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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die Deutsche Bank

Jetzt ist also die Deutsche Bank dran. Zwanzig Prozent der Stellen werden gestrichen und ungefähr gleich viel an Reputation, soweit die nicht schon zuvor weggebröckelt war nach all den negativen Meldungen über Skandale und Bußen in den letzten Jahren, aber der Stellenabbau bestätigt den Substanzverlust doch auf die klarste aller möglichen Weisen.



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> Download Auch der Aktienkurs lag anfangs Jahr noch bei 10 Euro, heute sind es 7 Euro, wo man vor vier Jahren noch 30 Euro bezahlte; am höchsten notierte der Titel vor der Finanzkrise bei 113 Euro, sackte anfangs 2009 auf 20 Euro ab und hielt sich dann doch noch eine Zeitlang über 40 Euro. Aber die Deutsche Bank ist nicht alleine, viele Banken haben den Wertverlust in der Finanzkrise nicht mehr wettmachen können, und das hat nicht allein damit zu tun, dass die Spekulationsblase nicht wieder aufgefüllt wurde, sondern damit, dass sich die Finanzindustrie gewandelt hat und weiter verändert. An und für sich hat sie bereits mit der Verbreitung des gewaltigen Finanzkapitals, das immer mehr unabhängig von der Realwirtschaft um den Erdball schwappt, die wesentliche Transformation eingeleitet, an deren vorübergehendem Ende die Banken tendenziell überflüssig werden, weil sie eigentlich gar nicht mehr benötigt werden, weder als Kapitalsammelstelle noch als Kapitalgeber noch für den Zahlungsverkehr; letzteren wickelt man heute zunehmend über Kreditkartenfirmen oder die Internetgiganten ab, und Finanzierungspakete braucht es eigentlich nur noch für mittlere und große Operationen wie Firmenübernahmen oder vielleicht mal einen Börsengang.

Aber auch ihre Rolle als Transmissionsband bei der Geldschöpfung erodiert. Diese ist zwar schon seit der Explosion des Finanzkapitals sehr dünn geworden, denn die ungeheuren Kapitalmengen, die um den Globus schwappen, wurden selbstverständlich nie von einer Zentralbank geschöpft, wie dies theoretisch der Fall sein müsste. Aber für den alltäglichen und realökonomischen Bereich blieb die Verbindung von den Zentralbanken zu den großen Geschäftsbanken doch der anerkannte Weg bei der Entstehung des Zirkulationsgeldes bis hin zu den Spar- und Investitionsmechanismen. Heute steht die Abkoppelung des Zirkulationsgeldes von der Zentralbank und den Geschäftsbanken auf der Traktandenliste, wobei die Zentralbanken im Hintergrund immerhin noch für die Stabilität der Währung sorgen dürfen und dabei laut neuester Geldmarkttheorie sogar keinen Schranken mehr unterworfen seien bei der Aufnahme von Geldern aus dem Kapitalmarkt oder bei ihrer Ausgabe für denselben – das ist schon mal lustig genug.

So präsentiert sich uns ein erhebliches Durcheinander in der Geldpolitik und in der Geldpraxis, das zusätzlich genährt wird durch die unumstößliche Tatsache, dass wir seit längerer Zeit in einer Warenwelt leben, deren Wert und Preis noch zirka null beträgt. Respektive: Der Preis der meisten Güter besteht nur noch aus den Aufwänden für Transport und Verteilung; hier aber kann noch ordentlich Knete gemacht werden, wie die Versandhändler und vor allem die große Amazon deutlich belegen. Aber grundsätzlich sind wir am Ziel einer Vollversorgung der Gesellschaft mit allen Dingen zu praktisch null Aufwand angelangt, wir gestehen uns dies bloß noch nicht ein und haben Mühe, die Organisation darauf einzurichten. Dies ist besonders stoßend für all jene, die sich nach wie vor mit wenig Geld durch ihr eigenes Leben kämpfen müssen – so etwas begreife ich einfach nicht mehr, allenfalls mit Ausnahme jenes Aspektes, dass es in Europa nach wie vor große Diskrepanzen in der gesellschaftlichen Entwicklung und im Umgang mit diesem neuen Reichtum gibt, möglicherweise muss hier der Lebensstandard im Osten zuerst ganz erheblich gesteigert werden.

