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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Finnland"

[16. Kalenderwoche]
Jetzt hats also auch die Finnen erwischt:



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fertig Einwanderung in die Sozialsysteme, raus aus der EU, Finnland den Finnen oder Finnen zuerst oder zuvörderst, so denkt der parlamentarisch-demokratische Volkskörper auf dem gesamten alten Kontinent zu rund einem Fünftel, und die Internationalist/innen in all den Ländern müssen froh sein, wenn sie in den Pensioniertenvereinigungen der sozialdemokratischen Parteien noch ihre Gnadenpfeife rauchen dürfen. Da muss der analytische Geist mal ein Aspirin einwerfen und sich fragen, was das jetzt alles bedeutet. Fest steht nämlich, dass weder die Finnen noch die Däninnen noch die Schweden und Norwegerinnen, die Holländerinnen nicht und auch nicht die Franzosen und nicht die Spanier, Griechen, Portugiesen, aber auch Ihr nicht, geschätzte deutsche Zuhörerinnen und Zuhörer, und nicht mal die Österreich-Ungarinnen und sowieso schon gar nicht die aufstrebenden Länder im Osten irgendwie zurück könnten in die Verhältnisse vor Einführung des Euro, vor der Schaffung der Europäischen Union oder vollends in die Welt vor der Globalisierung. Und Krieg ist sowieso ausgeschlossen. Dies zum einen; zum anderen steht fest, dass ein tragender Bestandteil der nationalistischen Bewegung die konstituierte Dummheit in Form des gesunden Menschenverstandes ist und dass diese Bewegungen davon profitieren, dass eine alte Sorte von Anstand in der Öffentlichkeit spätestens seit dem jungen Pionier Silvio Berlusconi radikal ausgemerzt wurde und ersetzt durch das, was ich in Deutschland «Dieter Bohlen» nennen möchte, der seinerseits nicht viel mehr als eine Extremform von Stefan Raab ist.

Behalten wir aber in Erinnerung, dass der alte Anstand niemals jemanden daran gehindert hat, Profite zu machen oder Sonderprofite, Menschen auszubeuten, staatliche Leistungen abzuzocken, Macht und Privilegien zu verteilen nach Belieben oder halt eben nach Notwendigkeit. Da erscheinen die neuen rüpelhaften Methoden vergleichsweise ehrlich, und dem¬ent¬sprechend sind sie auch vergleichsweise unbedeutend; denn die Eliten, welche die Länder früher regierten, sind immer noch die gleichen, und das ist wohl ein Merkmal dieser neuen Nationalismen: Sie stellen hinten und vorne keine Fragen nach Geld und Einfluss, sondern alle Probleme lösen sich von selbst, wenn bloß die Rassenreinheit wieder hergestellt ist. Daneben ist das Krakeelen sicher als legitime Abwehrreaktion zu verstehen gegen den Austausch von immer gleichen blöden Floskeln in der Öffentlichkeit unter dem Namen Politik; wenn schon ein derartiges Affentheater, dann doch gleich richtig mit Klamauk und Humpa Humpa Tätärää. Es ist mehr als verständlich, dass die Menschen auf den billigen Plätzen wenigstens Spaß haben wollen, wenn ihnen der Gesellschafts- und Politbetrieb sonst keine Perspektiven aufzeigt, und das muss sich in erster Linie die ehemalige Linke zu Herzen nehmen. Wo bleibt die Unterhaltung? Offensichtlich haben sich alle auf das sehr ernsthafte Geschäft der Sachpolitik reduzieren lassen, sie rechnen und rudern wie alle andern, und die Wortgefechte auf der Schaubühne des Bundestages und der Landesparlamente sind seit Jahr und Tag die gleichen, und zwar bis auf die Wortwahl. Der rechte Nationalismus ist zweifellos zu schönen Teilen eine Antwort auf die ewige Langeweile im Kartong.

