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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Siebzehn

Der Chinese wieder. Am Tag des Inkrafttretens von gegenseitigen US-amerikanischen und chine­sischen sogenannten Strafzöllen, von denen ich im Übrigen nicht allzu viel weiß, kündigte der Ministerpräsident Li Kequiang in Sofia die weitere Öffnung des chinesischen Marktes beziehungs­weise die Senkung der chinesischen Schutzzölle für die Teilnehmenden am Gipfeltreffen 16+1 an.



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> Download Es handelte sich um Vertreter von Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Estland, Ungarn, Litauen, Lettland, Polen, Rumänien, der Slowakei und Slowenien sowie der EU-Beitrittskandidaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien und Mazedonien, und es handelte sich um das siebte Treffen dieser Art. Nummer eins war vor sechs Jahren durchgeführt worden, und zwar auf Initiative Chinas. Heute sieht man die Zusammenhänge etwas klarer, nachdem die große chinesische Landtransport-Initiative mit dem Titel neue Seidenstraße als handelspolitisches Großprojekt offiziell vorgestellt worden ist. Erneut staune ich über die Geschicklichkeit der Führung dieses Landes. Die Jungs machen im allerpragmatischsten Sinne und in der Tradition aller Ideologen der freien Markt­wirt­schaft ihre globale Wirtschaftspolitik völlig ideologiefrei, wo es grad geht beziehungsweise wo es der sinnvolle Einsatz ihrer Kapitalressourcen am vernünftigsten erscheinen lässt. Hier haben sie also einen wirtschaftspolitischen Pflock eingeschlagen im Osten der EU, in jenen Staaten, welche unsereins immer unter dem Aspekt der früheren Beziehungen zu Russland beobachtet; in jenen Staaten auch, welche nach der ersten Begeisterung über den EU-Beitritt zunehmend Enttäuschung zeigen, welche sie am prominentesten in der Sabotage der gemeinsamen Flüchtlingspolitik an den Tag legen. Der Chinese ist wirklich clever, sofern dieser Versuch, eine Teil-Wirtschaftspolitik mit dem Ostteil der EU aufzubauen, dann nicht per Saldo Abwehrreaktionen in der EU selber auslöst, was wohl auch nicht der Sinn der Übung wäre. Spätestens jetzt liegt die Sache auf dem Pult der EU-Kommission.

Auf jeden Fall zeigt der Osteuropa-Gipfel plus eins, also plus China den Unterschied zwischen der chinesischen und der bisherigen Politik der EU gegenüber ihren östliche Mitgliedsländer. Die EU hat sich für diese Region aus politischen Gründen geöffnet, aber niemals daran gedacht, hier auch tatsächlich eine aktive Wirtschaftspolitik zu betreiben; vielmehr sollten die Länder Osteuropas als wirtschaftlicher Echoraum dienen, in den man Kredite hinein pumpt, mit welchen die Produkte der EU-Gründer­staa­ten erworben werden sollen, ungefähr wie dunnemals die famosen deutschen U-Boote in Griechenland. Und dann kommt China und stellt ganz simpel Handelsbeziehungen, einen einfacheren Zugang zum chinesischen Markt und die Seidenstraße in Aussicht, welche diesen Zugang auch physisch ermöglicht. Nie gab es eine schönere und zugleich wirksamere Kritik der EU-Wirtschaftspolitik. Dabei steht genau diese Wirtschaftspolitik, welche praktisch nur die Interessen der Konzerne in den Gründerstaaten im Auge hat, selbstverständlich zusammen mit den dort Beschäftigten, genau diese Wirtschaftspolitik steht am Beginn der inneren Spannungen des EU-Projektes. Das Bündnis zwischen Frankreich und Deutschland soll den ewigen Frieden auf dem Kontinent garantieren? Es macht den Anschein, als würde genau das Gegenteil davon geschehen. Und während wir uns immer nur fragten, weshalb bloß die teuren Beschenkten in den neuen Mitgliedsländern im Osten eine derartige Undankbarkeit an den Tag legen neben den erwähnten misslichen Verhaltensformen der Korruption und so weiter, geben uns nun die Chinesen eine unmissverständliche Erklärung dafür.

