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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - China Daily -

Vor dem Ersten Weltkrieg betrug die Verschuldung des deutschen Reichs 5.2 Milliarden Reichs­mark, was nach heutigen Werten je nach Umrechnung 50–200 Milliarden Euro entspräche. Die Gesamtverschuldung inklusive Gliedstaaten und Gemeinden stand bei 32.8 Milliarden Reichsmark, also im Vergleich bei 300 Milliarden bis 1.2 Billionen Euro.


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artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_34_200px.pngDies war die Folge der Rüstungs­po­li­tik, namentlich bei den Seestreitkräften; wie Ignaz Miller, der Autor des Buches «Mit vollem Risiko in den Krieg», schreibt, belief sich der Anteil der Militärausgaben zwischen 1900 und 1913 ständig auf etwa 90% des deutschen Staatsbudgets. Dementsprechend groß war auch das Haushaltdefizit; im Jahr 1909 betrug es fast 30% der gesamten Wirtschaftsleistung. Miller vergleicht diesen Wert mit Griechenland auf dem Höhepunkt der Finanzkrise: Dort stand das Defizit bei 13%. Die EU-Kon­vergenzkriterien erlauben ein maximales Defizit von 3%. Die vergleichsweise hohe Ver­schul­dung führte auch zu höheren Zinsen für die deutschen Staatsanleihen, aber auch zu schlechten Marktbewertungen dieser Papiere; ein Jahr vor Ausbruch des Weltkriegs notierte das 10-Jahres-Staatspapier Deutschlands bei gerade noch 76%. Auch während dem Krieg ging die Verschuldung weiter; die Führung ging davon aus, dass man sich nach dem Sieg von den Unterlegenen das Geld wieder holen würde, wie dies dann auch nach dem Einfall in Belgien sofort der Fall war. Ignaz Miller spricht von 50 Milliarden Reichsmark, welche man von Frankreich fordern wollte, was das Land von seiner gesamten aktuellen Schuldenlast befreit hätte. Es kam dann alles ziemlich anders, aber dass hier ein ganz zentraler Kriegsgrund liegt, braucht man nicht speziell zu betonen. «Hier» bezieht sich dabei nicht in erster Linie auf die Verschuldung, sondern auf ihre Ursache, die Hoch­rüstung, welche den einzigen Zweck hatte, die deutsche Position im Rahmen der imperia­lis­ti­schen Entwicklung zu verstärken beziehungsweise Deutschland zu einer dominierenden Weltmacht zu machen. – Soviel noch zu einigen finanztechnischen Elementen des Ersten Weltkriegs.

Am Wochenende habe ich vernommen, dass die Umsätze von Aldi Süd im ersten Halbjahr 2014 um 1.4% abgenommen haben und jene von Aldi Nord sogar um 2.5%. Bei Lidl gab es angeblich geringfügige Einbußen, wogegen Rewe bei den Lebensmittelverkäufen um volle 6% zugelegt hat und Edeka doch noch um 1.9%. Will heißen: Ihr kauft teurer ein, geschätzte Hörerinnen und Hörer, habt ihr das gewusst? Die Konsumentenstimmung hat sich offenbar klar verbessert. Damit steigen auch die Chancen, dass der dringende Wunsch der EU-Kommission in Erfüllung geht, dass Deutschland seiner Verpflichtung als größte Wirtschaftskraft Europas auch in Bezug auf den Konsum nachkommt und endlich mehr verbraucht. Aus Sicht der EU-Kommission ist dies selbst­verständlich verbunden mit steigenden Löhnen und dementsprechend steigenden Kosten und Preisen für deutsche Produkte, was den Not leidenden Mit-EU-Mitgliedern wirtschaftlich etwas Luft verschaffen könnte im bitteren Wettbewerb auf allen Märkten. Man könnte also sagen: Kauft bei Rewe aus Solidarität mit François Hollande.

