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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Aardman

Es ist schon eine ordentliche Zeit her, dass ich die letzten Hefte von «Mortadela y Filemón» gelesen habe, die auf Deutsch «Clever & Smart» heißen. Es handelt sich um eine Anhäufung der grässlichsten Clichés zum jeweiligen Thema des Comics, wobei Thema viel zu hoch gegriffen ist ebenso wie jede andere Bezeichnung.



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Wenn irgend jemand ruft: «Aus dir mach ich Hackbraten!», dann zeichnet Francisco Ibañez den Angesprochenen als Hackbraten, und das ist dann lustig. Mit anderen Worten: Humor für 14-Jährige in der vollen Blüte von Pickeln und Pubertät. In Deutschland tragen alle Polizisten Pickelhauben, marschieren im Stechschritt und brüllen «Heil Hitler», mindestens damals; eigentlich wäre es ja interessant, was diesen Deutschland-Clichés in der Zwischenzeit widerfahren ist und wie Ibañez seiner Kundschaft die Regentschaft von Reina Angela Primera nahe bringt, aber ich wage es nicht, mich dieser Kunstrichtung erneut auch nur ansatzweise zu nähern. Dass ich mich daran erinnert habe, liegt an einem anderen Erlebnis mit künstlichen Figuren, diesmal aus dem Bereich der Animation, und zwar habe ich mir den neuesten Film des überaus geschätzten Studios Aardman angesehen mit dem Titel «Early Man». Ich kann nicht mal sagen, dass ich enttäuscht war von dem Streifen. Er war derart bodenlos schlecht, mangelte jeglicher Story, jeglichen Einfalls, der nicht schon zuvor tausend anderen eingefallen war, und prangte und prunkte dafür mit allen Clichés über die Vorgeschichte und über Bronze- und steinzeitliche Menschen, um eine Idioten-Story über die Erfindung des Fußballspiels daraus zu pressen beziehungsweise rund um die Clichés zu winden, dass ich meine Gedärme, die in wilden Aufruhr gerieten, nur durch Ausübung eines leichten Drucks mit der Leber und den beiden Nierenflügeln zu besänftigen wusste. Nur die Darstellung von Figuren, Landschaften und Gegenstände aus dem wunderbaren Plastilin blieb übrig von der ganzen Originalität, welche zuvor zwar recht zahme, aber doch wundervolle und fast ein bisschen poetische Filme wie «Shawn the Sheep», «Chicken Run» oder «Wallace and Gromit» beflügelt hatte, von der absurden Reihe «Creature Comforts» oder den radikalen Einminutenfilmen vom «Angry Kid» ganz abgesehen. Kurz: ein Desaster, das sich möglicherweise aus der zunehmenden Harmlosigkeit der letzten Produktionen hätte vorhersehen lassen, dessen umfassender Verzicht auf sämtliche Elemente, welche den durchschnittlichen menschlichen Geist anregen durch eben Originalität oder Witz oder Gedankenblitze dann doch wie ein Schlag mit dem Götterhammer wirkte. Scheiße, Scheiße und abermals Scheiße, sage ich. Vermutlich wurde «Early Man» ganz und gar vom Büropersonal der Marketing-Abteilung von Aardman erstellt, um noch ein letztes Mal die Geldbörsen des Kinopublikums abzugreifen. «Mortadelo y Filemón», halt.

