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LP der Woche | KW 3/2013 | Sophie Hunger - "The Danger of Light"

Auf ihrem neuen Album «The Danger of Light» singt die Zürcher Musikerin so selbst- und stilsicher wie noch nie. Und doch nur in Fragezeichen.

Sophie Hunger ist verliebt. Das heisst, womöglich nicht sie selbst, wer weiss das schon, und wen geht das etwas an. Aber zweifellos die Stimme in «LikeLikeLike», einem Lied auf der neuen Platte der Zürcher Musikerin. Am leichten Gerüst der Klavierakkorde gaukelt eine akustische Gitarre, eine Posaune hornt, und die Stimme singt: «I know I’m not meant to look at you the way I look at you.» In 13 Zeilen fängt der Song die heimlichen Gedanken eines Menschen ein, der dem anderen noch nicht sagen kann, was er fühlt. Diese Tage oder Wochen aufreizender Ungewissheit, bevor die sich auflöst, zu was auch immer.
Die Gefühle, die hier besungen werden, sind verwirrend, und die Art und Weise, wie sich die Menschen damit anstellen, kompliziert. Jedoch als Lied ist «LikeLikeLike» direkt und klar, was kein Widerspruch ist. Sondern Kunst. Sophie Hunger und ihre Musiker beweisen auf diesem neuen Album die nüchterne Klasse, die nötig ist, um Songs zu schreiben, die Gefühle nicht mitliefern, sondern auslösen. Die beim Hörer eigene Erinnerungen abrufen und ihn zu eigenen Deutungen veranlassen. «The Danger of Light» ist eine dieser Platten, die man sich selber einrichten darf.

Die Ideen sind klarer geworden

Das heisst nicht, dass die elf neuen Songs unfertig klingen. Sie sind so sorgfältig arrangiert, wie man das von «Monday’s Ghost» (2008) und «1983» (2010) kennt. Aber wenn nicht alles täuscht, sind die Lieder knapper geworden, die Ideen klarer, die Texte kürzer. Und Sophie Hunger noch souveräner im Umgang mit ihren Mitteln.
Klar, die Musikerin ist älter geworden, und «30 ist das neue 20», wie sie in «Das Neue» singt. Vor allem aber spielte Sophie Hunger mit ihrer Band in den letzten zwei Jahren rund 170 Konzerte, davon nur 30 in der Schweiz. Sie reiste nicht nur durch Europa, sondern auch durch die USA, und nahm schliesslich in Los Angeles einen Teil der neuen Platte auf. Ihr Produzent brachte sie mit Josh Klinghoffer zusammen, dem Gitarristen der Red Hot Chili Peppers, mit Steven Nistor, dem Schlagzeuger von Danger Mouse, und mit Nate Walcott, dem Pianisten von Bright Eyes.

Flüchtlinge und Amokläufer

Trotzdem ist «The Danger of Light» alles andere als ein All-Star-Album geworden. Es ist verblüffend, wie sehr sich Josh Klinghoffer in diesen Songs zurücknimmt, wie leise sein Solo etwa in «Can You See Me?» brummt oder wie klitzeklein das Motiv ist, mit dem er «Heharun» auf dem Synthesizer fast unmerklich, aber wirkungsvoll begleitet. So klingt das Album, obwohl mit zwei Bands auf zwei Kontinenten aufgenommen, doch geschlossen. Die Amerikaner wie die Schweizer aus Hungers langjähriger Band führen in knapp gefassten Gesten in die Songs hinein.
Und damit auch in die Geschichten, die Sophie Hunger in kurz bemessenen Zeilen entwirft. «Souldier» erzählt von einem Rückkehrer aus dem Irak-Krieg, «The Fallen» von Bootsflüchtlingen. Aus «Rererevolution» spricht eine Frau, die sich die Revolution herbeizögert: «Who will we fight? What are the words?» In «Perpetrator» schliesslich leiht Sophie Hunger ihre Stimme einer Amokläuferin auf dem Weg zur Tat. Das Lied ist grossartig und beunruhigend; vor allem, weil die Sängerin und ihre Band nicht den Wahnsinn der Frau in Szene setzen, sondern die wahnsinnige Ruhe und Gewissheit ihres letzten Gangs, ihrer letzten Worte: «I will also speak for you.»

Eine Platte wie ein Fragebogen

So ist «The Danger of Light» auch eine Sammlung fiktiver, aber doch realitätsnaher Zeitkommentare. Bloss, die Schlüsse sind offen, die Botschaften verloren. «So you tell me when you see me, can you see yourself? / How much do we share? / And how much do I care?»: So heisst es einmal, und klar, das könnten die Fragen einer Liebenden sein. Oder ebenso gut die Aufforderung der Sängerin an ihr Publikum, sich in ihren Zeilen bitte schön selbst zurechtzufinden.
Wenn es also Bekenntnisse gibt in diesen Songs, dann nur die, zu denen man sich als Hörer hinreissen lässt. Aber es ist nicht so, dass Sophie Hunger sie nicht provoziert. Was soll das zum Beispiel heissen, dass die Freiheit das neue Gefängnis sei, wie sie in «Das Neue» singt? Wenn Zuckerberg der neue Columbus ist, wer ist dann der Eingeborene auf meinem Facebook-Konto? Warum behalte ich mein Geheimnis für mich? Und wie lautet schon wieder die Zeile, die ich skandiere, wenn morgen die Revolution beginnt?
Wie durch einen Fragebogen von Max Frisch gleitet man durch diese Platte und bleibt da hängen und ist dort befangen. Der Flow der Musik treibt einen weiter, und die Lieder und die Fragen beginnen sich zu verknüpfen. Immer wieder befragt Sophie Hunger den Aufbruch, von dem sie in Interviews sagt, dass sie ihn brauche, dass sie immer weiter gehen müsse. Nur: Ob so die Freiheit zu gewinnen ist oder nur die Liebe zu verlieren, das bleibt ungewiss: «Ich kann nicht bleiben, wie ich bin, trotz dir», singt sie, aber auch: «A heart that beats must repeat itself.» Eine Antwort gibt es natürlich nicht, Popsongs sind keine Ratgeberliteratur. Das besonders schöne, wenn auch etwas traurige Bild im berndeutschen «Lied vor Freiheitsstatue» muss genügen. Zur einfachen, tastenden Klavierbegleitung singt Sophie Hunger den inneren Monolog des Monuments, das mit 46 Metern und 5 Zentimetern Beton immer und ewig für die Freiheit steht, ohne sich bewegen zu können. Und man fragt sich, wen die Statue anspricht – die heimliche Liebe in «LikeLikeLike», die zögerliche Revolutionärin in «Rererevolution»? –, als sie nun singt: «Chum und bring mi bald ids Wanke.» Wie mans dreht und wendet: Tatsächlich bringen diese elf Lieder die Welt ein wenig ins Wanken. Und das ist doch ein guter Grund, ein wenig Geld dafür auszugeben, sei man nun frei oder erstarrt, allein oder verliebt.

Plattenkritik von Christoph Fellmann

www.tagesanzeiger.ch


14.01.2013

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