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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Berlusconi"

[27.Kalenderwoche]
Was kann ich aus Italien vermelden: Die Spaghetti all’Isolana schmecken immer noch gleich vorzüglich wie im letzten Jahr,


an unserem Haus- und Magenstrand hat ein neues Lokal eröffnet mit dem Namen «La Fenice», die Küche ist ausgezeichnet, aber der Mückenschutz lässt noch zu wünschen übrig; die Frucht des Monats waren diesmal Zwetschgen, praktisch direkt vom Baum mit dem vollen Aroma und der richtigen Süße, gefolgt von hervorragenden Melonen aus Spanien, während die Kirschen etwas abfielen. Ansonsten Holidays as usual, zwischendurch bezogen wir mal in der Geburtsstadt von Ovid Quartier, die heute Sulmona heißt, und überquerten anschließend mit dem Zug den Appennin, kehrten aber gleich wieder zurück, weil Avezzano touristisch nichts zu bieten hat, wohl aber historisch; diese Gegend kann mit dem ganzen Umzug von der Prähistorie mit Stein- und Bronzezeit über die Römer bis zur Plünderung durch die Langobarden, die Befriedung durch Karl den Großen und seine Nachfolger bis zu Hugo von Burgund mit den Reibereien mit Friedrich Barbarossa und den darauf folgenden Fürsten und Bischöfen aufwarten, inklusive eines mehrere Quadratkilometer großen Sees, der vor tausend Jahren ausgetrocknet ist und eines Erdbebens im Jahr 1915, das die Stadt dem Erdboden gleichmachte und 9000 Todesopfer forderte. Vom neuesten Erdbeben dagegen war Avezzano nicht betroffen, obwohl es auch in der Region Abruzzen liegt. In Sulmona, auf der Adria-Seite des Appenins, war den Gebäuden äußerlich nichts anzusehen, aber einige, unter anderem unser wundervolles Jugendstil-Hotel Italia, waren wegen Sicherheitsbedenken geschlossen, sodass wir in einer Bed&Breakfast-Dépendance übernachteten.

