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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Blackrock

Na, wenn man das mal nicht Pflichtbewusstsein und Verantwortungsgefühl in höchster Ausbildung nennen soll, was dann? Giovanni Castelucci, der Vorstandschef der italienischen Holding­gesell­schaft Atlantia, welche die italienischen Autobahnen betreibt, trat wegen des bekannten Einsturzes einer seiner Autobahnbrücken in Genua zurück, und zwar etwas mehr als ein Jahr nach dem Unglück und mit einer Abfindungssumme von 13 Millionen Euro, wenn man so will: für knapp 50 Todesopfer.



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Deren Familien erhielten ungefähr gleich viel an Abfindung, insgesamt, natürlich, nicht pro Familie, wo kämen wir da hin. Bei solchen Meldungen weiß ich nie so recht, in welchem Fach ich meine Lippenwinkel versorgen soll, ich blicke dann in der Regel einfach geradeaus und tue nichts dergleichen. Auch eine andere Meldung hat mich geradeaus blicken lassen, sie erschien kurz nach der Verwüstung der Bahamas durch irgendeinen Tropensturm und lautete: «Kim Kardashian Shares Bikini Photo from Bahamas Vacation Ahead of Deadly Hurricane.» Ich habe jetzt gerade keine Lust, das auch noch zu übersetzen.

Sprechen wir von etwas anderem. Vor ein paar Tagen strahlte der Sender «arte» einen Beitrag aus, nein, diesmal nicht über Sand und ähnliche Katastrophen des Kapitalismus, sondern über den globalen Vermögensverwalter Blackrock, und wenn «arte» auch tatsächlich schon fast manisch nach Themen sucht, anhand derer die JournalistInnen die Exzesse des Kapitalismus kritisieren können, wodurch sich diese JournalistInnen in der Regel der Essenz begeben, nämlich der Kapita­lis­mus­kritik, das heißt einer Kapitalismuskritik, die nicht im Sand stecken bleibt oder welche nicht ums Verrecken den Nachweis der profunden Bösartigkeit des Systems anhand seiner Licht­ver­schmut­zung führen will, aber eben, auch so kommen immer wieder interessante Beiträge zustande, welche man nicht mal beim Linksfernsehen ZDF und ARD zu sehen kriegt, denn wenn ZDF und ARD über Blackrock berichten täten, dann müssten sie automatisch über das Blackrock-Vorstands­mit­glied Friedrich Merz berichten, und soweit sind wir im Linksfernsehen dann trotz allem noch nicht, höchstens in der Satire-Abteilung, wo der Merz ja immer wieder eins auf den Sack erhält, bloß weil er sich mit seinem kleinen Privatjet als typischen Vertreter der gebeutelten Mittelklasse ausgibt. Blackrock mit seinen 16 Billionen Euro verwalteten Vermögen als Sammelbecken für die Mittelklasse, das passt ungefähr ins Generalpanorama sowohl von Blackrock als auch von Friedrich Merz.

Zu Beginn verneigte sich «arte» aber vor sich selber und tischte eine systemische Kritik des Hauptanlageinstrumentes von Blackrock auf, nämlich der Exchange Traded Funds, welche sowohl auf der Ahnungslosigkeit der Journalistinnen als auch der Zusehenden beruhte und damit der erwähnten Kritik an den Exzessen des Kapitalismus Reverenz erwies. Ich kann für allenfalls beunruhigte Seelen an dieser Stelle Entwarnung geben: Exchange Traded Funds sind ein völlig normales, unterdessen 50 Jahre altes Anlageinstrument, das es den Investorinnen erlaubt, ihre Risiken zu verteilen von einzelnen Unternehmen beziehungsweise deren Aktien auf die Gesamtbörse oder ausgewählte Segmente davon. Einzelheiten dazu finden sich auch im Schlauen Buch des Fähnleins Fieselschweif.

Immerhin ist die Entwicklungsgeschichte der ETF bei Blackrock interessant. Der Vermögens­ver­walter erwarb nach der Finanzkrise die ETF-Investitionslinien von Barclays und verfügt damit heute, vor allem unter dem Markennamen iShares, über einen weltweiten Anteil von 40% am ETF-Markt. Dabei ist sich das schlaue Buch des Fähnleins Fieselschweif mit sich selber nicht einig und nennt je nach Unterabteilung eine Zahl von 300 Milliarden Dollar an verwalteten ETF-Vermögen oder aber 1.6 Billionen, wobei mir letztere plausibler erscheint, denn irgendwie müssen ja die gesamten 16 Billionen Euro an verwalteten Vermögen auch zusammen kommen. Damit wäre iShares für 10% des Blackrock-Gesamtbestandes verantwortlich. Beim Rest handelt es sich um andere Anlagevehikel, zum Beispiel Direktinvestitionen.