In der Zwischenzeit lösen sich die Mechanismen der Geldzirkulation in den entwickelten Volks­ wirtschaften immer stärker auf, das System Kapitalismus frisst seine eigenen Blutbahnen, was bedeutet, dass es zu einer neuen Art der Versorgung mit den erforderlichen Vitaminen und Nährstoffen für seine Organe kommen muss, eventuell auch zur Ausbildung von ganz neuen Organen, wenn Ihr den Abstecher in einen biologisch-organischen Bereich mal erlaubt. Geld, also Nährstoffe entstehen zunehmend willkürlich und in großen Mengen, was sich dann auch in den hohen Mieten in Zentrumslagen niederschlägt, über welche man im Moment lauthals klagt – Tatsache ist, dass es so viele Menschen mit verfügbarer Knete gibt wie noch nie zuvor, und das hängt eben mit der Mischung aus Gratisprodukten und Geldschöpfung aus unerforschlichen Quellen zusammen. Ich würde für diesen Prozess gerne eine theoretische Formel entwickeln und diese dann so in die Praxis umsetzen, dass er auch in die Breite und in die Tiefe wirksam wird, dass also vor allem die weniger wohlhabenden Schichten davon profitieren, aber ich fürchte, es wird noch dauern, bis eine solche Theorie und Praxis auf soliden Beinen steht. In der Zwischenzeit behelfen wir uns notgedrungen mit den bekannten Lösungen aus der immer noch lebendigen Vergangenheit des industriellen Kapitalismus.

Das gilt dann auch für die 18'000 oder mehr Personen, welche ihren Arbeitsplatz bei der Deutschen Bank verlieren und mit einiger Sicherheit keinen vergleichbaren Job im Bankensektor mehr finden werden. Mit ähnlichen Entwicklungen ist auch bei der größten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Deutschland zu rechnen, nämlich im Automobilsektor; für diesen gibt es nur eine Möglichkeit, seine aktuelle Bedeutung und damit auch die Beschäftigtenzahl zu halten, nämlich wenn sich die Völker aller Länder dazu entschließen, in Zukunft noch größere Automobile zu erwerben, wenn sich der Trend also weg entwickelt vom Sports Utility Vehicle zur Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung auf Rädern. Damit hätten wir einerseits auch dem Nachfragedruck nach Wohnungen in den Innenstädten nicht nur Deutschlands entgegengewirkt, anderseits wäre es wieder schade für diese Innenstädte, weil man die nämlich flach machen müsste, damit die neuen hoch motorisierten Zweieinhalb-Zimmer-Wohnungen Tag und Nacht durch sie hindurch fahren könnten. Dabei habe ich die Frage der Parkhäuser noch nicht einmal angesprochen. Auf jeden Fall benötigt solch eine fahrbare Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung im Querformat eine Fahrspur von mindestens 10 Metern Breite, und was das mit sich bringt, kann man sich gut ausmalen. Jedenfalls gäbe es hier viel zu tun im Infrastrukturbereich, und ich gehe davon aus, dass eure jeweiligen CSU-Verkehrsminister sehr schnell für die entsprechenden Investitionen zu begeistern wären, ganz im Gegensatz zu allen anderen Infrastrukturbauten.

