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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Berufspolitik -

Mit ein bisschen Schwein wird uns also Hillary Clinton zunächst Kandidatin der demo­kra­ti­schen Partei für die nächsten Präsidentschaftswahlen und dann auch noch Präsidentin, und dann hätten wir zum ersten Mal in der Geschichte auch in den Vereinigten Staaten von Ame­rika eine Frau im höchs­ten Amt, und weil Amerika die gegenwärtige Welt-Supermacht ist, würde praktisch die ganze Welt von einer Frau regiert.


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artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_44_200px.png» Das wäre soweit in Ordnung, min­des­tens auf der symbolischen oder repräsentativen Ebene hätten wir ein für allemal klar gestellt, dass auch Frauen den Präsidenten ge­ben können, nachdem wir dies jetzt seit sechs Jahren von einem Schwarzen geboten kriegen; bis zur tatsächlichen Gleichstellung der Frauen auf allen Ebenen der Gesellschaft bleibt es immer noch genau gleich weit wie vorher, ebenso wie bei den Schwarzen, die ihre Lage unter Präsident Obama in der Praxis wohl nicht viel schneller verbessern konnten als unter seinem Vorgänger, dem Witze­jockel Wilhelm Busch, dem aber immerhin zugute zu halten ist, dass er mit Colin Powell und Con­do­leezza Rice als erster Präsident zwei Schwarze in allerhöchste Personen gehievt hat, womit er zweifellos wichtige Vorarbeiten leistete für die Präsidentschaft Obama. – Übrigens habe ich mich auch heute noch nicht abgefunden mit dem Namen Kondolenza Reis, das tönt einfach wie eine Vorform von Conchita Wurst, und so veräppeln müssen wir uns von der Welt-Supermacht im Grunde genommen auch wieder nicht, und auch die Schwarzen aller Länder haben das im Grunde genommen nicht verdient. Aber dies nur nebenbei beziehungsweise im Nachhinein. – Genau so also, wie es seine Richtigkeit hat damit, dass jetzt endlich mal eine Frau Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika wird, genauso vernagelt und behämmert werden die Reaktionen jener Kreise in Amerika ausfallen, die ultrakonservativ zu nennen eine echte Verdrehung von Tatsachen wäre. Wie bezeichnet man Menschen, die ihre Vernunft dazu einsetzen, um in der Vernunft eine Waffe der Zerstörung und der Verschwörung zu sehen? Menschen, die das Blubbern von heißen Res­sen­ti­ments und kollektiven Vorurteilen für das Spektakel der demokratischen Freiheiten halten, Leute, die vorsätzlich nur auf ihren eigenen Menschenverstand vertrauen und davon überzeugt sind, dass er gesund ist? – Konservativ ist so etwas nicht. Konservativ sind Leute, die nichts verändern bezie­hungs­weise alles erhalten wollen, aber auch wenn dies zunächst eine Charakterhaltung ist, die man auch gewissen Lebensaltern zuordnen kann, so wird der Konservativismus doch oft auch vernünftig begründet. Die Teetrinker in den USA dagegen sind nicht einmal genital, sondern rein ressen­ti­ment­ge­steuert, es ist so etwas wie Stammtisch hoch zehn, mit einem Unterschied: An einem durch­schnitt­lichen Stammtisch entsteht in der Regel auch ein Raum des Absurden, und das habe ich bei den Teemenschen noch nie gesehen. – Das kann allerdings auch an mir liegen und an meinen Ressentiments.
Nichtsdestotrotz hält sich meine Begeisterung für Frau Clinton in Grenzen, nicht wegen ihrer eiser­nen Ellenbogen, welche es in solchen Gefilden nun mal einfach braucht, sondern wegen ihres Namens oder auch wegen ihres Ehemanns, und dies wiederum nicht, weil mit ihr nicht nur die erste Frau, sondern gleich auch noch die erste offiziell gehörnte Frau gewählt würde – davon, also von der Hörnung, kann man gerade in profund bigotten Staaten immer ausgehen, egal, ob Mann oder Frau –, also nicht deswegen stört mich ihr Ehemann, sondern weil es ihr Ehemann ist.
