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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Tausend-Watt-Gesellschaft -

Als ich vor ein paar Wochen meinen Zweifeln Ausdruck gab an der Behauptung des Präsidenten des Weltklimarates, dass der Meeresspiegel in den letzten 100 Jahren um 19 Zentimeter gestiegen sei, ging es mir keineswegs darum, den stets zunehmenden Energieverbrauch der Gesamtmensch­heit und des einzelnen Menschenindividuums zu verharmlosen.


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artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_49_200px.png» Ich diskutiere hin und wieder mit Leuten, die ganz originelle Vorstellungen haben, zum Beispiel von einer 1000-Watt-Gesellschaft, zum Bei­spiel durch die Umstellung der Wohn- und Lebensformen in Richtung von 4-Sterne-Hotels, in denen sehr viele individuelle Verrichtungen gemeinschaftlich erledigt werden; das ist nämlich ein Kern­be­griff dieser Sorte von Energiesparen, die Gemeinschaft. Wenn man gemeinschaftlich kocht, wäscht, einkauft und so weiter und so fort, dann entfällt eine riesige Menge an Verschleiß auf allen Ebenen, und zudem kommt dann irgendwann noch die soziale Energie dazu, die man dann aber nicht mehr in Watt rechnet, sondern meinetwegen in Ohrfeigen pro Stunde oder in Zungen­küs­sen oder was weiß ich, es gibt sehr viele unterschiedliche Formen der zwischenmenschlichen Kom­mu­nikation, die Spaß machen oder auch nicht.

Aber was heißt das überhaupt, eine 1000-Watt-Gesellschaft? Offenbar bezieht sich der Wert auf den Verbrauch pro Stunde, das wären also 24 Kilowattstunden pro Tag entsprechend 85 Megajoule, wenn ich das richtig gerechnet habe, und das entspricht, wenn ich das jetzt richtig abschreibe, dem Verbrauch von knapp 9000 Kilowattstunden im Jahr oder etwa 850 Liter Heizöl oder Benzin, und so weiter. Gegenwärtig beträgt der Durchschnittsverbrauch in der Schweiz rund 6 Mal so viel, da muss man sich also ordentlich was einfallen lassen, um den Wert auf die Zielvorgabe zu senken, und man kann sich leicht vorstellen, gegen welche Widerstände man dabei anzukämpfen hat, in erster Linie bei den Energieproduzenten, aber auch bei den anderen Interessengruppen, die ihr Geld mit dem Energieverbrauch machen und tausende von Arbeitsplätzen anbieten, von den freien Konsumentinnen und Konsumenten ganz zu schweigen. Solche Gedankenspiele sind umso lustiger, als sie zunächst unmöglich erscheinen, und dann kommt eben doch der Kollege und bietet dabei einen 4-Sterne-Hotel-Standard an. Warum auch nicht? Ich glaube allerdings, dass in erster Linie die Mobilität gewaltig unter diesem Standard leiden würde, und zwar nicht nur die automobilistische Mobilität. Nur Gehen und Velofahren verbrauchen praktisch keine Energie, dann kommt die Schifffahrt, aber auch Eisenbahnfahren frisst schon ordentlich Kalorien. Vor allem aber führt Mobilität dazu, dass man nicht etwa verdichtet oder sogar konzentriert baut und wohnt, was eine Voraussetzung ist für die 1000-Watt-Gesellschaft, sondern in immer weiteren Abständen zersiedelt. Das ist nicht zuletzt die Folge eines gut ausgebauten Nahverkehrssystems in den Städten, für das sich bekanntlich alle mit Vernunft begabten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen ins Zeug legen und von dem dann auch die weniger mit Vernunft begabten Mitgeschöpfe profitieren. Die genauere Betrachtungsweise all dieser Prozesse führt zu ganz eigenartigen Erkenntnissen, über die ich vielleicht später einmal mehr erzählen kann.

