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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Vergesellschaften

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte oder auch nicht: Im Stern gesehen eine Fotografie der beiden Herren Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch aus jener Zeit, als Piëch den Winterkorn von der Audi-Spitze an die VW-Spitze beförderte, weil der Vorgänger von Winterkorn sein Vertrauen verspielt hatte.



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> Download Dass die Wahl Piëchs auf Winterkorn fiel, hatte damit zu tun, dass die beiden zusammen studiert hatten, was offenbar förderlich ist in einer Management-Sphäre, in der es grundsätzlich hart auf hart geht und wo Entscheidungen gefällt werden und gefällt werden müssen, bei denen es fast täglich um tausende von Arbeitsplätze und um die Zukunft des Betriebs geht, vielleicht nicht insgesamt, sondern nur von kleinen Teilen, aber sogar wir kleinen Mitglieder der Zuschauergruppe im Laientheater können uns vorstellen, dass kleine Teile eines großen Konzerns immer ihre Bedeutung über ihre Kleinheit hinaus haben können und manchmal auch haben. Heute wissen sie beide von nichts: Winterkorn hat keine Ahnung nicht von jener Software, welche dem VW-Konzern offenbar vor allem in den USA die Erfüllung der strengen Diesel-Abgas-Auflagen erlaubte, ohne dass der Motor in der Praxis die Umweltauflagen zu erfüllen vermochte. Winterkorn hatte keine Ahnung, obwohl er alle Entscheide maximal autoritär selber fällte oder absegnete, und Ferdinand Piëch gibt zu Protokoll, er hätte so etwas sowieso nie und unter keinen Umständen gemacht. Keine Frage: Die beiden Männer lügen wie ein Trump.

Aber jetzt mal im Ernst und unter uns: Was hätten sie, das heißt insonderheit was hätte der Winter­korn denn machen sollen? So einen Konzern von 680'000 Mitarbeitenden leitet man nicht nach dem Knigge oder vielleicht wie George Clooney oder Greta Thumberg. Ein VW-Konzernchef muss die ganze Palette drauf haben vom feinen Öffentlichkeitsauftritt neben der Frau Bundeskanzlerin bis hin zum Schmieren und Feilschen um Standort- und Steuerrabatte bis hin zur Beseitigung von Wider­stand, auch durch unschöne Dinge wie zum Beispiel Mord, wenn es der Sache dient und keine andere Lösung in Sicht ist, denn es geht eben um 680'000 Mitarbeitende und um einen Umsatz von 230 Milliarden Euro, das ist mehr als das Bruttoinlandprodukt Liechtensteins, ein Drittel des Schweizer BIP, so etwas ist größer als das Leben, sagen wir mal: eines dreckigen kleinen Erpressers. Es gibt dann aber eben Instanzen, die noch größer sind, zum Beispiel die konglomerierte Form der Vereinigten Staaten von Amerika, also jener Ort, wo die industriellen Eigeninteressen, die Konsumentinnen-Organisationen und die Staatsmacht zu einem gemeinsamen Nenner koagulieren, und vor diesen Instanzen sollte man sich dann doch besser in Acht nehmen, als dies dem Winterkorn nun passiert ist. In Europa und in der EU braucht man sich selbstverständlich keine Sorgen zu machen, schließlich hat man Standorte, Werke und Arbeitsplätze in praktisch allen Ländern, und die Bundesregierung ist ebenso Arbeitsplatzfetischistin wie die Opposition und die Rechtsnationalen, und pro Forma wird dann noch die Kritik über verschiedene oppositionelle Bürgerinitiativen und über Instanzen wie das Kaba­rett oder Satiresendungen im Staatsfernsehen abgefackelt, und dann ist es gut, und man kann weiter machen, wie man will beziehungsweise eben: wie man muss. Allerdings braucht es immer auch den Willen zum Müssen, und genau dieser Wille zum Müssen kommt in den beiden Gesichtern von Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch zum Ausdruck, und ich gehe davon aus, dass die Kommunikationsabteilung von VW oder mindestens die Kommunikationsabteilung des zuständigen Ministeriums die neue VW-Spitze darum gebeten hat, in nächster Zeit kein Gesicht zu schneiden, welches den Willen zum Müssen so akkurat, pointiert und sozusagen ellenbogenhart zum Ausdruck bringt, sondern vielleicht eher einen Gesichtsausdruck zu trainieren, welcher den Aspekt des Dienens zum Ausdruck bringt, denn, ich wiederhole mich: Die Verantwortung für 680'000 Arbeitnehmende nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in absehbarer Zukunft, das ist ein echter Dienst nicht nur an Volkswagen-, sondern an der Volksgemeinschaft insgesamt, und genau dies kommt mir auch in den Sinn, wenn ich Kevin Kühnert, den Chef der Jungsozialisten höre mit der alten Forderung, die großen Unternehmen müssten vergesellschaftet werden – mein lieber Genosse, die großen Unternehmen wie VW oder Siemens sind schon längstens vergesellschaftet, auch wenn sie sich nominell im Besitz von Mehrheitsaktionären wie den Piëchs oder den Klattens oder wie sie alle heißen mögen, befinden. Ein Juso an der Spitze eines vergesellschafteten VW-Konzerns würde genau die gleichen Entscheidungen zu treffen haben und sie auch genau gleich treffen wie Martin Winterkorn. Über solche Dinge beschließt man nun mal nicht basisdemokratisch, weil die demokratische Basis grundsätzlich keine Ahnung hat von all den Faktoren, welche über Erfolg und Misserfolg eines Unternehmens und einer Marke in den verschiedenen Märkten entscheiden – es sind nämlich ziemlich viele, von den kulturellen Unterschieden bis hin zu den Beziehungen auf Regierungs­ebene, zum Beispiel. Noch mehr: Nicht einmal die Industrialisierung der Sowjetunion erfolgte aufgrund basidemokratischer Entscheidungen im Rahmen des Rätesystems, das sollten auch die Jung­sozia­listinnen stets prominent im Großhirn präsent halten.

