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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Björn Höcke -

Nach dem Börsengang von Facebook vor etwas mehr als zwei Jahren hatte ich in diesem Radio am 22. Mai 2012 die folgende Prognose gestellt: «Es ist ein Leichtes, diesem Unternehmen einen bal­di­gen Einbruch zu prophezeien. Ich sage nur: Fake Accounts!


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artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_38_200px.pngUnd wenn die falschen Identitäten dann einmal definitiv zur Überlast werden, dann wird ein zunehmender Anteil der Menschheit mer­ken, dass sich eigentlich nie jemand wirklich für all die wichtigen Mitteilungen interessiert hat, die man unablässig gepostet hat.» Und weiter: «Die Firma wird ihren Börsenwert innerhalb von maxi­mal zwei Jahren um 75% verkleinern. Wer also Lust hat, seine persönliche Finanzkrise zu erleben, der soll einfach Facebook-Aktien kaufen.» Und heute, nach Ablauf dieser zwei Jahre, stelle ich fest: Vor einer Woche knackte Facebook an der Börse die 200-Milliarden-Dollar-Grenze, und der Ak­tien­kurs erreichte einen neuen Rekordstand von 77 Dollar und 89 Cent, hat also den Ausgabekurs von 38 US-Dollar exakt verdoppelt. Damit ist mein Talent als Anlage­berater anhand eines Praxis­beispiels belegt, und ich erwarte eure Anfragen und Aufträge über dieses Radio in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten.

Zu meiner teilweisen Entschuldigung trage ich noch nach, dass der Facebook-Kurs in den ersten Tagen, Wochen und Monaten nach dem Initial Public Offering tatsächlich abgestürzt ist: vor zwei Jahren, am 4. September 2012, notierte das Papier bei 17 Dollars und 73 Cents, also weniger als der Hälfte des Ausgabekurses, und es tat sich in der Folge nicht besonders leicht mit der Erholung. Am 18. Oktober 2012 kostete eine Facebook-Aktie 18 Dollars 98, am 9. November 2012 19 Dollars und 21 Cent; dann stieg der Kurs gemächlich an und betrug am 22. Mai 2013 25 Dollar 16, zog sich gemäß der alten Börsianer-Regel «Sell in May and go Away» auf 22 Dollar 97 am 6. Juni 2013 zurück und begann dann den Aufstieg in Richtung jener Werte, die wir heute zur Kenntnis nehmen. Am 5. August 2013 stand Facebook wieder über dem Ausgabepreis bei 39 Dollars 19 Cent, am 21. Oktober bei 53 Dollars 80 Cent, und nach einer Delle Ende November ging es weiter in die Höhe auf 58 Dollar um den 20. Januar 2014 bis auf 72 Dollar 03 Cent am 10. März, und jetzt arbeiten wir eben an der 80-Dollar-Hürde.

Weil gleichzeitig der Ölpreis zum ersten Mal seit vier Jahren unter 100 Dollar pro Fass steht, ist es nicht auszuschließen, dass wir demnächst für eine Facebook-Aktie ein volles Fass Rohöl der Brent-Qualität erhalten, und mit dieser erhebenden Aussicht will ich das Thema fürs erste beschließen.

Gar nicht erst aufmachen will ich den Sack mit Prognosen für die Regierungsbildung im Freistaat Thüringen. Und was die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland angeht, so kann ich mich auf den Hinweis beschränken, dass hier im nicht besonders klar umrissenen Feld des rechten Natio­na­lismus ein Pendant aufgetaucht ist zur Piratenpartei, die ihre Erfolge vor ein paar Jahren auf dem eben­so wenig besonders klar umrissenen Feld eines linken Libertarismus erzielte und danach wie­der verschwand. Die AfD hat schlicht und einfach kein Profil. «Alternativ» nennen sich seit jeher jene Leute, die keine Alternativen anbieten können, und genauso verhält es sich mit diesem Verein. Die haben ja nicht mal den Mut, die Abtrennung Schottlands von England in der deutschen Version zu fordern, also die Abtrennung der neuen Bundesländer von den alten, die Wiederherstellung von Ost- und Westdeutschland. Ostdeutschland könnte dann aus der EU aus­tre­ten und würde sich als blockfreier Staat der European Free Trade Association anschließen, zusam­men mit Liechtenstein, Island, Norwegen und der neutralen Schweiz. Dazu ist die AfD nicht fähig. Sobald sie aber ein an­der­weitiges politisches Profil zu gewinnen sucht, also beispielsweise klar rechtsextrem, was aller­dings ziemlich unwahrscheinlich ist, oder dann eben klar rechtsliberal oder überhaupt liberal, wo nicht sogar sozialliberal oder nationalliberal oder was der Spielvarianten noch mehr sind, von diesem Moment an, von dem Moment an also, an dem die AfD so richtig Farbe bekennen muss, schwindet die Anhängerschaft wieder unter die kritische Grenze von 5 Prozent.