Habe ich vorher vom mächtigsten Amt der ganzen Erde gesprochen? Dann geht es doch eigentlich überhaupt und ganz und gar nicht, dass dieses Amt zuerst vom Ehemann und dann von der Ehefrau bekleidet wird, auch wenn dazwischen eine 16-jährige Pause liegt. Es geht auch nicht, dass dieses Amt zuerst vom Vater bekleidet wird und dann vom Sohn, wie wir dies mit der Buschfamilie gesehen haben, wobei zwischen Vater und Sohn nicht mal 16 Jahre lagen, sondern bloß achte. Und dass sich jetzt auch noch der zweite Sohn bzw. Bruder Jeb Gedanken macht über eine eventuelle Kandidatur für die Republikaner, das geht erst recht nicht. Es geht auch nicht, dass Präsident Kennedy seinen Bruder zum obersten Staatsanwalt des Landes macht. Vetternwirtschaft geht nicht, Brüderwirtschaft geht nicht, Söhnewirtschaft geht nicht und Ehepartnerwirtschaft geht auch nicht, min­des­tens nicht in politischen Ämtern und mindestens nicht nach meinen Vorstellungen von Demokratie.
Ich bin aufgewachsen in einem so genannten Landsgemeinde-Kanton, also einem Kanton, in dem sich alle Stimmberechtigten einmal pro Jahr versammeln, um Wahlen vorzunehmen und über Ge­set­ze zu diskutieren und abzustimmen. Eine solche Landsgemeinde ist für größere Gemeinwesen rundweg untauglich, da braucht es Parlamente; aber im Kanton Glarus fasst der Ring so um die 6000 Leute auf eine Gesamtbevölkerung von etwa 40‘000 Menschen, von denen dann vielleicht 25‘000 stimmberechtigt sind, und das geht, vor allem deshalb, weil die Bevölkerung seit Jahr­hun­der­ten nicht mehr gewachsen ist oder mindestens seit Mitte des letzten Jahrhunderts. Es handelt sich also nicht nur um eine direkte, sondern auch um eine überschaubare Demokratie, und da spielen natür­lich soziale und wirtschaftliche Kontrollmechanismen eine große Rolle, zum Beispiel bei den Wahlen. Es gab in den Anfangszeiten der Moderne, also im 17. Jahrhundert Versuche, um genau sol­che Familien- und Klüngelmechanismen an der Landsgemeinde auszuschalten, und zwar wurden die wichtigen Ämter eine Zeit lang nicht durch Wahlen, sondern durch das Los besetzt. Das ist ja viel­leicht aus demokratischer Sicht ebenfalls grenzwertig, aber jedenfalls kommt ein schöner Grund­satz aus der demokratischen Theorie zur vollen Blüte, nämlich dass im Prinzip ein jedes Mitglied der Gemeinschaft fähig sein sollte, jedes Amt zu besetzen, und dieser Grundsatz erinnert mich immer an das alte Clausewitz-Zitat, wonach jeder Soldat den Marschallstab im Tornister trage. Die Besetzung von Ämtern durch Losentscheid war übrigens keine Innovation der Glarner, sondern hat ihre Vorbilder in der Antike; die wichtigsten Gründe waren aber immer die gleichen, nämlich Versuche zur Vermeidung von Machtkonzentrationen in den Händen einzelner Familien, weil man dies als profund undemokratisch empfand. Im Kanton Glarus sah das dann so aus, dass nach dem Losentscheid die betreffenden Bürger von den herrschenden Familien direkt angegangen wurden, welche ihnen das Amt ganz simpel abkauften, und wenn die gewählte beziehungsweise ausgeloste Person gar nicht anwesend war, dann wurden reitende Boten ausgeschickt, welche die entsprechende Transaktion vorzunehmen beauftragt waren, denn das war dann wieder erlaubt.
Könnte man in den Vereinigten Staaten von Amerika den nächsten Präsidenten durch das Los be­stim­men lassen? Und wenn das Los auf einen Teetrinker fallen täte und somit ein Beutel voller stinkender Ressentiments ins Oval Office einziehen täte? Oder noch schlimmer: Was, wenn die Wahl bzw. das Los auf ein unabhängiges, voll denktaugliches Individuum fiele? Das ist erst recht nicht auszudenken. Und damit kommen wir einem weiteren Aspekt des großen Theaters um das Theater der Demokratie nahe: Vielleicht ist Demokratie schlicht und einfach unpraktisch in einer entwickelten Gesellschaft, welche in den letzten hundert Jahren zahllose Ebenen ausgebildet und Mechanismen und Prozesse entwickelt hat, welche sich der Simplizität des politischen Theaters entziehen. Das könnte doch sein? Und vielleicht wäre die Teefamilie gerade eine sehr übel formulierte Reaktion auf dieses Problem?