Während unsereins kläfft, handelt der Chinese, und dafür kann man ihm, wie in Afrika, nur gratulieren, denn die Bekämpfung von Korruption und ähnlichen Dingen erfolgt am sichersten durch die Schaffung von Wohlstand und Erwerbsmöglichkeiten im Land. Der Chinese betreibt tatsächlich Entwicklungshilfe, im Gegensatz zur Europäischen Union, welche seit eh und je eine Abschottungspolitik für die Wirtschaftskonzerne in Deutschland und Frankreich betrieben hat. China als absolut belebender Akteur auf dem geschützten Markt der Europäischen Union – Lang lebe der freie Markt der wirtschaftlichen Zusammenarbeit!

Die Chinesen nehmen dabei selbstverständlich Idioten- und Kriegsgurgeln wie den Urban Orban in Ungern in Kauf, aber um ein Land machen auch sie einen großen Bogen, nämlich um die Ukraine, und das zeugt erneut von ihrem sehr sicheren Gespür für die Verhältnisse in Europa. Bravi, weiter so, und was mich angeht, so will ich in Zukunft nur beschränkt mit den Korruptionsjägern heulen. Nur damit das klar ist: Korruption ist eine missliche Sache, aber die Waffe der Moral ist in aller Regel die schwächste zu ihrer Bekämpfung.

Es wird noch einen Moment gehen bis zur definitiven Befreiung der Visegrad-Staaten durch China, aber ein Anfang ist gemacht, und damit will ich mich von diesem Thema auch schon wieder verabschieden zugunsten eines weniger bedeutenden, nämlich habe ich mich informieren lassen über die Polterabende eines Fischermanns und seines Weibes, das heißt natürlich eines Paares, das schon längere Zeit zusammenlebt und auch gemeinsame Kinder hat, sich nun aber doch zur Formalisierung durch Hochzeit entschlossen hat, und die Polterabende verliefen wie folgt: Er, mit den besten Kumpels, auch Buddies genannt, nach London, daselbst in den einen oder anderen Stripclub und in die eine oder andere angesagte Bar mit, nehme ich an, Massagen von außen im Stripclub und von innen, nämlich mit Gin, in der Bar; Sie, mit den besten Kumpels, auch Weiber genannt, nach Wien, daselbst in ein Luxus-Appartement und anstelle von Strip und Bar gab's Shoppen und Bar. Dann wieder nach Hause und in die Kirche, das heißt, die Kirche folgt erst in einem Monat oder so.

All dies ist in Ordnung, aber gleich Wien und London? Mir scheint das so ein Mittelding zu sein zwischen einem halbwegs unangestrengten Polterabend, der im Nachbarquartier beginnt und auf der Toilette oder im Badezimmer in der eigenen Wohnung endet, und einem richtig besinnungslos überrissenen Polterabend, bei dem man ein Großraumflugzeug mietet und einmal mit seinen Buddies rund um die Welt jettet und sich dabei standesgemäß betrinkt. Oder auf halber Strecke auf Ecstasy mit dem Fallschirm aus dem Jet springt, und wenn der Bräutigam im Pazifik dann doch noch gefunden wird, dann kommt es definitiv zur Hochzeit.

Für uns, die wir das Heiraten immer wieder vergessen haben, ist so etwas eine andere Welt, völlig logisch, aber ich habe den Eindruck, dass eine stets größer werdende Schicht an nachstoßenden jungen Leuten, die nichts anderes mehr kennen als Frieden und halbwegs anständige Lohn­ein­kom­men, solche Verhaltensformen für absolut normal hält, und das bedeutet auch immer wieder, dass für sie tatsächlich die ganze entwickelte Welt so etwas wie ihr Wohnzimmer bedeutet, das heißt, der ganze aufkeimende beziehungsweise in voller Blüte stehende Nationalismus der Nationalisten ist letztlich für die Katz. Die Jugend von heute, also die durchschnittliche Jugend von heute, sagen wir bis zum Alter von 40 Jahren, eben die mit den Polterabenden, also die Polterabend-Jugend von heute interessiert sich keinen Deut für diese abgewrackte Debatte. Das einzige Merkmal, das für die zentrale europäische Achse zwischen Frankreich und Deutschland von Bedeutung wäre, nämlich die Sprache, wird aufgehoben in der globalen Konsenssprache Englisch.