Dagegen bin ich mir in den letzten Tagen erneut der tiefen Wahrheit bewusst geworden, die im Satz steckt: Was wäre das Leben ohne jene Dinge, die man so richtig von Herzen verabscheuen kann? Ich meine, der Mensch braucht ganz vital ein Gegengewicht zu Gefühlen wie Liebe und Zuneigung, welche ihn sonst gänzlich wehrlos den Fluss des Lebens runter spülen würden, während er dauernd schreien würde: Alles ist gut. Die Energien, welche der Ärger frei setzt, sind unerlässlich für ein Leben in Würde und Freiheit, auch wenn sich der Ärger auf hundskommune Ereignisse und Erscheinungen bezieht wie zum Beispiel den Slogan, der mit Datum vom 5. September auf der Webseite der thüringischen AfD winkt: «Der Staat entschuldet sich, der Sparer wird enteignet!», und unten dran richtet die Partei pur bittere Vorwürfe an den EZB-Chef Mario Draghi, nämlich dass er deutsche Sparvermögen vernichte und Lebensversicherungen entwerte. Die Ent-Schuldung des Staates geht im Text zwar leider vergessen, aber immerhin hat sie eine prächtige Rolle auf dem Aufreißer gespielt. Vermutlich war ursprünglich geplant, der großen Koalition die Schuld am schlechten Sommer­wet­ter in die Schuhe zu schieben – völlig zu Recht, versteht sich –, aber davon hat die beauftragte Werbe­agentur dann abgeraten, und so musste auf die Schnelle ein anderes Sätzchen in die Bresche springen. Da kam die schwarze Null, welche Finanzminister Schäuble kurz zuvor für den Bundeshaushalt 2015 präsentiert hatte, gerade gelegen und wurde sinn- und zusammenhangslos kombiniert mit der Vernichtung deutschen Sparvermögens. «Der Staat entschuldet sich, der Sparer wird enteignet», Hurra Ho! – Anschließend steht dann noch, dass «der beabsichtigte Ankauf von dubiosen Kreditpaketen durch die EZB in Höhe von vielen Hundert Milliarden Euro bittere Ironie pur» sei, weil: «Gerade solche Kreditpakete haben dafür gesorgt, dass die Kapitalmärkte zusammenbrachen.» – Da haben wir den wirtschaftspolitischen Sachverstand des AfD-Thüringen-Chefs, des Mittelschullehrers und Fachmann für Schulmanagement Björn Höcke, in seiner ganzen Pracht. Die Asset Backed Securities, wie sie die EZB jetzt aufkaufen will, spielten tatsächlich eine Rolle in der Finanzkrise, aber ganz sicher nicht, weil sie von den Zentralbanken aufgekauft wurden, sondern ganz im Gegenteil, weil sie von den privaten Kapitalmanagern auch dann noch gehandelt wurden, als die Backup-Assets schon längstens keinen Wert mehr besaßen, einmal abgesehen von der viel bedeutenderen Rolle der Hypothekar- und insgesamt Kreditvergabe an arme Schlucker in den Vereinigten Staaten während dieser Krise.

