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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Van Rompuy -

Einigermaßen pünktlich nach der Veröffentlichung der neuen Clueso-Single «Freidrehen» Ende August habe ich mir auf dem Internet die Akus­tik-Version angehört, oder müsste ich sagen angeschaut, egal.


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artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_36_200px.pngDie Vorschau auf eine Nacht, in welcher man mit Freunden, die man lange nicht gesehen hat, nur im T-Shirt das Leben live sehen will, ist perfekt gesungen und gespielt, während für mich eine gewisse Diskrepanz besteht zwischen der ruhigen Musik mit ihren drei Akkorden und vereinzelten Gitarrentönen zum einen und anderseits dem treibenden Text, der von pumpendem Sound, Auftauchen, Abheben, Landen, einzigartigen Momenten, Songs, die wie unsere Träume klingen, aber auch von Glas heben, Gas geben, Neustart handelt. Die Musik ist fast meditativ, chillig, sagt man dem wohl, ganz im Gegensatz zur Bewegung im Text, obwohl es auch bei einer rauschenden Fete Momente gibt, in denen man nach draußen schleicht und eine Zigarette raucht oder was auch immer, wie dies ja auch im Lied aufscheint. Das wollte ich hier noch anmerken, und zwar in erster Linie deshalb, weil ich von der Karriere des Erfurter Stadtsängers Clueso bisher praktisch überhaupt nichts mitgekriegt habe, und dabei handelt es sich doch um einen der wichtigsten Kulturträger des Freistaats Thüringen. Da hätte ich also mal einen Anfang gemacht.

Was wollen uns dagegen die Menschen in Sachsen sagen mit ihrem Wahlverhalten? – Besonders aussagekräftig ist das Ergebnis nicht, am ehesten etwas anfangen kann ich mit der Wahlbeteiligung von 49%, die mir laut und deutlich anzeigt, dass sich der Osten Deutschlands immer mehr den kapitalistisch-demokratischen Wahlgepflogenheiten annähert. Vielen Dank hierfür! – Daneben hat die Allianz für Deutschland der NPD offenbar genau jene Stimmen abgeluchst, welche diese be­nötigt hätte, um wieder in den Landtag zu kommen. Über diesen Scherz werden wohl alle an­de­ren Parteien laut heraus lachen, mit Ausnahme der FDP, natürlich. Zur FDP kann man allenfalls noch nachreichen, dass der Sozialliberalismus nicht erst seit den letzten Bundestags­wahlen ein Modell mit Vergangenheit ist, sondern im Grunde genommen mit der Wiederver­einigung, sowieso aber mit der Sozialdemokratisierung der CDU unter Helmuth Kohl seine Existenzberechtigung verloren hat. Die verzweifelten Wiederbelebungsversuche als Spaßpartei unter Westerwelle hatten längerfristig keine Chance, wie man gesehen hat, sobald Westerwelle selber in den politischen Ernst überführt wurde als Minister im gelb-schwarzen Kabinett. Aus, fertig, Schluss.

Mindestens was den Liberalismus angeht, müsste man der FDP ein paar Nelken ins Grab werfen. Die politische Tendenz, den Staat einzudämmen und nicht die individuellen Rechte, hat im heutigen Zeitpunkt keinerlei Vertretung auf der parlamentarischen Bühne, und das bedaure ich. Unglück­licherweise ist die Vereinigte Linke in genau diesem Punkt wehrlos schwach auf der Brust. Dabei ist dies einer der grundlegenden Gegensätze der heutigen Gesellschaft: Das angeblich freie Individuum wird immer stärker domestiziert und kollektiviert, und es ist mit Sicherheit zu allerletzt der Staat, welcher ihm irgendwelche Freiräume garantieren wird. Aber das ist ein anderes Kapitel, und eben nicht zuletzt eines, welches die FDP zuletzt überhaupt nicht mehr begriffen hatte.