Beim Erwerb eines Erdbeer-Eises vor dem Film griff ich mir einen Prospekt für einen nächsten Film mit dem Titel «Eldorado» über «das Schicksal Tausender Flüchtlinge, die nach Europa kommen und einer ungewissen Zukunft entgegensehen». Ich nehme mal an, dass Ihr in Erfurt diesen Streifen gar nie zu Gesicht erhalten werdet, denn er stammt von einem Schweizer Regisseur mit dem Namen Markus Imhoof, den ihr eventuell von seinem halbdokumentarischen Werk «More than Honey» her kennt oder von einem frühen Werk mit dem Titel «Das Boot ist voll», aber sonst und grundsätzlich beschränkt sich seine Notorietät schon auf den Schweizer Markt. Ihr braucht euch «Eldorado» aber gar nicht anzusehen, denn ihr kennt die Geschichte beziehungsweise die Tau­sen­den von Geschichten längstens aus anderen Erzählungen: von den Hoffnungen, die in den Aus­gangs­ländern der Migration entstehen und von eingehenden Mobiltelefonaten bestätigt und geschürt werden, über die heikle Reise durch die Sahara bis in die Hölle der libyschen Aufnahmelager und weiter übers Mittelmeer bis nach Italien und in den Norden Europas. Es sind tausend, zehntausend, hunderttausend Geschichten und im Grunde genommen doch nur immer wieder eine einzige. Wirt­schaftsflüchtlinge kann man sie nennen, aber welcher vernünftige Mensch würde nicht zum Wirt­schafts­flüchtling, wenn er ein Leben am Rande des Elends führen müsste, während gleichzeitig aus allen Medien und eben insonderheit aus dem Mobiltelefonnetz immer wieder der Luxus der zivili­sier­ten Länder in die eigene Vita hinein projiziert wird? Es ist eine rein ökonomische und strikt rationale Kalkulation, welche diese Menschen dazu bringt, die Hochrisiko-Reise in den praktisch abgeschotteten Norden zu unternehmen, es handelt sich um eine reine Ausprägung jenes ökono­mi­schen Gesetzes, welches Wirtschaft und Gesellschaft in den entwickelten Ländern regelt, nämlich jenes des freien Marktes. Und das Elend, welches damit verbunden ist, mag ich mir gar nicht anschauen, weil ich ja so oder so darum weiß. Jede und jeder macht in seinem Leben seine eigene Bekanntschaft mit diesem Elend; bei mir war es unter anderem die Lektüre des Buches «Ist das ein Mensch?» von Primo Levi, dazu noch ein paar andere Schilderungen misslicher Verhältnisse, wobei man durchaus auch die historischen wie jene von Grimmelshausen aus dem 30-jährigen Krieg dazu rechnen kann, die Gräuel haben sich seither nicht wesentlich verändert. Das reicht zunächst einmal, ich habe weder Bedürfnis noch Lust dazu, mir diese immer gleichen Bilder erneut vor Augen führen zu lassen. Stattdessen hätte ich gerne mal eine Antwort auf die Frage, wie man so etwas richtig bekämpfen könnte, aber das ist wieder etwas anderes.

Wie gesagt hielt ich also diesen Prospekt doch in den Händen beziehungsweise trug ihn zusammen gefaltet in der Jackentasche, als ich konsterniert das Kino verließ, und mit einemmal kam mir die Idee: Weshalb machen denn eigentlich die Aardman-Studios keinen Plastilin-Film über die Flücht­lings­frage? Ich glaube, auf diese Art und Weise, mit dieser knalligen Ent- und Verfremdungs­tech­nik ließe sich das Thema inklusive seiner ganzen Brutalität wieder einmal so darstellen, dass das Publikum in einer fruchtbaren Art und Weise unterhalten würde. Vielleicht funktioniert so etwas auch nicht, aber ich stelle mir vor, dass Aardman daraus etwas Kluges und letztlich sogar Mensch­liches anstellen könnte. Wenn man bloß die kreativen Köpfe daran ließe anstelle der Marketing-Hechte, welche nicht an Kunst, sondern an Knete denken.

Stattdessen muss ich mich weiter an unpolitischen Produkten erfreuen wie «Isle of Dogs», der im Mai in die Kinos kommen soll; ich bin gespannt, welche Tricks sich Wes Anderson diesmal einfallen hat lassen, nachdem er schon früher regelmäßig mit Animations-Effekten gearbeitet hat. Diesmal also voll und ganz, ich freue mich schon jetzt.

Ebenfalls im Angebot sind einige türkische Filme, die Komödie «Kayhan» zum Beispiel oder «Hadi Be Oglum» oder der Horrorfilm «Alem-i Cin», die Liebeskomödie «Dügüm salonu» oder die eben­falls Komödie «Ailecek Saskiniz» neben der exiltürkischen deutschen Komödie «Verpiss dich, Schnee­wittchen» mit Bülent Ceylan, zu denen ich mich gar nicht äußern will, auch wenn ich vor ein paar Jahren eine dieser türkischen Komödien gesehen habe und sie sofort der deutschen Film­pro­duktion aus den 1950-er und 1960-er Jahren gleichgesetzt habe. «Verpiss dich, Schnee­wittchen» dagegen alliteriert nicht auf der Ebene der Lettern, aber der gespuckten Sprache doch allzu sehr mit Werken wie «Fuck you, Goethe», mit denen ich einfach nicht mehr sympathisieren kann, seit sie ein Nachbarsohn von 12 Jahren dazu benutzt, seiner angeblichen und präpubertierenden Abneigung gegen die Schule einen Namen zu geben. Daneben erwähne ich die steigende Präsenz von türki­schen Produktionen vor allem deshalb, weil ich vor einer Woche die Möglichkeit einer türkischen Expansion in der Ägäis umschrieben habe; ich nehme an, dass der zivile Teil der Türkei und des Türken- und Türkinnentums, eben inklusive dieser Filmproduktionen beziehungsweise der öko­no­mischen Interessen im Zielmarkt Deutschland, unmissverständlich gegen solche Abenteuer gepolt sind. Das gilt nicht nur für die Türkei, sondern für die meisten Rhetorik-Talente in der politischen Szene, von Urbans Orban über die Le Pens in Frankreich bis zu den Straches in Österreich, wobei ich hier doch noch den Wunsch äußern möchte, dass die Versuche von Strache, das österreichische Staatsfernsehen abzuschaffen oder umzupolen, radikal scheitern mögen; denn diese Anstalt pro­duziert regelmäßig sehr schöne Filme und auch Mainstream-Fernsehserien wie zum Beispiel die «Vorstadtweiber», welche ihr US-Vorbild, die «Desperate Houswives» von der Hysteria Lane nach meinem Dafürhalten meilenweit übertreffen.