Dabei sind die Eisenmänner wie Winterkorn und Piëch selbstverständlich nicht nur Entscheidungs­träger mit den entsprechenden Honoraren, sondern stets auch Zocker, wie zum Beispiel der Chef von Nissan und Renault Carlos Ghosn, wir erinnern uns auch an den Post-Chef Zumwinkel, die Versuchung zum Betrug zusätzlich zu den Millionenentschädigungen für ihre Arbeit und Verantwortung, mindestens aber zur Steuerhinterziehung, welche von solchen Eisenmännern betrieben wird wie Golf, das gehört offenbar zum Spiel und wäre auch bei einer offiziellen Vergesellschaftung unter Kevin Kühnert nicht viel anders; wir erinnern uns dabei an die Sonderzahlungen von VW an den ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden unter Peter Hartz, von denen übrigens schon damals Ferdinand Piëch überhaupt nichts gewusst hatte. Eine lustige Bande.

Allerdings sind sie als Personen nicht besonders relevant, auch wenn man zum Beispiel dem Piëch noch den Selbstmord des Ratiopharm- und HeidelbergCement-Besitzers Adolf Merkle ans Revers heften könnte, nachdem dieser in der Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW mehrere hundert Millionen Euro verspekuliert hatte und anschließend von seinen Geldgebern fallen gelassen worden war. Piëch eignet sich mit anderen Worten als Roman- oder Theaterfigur, vielleicht ist Botho Strauß bereits am Werk oder Jan Böhmermann oder sonst einer der Granden der deutschen Literatur. Ansonsten wissen wir auch nach dem Dieselskandal nicht mehr, als wir schon zuvor wussten: nämlich dass wir im Kapitalismus leben zum einen, dass dieser Kapitalismus in seiner internationalen Ausformung aber deutlich mehr an Wissen und Eisen im Ellenbogen erfordert, als es sich ein durchschnittliches Betriebsratsmitglied träumen könnte.

