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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Kunst und Religion -

Vor längerer Zeit hat ein Kollege die Frage in die Runde geworfen, ob oder wie weit die Kunst von der Religion abzuleiten sei, und weil ich ihm in meiner charmanten Art sogleich über den Mund ge­fah­ren bin, habe ich das Bedürfnis, hier sozusagen öffentlich eine Erklärung abzugeben für meine Reaktion. Nämlich, ja, eben, was ist denn schon Kunst!


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artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_51_200px.png» Wenn wir mal die breite Masse des heutigen Schaffens beiseitelassen und uns auf die Hauptentwicklungen konzentrieren, so sehen wir immer noch ein veritables Universum aus allen Medien und Stilrichtungen, Mischungen davon und Bearbeitungen und kleinen Weiterentwicklungen, das extrem lebhaft und zum Teil lustig ist und in erster Linie kaum mehr etwas zu tun hat mit jenen großen Würfen, die man in der Regel als Meilensteine der Kunst­ent­wick­lung bezeichnet. Stattdessen lässt diese Vielfalt auch großen Raum für das, was ich gerne Schar­la­ta­nerie nenne, aber das tut gar nicht so viel zur Sache; bloß das Religiöse, das Transzendentale sehe ich eigentlich nirgends mehr. Das Religiöse ist vom Inhalt her mehr oder weniger für alle Religionen abschließend kodifiziert – das ist übrigens eine eigenartige Diagnose, nachdem wir ja wissen, dass sich Religionen über die Zeit hinweg mit der Veränderung der gesellschaftlichen und produktiven Grund­lagen immer geändert haben beziehungsweise durch neue ersetzt oder abgelöst wurden –; das Reli­giö­se ist also abschließend kodifiziert, neben den Inhalten auch in der Darstellung durch die Re­prä­sen­ta­tion von Heiligen, Göttern und reli­giö­sen Szenen, allenfalls noch in gewissen Graden der Abstraktion oder Vereinfachung oder Stilisierung, beziehungsweise bei jenen Religionen, die es vorschreiben, gerade durch den Verzicht darauf; aber irgendwelche Innovationen bei der Darstellung religiöser Transzendenz sind mir nicht bekannt.
Nun lautet gerade bei den Christen ein zentraler Satz des obersten Heerführers: Du sollst dir kein Bild von mir machen, die Übung wird in der Heiligen Schrift mehrfach durchexerziert, und der Grundsatz war offenbar derart über­zeugend, dass ihn auch der Koran übernommen hat und meines Wissens bis heute ziemlich streng anwendet, auf jeden Fall strenger als die katholische Kirche, in deren sixti­ni­scher Kapelle der liebe Gott von Michelangelo mit einem prächtigen grauen Bart dar­ge­stellt wurde, eine Figur, welche durchaus als Vorbild für Gandalf den Grauen in den Tolkien-Filmen dient. Aber immerhin: Du sollst dir kein Bild machen lautet der Grundsatz. Wie lautet die Praxis, einmal abge­sehen von Michelangelo? Die direkten Vorfahren der Christen, die alten Römer produzierten ihre Gottheiten noch industriell zum Auf­stellen auf öffentlichen Plätzen, aber auch in den Villen und im Kleinformat in den normalen Haushalten; und dies hat die katholische Kirche dann schlicht und einfach mit den Heiligenfiguren übernommen, und mit der Heiligendarstellung wurde ja auch der Verpflichtung, Gott selber nicht abzubilden, sehr wörtlich entsprochen. Man könnte noch diskutieren, ob die Darstellung Jesu nicht auch eine Form der Gottesdarstellung war, und dann könnte man weiter der Frage nachgehen, zu welchem Zeitpunkt sich besagter Jesus als Gottperson auf das Kreuz ge­schli­chen hat, das wohl seit langer Zeit ohne den Gottessohn das Symbol für das Christentum war. Aber das bringt nicht viel. Dagegen das Darstellungsverbot wirft tatsächlich ein gewisses Licht auf die ur­sprüng­liche Frage: Zu