. Und insgesamt habe ich den Eindruck, dass Sonneborn ein Fenster geöffnet hat, durch welches mindestens der deutsche Teil der europäischen Union etwas versöhnlicher auf die parlamentarische Maschine blickt. Die armen Schweine, deren Arbeits- respektive Sitzungstag darin besteht, über unzählige Anträge, Resolutionen und so weiter gemäß den von den Fraktionen vorbereiteten Strichlisten abzustimmen, die muss man wirklich verstehen, wenn sie im Anschluss daran mit wirrem Kopf durch die verschiedenen Apéritifs und Informationsveranstaltungen von Lobbyorganisationen aller Gattungen taumeln, um dann in den entsprechenden Ausschüssen ihre dort erworbenen Eindrücke, selbst­ver­ständ­lich nach Rücksprache mit dem Fraktionsvorsitz, in die Form eben dieser unzähligen Anträge und Resolutionen zu gießen. Das ist ein schwieriger Prozess, von dem nicht einmal der über­zeug­teste Europäer sagen könnte, dass er wirklich gesetzgeberische Arbeit im Sinne der Erfinder der Demokratie sei. Da sorgt Sonneborns Frage an den designierten ungarischen Europakommissär für Kultur, ob man in Europa demnächst «Mein Kampf» zur Pflichtlektüre für die Jugend erklären werde, für eine erfrischende Abwechslung. Es ist eine echte Win-Win-Situation. Jetzt bräuchten einfach die anderen Länder auch noch so eine Partei. Ich denke, gerade den Engländern würden ein paar Sitze für Leute im Kaliber von Monty Python gut anstehen. Oder sind solch radikale Komiker am Ende gar impotent und haben keinen Nachwuchs? Der gestörte Umgang mit dem weiblichen Geschlecht könnte da einen Hinweis geben. Aber auch hier weiß man nichts Genaues. Immerhin kann man den Geschöpfen auf der Insel nur raten, sich der Sache mal etwas genauer anzunehmen, egal, ob im europäischen Parlament selber oder von außen. Es steht dagegen zu befürchten, dass nach dem Untergang des englischen Kolonialreichs auch der englische Humor seiner Perspektiven jenseits der eigenen Landesgrenzen verlustig gegangen ist und dementsprechend nicht mehr nach Brüssel reicht.

Naja, vielleicht auch nicht.





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Albert Jörimann
25.11.2014

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