Alles beim Alten, inklusive des zuverlässigen Berlusconi. Der alte Knacker hat offenbar völlig durchgedreht und hält sein ganzes Leben für eine Fernsehshow, in der dringend und zwingend immer mindestens ein Dutzend Showgirls vorhanden sein müssen. Eines davon war etwas mehr als ein Showgirl, nämlich eine Escort, also eine Edelnutte, die von ihrem Zuhälter oder Vermittler anstelle der versprochenen 2000 Euro nur die Hälfte erhielt, worauf sie ihre Geschichte der Presse verkaufte, zuerst dem Corriere della Sera aus dem relativ unabhängigen Medienhaus Rizzoli bzw. RCS Group, das sich Berlusconi vor vier Jahren über den Strohmann Stefano Ricucci unter den Nagel zu reißen versuchte, was dann allerdings an der Dummheit besagten Ricuccis scheiterte, und anschließend versilberte Patrizia D’Addaro ihre Story in den Details der Repubblica, der wichtigsten Zeitung Italiens und zusammen mit dem Espresso dem einzigen ernstzunehmenden Gegenpol zu Berlusconis Medienimperium. Will sagen: Bei Repubblica und Espresso dominieren in jedem Fall neben der journalistischen Verve auch der Wille, dem Berlusconi einen auszuwischen, was eine objektive Wahrheitsfindung nicht zwingend erleichtert. Immerhin hat Berlusconi die Affäre vom letzten November nie dementiert beziehungsweise er konnte sie auch gar nicht dementieren, denn dies hätte ja seinem Bild als Lebemann inmitten draller junger Frauen widersprochen. Und damit ist dieses Bild nunmehr publikumsbekannt: Berlusconi hält sich einen Harem. Empört hat ihn dabei die Unterstellung, dass er Frau D’Addaro bezahlt hätte. «Ich habe es nicht nötig, für eine Frau zu bezahlen», meinte Kollege Berluscazz, und wo er recht hat, da hat er recht: Es reicht ja völlig aus, dass er ihnen Posten in den echten Fernsehshows oder sogar Listenplätze auf seiner Partei, dem Popolo della Libertà, verschafft. Und dies tut er auch munter. Sogar Frau D’Addaro erhielt einen solchen Listenplatz, allerdings nur für die Wahlen ins Stadtparlament in Bari, und sie fiel sang- und klanglos durch. Bezahlt wurde sie natürlich tatsächlich nicht von Berluscazz selber, sondern von einem Bareser Spenglerunternehmer, gegen den unterdessen eine Untersuchung läuft wegen Bestechung, aber diesmal nicht wegen der D’Addaro, sondern bei der Auftragsvergabe durch die Stadt Bari. Aber andere schöne Frauen geraden durchaus auf aussichtsreichere Posten und sitzen bereits im Parlament und zum Teil auch im Kabinett. Dabei sieht z.B. die 36-jährige Ministerin für Gleichstellungsfragen Stefania Prestigiacomo nicht nur gut aus, sondern setzt sich scheinbar wirklich für die Gleichstellung ein und war bereits mit 23 Präsidentin der Jungunternehmerkammer von Siracusa – das liegt allerdings in Sizilien, wo ein Unternehmertum ohne oder sogar gegen die Mafia nicht besonders einfach ist. Aber immerhin. – Aber was immerhin, aber halt! Frau Prestigiacomo ist nämlich Ministerin für Gleichstellungsfragen nur auf der Homepage der OECD, während sie auf der CIA-Homepage Umweltministerin ist. Ministerin für Gleichstellungsfragen ist laut der CIA Mara Carfagna, eines jener Showgirls, die als zusätzlichen Aktivposten noch eine Juristinnenausbildung mitbringen. Die CIA-Variante wird übrigens auch von der Homepage der italienischen Regierung bestätigt. Mariastella Gelmini, ebenfalls 36, fungiert als Bildungsministerin. Ihr Unterstaatssekretär trägt den schönen Namen Giuseppe Pizza. Er wurde vor einem Jahr plötzlich bekannt, als er fast die Verschiebung der Neuwahlen durchgesetzt hatte, da er mit der neu gegründeten Democrazia Cristiana antrat, die nicht genügend Zeit für die Wahlpropaganda gehabt hätte. Nun ist er mit einem Unterstaatssekretärenjob belohnt worden. Das ist Italien. Daneben haben wir noch die Jugendministerin Giorgia Meloni, was gut zu Pizza passt; sie ist 32 Jahre alt und stammt aus der ehemals neofaschistischen Alleanza Nazionale, welche vor ein paar Jahren im Popolo delle Libertà aufgegangen ist. Schöne junge Frauen, die Berlusconi gerne heiraten würde, wenn er nicht schon verheiratet wäre, wie er bei der Präsentation des Kabinetts im letzten Jahr gesagt hat. Der Typ spinnt. Und wie das zu und her geht bei diesen schönen Abenden in schöner Gesellschaft: In dem Berlusconi seinem Palast, und das ist wirklich ein Palast, läuft ein endloses Video mit all den vielen vielen Staatsempfängen von Berlusconi, und zwischendurch ertönt der selber komponierte Schlager «Meno male che Silvio c’è», Gottseidank gibt es Silvio. Und wenn dieser Schlager läuft, dann stehen die Sternchen auf und machen La Ola im Palazzo. Und dann wird gegessen bis morgens um 4 Uhr, und Berlusconi geht zwischendurch immer wieder unter die kalte Dusche, um fit zu bleiben – ein Rezept, das man sich merken kann. Und wenn die Mädchen dann gegangen sind, ist dann manchmal noch eine geblieben.

All dies ist für das Land Italien nicht von Furcht erregender Bedeutung. Man fühlt sich bloß erinnert an die seltsamen Cäsaren-Biografien von Sueton, aber auch eben an arabische Scheichs, nicht zuletzt bzw. fast vor allem an den libyschen Staatschef Gaddhaffi, der sich sogar eine Leibwache aus lauteren Frauen hält; im Kern aber ist es die Obsession des Entertainers, immer jemanden auf der Bühne zu haben. Eigentlich erleben wir in Italien so etwas wie eine Paraphrase auf «Limelight» von Charles Chaplin, und dieser Vergleich gefällt mir ganz besonders, weil die Diskrepanz zwischen den beiden Charakteren und damit eben auch zwischen den beiden Epochen nicht größer bzw. nicht schöner herausgearbeitet sein könnte. Im Original haben wir einen echten Variété-Künstler, in seiner Spiegelung im wirklichen Leben haben wir einen Schmierenkomödianten, der es durch Bestechung, Betrug, Lüge und allerlei andere schöne Dinge zum reichsten Mann im Staat geschafft hat, der sich auch noch die Gesetze auf den Leib schneidern lässt, damit seine Bestechungen, Betrügereien, Lügen und allerlei anderen schönen Dinge nicht prozessual gegen ihn verhandelt werden können. Eben: Dass er dazu noch eigene Songs schreibt und sie mit einem befreundeten Gitarristen und Sänger selber aufführt, dass er eigenen Schmuck kreiert, natürlich nur Schmetterlinge und Schildkröten, passt hier wunderbar.