einem gewissen historischen Zeitpunkt, also ungefähr in jener Epoche, in welcher der Monotheismus den Polytheismus ablöst, und zwar im Kulturraum Mittelmeer, wird die Darstellung und Repräsentation des Religiösen an und für sich, nämlich eben Gottes, verboten, er wird der Kunst verwiesen, und darauf lassen sich ganze Kunsttheoriegebäude aufbauen, was ich hier nicht unternehme, weil mir nämlich eine andere Frage durch den Kopf rauscht: Was ist in dem Falle das Ornament, welches an die Stelle der Personendarstellung tritt? Jenes Ornament, das im Islam bis heute den Sakralbereich prägt, gibt es auch in der christlichen Sakralgeschichte, zum Beispiel karolingische Flechtwerksteine, die eine Zeitlang regelmäßig beim Kirchenbau verwendet wurden. Es handelt sich dabei nicht um eine neue Kulturtechnik, sondern vielmehr eher um die etwas unbedarfte Wieder­be­le­bung antiker Mus­te­run­gen, aber was bedeutet das? Heute würde ich so etwas unter Grafik abhaken, ohne mir weiter darüber Gedanken zu machen, die Grafik hat ihren Platz im Leben und durchaus auch in der Kunst, wo sich mit der konkreten Kunst eine ausgewachsene Grafik-Richtung etabliert hat; aber in den Früh­zei­ten der christlichen Baukunst kommt mir dazu keine direkte Erklärung in den Kopf. Möglicherweise sind solche Stein-Flechtwerke die ersten Ansätze, um die von den Barbaren ziemlich gründlich aus­getriebene antike Kultur wieder auferstehen zu lassen, wenigstens durch einen dürftigen Schmuck der Sakralgebäude. Immerhin gilt der Ur-Karolinger, also Karl selber, als einer der Retter und Weiter­geber der antiken Kulturschätze. Und beiläufig sind aus dieser Zeit auch Perso­nen­dar­stel­lungen bekannt, und der Bezug zum Religiösen ist gegeben wiederum durch die Motive von Heiligen oder Kirchenmännern. Die Kunstfertigkeit allerdings lässt noch zu wünschen übrig; die Kunst hat mindestens für meine Augen hier noch keinen Kult-, sondern erst Gebrauchsstatus erklommen. Insofern kann ich auch keine Aussagen über eine tiefer liegende Beziehung zur Religion machen.
Trotzdem leuchtet mir ein, wie der Kollege auf die Frage gekommen ist, nämlich einerseits eben wegen des Stellenwerts religiöser Motive während langen Epochen unserer eigenen Kunstgeschichte und anderseits sicher auch wegen der Überhöhung, die aus einer mehr oder weniger simplen Darstellung eines Sachverhalts wie z.B. einer Landschaft eine neue Qualität entstehen lässt, egal, ob auf der symbolischen Ebene oder in einer Fortsetzung möglicher früherer Ansätze, bei denen man die dargestellte Sache durch die Darstellung auf irgendeine Hundsart in den Griff zu bekommen meinte. Solche, die Kunst selber begründende Irrtümer spielen ja auch heute noch ihre Rolle.
Das verweist wiederum auf viel frühere Zeiten und gar auf den Beginn der Geschichte. Erste Arte­fakte werden manchmal gleich­zeitig als Kunst wie als Kultobjekte gedeutet, als Fetische, als Ver­körperung von Geistern der ver­schie­dens­ten Gattungen. Ihre Erhebung zu Göttern war dann vermutlich eine spätere Phase, und das Bild-Verbot dürfte eine Reaktion auf die Götterrepräsentation sein, eine Attacke gegen die antike oder prähistorische Verehrungs- und Darstellungsform. Ich habe vor allem zu den frühen Kultur- und Geistesstufen keinen Zugang und bemühe mich auch nicht darum, im Unterschied zu anderen Men­schen, welche sich im Übersinnlichen oder Übernatürlichen tummeln und vielleicht Bäume umarmen oder anderswie den Kulten und Ritualen der Vor-Vor-Urvorfahren nachhängen. Und da liegt dann eben das zweite Problem: Religion? Aber welche denn? Die Religion der Naturgeister? Die Religion mit der Götterregierung und verschiedenen Departementen? Die Monotheisten? Der Buddhismus?