Es wäre nun hübsch, wenn die Polterabend-Jugend zwischen zwei Polterabenden auch mal zum Wählen gehen würde, zum Beispiel in Bayern, zum Beispiel, um den echten niederbayrischen Watschen-Sepperl zu machen für all die Seehofers und Söders, welche zusammen mit den Kunzens und den Orbans einen Flüchtlingsstrom beschwören, den es gar nicht gibt, weil nämlich der Erdogan in Ankara vor ein paar Jahren einen Damm errichtet hat, hinter welchem dieser Strom zurückgehalten wird, während eben die Seehofers und Söders und Kunzens und Orbans die Flüchtlingsfrage so zelebrieren, als ginge es um jenes deutsche Wesen, an welchem die ganze Welt im letzten Jahrhundert zwei Mal genesen ist, eine Schauer-Litanei, in welche auch so bescheuerte Charaktere wie der ehemalige angebliche Kulturchef des Spiegels mit einstimmen – liebe, verehrte Polterabend-Jugend, geht doch bitte mal wählen. Ihr könnt bis auf ein paar Ausnahmen wirklich alles wählen, aber wählt doch einfach mal. Denn dies ist eine Sprache, genauso verständlich wie Englisch, es ist jene Sprache, welche die Seehofers und Söders und Konsorten viel besser verstehen als jede andere. Wenn die sich ihre Fleischpflanzerl und Lebersemmeln mit einer Soße aus Na­tionalismus und Fremdenhass anrichten, dann zeigt ihnen doch mal, dass das nicht allen schmeckt.

Ansonsten alles wie gehabt. Über den neuesten Stand der Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland über die Erdgas-Durchleitungsrechte bin ich grad nicht im Bild; im März hatte ein schwedisches Schiedsgericht entschieden, dass Russland die ukrainische Naftogaz mit 2 Milliarden entschädigen muss für Kontrakte, welche die wunderbare Julia Timoschenko abgeschlossen hatte zu Konditionen, welche offenbar sittenwidrig waren. Der Schiedsgerichtsbeschluss sorgte in Russland nicht gerade für überbordende Freude, insbesondere weil die Ukraine unterdessen selber kein Erdgas aus Russland mehr bezieht; vielmehr erhält sie dieses Erdgas zum Teil in der Form von Flüssiggas und zum Teil aus EU-Mitgliedstaaten, welche der Ukraine einfach einen Teil ihrer eigenen Bezüge aus Russland zu politischen Vorzugskonditionen verkaufen. Ebenfalls nicht auf dem Laufenden bin ich über den neusten Stand nach dem Erwerb eines Teils der Flugzeugsparte des kanadischen Mehrzweck-Großunternehmens Bombardier durch die europäische Airbus. Irgendwann im Frühling hatte die Kommission für internationalen Handel in den USA entschieden, dass die Vereinigten Staaten keine Strafzölle für die neuen Flugzeugtypen erheben dürfen, welche Bombardier verschiedenen US-Fluggesellschaften verkauft hatte; dagegen hatte Boeing selbstverständlich Einsprache erhoben und auf die Unterstützung von Präsident Trump gehofft. Daraus scheint nichts geworden zu sein. Im Juni wurde gemeldet, dass Airbus die C-Reihe von Bombardier übernimmt; praktisch gleichzeitig kam die Information über den Kauf der Zivilluftfahrtsparte der brasilianischen Embraer durch Boeing. Seither habe ich nichts mehr gehört.


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Albert Jörimann
10.07.2018

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