In dem Falle wäre es vielleicht eine Option, aus der Politik ein Geschäft und einen Beruf zu machen beziehungsweise diesen Umstand endlich als gegeben anzusehen und in die politische Theorie zu integrieren, und zwar im Interesse der Gesamtgesellschaft, einen Beruf, der nach halbwegs verständlichen Kriterien funktioniert, in erster Linie nicht nach dynastischen, die Politik müsste also nicht zuletzt dafür sorgen, dass die entsprechenden Posten nicht nach der Herkunft besetzt werden, auch wenn es völlig klar ist, dass Kontakte in die entscheidenden Einflusssphären immer auch am Familientisch besprochen und an den Familienfeiern geknüpft oder bestätigt werden. Das ist zwar logisch, erscheint mir aber unter der Annahme, dass Politik tatsächlich ein Beruf wäre, als Verstoß gegen die Berufsehre.
Denn eine solche müsste es dann ja geben. Abzuleiten wäre sie vom Grundsatz, dass die Politik jener Bereich ist, in welchem die erwähnten Kräfte und Interessen einigermaßen sortiert und gegeneinander aufgerechnet werden. Bei dieser Betrachtungsweise erscheinen die verschiedenen Lobby-Organisationen nicht mehr in jenem miserablen Licht, in dem sie sich uns auf den ersten Blick präsentieren. Ich habe hier vor ein paar Wochen einmal von der Theorie der unsichtbaren Hand auch in der Politik ge­sprochen, welche die verschiedenen Partikularegoismen in der Gesell­schaft vielleicht tatsächlich ausgleicht beziehungsweise in jenes Verhältnis zueinander setzt, das mindestens die gesellschaftlichen Realitäten abbildet. Wer schwach ist, bleibt schwach, mit anderen Worten, und wer stark ist, stark, wobei man stark und schwach nicht etwa mit moralischen Kriterien verwechseln sollte; der Einsatz für die Schwachen, der bei uns auch unter dem Markennamen So­zia­les Engagement oder sogar Freiwilligenarbeit läuft, bringt auf der politischen Ebene in der Regel viel mehr Kredit als das verdeckte Operieren hinter den Kulissen. Insofern meine ich mit stark und schwach hier nur die effektiven Kräfteverhältnisse in der Sphäre des Politischen, nicht etwa Dinge wie Armut und Reichtum. Nicht vergessen: In den Haushalten der modernen sozialdemokratischen Staaten macht das Sozialbudget in der Regel zwischen 30 und 50% des Etats aus, und die Zahl der Menschen, die gut davon leben, geht in die Zehntausende, was wiederum eine sehr starke subkutane Kraft darstellt; je mehr Menschen eine politische Tendenz in Lohn und Brot hält, desto größer wird ihr politischer Einfluss sein – und natürlich auch der politische Widerstand, der sich gegen sie zu formieren versucht.
Mitten in diese Gedanken hinein kommt die Meldung, dass bei den Wahlen zur Legislaturhalbzeit allein der Kampf um einen Senatoren-Posten zwischen der Demokratin Kay Hagan und dem Republikaner Thom Tillis im Staat North Carolina über 100 Millionen Dollar verschlingt, zur Hauptsache für Fernsehwerbung; es versteht sich, dass bei solchen Größenordnungen die Schwergewichte aus beiden Lagern kräftig mitmischen, bei den Republikanern selbstverständlich die Tee- und Ressentimentkocher, nämlich eben die Gebrüder Koch, und Karl Rove, bekannt aus Funk und Fernsehen für diverse Schmieren­kampagnen, und bei den Demokraten sind es George Soros, Michael Bloomberg und ein weiterer Milliardär. Ach je. Ich nehme alles zurück, was ich gesagt und überlegt habe.




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Albert Jörimann
28.10.2014

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