Sehr gute Unterhaltung bietet im Moment auch die Aussicht auf die Darbietung eines Handels­krieges in der Form von Einfuhrzöllen auf bestimmten Artikeln, welche preislich das Inlandangebot auf unfaire Art und Weise unterbieten sollen. Der EU ist es offenbar gelungen, die entsprechenden Vorhaben sie betreffend auf Eis zu legen, während China den Fehdehandschuh aufgenommen hat. Mir bleibt nur, viel Vergnügen zu wünschen bei diesem Spektakel; weitere Konsequenzen in der realen Welt sind nicht wirklich zu erwarten. Auf der Nebenbühne manövrieren die USA mit ihren südkoreanischen Verbündeten wieder mal mit 350'000 Soldaten herum, während die Welt darauf wartet, was aus dem Treffen des Südkoreanischen Premiers Moon Jae In mit dem nordkoreanischen Militärchef Kim Jong Un hervorgeht und ob anschließend tatsächlich eine Begegnung zwischen Kim Jong Un und Donald Trump stattfindet. Das wäre ja ebenfalls ausgesprochen lustig.

Nach wie vor nicht lustig finde ich die Art und Weise, wie die Nato jede Gelegenheit nutzt, um ihre aggressiv antirussische Haltung in die Welt hinaus zu posaunen. Jetzt wollen sie schon Anfahr-Schneisen für ihre Panzer und Artillerie an die russische Grenze ausbauen. Die spinnen, die Militärköpfe, beziehungsweise jetzt dürfen sie sich endlich wieder in ihren Sandkästen austoben und darauf hoffen, dass irgendwann mal wieder ein bisschen ein richtiger Krieg zu führen ist. Man braucht die Russen nicht für gute Demokraten zu halten, das wäre mit Sicherheit keine besonders intelligente Einschätzung, aber dass sie vom Westen seit dem Auseinanderfall der Sowjetunion systematisch über den Tisch gezogen wurden, ist eine simple Tatsache, und dass die Annexion der Krim, welche quasi die Auslöserin war für das große antirussische Tamtam, nichts anderes war als eine notwendige Reaktion auf die Versuche der EU beziehungsweise der Brühwurst Barroso, die Ukraine aus dem Einflussbereich Russlands in jenen der EU und der Nato zu ziehen, das ist und bleibt eine Binsenwahrheit. Wenn man sich für eine Liberalisierung der Verhältnisse in Russland einsetzen will, dann hört man auf mit den Sanktionen und versucht, wieder vernünftige wirtschaftliche Beziehungen mit den Jungs und Mädels aufzubauen. Die Ukraine soll man dabei hübsch aus dem Spiel lassen; das ist ein Staat, der in seiner Verlottertheit sogar noch hinter den EU-Musterknaben Rumänien und Bulgarien steht.

Ebenfalls nicht lustig sind die Verhältnisse in Israel. Die Demonstration für ein Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge nach Israel hört sich an wie eine Versammlung der Ostvertriebenen aus Schlesien und Böhmen und Mähren. Falls es tatsächlich einen Ansatz gibt zur Lösung oder Beantwortung der Palästinenserinnen-Frage, dann beginnt er bei der Aufgabe dieser Forderung nach vollumfänglicher Repatriierung. Eine glaubwürdige Palästinenserregierung würde versuchen, irgendeine Form von Entschädigungen und vielleicht teilweise Rücksiedlungen auszuhandeln, was weiß denn ich. Allerdings bräuchte es für Verhandlungen auch auf Seiten Israels eine vertrauens­würdige Regierung, und das scheint aktuell ziemlich unmöglich zu sein. Bei uns in Europa geht es im Moment offenbar aber eher darum, den Muselmännern und -frauen beizubringen, dass vielleicht der Islam ein Teil unserer Kultur ist, aber ganz sicher nicht der Antisemitismus. Wenn sich irgendwelche spätpubertierende Jugendliche aus dem arabischen Raum einen Spaß daraus machen, anstatt «Mortadela y Filemón» zu lesen, die letzten Holocaust-Überlebenden umzubringen, dann muss der Staat drauf hauen – nicht nur auf die Täter, sondern auf die Kultur, die hinter solchen Taten steckt.

Zum Islam gab es übrigens aus neutraler Sicht vor ein paar Tagen gute, wo nicht sehr gute Nachrichten: In Tunesien wurde die erste historisch-kritische Ausgabe des Koran veröffentlicht. Endlich!




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Albert Jörimann
03.04.2018

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