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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Bodo Ramelow -

Ihr versteht, dass ich die Frage stelle: Ist euch das jetzt Ernst mit dem Bodo Ramelow? Die West-Presse sagt jedenfalls schon seit einem halben Jahr voraus, dass er der erste Ministerpräsident der Linken werden könnte, und jetzt hat auch Frau Bundeskanzlerin Merkel diese Möglichkeit beschworen mit der Warnung, dass ein Ministerpräsident Ramelow eine Gefährdung für den Wirt­schafts­standort Thüringen darstelle.


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artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_37_200px.pngDass so was Humbug ist, wissen alle Beteiligten, inklusive Frau Merkel, aber darum geht es ja gar nicht, sondern darum, dass Frau Merkel ihre Parteikollegin und Amtsinhaberin Lieberknecht nicht kommentarlos fallen lassen kann. Lasst ihr euch davon be­ein­drucken? Andernorts hört man, dass die Thüringer SPD mehr oder weniger den Wiederaufbau der DDR betreibe, wenn sie Ramelow ins Amt verhelfe. Das ist allerdings ein großartiger Vorwurf, nämlich großartig in seinem Unfug. Und was den Wirtschaftsstandort angeht, so ist nicht erst seit der Jahrtausendwende klar, dass die Gewerkschaften ein riesiges Interesse haben an Arbeitsplätzen – denn wo es keine Arbeitsplätze gibt, da gibt es auch keine Gewerkschaftsmitglieder. Insofern ist der ehemalige Gewerkschafter Ramelow mit Sicherheit eher eine Bedrohung für allfällige Wachs­tums­kritiker­innen als für die Unternehmer. Es sei denn, es handle sich um sozial unverträgliche Unternehmen, aber die jüngere Geschichte hat doch deutlich gezeigt, dass der Kapitalismus nicht essentiell auf kriminelle Kretins angewiesen ist. Umgekehrt wird er trotz Mindestlohn und über­haupt der sozialdemokratischen Politik in Deutschland nicht zusammen­brechen und auch einen allfälligen Ministerpräsidenten Ramelow unbeschadet überstehen. Das wiederum müsste eine eher betrübliche Nachricht für die Linke sein, mindestens soweit sie sich als antikapitalistische Partei versteht, aber das ist möglicherweise in der Zwischenzeit etwas verblasst gegenüber der Notwendigkeit der Schaffung von Arbeitsplätzen und dem Willen, endlich mal einen richtigen Ministerpräsidenten zu stellen. Und das wiederum wäre natürlich aus neutraler Sicht ein sehr schönes Ereignis; irgendwie, möchte man meinen, wäre ein Ministerpräsident Ramelow ein gutes Zeichen dafür, dass die Emanzipation des ehemaligen Ostdeutschlands vorankommt.

Am meisten Einwände erheben offenbar die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler, vermutlich weniger gegen Ramelow selber als vielmehr gegen die Linke als Nachfolge der ehemaligen Staatspartei SED. Ich kann ihren Groll und ihre Ressentiments nachvollziehen. Wenn die DDR auch zweifelsfrei ein Rechtsstaat war, so sind auch im Nachhinein das Recht und die Rechtspraxis in Bezug auf Kritik oder antisozialistische Machenschaften oder wie das alles hieß, nur als Katastrophe zu bezeichnen. Trotzdem wurde die DDR nicht besiegt und die Verantwortlichen vor ein Kriegsgericht gestellt, sondern sie wurde mit dem Westen wiedervereinigt gemäß einigermaßen zivilen Verfahrensweisen, und dazu gehört nun mal auch die Gründung einer SED-Nachfolgepartei unter der Bedingung der Verfassungstreue. Zweifellos bleiben dabei Widersprüche bestehen, aus meiner Optik vor allem zwischen einer alten Funktionärsgarde, die im Übrigen durchaus nicht immer nur das Schlimmste wollten für die Menschen im Land, und dem zunehmend größeren Anteil an neuen Mitgliedern, deren Hauptziel die Zügelung jenes entfesselten Kapitalismus war, den die neuen Bundesländer vor allem in den neunziger Jahren erlebt haben. Bodo Ramelow würde ich der zweiten Kategorie zuordnen, und ich glaube wirklich nicht, dass es sein politisches Hauptanliegen ist, die Fehler der Vergangenheit zu vertuschen.

Aber ich will euch ja gar keine Wahlempfehlungen abgeben, sondern ich bin einfach überrascht davon, dass ein Ministerpräsident Ramelow überhaupt ein Thema ist, lange bevor die SPD in Thüringen eine Mitgliederbefragung darüber durchführt, ob man diese Steigbügel nun auch tatsächlich halten wolle. Die Wahlen in Thüringen vom nächsten Wochenende sind somit fast ein wenig exotisch.