Gelogen wird natürlich weiterhin, und zwar nicht mehr wie gedruckt, sondern wie gesagt. Zu Beginn unserer Ferien ärgerten sich Repubblica und Espresso darüber, dass Berlusconi vor der Vereinigung der Jungunternehmer Italiens dazu aufgerufen hatte, den kritischen Medien keine Werbeaufträge mehr zu erteilen. Begründung: Der Pessimismus sei mit ein Grund für die gegenwärtige Wirtschaftskrise. Eine Woche später bestätigte er seine Aussage ausdrücklich. Eine weitere Woche später sagte der gleiche Berlusconi-Vogel plötzlich: Das habe ich nie gesagt. Ich habe im Gegenteil die Unternehmer dazu aufgefordert, mehr Werbung zu machen. – All das hat keinen wirklichen Einfluss auf das Geschick Italiens, denke ich – auf die Möglichkeiten der Kommunikation hingegen schon. Wenn ein Entertainer mal ein Witzchen reißt bzw. eine ganze Reihe davon, ist das in Ordnung. Berlusconi reißt ebenfalls Witzchen; zum Beispiel sagte er zu den Bauarbeitern, die in L’Aquila mit der Einrichtung der Anlagen für den G8-Gipfel beschäftigt waren, er hätte ihnen leider keine Veline, also Showgirls mitgebracht. Aber der Typ lügt auch sonst ganz nach Belieben und Windrichtung, unabhängig davon, worum es eigentlich geht. Gleichzeitig beruht sein politischer Erfolg nicht zuletzt darauf, dass er alle seine politischen Gegner der Lüge und des Komplotts bezichtigt, mit Vorliebe eines kommunistischen Komplotts. Und das ganze politische Schauspiel beruht doch auch auf einem Minimum an Ehrlichkeitsvermutung. Wenn ich meinen Gegner bei einer Lüge ertappe, muss der sich doch davon mindestens mit dem Ausdruck des Bedauerns davon distanzieren. Das macht Berlusconi nicht im Traum. Er sagt einfach, er hätte das gar nicht gesagt, und wer ihm etwas anderes vorwerfe, sei ein Kommunist.

Die internationalen Medien haben offenbar darüber spekuliert, dass Berlusconi wegen der Frauenabende in seinen Residenzen demnächst zurücktreten müsse. Da bin ich mir nicht so sicher. Seine Beliebtheit in Italien ist ungebrochen; über 50 Prozent der Bevölkerung findet den Affen gut. Das hat sicher auch damit zu tun, dass er eben den Affen macht und nicht so staatsmännisch daher blafft wie seine Vorgänger; und im Gegensatz zu seinen Vorgängern hat er sogar gewisse Erfolge vorzuweisen, namentlich beim Wunder der Auflösung des Mülls in Neapel. Den wichtigsten Grund habe ich aber schon früher genannt: Wenn es in Italien eine Opposition gäbe, die auch nur halbwegs den Namen Opposition verdienen täte, dann gäbe es keinen Berlusconi. Stattdessen vergnügen sich die Leitfiguren des Partito Democratico weiterhin in jenen Rollen, die ihnen nun mal zur zweiten Natur geworden sind: Rutelli spielt den eleganten Schwiegersohn, Massimo D’Alema versucht den englischen Gentleman zu geben, und sie sind alle von einer Eitelkeit, gegenüber der jene von Berlusconi wie ein müdes Leuchtwürmchen erscheint, und zwar aus genau dem Grund, dass Rutelli und D’Alema versuchen, nicht eitel zu erscheinen, während sie diese Todsünde aus sämtlichen Poren heraus schwitzen. Berlusconi ist die Eitelkeit pur, was von einem gewissen Grad an wieder geradezu erfrischend wirkt im Vergleich zu den anderen Hornochsen.

Die Eitelkeit der Opposition ist seit über 10 Jahren an die Stelle sämtlicher politischer Programme getreten. Als die kommunistische Partei Italiens nach dem Tangentopoli-Skandal das Erbe der Democrazia Cristiana hätte antreten können ohne irgendwelche Gegnerschaft auf dem politischen Parkett, beschloss sie stattdessen den Gang in die Mitte bzw. nach rechts, und dort, im Mitte-rechts-Niemandsland, ist sie unterdessen als Partito Democratico angekommen. Alles, was nach Sozialismus, Kommunismus und Links tönt, hat sie aus ihren Dokumenten gestrichen, nicht zuletzt natürlich im Banne des antikommunistischen Geiferers Berlusconi. Dass sie dem so nicht entkommen könnten, hätten mindestens die luzideren unter ihnen doch noch merken müssen. Aber dafür reichen eben die intellektuellen Fähigkeiten der ehemaligen italienischen Linken nicht mehr aus.

Und so prangt halt auch 2009 in jeder Ausgabe auch der Repubblica mindestens 10 Mal eine Foto von Berlusconi, ohne welche sich die Presse wahrscheinlich gar nicht mehr verkaufen ließe. Ich gebe es zu: Auch ich sitze jeweils fassungslos vor dem Bild dieses Halunken und frage mich, was da wirklich abläuft. Ich weiß es nicht, und ich habe den Eindruck, ich wüsste es immer weniger.



Albert Jörimann



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Albert Jörimann
07.07.2009

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