Zum Schluss noch: Nichts gegen Verstaatlichungen! Aber sie sind kein Allheilmittel, vor allem nicht dort, wo der Weltmarkt den Takt vorgibt. Und vor allem: Wenn Verstaatlichungen dazu dienen, irgendwelchen völlig unfähigen Politikern einen Job in der Führungsetage eines staatlichen Unternehmens zu verschaffen, weil man sie in der Politik nicht mehr verwenden kann, dann bleiben wir lieber gleich bei den Winterkorns und Piëchs.

Die Nachrichtenagentur Reuters hat versucht, die bisher aufgelaufenen Kosten des Handelskriegs zwischen den USA und China zu errechnen. Die Daten der chinesischen Zollverwaltung zeigen, dass die Exporte nach den USA im März dieses Jahres im Vergleich zum Juni 2018, also zum letzten Monat vor Inkrafttreten der Strafzölle, um 47% zurückgegangen sind. Die Importe aus den USA nahmen um 17% ab. Für das erste Quartal 2019 wird ein Rückgang der Exporte gegenüber dem Vorjahr um gut einen Drittel ausgewiesen; die Importe nahmen um 17% ab. Die Ausfuhren von Rohstoffen und Lebensmitteln aus den USA nach China waren dabei am stärksten betroffen; sie verloren gut 50% ihres Werts. Umgekehrt waren bei den chinesischen Exporten vor allem Maschinen und Elektroausrüstungen betroffen. In Prozent des Bruttoinlandprodukts gibt Reuters einen Ausfall von gut 0.1-0.2 Prozent für die USA und 0.3-0.6 Prozent für China an. China reagierte mit einer Lockerung der Restriktionen für Inland-Investitionen; so konnte das Wirt­schafts­wachstum im ersten Quartal bei 6.4% gehalten werden, während die US-Wirtschaft um bemerkenswerte 3.2% zulegte.

In einem Interview mit Penny Goldberg, der Chefökonomin der Weltbank, fand ich ein paar interessante Überlegungen zu China und Afrika. Chinas Wachstum sei unter anderem möglich gewesen, weil die entwickelten Märkte bereit gewesen seien, die chinesischen Produkte aufzunehmen, sagt sie, was heute für Afrika nicht mehr so zutreffe. Zudem beruhe der chinesische Boom auf der Qualifizierung der inländischen Arbeitskräfte, wovon man in Afrika heute immer noch weit entfernt sei. Umgekehrt sieht sie für Afrika große Chancen im Abbau von Handels­hem­mnissen und in der Herstellung eines gemeinsamen kontinentalen Marktes, also eher wie in Indien als wie in China. Die entsprechenden Bemühungen sind eindeutig erkennbar, aber ebenso auch starke Hindernisse. Immerhin dürfte China mit seinen Bemühungen im afrikanischen Infra­struktur­bereich ziemlich genau richtig liegen. Häfen, Eisenbahnlinien und Straßen sind zentrale Voraussetzungen für das Wirtschaftswachstum, das für den nach wie vor ziemlich dünn besiedelten afrikanischen Kontinent unbestrittene Priorität hat.

Dass dagegen die Kommunalwahlen in Istanbul solange wiederholt werden, bis der Sieg eines AKP-Kandidaten zurecht geschustert worden ist, wird niemanden überraschen. Man fragt sich bloß, weshalb sich der Jockelpascha so anstellt und nicht direkt einen Bürgermeister einsetzt. Aber auf eine unbestimmte Art und Weise scheint ein demokratischer Schein doch etwas wert zu sein, auch wenn er noch so dünn und durchsichtig ist. Nur eines ist traurig: Die Türkei, die kann man nicht mal mehr verstaatlichen.



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Albert Jörimann
07.05.2019

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