Daneben habt ihr es sicher gemerkt: Die Publikation China Daily, aus welcher ich vor ein paar Wochen aus­führ­lich zitierte, ist ein offizielles Organ, das in erster Linie die Parteidoktrin wie­der­gibt, begonnen mit den Demonstrationen gegen die Hongkonger Demokratiebewegung, die wun­der­samerweise von einer Alllianz für Frieden und Demokratie organisiert werden, über die Berichte über die Antitrust-Behörde, die angeblich einen ersten Schritt in Richtung Konsu­men­ten­schutz bedeuten soll und sich in der Praxis doch nur ausländische Unternehmen vorknöpft bis hin zur Mel­dung über den Siedlungsbau in der autonomen Provinz Tibet, wo mit einiger Sicherheit 1000 ethni­sche Chinesen einziehen wer­den und kein einziger müder Tibeter. Wir haben es mit einem Klas­siker der einseitigen Information bei Unterdrückung nicht genehmer Informationen zu tun. Aber anderseits befinden wir uns in der Zwick­mühle, dass unsere eigenen Engel der freien Information, die Herolde des kritischen Jour­na­lis­mus und die Hermesboten der wahren Wahrheit eben auch nicht viel anderes leisten. Objektivität ist für sie die unbesehene Vermittlung sämtlicher, nicht etwa kritischer, sondern einfach negativer Berichte über China. Ein Beispiel hatten wir kurz nach meinem Referat mit Meldungen über dunkle Wolken, wo nicht einen drohenden Wolkenbruch oder Taifun oder den Weltuntergang am chinesischen Immo­bi­lien­markt. «Chinas Wohnungsmarkt sorgt für weiteres Ungemach», schrieb die Neue Zürcher Zei­tung und entledigte sich damit pflicht­schul­digst der Aufgabe, China bereits im Titel als eine Zone allgemeinen Ungemachs geschildert zu haben. Im Text hieß es dann, die jüngsten Daten der chine­si­schen Wohnungsmarktstatistik für den Juli würden als «eher ernüchternd» gelten, weil die Woh­nungs­preise sinken, und eine Stabilisierung sei nicht in Sicht. Das Volumen der verkauften Wohn­flä­chen sei seit Jahresbeginn um über 10% geschrumpft. Ein normaler Kopf sagt in solchen Zusam­men­hängen doch ganz einfach nur: Na und? – Die Chinesinnen und Chinesen haben in den letzten fünfzehn Jahren ein derartiges Wachstum aufs Parkett gelegt, dass allen Menschen schwindlig wer­den muss, von der Natur ganz zu schwei­gen, und wenn da einmal 10% weniger Wohnungen ver­kauft werden, ist das nun bereits die Krise? Solche Immobilien-Krisen-Verkaufswerte würden sich die Ver­einig­ten Staaten von Amerika wohl sehr gerne wünschen. Der Artikel endet mit dem Satz. «Damit ist eine deutliche Verlangsamung der Immobilieninvestitionen und der Bauaktivität ver­bun­den, die sich lähmend auf die noch immer stark von Investitionen – und nicht vom Binnenkonsum – getriebene chinesische Wirtschaft auswirkt.» Nun ist ein Wohnungs­markt, auf dem Wohnungen frei erworben werden können, und darum geht es hier offensichtlich, ohnehin schon an der Grenze zum Privat­konsum, weil nämlich Wohnungsinvestitionen nicht produktive Investitionen sind, sofern die­se Wohnungen zum Eigengebrauch erworben wurden und nicht zu Vermietungszwecken. Aber vor allem sind sich alle anderen Journalistinnen und Journalisten auf der ganzen Welt einig darüber, dass sich China mit dem explosionsartig wach­sen­den Wohlstand nicht nur der superreichen und kor­rup­ten Parteikader, sondern eben auch der mittleren und unteren Schichten genau mit Volldampf in Richtung einer Konsumgesellschaft im westlichen Sinne zu bewegt. – Insofern enthält übrigens auch die Meldung des China Daily über die Antitrust-Behörde durchaus einen Aspekt der Wahrheit. – Aber der Reflex eines antichinesischen Ressentiments lässt das Vordringen dieser allgemein bekannten Auf­fassung im Rahmen eines antichinesischen Artikels in die journalistische Praxis halt einfach nicht zu, auch wenn der Autor zwei Tage später mit Sicherheit einen negativ eingefärbten Artikel zu den Umwelt­schäden des wachsenden chinesischen Binnenkonsums publizieren wird. Man sieht: Unsereins hat es nicht einfach zwischen diesen schönen Nachrichtenquellen, der offiziellen zum einen, der vom antichinesischen Reflex polarisierten zum anderen.