Dabei bedeuten steigende Löhne ja seit langem nicht mehr automatisch eine Steigerung des Kon­sums, und die Einzelhandelszahlen sind eine gute Illustration für diesen Nicht-Zusammen­hang: Nicht der absolute Konsum hat zugenommen, sondern das Kaufpublikum in Deutschland leistet sich wieder vermehrt Markenartikel anstelle der günstigeren Sortimentsware bei den Discountern, deshalb gehen bei denen die Umsätze leicht zurück. Der Konsumanteil an der Lohn­masse der Privathaushalte steigt nicht wegen eines höheren Warenverbrauchs; der ist ohnehin in den meisten Bereichen seit Jahrzehnten bereits an seinem Höchstpunkt angelangt. Er nimmt zu in jenen Sphären, wo Werbung wirkt. Man kauft wieder Nivea anstelle der Billig-Handcrème aus der Norma. Das kann ebenso gut zulasten des Sparanteils an der Lohnmasse gehen wie auch die Folge sein einer effektiven Lohnerhöhung. So oder so sind diese Umsatzwerte klare Hinweise auf eine Verbesserung des gesamten Konsumklimas in Deutschland; wenn schon das Sommerwetter nicht mitspielt, so doch wenigstens die Verbraucherstimmung. Vielleicht hängt das wiederum nur damit zusammen, dass Deutschland Fußball-Weltmeister geworden ist. Das ganze Land hat sich gesagt: Komm, lass uns heute mal über die Stränge schlagen, gehen wir im Rewe einkaufen statt im Lidl. – Allerdings würden sich solche Kaufräusche vermutlich erst im zweiten Halbjahr bemerkbar machen, sodass uns nochmals eine positive Überraschung bevor steht.
Daneben werfen wir mal einen Blick in die größte englischsprachige Zeitung Chinas, den China Daily. An erster Stelle der Artikel findet sich ein Bericht über eine Demonstration von nahezu 200'000 Bewohnerinnen und Bewohnern von Hongkong gegen die Protestbewegung «Occupy Central», welche mehr Demokratie verlangt. Als Organisator tritt die Allianz für Frieden und Demokratie auf, welche bereits eineinhalb Millionen Unterschriften zusammengebracht hat für eine Petition, die sich ebenfalls gegen die Forderungen der Occupy-Bewegung richtet. Dann folgt ein Bericht über die Verlagerung von chinesischen Kapitalien nach Australien, vor allem in den dortigen Immobiliensektor, als Folge der zunehmenden Verfolgung von Korruption im Land. Der nächste Artikel beschäftigt sich mit den Problemen der Antitrust-Behörde, welche Schwierigkeiten hat, sobald sie sich mit großen Staatsunternehmen befasst; so stehen zum Beispiel Bericht und Urteil bei einer Untersuchung, die im Jahr 2011 gegen die beiden größten Telecomanbieter in China eingeleitet wurde, noch aus. Die Behörde ist personell nicht besonders gut dotiert und arbeitet überhaupt erst seit dem Erlass der entsprechenden Gesetze vor 6 Jahren. Deshalb entsteht immer wieder der Eindruck, die Antitrust-Gesetze richteten sich in erster Linie gegen ausländische Unternehmen. Ein zweiter Artikel bestreitet dies vehement und verspricht, dass die Antitrust-Behörde allein zum Wohl der chinesischen Konsumentinnen und Konsumenten arbeiten und zu einem Konsumentenschutz führen soll, wie er auch in den Vereinigten Staaten und in Europa bekannt ist. Insgesamt seien bereits Untersuchungen gegen mehr als 1000 Einzelunternehmen am Laufen. Zitiert werden dann die Durchsuchung des China-Hauptsitzes von Mercedes sowie der Mercedes-Niederlassungen, Abklärungen bei Microsoft-Niederlassungen in vier chinesischen Städten, die Automobilhersteller Chrysler und Audi sowie 12 japanische Automobilteile-Fabriken und der US-Chiphersteller Qualcomm. Zahlreiche Konsumgüter seien in China um bis zu 20% teurer als im Ausland, z.B. der Jeep 5.7L Grand Cherokee von Chrysler, der jetzt nach einem ersten Verfahren nur noch 129'000 US-Dollar kostet statt 140'000 Dollar, in den Vereinigten Staaten aber für 50'000 US-Dollar verkauft wird.

Die chinesische Community in England verlangt nach einem Denkmal für das Chinese Labor Corps, das auf Seiten der Alliierten im 1. Weltkrieg an der Westfront zum Einsatz kam, in erster Linie für Logistik- und Infrastrukturaufgaben. England entsandte fast 150'000 chinesische Arbeitskräfte, die aber auch heute noch anscheinend auf keinem der 43'000 existierenden 1.-Weltkriegs-Denkmäler auch nur erwähnt werden.