Dafür erhält Europa demnächst einen Polen als Ratspräsidenten. Donald Tusk war zwar immer ein vernünftiger Politiker, natürlich vor allem im Vergleich zu seinen Vorgängern, den Kacinsky-Zwil­lingen, aber mindestens was die Ostfront angeht, so ticken die Jungs und Mädels dort alle ungefähr gleich, wie auch Präsident Komorowski bewiesen hat, der sich nichts sehnlicher wünscht, als dass die Nato die Ukraine als Gelegenheit benützt, um dem Russen heimzuzahlen, was die Sowjets ihnen vor fünfundsiebzig Jahren angetan haben. Dass er aus Gründen der Symmetrie die Nato dann auch nach Deutschland schicken müsste, ist ihm entgangen, so wie noch verschiedene andere Dinge. Tusk ist vermutlich ein anderes Kaliber, aber zu einem Protagonisten der Entspannung gegenüber Moskau wird auch der uns nicht werden.

Wer aber ist Tusks künftiger Vorgänger, der aktuelle Präsident Hermann van Rompuy? Unter uns gesagt, mag ich mich nicht an besonders viele Akzente erinnern, die er gesetzt hätte, aber ist nicht dies genau das, was einen guten Politiker auszeichnet? Farblosigkeit in einem positiven Sinne? – Ich muss gestehen, dass ich dem Europarat kein besonderes Interesse gegenüber bringe und deshalb auch kein wirkliches Urteil fällen kann; aber immerhin hielt ich Hermann van Rompuy zwar für einen katholischen Traditionalisten, aber doch immerhin für einen, dem man weder im Bereich Morallehre noch in Bezug auf logisches Denken irgendwelche Lektionen erteilen muss, und allein das ist in der Politik oft schon erfreulich, solche Leute wünscht man sich eben auch als politische Gegner, weil man sich mit ihnen auseinandersetzen kann, ohne dass sie sich in erster Linie um die eigene Profilierung bemühen. Seltsamerweise produziert das stark polarisierte Belgien regelmäßig auch solche Persönlichkeiten neben den Schaumschlägern und Populisten. Neben der Politik betreibt van Rompuy auch noch Kultur, und zwar als Haiku-Dichter, aber auch in dieser Kunst bin ich zu wenig bewandert, um ein Urteil über ihn fällen zu können.

Wie bereits erwähnt, ist Farblosigkeit im Moment einer der Hauptvorwürfe an den schwarzen US-Präsidenten Barack Obama, aber wie eh und je wirft man ihm auch sonst alles Mögliche vor, insonderheit eine umfassende Untätigkeit gegenüber dem Islamischen Staat beziehungsweise den verfrühten Rückzug der US-amerikanischen Truppen aus dem Irak, und so weiter und so fort. Diesem Konzert brauche ich mich nicht anzuschließen, denn der US-amerikanische Präsident tut in der Regel nur das, was zu tun ist, also was der Beraterstab beziehungsweise die Administration zu tun rät, und da gibt es nicht übermäßig viele Optionen. Am Obama muss einfach reichen, dass er der erste schwarze Präsident der USA ist, und das kann beileibe nicht jeder Präsident von sich sagen. Dagegen habe ich erhebliche Bedenken gegen eine mögliche erste Frau als US-ameri­ka­ni­sche Präsidentin, nämlich die aktuell meistgenannte Hillary Clinton; ich halte es für einen nicht sehr ausgereiften Scherz, dass jetzt nach der Familie Busch mit Vater und Sohn auch die Familie Clinton mit Mann und Ehefrau nach dem höchsten Amt der Vereinigten Staaten greift. Solche Dinge hatten wir mit dem Feudalismus doch eben abgeschafft, und irgendwie haben wir es doch begriffen, dass der Bruder von John F. Kennedy noch während dem Wahlkampf erschossen wurde – es handelte sich zweifelsfrei um einen modernen demokratischen Reflex, wenn auch im kriminellen Gewand, aber immerhin, wonach die Ämter in den demokratischen Gesellschaften eben nicht nach Familienzugehörigkeit, sondern im demokratischen Auswahlverfahren zu verteilen seien, wobei die Familienzugehörigkeit eindeutig ein Hindernis sein müsste von wegen Beziehungs­klüngelei und so weiter. Wie hieß noch mal der Vater eurer Verteidigungsministerin von der Leyen? Eben: Ernst Albrecht, ehemaliger CDU-Ministerpräsident von Niedersachsen. – Aber das war wohl eher ein kleiner Fisch im politischen Karpfenteich. –