Das gilt ja nicht nur für China. Die gleiche NZZ meldete etwa gleichzeitig wie den Bericht zur Immobilienkatastrophe in China, dass die russische Zentral­bank unbeirrt an ihrem Ziel festhalte, den Rubel Anfang 2015 komplett den Marktkräften zu über­lassen, was doch einigermaßen überrasche. Sie schrieb: «Elwira Nabiullina, die erste Frau an der Spitze von Russlands Notenbank, hat sich als lobenswert unabhängig erwiesen. Ihre Vergangenheit als Beraterin von Präsident Wladimir Putin scheint ihren Blick für das langfristig Notwendige nicht verzerrt zu haben.» Sub­text: Jeder Kontakt mit Putin verzerrt den Blick für das langfristig Not­wen­dige. Haben solche Leute einen einfachen Hau, oder sollte man doch eher zur medizinischen Behand­lung raten? Es ist doch ganz elementar, dass sich Frau Nabiullina mit Wladimir Putin über diese Frage unterhalten hat. Wla­di­mir Putin setzt bei einer ganzen Reihe von, wo nicht überhaupt allen Entscheidungen auf den Sachverstand von Expertinnen und Experten und nicht auf sowjetrussisches Ressentiment. Das kann nur einem echten Dummkopf so scheinen, welcher Putins und Russlands Lage vollständig verkennt. Wenn man ihn nicht in erster Linie als Garant irgendeiner Stabilität, sondern als Verkörperung aller antirussischen Befürchtungen des Westens sieht, dann hat man tatsächlich keine Chance, je einmal zu begreifen, was da wirklich vor sich geht. Putin hat für den Westen tatsächlich eine zarenähnliche oder sogar pseudodiktatorische Stellung aufgebaut; aber in Tat und Wahrheit ist Putin ebensolchen Interessenlagen und Strömungen in diesem riesigen Land unterworfen wie zum Beispiel der US-amerikanische Präsident Obama.

Ebenfalls noch im schönen Monat August habe ich einen Bericht gelesen über das neue US-amerikanische Allround-Kampfflugzeug F-35, das jetzt nach und nach fertig gestellt wird. Die Entwicklungskosten belaufen sich auf die nette Summe von 400 Milliarden US-Dollar, doppelt so viel wie ursprünglich geplant; aber gegen dieses Projekt gab es keine Widerstände, insbesondere nicht von Seiten der Republikaner, aber auch die Demokraten machten keine Opposition gegen die Maschine, obwohl es im Lauf der Entwicklung zu allen möglichen Pannen kam, sei es bei der Hard- oder bei der Software, das Flugzeug war zeitweise nicht flugtüchtig bei Regen, und so weiter und so fort. Aber, aber, aber: Dieses Flugzeug sichert Arbeitsplätze!, und zwar direkt in 18 Bundesstaaten und indirekt in allen anderen auch mit Ausnahme von Alaska, Hawaii, Nebraska und Wyoming; insgesamt handelt es sich um 32'500 Jobs. Daneben sind 9 weitere Länder an der Produktion und Entwicklung beteiligt, nämlich Australien, Kanada, Dänemark, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, die Türkei und Großbritannien. Der definitive Rollout war für nächstes Jahr vorgesehen, aber nachdem im Juni ein Prototyp beim Start Feuer gefangen hat, wurde der Start auf September 2017 verschoben. Und was die Arbeitsplätze angeht: Je nach Berechnungsart bezahlt der Staat für einen solchen Arbeitsplatz bis zu 8 Millionen US-Dollar – und illustriert damit aufs Wunderbarste, wie sinnvoll diese ganze Arbeitsplatzdiskussion in einer vollautomatisierten Gesellschaft in der Praxis ist. – Aber das habt Ihr von mir ja schon derart oft gehört, dass ich es nicht zu wiederholen brauche, vor allem solange nicht, als ich keine Alternativen anzubieten habe, ich weiß, ich weiß. Trotzdem: Gebt mir 8 Millionen US-Dollar, und ich versorge euch einen Arbeitslosen gerne während seinem ganzen Arbeitsleben in irgendeinem prächtigen Programm, egal, ob für Auf-, Ab- oder Umrüstung.




Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.



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Albert Jörimann
09.09.2014

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