Was soll man dagegen tun? Aufklärung wäre ein schöner Begriff, aber in dem Moment, da man ihn in den Mund nimmt, spürt man bereits, dass er abgequatscht ist. Sollen wir den so genannten Verlierern der Globalisierung jetzt echt erklären, weshalb sie sich in ihr Schicksal schicksen müssen? Sind wir im Ernst dazu verpflichtet, einen Skandal daraus zu machen, dass Hartz IV nur um 5 Euro erhöht wird anstatt um 6 Euro 73 Cent? – Das leuchtet mir nicht ein. Problematisch ist die Lage nicht zuletzt deshalb, weil unterschiedliche Ansprüche und Interessengruppen, die man lange in den Pferch eines gemeinsamen Projektes zwängen konnte, auch noch die letzten Gemeinsamkeiten aufgegeben haben, und da fällt man halt zurück auf eher primäre Identifikationsebenen wie zum Beispiel der Nationalstaat mit all seinen schönen Schönheiten. Der Nationalstaat eignet sich in Europa nicht zuletzt deshalb ausgezeichnet als Identifikationsobjekt, weil er unterdessen ähnlich wie das einzelne Individuum unter der Tutel eines scheinbar übermächtigen supranationalen Organismus steht, nämlich der EU. Die Politik bzw. die Politikerinnen und Politiker bedienen sich dieser Dynamik ganz schamlos, indem sie einerseits die Interessen¬vertre¬tung in Brüssel routiniert und selbstverständlich wahrnehmen und sich aus den bereit gestellten Töpfen bedienen, während sie anderseits im Bedarfsfall immer auf ihre Ohnmacht verweisen. Das erzeugt eine ganz eigenartige Grundstimmung beim Wählervieh, das unzufrieden grunzt und scharrt, ohne genauer zu wissen, weshalb. Und so sehe ich wenigstens in dieser Beziehung eine klare Klarheit: Die allgemeine Schar der Wählerinnen und Wähler würde es vermutlich über mittlere und längere Frist hinaus schätzen, wenn sich die eine oder andere Partei mindestens im Grundsatz laut und deutlich zu einem vereinten Europa bekennen täte und in der Praxis so detailliert wie nur möglich angeben täte, was denn wo zu verbessern wäre. Ich kann hier gleich einige Tipps mit auf den Weg liefern: Die EU-Agrarpolitik wird ohnehin in den nächsten Jahren von Grund auf in Frage gestellt, aber man könnte hier ja zum Vornherein anmelden, dass man die horrenden und weitgehend sinnlosen Subventionen abschaffen will bzw. sie ersetzen durch ein System von Direktzahlungen, mit denen auch kleinen Landwirten ermöglicht wird, ihre Existenz weiter zu führen, sofern sie nach biologischen Kriterien wirtschaften. Die EU-Landwirtschaft produziert bekanntlich viel zu viel und ruiniert dabei nebenbei eben nicht nur die kleinbetrieblichen Strukturen, welche neben den Großbetrieben mindestens in gewissen Regionen am Platz wären, sondern sie stellen auch ein riesiges Hindernis dar in sämtlichen politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit der Außenwelt. Oder aber und im Prinzip noch dringender wäre endlich die Vereinheitlichung der Sozialversicherungssysteme, nicht unbedingt in der Höhe der Leistungen, aber in ihrer Struktur. Und dann könnte man doch unter der Bevölkerung ein bisschen mehr Transparenz schaffen in Bezug auf die Fördertöpfe. In erster Linie aber wäre ein vollmundiges Bekenntnis zu den Vereinigten Staaten von Europa am Platz. Ich weise darauf hin, dass das Pendel bei Gelegenheit auch wieder in die andere, in die antinationalistische Richtung ausschlagen wird, und diesen Schwung muss man dann halt eben nutzen.

Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen tun sich die modernen Gesellschaften nach wie vor schwer; dabei würde auch dieses Projekt die Probleme zwar nur beschränkt direkt lösen, aber es würde sie auf eine neue Ebene rücken. Mit einem anständigen Grundeinkommen musst du nämlich nicht mehr wie die Maus vor der Schlange dasitzen und darauf warten, bis sie zubeißt beziehungsweise in der Praxis: auf dem Arbeitsamt darauf warten, bis dir ein gütiger Patron endlich wieder mal eine Stelle anbietet; so läuft das im Moment offensichtlich nicht. Vielmehr kann man mit einem Grundeinkommen allerlei schöne Dinge anstellen, nämlich sich mit anderen Menschen frei assoziieren zum Behuf irgendwelcher Projekte und Tätigkeiten; möglicherweise würden sich zur Projektfinanzierung neben dem Grundeinkommen sogar irgendwelche EU-Fördertöpfe finden lassen, oder wenn es sie nicht gäbe, könnte man vielleicht ihre Einrichtung fordern und fördern. Was spricht dagegen?

Insgesamt aber liegt das Problem tiefer, soviel kann ich vom Schiff aus feststellen, aber ich kann nicht genau sagen, wo. Ein zentrales Element liegt wohl in der erwähnten Qualität der Auseinandersetzung. Die rhetorischen Gefechte vom Bundestag bis zu all den Talk-Sendungen in den hoch seriösen öffentlichen Fernsehanstalten bringen unterdessen nicht mal mehr Schönheitspreise ein. Wenn man heute auffallen will, dann muss man entweder ungehobelt und rüde auftreten, oder aber man verzichtet ganz einfach auf die guten Ratschläge all der PR- und Medienberaterinnen, welche den öffentlichen Raum heute designen; man riskiert dabei zwar, auf die Schnauze zu fliegen, aber dies wird dem Publikum immerhin in Erinnerung bleiben. Was aber auch hier auf der Strecke bleibt, das sind die Inhalte, die Argumente, es ist jene Wahrheitsvermutung, von der ich an dieser Stelle immer wieder nostalgisch fasele. Und weil ich die immer mehr perdü gehen sehe, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als von der modernen Welt nichts anderes zu fordern als die Wiedereinsetzung der Wahrheit und des unbestochenen und unbestechlichen Geistes in ihre Rechte. Das, scheint mir, wäre eine noble Aufgabe für eine neue Schule an einer Universität Eurer Wahl bzw. gemäß der Laune des Zeitgeistes. Unter uns gesagt: Ich hege nicht den leisesten Zweifel, dass eine solche Renaissance der Intelligenz über kurz oder lang erfolgen wird; bloß kann ich die Form und den Ort und eben auch den Zeitpunkt nicht vorhersagen.

Und Intelligenz wird es sein müssen. Ich schließe kategorisch sämtliche mystischen und mystifizierenden Bewegungen von allen Zukunftsansprüchen aus. Der Mensch mag seine mystische Seite haben und pflegen, mir egal, aber für die Einrichtung einer angenehmen Gesellschaft für 1000 Euro pro Person warm ist mit Spiritualität nicht gesorgt. Keine Baum-Umarmungen, kein Laufen über glühende Kohlen – das war übrigens nicht gemeint mit 1000 Euro warm –, und hütet Euch sowieso vor allen ganzheitlichen Ansätzen. Wir denken und handeln alle zusammen zwangsläufig ganzheitlich, wer es nicht tut, landet in der Regel in der Klapsmühle und in Ausnahmefällen in einem Regierungsamt; aber ein ganzheitliches Programm wird in jedem Fall Propaganda sein. Keine Propaganda dagegen sind die Versuche, das lebendige System von Widersprüchen und Gegensätzen im nationalen, kontinentalen und globalen Ganzen ausfindig zu machen; diese Versuche bilden im Gegenteil einen tragenden Bestandteil des soeben erwähnten intelligenten Ansatzes, der Intelligenz-Offensive, nach der sich im Grunde genommen der zivilisierte Teil eines jeden Individuums seit langer Zeit sehnt wie nach nichts anderem. Intelligenz, Offenheit, Neugierde, Tatkraft – all dies sind die überall vorhandenen Waffen, welche man gegen das Aufkommen der verfassten Dummheit in Form des Nationalismus grenzüberschreitend einsetzen muss.












Albert Jörimann

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Albert Jörimann
21.04.2011

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