Vorderhand möchte ich nämlich auf die Klimaerwärmung zurückkommen, die ich zunächst mal einfach unterstelle, ohne mich durch alle Fachliteratur-Berge zu wühlen. Aber wirklich irritieren tut es mich, wenn Menschen an sichtbaren und verantwortlichen Positionen Behauptungen in die Welt setzen, die zwar knackig tönen, deren Beweis sie aber einfach nicht anzutreten vermögen. Und weil es so gut ins Weltbild passt, krähen alle engagierten Medien hinterher. Dem Monde Diplomatique lassen sich regelmäßig solche gut gemeinten, aber grundfalschen Tendenzartikel nachweisen, und in Bezug auf die Klimaerwärmung habe ich neulich ein Duplikat beziehungsweise noch eine Steigerung der Behauptungen zum Anstieg des Meeresspiegels gefunden. Toni Keppler schildert in der Zürcher «Wochenzeitung» in dramatischen Tönen den bevorstehenden Untergang einer Inselgruppe vor der Karibikküste Panamas. Bereits hätten die unbewohnten Inseln des Gunayala-Archipels zehn Prozent ihrer Fläche verloren, nämlich seit dem explosionsartigen Anstieg des Abschmelzens von Anden-Gletschern und des arktischen Eises – Mitte der siebziger Jahre. Gleichzeitig hätten allerdings die bewohnten Inseln Land gewonnen, und zwar etwa fünfzehn Prozent – und auch dies erinnert stark an die Prophezeiungen zum Untergang von Tuvalua, das stattdessen munter vor sich hin wächst. Auf dem Gunayala-Archipel sind es allerdings nicht Sedimentablagerungen, wie sie für das Wachstum von Tuvalua verantwortlich gemacht werden, sondern es sind die BewohnerInnen selber, welche selber Land aufschütten, und zwar, indem sie die unschätzbaren Korallenriffe vor ihren Inseln plündern und mit den Korallen Dämme bauen, dank denen die Inseln dann wachsen. Na gut – diese Parallelen sind ja vielleicht noch lustig; aber ganz und gar unlustig wird es, wenn Toni Keppeler vorzurechnen beginnt, wie das explosionsartige Schmelzen von Arktis und Gletschern sich vor der Panamaischen Karibikküste auswirkt. Zwischen 1907 und 1975 hätte sich der Meeresspiegel um durchschnittlich zwei Millimeter im Jahr erhöht, das gibt uns rund 140 Millimeter, also 14 Zentimeter, und damit liegen wir in etwa im Bereich des Weltklimarates mit seinen 19 Zentimetern für die letzten 100 Jahre. Seither aber, also seit den 1970-er Jahren, habe der Anstieg dramatisch zugenommen auf durchschnittlich 2.4 Zentimeter im Jahr. Das heißt, dass der Meeresspiegel vor der panamaischen Karibikküste in den 40 Jahren seit den 1970-er Jahren um 80 Zentimeter gestiegen ist. Da toppt nun aber Toni Keppler alle anderen gängigen Katastrophenangebote. Um fast einen Meter ist der Meeresspiegel in der Karibik gestiegen – oder vielleicht grad nur vor Panama? Eine Aufschüttung? Ein Wasserberg? – Es ist allzu offensichtlicher Unsinn, was er uns hier auftischt – aber er merkt es selber nicht mal, und vor allem merkt es auf der Redaktion kein Schwein, weil es eben ins Weltbild passt. Zumal in einer Ausgabe, die vor dem Uno-Klimagipfel in Lima erscheint.

Und diese Zeitung nannte sich mal kritisch. Das ist ja jetzt nur noch Kitsch. Der Titel des Artikels heißt denn auch: «Der Ort der Zuflucht versinkt im Meer». Zuflucht? Wovor bitte, für wen? Für all die Bewohnerinnen und Bewohner, die ihre Wohnfläche auf Korallenbasis ausbauen?

Da bleibe ich lieber bei meinem Kollegen mit seinen 1000-Watt-Visionen auf 4-Sterne-Hotel-Basis. Ich habe nämlich einen gewissen Hang zum Luxus.