Und was läuft so in Alaska? Die Vereinigung der Ureinwohner von Alaska hat als Hauptrednerinnen für ihre diesjährige Hauptversammlung am 23. Oktober in Anchorage Miriam Kaniak Aarons und Ma’o Tosi eingeladen. Miriam Kaniak Aarons stammt einerseits aus einer jüdischen und anderseits aus einer Eskimo-Familie, während Mao Tosi bis vor Kurzem Basketball und American Football gespielt hat und von den amerikanischen Samoa-Inseln stammt, östlich von Fidschi. Sodann haben die Stimmberechtigten in Alaska mit 52% zu 48% der Stimmen ein kürzlich revidiertes Steuergesetz bestätigt, das vor allem die Abgaben auf der Erdöl- und Erdgasproduktion regelt. Ich kenne dieses Gesetz nicht, lese aber in der Tundra Drums, dass die Erdölindustrie im Abstimmungs­kampf versprochen hat, sich für Umweltschutz und so weiter und so fort einzusetzen, was ich als Hinweis darauf lese, dass die Erdölindustrie mit substantiellen Steuererleichterungen rechnen kann. Angesichts eines Erdölpreises von nur noch etwa 100 Dollar pro Fass ist so etwas natürlich verständlich, und die Versprechungen ausgerechnet dieses Industriezweiges nimmt man immer besonders gern entgegen, egal, ob in Alaska oder im Golf von Mexiko.

Der Fairbanks News Miner dagegen berichtet von verschiedenen Erdbeben, welche Alaska am Sonntag aufgeschreckt haben, ohne aber allzu große Schäden zu veranstalten. Der Petersburg Pilot wiederum meldet den Hinschied von William Betts Phillips, einem 100%-igen Tlingit, in seinem 70 Altersjahr. Die Alaska Dispatch News berichtet über eine Initiative zur Legalisierung von Marihuana auch in Alaska, über die im Herbst abgestimmt wird, vermutlich zusammen mit den Bundeswahlen. Daneben gibt es einen ausführlichen Bericht über Ausgrabungen in einer alten Yup’ik-Siedlung, wo man Gegenstände und Überreste findet aus der Zeit, bevor die Russen und die Europäer zu Beginn des 19. Jahrhunderts in die Gegend kamen. Die Siedlungsreste reichen zurück bis ins 14. Jahrhundert, im 17. Jahrhundert wurde das Dorf zerstört. Bis vor kurzem gab es keine Probleme mit der Konservierung in der gefrorenen Erde, aber jetzt macht sich die Klimaerwärmung auch hier bemerkbar, und die Grabungen nehmen zunehmend den Charakter von Notgrabungen an. Weil sich die Siedlung zudem an der Küste befindet, besteht die Gefahr, dass immer mehr Teile während dem Auftauen auch ins Meer abgeschwemmt werden; in den letzten fünf Jahren hätte man bereits etwa 10 Meter Land verloren.

Und dann findet Thomas E. Perez, der US-Arbeitsminister, in einem Gastkommentar, dass man in den Vereinigten Staaten den Mindestlohn anheben sollte auf 10 Dollars und 10 Cents, was die Lebensbedingungen von 28 Millionen Menschen im ganzen Land verbessern würde, natürlich nicht zuletzt in Alaska. Auch hierzu gibt es in Alaska im November offenbar eine Abstimmung, allerdings nicht über eine Anhebung auf 10.10 Dollars, sondern zunächst auf 8.75 Dollar im Jahr 2015 und dann auf 9.75 Dollar im Jahr 2016.

Soviel für den Moment zu Alaska.



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Albert Jörimann
02.09.2014

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