In der Stadt Qamdo im Osten der autonomen Provinz Tibet entsteht eine Neuüberbauung für über 1000 Familien. Die Zahl der in China lebenden Japanerinnen und Japaner ist zwischen Oktober 2012 und Oktober 2013 um über 10% zurückgegangen. Im Juli wurden 6017 Parteifunktionäre wegen Verstößen gegen die Antibürokratie-Vorschriften bestraft, wie die Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei Chinas am Sonntag mitteilte.

Der obligate Unfallbericht betrifft diesmal die Explosion von Aluminiumstaub in einem Autoteile-Hersteller in Kunshan, in der Provinz Jiansu, welche über 70 Todesopfer forderte neben 190 Verletzten. Es handelt sich um einen Zulieferbetrieb für General Motors, dessen Unternehmenskapital aus Taiwan stammt.

Weiter befindet sich auf der Webseite des China Daily eine Liste mit den 10 größten Erdöl­pro­du­zenten der Welt, die ich an dieser Stelle gerne wieder einmal aufliste: Auf dem ersten Platz liegt Saudi Aramco mit einer Produktion von 12.7 Mio. Fass pro Tag im Jahr 2013, gefolgt von Gazprom mit 8.1 Mio. Fass, der Nationalen Erdölgesellschaft des Iran mit 6.1 Mio. Fass, Exxon Mobil mit 6.1 Mio. Fass, Rosneft mit 4.6 Mio. Fass, Royal Dutch Shell mit 4 Mio. Fass, China National Petroleum Corporation mit 3.9 Mio. Fass, Petroleos Mexicanos mit 3.6 Mio. Fass, Chevron Corporation mit 3.5 Mio. Fass und auf dem zehnten Platz die Kuwait Petroleum Corporation mit 3.4 Mio. Fass. Hätten wir das auch wieder mal geklärt.

Sprechen wir von was anderem. Vor ein paar Wochen habe ich zufällig im Kino den Film «Plato’s Academy» gesehen, einen Streifen aus dem Jahr 2010 über einen kleinen Platz in Athen, an dem vier Athener je einen Kleinladen führen, wobei das bedeutet, dass sie den ganzen Tag über vor der Stehkneipe des einen nicht stehen, sondern sitzen und diskutieren und Kaffee trinken, den sie vermutlich selber mitgebracht haben. Dies ist eben Plato’s Akademie, und der Inhalt der Philosophiestunden ist immer ungefähr der gleiche: Die Chinesen oder anderweitigen Asiaten, welche in der Nachbarschaft ein Elektrogeschäft einrichten, sind irgendwelche Exoten, die Albaner, welche die harten Arbeiten verrichten, minder­wer­tige Ausländer, und insgesamt bestätigt der Film einfach sämtliche Vorurteile, die man gegen die Griechen oder den Griechen als solchen halt so zusammen gesteckt hat im Lauf der letzten paar Jahre. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Mutter des Stehkneipenbetreibers plötzlich Albanisch zu sprechen beginnt und in einem albanischen Maurer den Sohn erkennt, den sie vor sechzig Jahren in Tirana zurückgelassen hat, einen Sohn übrigens, der auf den schönen Namen Maenle hört als Abkürzung von Marx Engels Lenin. Der Stehkneipier gerät damit seinerseits in den bösen Verdacht, ein Albaner zu sein, und die Klärung beziehungsweise Nichtklärung dieser Frage macht dann den eigentlichen Film aus; aber am Griechen ändert das nichts. Wir hatten im Anschluss an die Vorführung eine kleine Auseinandersetzung. Die einen fanden das ganz lustig, natürlich auch deswegen, weil das Teil handwerklich absolut in Ordnung war, aber ich konnte mich nicht dazu aufraffen. Im Fall von Griechenland kann man nicht einmal irgendwelche anonymen Mächte verantwortlich machen wie die Bilderberger oder das internationale Finanz­kapital oder gar am End noch das Weltjudentum; die Griechen sind ganz einfach selber schuld, und zwar genau deshalb, weil sie vermutlich so sind, wie sie in diesem Film gezeigt werden, und das ist, abgesehen von mehreren gelungenen Pointen, als Hintergrundgemälde einfach nicht lustig.



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Albert Jörimann
19.08.2014

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