An diesem Punkt wird mindestens für mich deutlich, dass die Fragestellung, ob Kunst aus der Religion hervorgehe oder welches Verhältnis sie zu ihr hat, gar nicht möglich ist: Weil nämlich die Ent­wick­lung der Glaubens- oder Aberglaubenssysteme von der Frühgeschichte der Menschheit bis heute keinerlei Parallelen zwischen dem religiösen Konzept auf der einen und dem jeweiligen historischen Ausmaß des menschlichen Bewusstseins auf der anderen Seite erkennen lässt. Kunst mag sein, was sie will, Beschwörung, Erzählung oder auch nur einfache Buchhaltung – es ist ja nicht gesagt, dass die Darstellung von Pferden oder Hornochsen in den Höhlen von Lascaux etwas anderes waren als zum Beispiel heute die Bildchen auf den Menükarten von Burger King –, sie hat auf keinen Fall eine stabile Verwandtschaft zum menschlichen Geist, der eigentlich eine noch viel verrücktere Veränderung durchmacht von den ersten Erscheinungsformen des Homo Sapiens bis heute als die gesamte organisierte organische Biologie von den ersten Aminosäuren bis zu Organismen wie einem Südpolarwalross. Nein, alles, was mir auf dieser Ebene diskutabel erscheinen täte, wäre die Beschäftigung mit der Religion selber beziehungsweise mit der Frage, wie weit diese Religion heute durch neue Glaubenssysteme bereits ersetzt worden ist, ohne dass wir es gemerkt haben. Die Repräsentation der Welt durch die Künste dagegen hat deutlich weltlichere Züge.
Transzendenz innerhalb der Kunst, also die Überwindung der bekannten oder vorgegebenen Dimen­sionen beziehungsweise die Erschließung anderer Dimensionen durchaus mit be­kann­ten Mitteln, gibt es in der Kunstgeschichte regelmäßig; in der westeuropäischen Ent­wick­lung sind hier sicher die Schritte von der ikonen- und schablonenhaften Darstel­lungen von Heiligen und Heiligengeschichten hin zur voll ausgebauten Abbildung von Menschen und Landschaften während der Renaissance zu nennen, aber auch die echten Qualitäts­sprünge zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der Explosion von Perspektiven und Gegen­ständen bis hin zum Nichts einer weißen oder schwarzen Leinwand. In letzter Zeit beherrschte die Exploration von Neuland mit neuen Medien und neuen Kombinationen die Szene, was unter dem Aspekt der Transzendenz allerdings nicht viel hergibt. Religiöse Kriterien oder Er­fah­rungen kann ich erst recht nicht ausmachen, schon lange nicht mehr; aber eben, schließlich ist auch die Reli­gion nicht mehr, was sie einmal war. Der Glaube an den oder der Dienst am christlichen Gott zumal hat sich in den letzten Jahrzehnten in Europa immer stärker in die Gläubigen selber zurück­ge­zogen, sodass sie nicht mal mehr zur Kirche gehen, und was das dann am Schluss bedeutet, kann ich nicht genau abschätzen. Was ich aber abschätzen kann und was mich auch dazu gebracht hat, meinen Kollegen mit einer spontanen Abwehrreaktion vor den Kopf zu stoßen, ist, dass das, worüber wir sprechen, wenn wir über Religion und über Kunst sprechen, in keiner Art und Weise dem entspricht, wo unser individuelles, aber auch das allgemeine Verständnis von Kunst und Religion gerade steht. Die Kunst lässt sich nicht mal mehr in ihre klassischen Bestandteile gliedern, und die klassische Religion hat grundsätzlich die Koffern gepackt und sich davon gemacht, eben, im besten Fall in die Menschen hinein. Und dass gerade im Fall der Religion dies ein schwieriger Prozess ist, das stellen jene anderen Menschen unter Beweis, die heute auf der Welt echte Religionskriege führen, und ich meine hier natürlich nicht in erster Linie die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern die Islamisten, deren Aufkommen ganz selbstverständlich in erster Linie eine allergische Reaktion der rückständigen Gesellschaft gegen exakt diesen Prozess der Verinnerlichung der Religion ist. Vielleicht sind Al Kaida und ISIS und Boko Haram letztlich überhaupt nichts anderes als der Protest eines erheblichen Teils der Menschengemeinschaft gegen die Verinnerlichung des Religiösen in den entwickelten Gesell­schaften angesichts des anhaltenden, wo nicht sogar ständig zunehmenden äußeren Luxus. Allerdings wäre auch in diesem Fall nachzutragen, dass die Verinnerlichung mit einer gewissen Sicherheit zur Ausbildung neuer, äußerer Religionsäquivalente führt, wie ich oben bereits ausgeführt habe.
So. Damit wäre ich jetzt meiner Pflicht gegenüber dem Kollegen nachgekommen, und es ist nun euch, geschätzte oder bedauernswerte Zuhörer/innen, überlassen, mit diesen sehr unvollständigen Ausführungen selber etwas anzufangen oder es zu lassen und auf die nächsten Berichterstattungen aus neutraler Sicht zur aktuellen Lage und zur Weltpolitik zu warten.





Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
16.12.2014

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