Ob solcher Blödheiten und vor allem ihrer populistischen Aufbereitung beziehungsweise ob der Vermutung, dass die AfD mit ihrem Quatsch tatsächlich ein paar Synapsen in den Gehirnen einer signifikanten Anzahl von Wählerinnen im Freistaat Thüringen aktiviert hat, kann man sich eben wieder so tüchtig ärgern und Energien tanken. Ein anderes Ärgernis hat mich auf der Straße ange­sprungen, nämlich ein Plakat eines Mode-Labels, das eine Verkaufskampagne führt unter dem Motto «für die Weltmeere!» und behauptet, ihre Kleider würden aus Plastik hergestellt, der aus den Weltmeeren rezykliert worden sei. Unterstellung: G-Star Raw schützt die Umwelt! Schöner Trick, meine Herren, und gut aufgesessen auf den inter­na­tionalen Umweltschutz-Trend, insofern Bravo! – Aber ihr wisst wohl auch, meine Herren, dass die Gefahr für die Organismen in den internationalen Weltmeeren nicht in den paar Plastikbeuteln liegt, die ihr an den Stränden vor Bangla Desh aus dem Wasser gefischt habt, um sie geschreddert dem Denim-Ausgangsstoff in den Billiglohnfabriken daselbst beizumischen, sondern in den bereits auf Partikelgröße zersetzten Plastikteilen, welche unterdessen zum festen Bestandteil der Nahrungskette geworden sind und die ihr mit allerfeinsten Sieben überall im Pazifik, im Atlantik, im Norden und im Süden heraus fischen müsstet, damit eure Werbekampagne auch nur einen Hauch von Wahr­heit enthalten täte anstelle einer bloßen PR-Kampagne, mit welcher ihr das Halbbewusstsein von zarten jungen Menschenwesen anspricht, welche vom World Wildlife Fund zu einer umwelt­gerechten Einstellung erzogen wurden und in ihrem ganzen Leben nie einen tatsächlichen Finger zur Reduktion des eigenen Energieverbrauchs unternehmen würden. Darüber kann ich mich so richtig tüchtig ärgern, und die erinnern mich tatsächlich direkt an jene Schummel-Organisation Myclimate, welche den privaten Umweltsündern Absolution verspricht durch eine Abgabe eines Ablass-Entschädigungsgeldes an sie selber, welche sie dann in unbedeutende Projekte zur Reduktion des CO2-Ausstoßes investiert, während die Verursacher munter weiter ausstoßen können, nun aber mit reinem Gewissen und somit umso nachhaltiger. – Was aber den Plastik in den Weltmeeren angeht, so kann man die Marke G-Star Raw gerade heraus der Lüge bezichtigen, denn sie unternimmt überhaupt nichts für die Weltmeere. Und dass die ganze Kampagne noch «curated by Pharrell Williams» sei, passt hier wie das Pünktchen aufs i, denn ein Kurator ist Herr Williams nun absolut nicht und nie, er erhielt von G-Star Raw ganz einfach einen bestimmten Betrag, sagen wir mal von 1.5 Millionen US-Dollar, entsprechend etwa 15'000 Fass Rohöl, die Williams dann nicht gerade wie BP direkt in die Weltmeere auskippte, sondern für die G-Star Raw einfach seinen Namen für die Kampagne verwenden konnte, und dafür bemüht man nun das Wörtchen «kuratiert». Wenn es eine internationale Kuratoren-Vereinigung gibt, dann sollte die mal hier Protest einlegen.

Ob man dünne Falsettstimmen mag oder nicht – Falschmünzerei dieser Sorte, egal, ob vom Modelabel G-Star Raw oder eben vom Musiker Pharrell Williams selber, sollte man nicht honorieren. Eigentlich wurde für solche Vorkommnisse das Mittel des Shit Storms geschaffen. Leider bin ich absolut nicht Facebook-tauglich, und Rohöl besitze ich auch nicht, sodass mir dieses Instrument nicht zur Verfügung steht.

Abschließend nochmals zurück zum wirtschaftspolitischen Sachverstand von Björn Höcke. Neben dem seltsamen, fast psychotisch anmutenden Auseinanderklaffen von Affichentitel und dazu gehörigem Text gibt es eine Passage im Kommentar zur EZB-Leitzinssenkung, die ich fast luzide nennen möchte: «Ob der Leitzins nun bei 0.15 oder 0.05 Prozent liegt, spielt überhaupt keine Rolle mehr. (...) Eine Wirtschaft, die kaum Wachstumsperspektiven hat, wird auch keine Kredite für Investitionen in Anspruch nehmen.» Hier liegt Lehrer Höcke natürlich richtig. Das ist ein zentrales Dilemma beim Übergang von der postindustriellen Gesellschaft in, na ja, diesen Begriff müssen wir halt noch etablieren, zum Beispiel in eine Post-Dienstleistungsgesellschaft oder überhaupt in eine Post-Gesellschaft, eine Gesellschaft nach der Gesellschaft? – Egal. Jedenfalls geht es im Kern um Perspektiven, für welche es sich lohnt zu investieren. In gesättigten Märkten und in einer gesättig­ten Gesellschaft wird es zunehmend schwierig, solche Perspektiven zu sehen, eigentlich müsste man daraus einen eigenen Erwerbszweig basteln: Perspektivenbauer. Allerdings hat dieser Umstand den Mangel, dass man ihn weder der EU noch der CDU/SPD-Koalition in die Schuhe schieben kann – das ist schlicht und einfach das logische Ergebnis von Vollautomation und Globalisierung. Fest steht dabei, dass wir genau diesen Mangel an Perspektiven nun seit mehreren Jahren beklagen, und fest steht auch, dass es ausgerechnet den Deutschen, jenen armen Schweinen, denen die raubgierige EU die Sparvermögen vernichtet und die Lebens­ver­siche­run­gen entwertet, so gut geht wie seit Langem nicht mehr, einschließlich Konsum und Investi­tionen. So richtig begreifen kann ich das auch nicht, aber ich wäre ein Trottel, wenn ich’s bestreiten würde.



Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
16.09.2014

Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Jörimann,
    ein perfekter Rundumschlag an alle die zu Handeln versuchen. Viel besser ist es doch über andere her zu ziehen und sich so selbst (und yeah: kostenlos!) ein besseres Gewissen zu verschaffen (mentaler Ablasshandel, auch unter kognitiver Dissonanz bekannt http://de.wikipedia.org/wiki/Kognitive_Dissonanz).
    Mit freundlichen Grüssen AH

    Adolf Herbert - 17.09.2014, 09:21