Die Europäer erhalten einen neuen Ratspräsidenten, nämlich Herrn Donald Tusk, ehemaliger polnischer Ministerpräsident. Ich muss zugeben, dass ich von ihm nicht allzu viel weiß, aber eine gewisse Sympathie für den Mann hege ich doch, und wenn ich genauer nachdenke, ist es vor allem deswegen, weil er natürlich gegenüber den Kacinski-Zwillingen immer als wahrer Ausbund von Weltoffenheit und Modernität erschien. Man braucht aber nicht davon auszugehen, dass sich damit die Ausrichtung der EU ändert. Im Vergleich zu seinem Vorgänger Herman van Rompuy kann man sagen, dass ein gemäßigter Katholik einen konservativen Katholiken ablöst, aber in der alltäglichen Ratspraxis wird das kaum einen Einfluss haben. Immerhin spricht Tusk sicher besser Deutsch als François Hollande, aber eben, nennenswerte Auswirkungen wird das nicht haben. Auch die Wirtschaft wird sich kaum an Donald Tusk aufrichten wollen; ich begreife diese Konjunkturzyklen nach wie vor nicht, die in den Vereinigten Staaten wie ein Naturgesetz mit einer Verschiebung von rund 5 Jahren gegenüber Europa rauf und runter gehen. In den Vereinigten Staaten stehen alle Vorzeichen auf Konjunktur, während Europa nach wie vor lahmt; aber eben, in ein paar Jahren sieht die Geschichte wieder völlig anders aus. Und irgendwann einmal wird sich die Frage stellen nach den enormen Staatsschulden, in erster Linie in den USA; ein nennenswerter Abbau dieser Schulden ist in den bekannten Kanälen und Abläufen absolut unmöglich, und falls die Republikaner an die Macht kommen, wird es wie in der Vergangenheit noch viel drastischer in die Höhe gehen, den Schuldenberg hinauf, weil die bekanntlich den armen Superreichen wieder etwas aus der Patsche helfen müssen. – Abgesehen davon sind die Demokraten in der Beziehung ja kein Deut besser. Einfach die Verschuldung, das wird so ein bisschen wie die Landgewinnung der Guna-Indianer vor der Pazifikküste von Panama. Es wird einfach immer mehr aufgeschüttet, bis das Ganze am Schluss dann ganze Dörfer zu tragen vermag.

Daneben tuckert die Welt vor sich hin wie mehr oder weniger gewohnt. Etwas zu schmunzeln gab es anlässlich des jüngsten Gipfels der Pazifik-Anrainerstaaten, wo die Chinesen mit den US-Amerikanern um die Wette um die Gunst des Gremiums eiferten. Lustig fand ich das deshalb, weil die Chinesen ja gleichzeitig mit unverhohlenen Drohungen Erdölfelder für sich reklamieren, mit denen chinesische Hoheitsgebiete nun überhaupt gar nichts zu tun haben. Ganz so einfach scheint das dann per Saldo doch nicht von sich zu gehen. Ein bisschen Rücksicht muss sogar China nehmen auf seine kleinen Nachbarn. Gleichzeitig versuchen die USA, ihr pazifisches Zeitalter nicht zwischen den Fingern zerrinnen zu lassen. Es ist wirklich recht vergnüglich, diesem Welttheater aus der gebührenden Entfernung zuzuschauen. Lang lebe die Television.

Etwas weniger vergnüglich sind die seit Jahren, ja bald Jahrzehnten gleichen Berichte über den Zerfall des mexikanischen Staates, also des ziemlich großen Nachbars der Vereinigten Staaten im Süden. Einerseits halten sich halbwegs moderne Strukturen, durchaus auch an der Grenze zu den USA, mit all den Zulieferbetrieben, welche aber anderseits keineswegs jenen wirtschaftlichen und sozialen Boom ausgelöst haben, der unter solchen Voraussetzungen durchaus nicht undenkbar wäre, ganz im Gegenteil, diese Politik der billigen Zulieferarbeit wird häufig als Patentrezept angesehen zur Entwicklung ganzer Regionen und Länder, nicht zuletzt mit dem Verweis auf China. Aber in Mexiko klappt das einfach nicht. Ich kann nicht beurteilen, ob die Ausbildung paralleler Strukturen in der Kriminalität die wichtigste Ursache dafür ist. Jedenfalls ist sie ein zentrales Element, und gespiesen wird dieses Element in erster Linie vom Verbrauchermarkt in den USA selber, in erster Linie für Drogen. Mindestens ein Teil der Lösung des mexikanischen Phänomens ist in den USA zu suchen. Aber letztlich bleibt die Frage nach der Möglichkeit, aus dem Chaos einen funktionierenden Staat zu schaffen, völlig unergründlich, wie letztlich die Frage nach dem Staat insgesamt: Wieso funktioniert überhaupt ein moderner Staat? Eigentlich ist das doch widersinnig, wie das Beispiel Mexiko beweist.





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Albert Jörimann
02.12.2014

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