Nun, man kann davon ausgehen, dass die Europäische Union in den nächsten Jahren ein paar Initiativen zur Förderung der öffentlichen Infrastrukturen und des öffentlichen Verkehrs anstoßen wird, nicht zuletzt, um die famosen Klimaziele zu erreichen. Damit ist nach meiner Einschätzung auch ein Sektor definiert, in welchen man mittelfristig investieren kann. Daneben bringt vielleicht auch die Beschäftigung mit neuen Zahlungs- und Kapitalverkehrs-Techniken gewisse Perspektiven, wer weiß. Aus meiner, also aus neutraler Sicht würde es sich im Moment auf jeden Fall lohnen, ganz banal eine Firma für den Bau von modernen Schlafwagen für die europäische Eisenbahnindustrie zu errichten. Wir Ihr wisst, haben die europäischen Eisenbahnunternehmen den Betrieb von Nachtzügen praktisch vollständig eingestellt, weil man ja nicht mehr während der Nacht zu reisen braucht, wenn man am Morgen das Flugzeug für lau besteigen kann und dann eine Stunde später noch vor dem Nachtzug am Ziel ist. Das dürfte sich bei Gelegenheit wieder ändern, und dann entdecken mit großer Wahrscheinlichkeit neue Gruppen der Bevölkerung das Vergnügen, mittlere Distanzen im Wortsinn im Schlaf zu überwinden, einfach unter der Voraussetzung, dass dies auf eine zivilisierte Art und Weise möglich ist. Die Marktlücke klafft weit offen.

Was ereignet sich auf der großen weiten Welt sonst noch? Eine gewisse Verwirrung herrscht in meiner persönlichen Vorurteils-Kammer nach der Bürgermeisterwahl in Istanbul. Wieso hat der Erdogan die nicht erneut annulliert? Ist das nun ein Diktator oder nicht, oder will er plötzlich dergleichen tun, als hätte er keinerlei autokratische Absichten? Das halte ich für dumm, denn meine Verunsicherung teilen sicher auch seine Anhängerinnen und Anhänger. Vielleicht hat er allerdings auch andere Sorgen, zum Beispiel mit seinem Nachbarn Iran, dem jetzt verschiedene westliche Länder vorwerfen, er halte sich nicht an den Nuklearvertrag, nachdem ihn die Amerikaner vor zwei Jahren radikal gebrochen haben. Wer tut jetzt mit wem? Wie schafft es die Türkei, iranisches Erdöl auf den Weltmarkt zu bringen unter dem eigenen Label? Welche Absprachen mit Gospodin Putin sind in dieser Beziehung zweckdienlich? Und auf welchem Stand stehen die Beziehungen zum syrischen Machthaber Asad? Ich bin durchaus nicht im Bild über den aktuellen Stand der Dinge in dieser außerordentlich variablen Geometrie der Beziehungen, in welcher die Türkei eine dezentrale, aber doch ziemlich wichtige Rolle spielt. Die GriechererInnen auf der anderen Seite des Bosporus haben Alexis Tsipras in die Wüste geschickt und einen Mann gewählt, der die Steuern senken will, was in Griechenland sicher ein Hammer-Wahlversprechen ist, sich aber auf eine Realität des Steuerzahlens bezieht, die ich mir lieber gar nicht erst vorstelle. Der Tsipras dagegen hat nach meiner Einschätzung mit dieser Niederlage den Grundstein gelegt für spätere Wahlsiege, wenn es nämlich dem Herrn Mitsotakis von der uralten Nea Demokratia nicht gelingen wird, seine Versprechungen einzulösen. Davon abgesehen sieht man zunächst nichts anderes als die Fortsetzung der alten Parteiengeschichte, nur heute mit der Syriza anstelle der ehemaligen Sozialdemokraten, aber das kommt ziemlich exakt aufs Gleiche heraus. Trotzdem die Prognose: die eigentlichen Wahlen waren nicht in diesem Jahr, die Weichen werden bei den nächsten gestellt, und da wird sich Tsipras dann für längere Zeit an der Macht etablieren und dann vielleicht auch einmal etwas haben davon.



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Albert Jörimann
09.07.2019

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