Aber auch wer einen ETF anbietet, muss für die zugrunde gelegten Unternehmensanteile investieren, und zusammen mit den anderen Vehikeln kommt bei Blackrock schon einiges zusammen. In Deutschland war der Vermögensverwalter laut der Zeitung «Welt» im Jahr 2016 größter Einzelaktionär bei Bayer, BASF, Allianz und Merck neben hohen Anteilen bei Siemens, SAP, Daimler Benz und der deutschen Telekom, zum Beispiel. Und hier nimmt die ganze Geschichte neue Formen an. Stellen wir uns zum Beispiel vor, die Automobilindustrie würde auf einen geordneten oder ungeordneten Brexit, nein, einen normalen geordneten oder ungeordneten Kollaps zusteuern und Blackrock wäre dabei gleichzeitig Großaktionär nicht nur bei Daimler Benz, sondern auch bei BMW, Audi und VW, aber auch bei Renault und Peugeot und bei Ford, Fiat-Chrysler, Toyota und Hyundai. Was würde dies für die einzelnen Hersteller bedeuten? – Da kann man nun frei spekulieren, das ist natürlich schön. – Von dieser Vorstellung ist übrigens nur der Teil mit dem Kollaps nicht gesichert – die Beteiligungen sind erstellt. Blackrock kontrolliert zwar nicht, hält aber namhafte Beteiligungen an allen großen Unternehmungen weltweit. Im «arte»-Bericht hieß es unter anderem, dass bei Microsoft und Apple nicht etwa die Gründer, sondern eben Blackrock der größte Anteilseigner sei.

Was heißt das nun? – Zunächst noch nicht so besonders viel, höchstens liegt mit Blackrock möglicherweise der definitive Beweis vor, dass es dem Kapital und dem Kapitalismus völlig egal ist, wer das Kapital de iure besitzt – am Schluss ist es doch nichts weiter als eine einzige, globale Anlegergemeinschaft, die nicht nur aus Blackrock, sondern auch aus allen anderen Ver­mö­gensverwaltern und PrivatanlegerInnen und Banken usw. usf. gebildet wird.

Zum zweiten heißt es wohl, dass unterdessen Blackrock von Goldman Sachs die Rolle der globalen Kapitalschnittstelle übernommen hat. Blackrock hat über ihre Beteiligungen jederzeit Zugang zu allen wesentlichen Firmen und damit ganz selbstverständlich auch zu allen möglichen Ansprech­personen bei Interessenverbänden und in der Politik. Ob damit nun eine Art von Blackrock-Politik entsteht und durchgesetzt wird, ist zunächst nicht so wichtig, weil nämlich das oberste Interesse sowohl der Unternehmen als auch der Wirtschaft als auch von Blackrock darin liegen muss, möglichst reibungsfrei möglichst anständige Profite zu erzielen. Mit anderen Worten: Es braucht dafür überhaupt keine Blackrock-spezifische Politik; bloß laufen bei Blackrock gegenwärtig deutlich mehr Fäden zusammen als andernorts.

Im «arte»-Bericht wurde auf das Rechenzentrum von Blackrock hingewiesen, welches derart potent ist, dass es sämtliche wirtschafts- und börsenrelevanten Informationen zu Unternehmen und Personen mehr oder weniger in Echtzeit zusammenzutragen und zu analysieren vermag. Darin besteht laut «arte» ein Skalenvorteil, welcher es dem Vermögensverwalter erlaubt hat, sich in der Branche an die Spitze zu setzen. Offenbar dient Blackrock mit diesem Informationszentrum unterdessen auch für alle größeren Pensionskassen als Ansprechpartner beziehungsweise wird mindestens in Teilen mit der Vermögensverwaltung beauftragt, und hier kommen wir auf einen weiteren Punkt. Im «arte»-Beitrag verwies ein Journalist der «Financial Times», wenn ich das richtig in Erinnerung habe, in sanftem Ton mehrfach darauf, dass Blackrock unterdessen in erster Linie zu einer, ich bitte für den Scherz um Entschuldigung: zu einer Black Box für das internationale Rentenwesen geworden sei. Auch hier muss man einerseits froh sein, dass man die Renten-Vermögensverwalter nicht nur theoretisch und aus analytischen Gründen zu einer einzigen Einheit zusammenfasst, sondern dass es in der Praxis der Anlageverwaltung ganz automatisch zur Konzentration auf einen einzigen Akteur kommt, denn in der Tat besteht die Renten-Frage zwar schon aus ein paar hundert Millionen Einzelfällen, aber vom System her geht es eben nur genau um ein Prinzip: Was geschieht in der Praxis mit jenen Kapitalien, die im Rahmen von Kapitaldeckungs­verfahren zusammengespart wurden? Ich habe keinen rechten Überblick über die betriebliche Rentenvorsorge in Deutschland und gehe als Arbeitshypothese davon aus, dass nicht systematisch und direkt auf die Kapitalbildung gesetzt wird, sondern dass mindestens ein Teil über Versicherungen abgedeckt wird; allerdings sind die Versicherungen im Grunde genommen auch nichts weiter als Kapitalsammelbecken, welche letztlich dem gleichen Zweck dienen wie die Pensionskassen, bloß bleiben die Kapitalien in den Händen der Versicherungsindustrie beziehungsweise der mit den Versicherungen verbundenen Banken, was für diese selbstverständlich ein ordentliches Geschäft darstellt. Die Konflikte zwischen Versicherungen, Pensionskassen und Vermögensverwaltern wie Blackrock kann man sich selber auf einem DIN-A4-Blatt ausmalen. Der staatliche Rentenfonds in Norwegen wird aus den Erdöleinnahmen gespeist und beläuft sich unterdessen auch schon auf eine Billion Euro, wobei dieser Fonds nicht nur für Renten zuständig ist, wenn ich richtig informiert bin. In der Schweiz sind Pensionskassen und Versicherungen in diesem Geschäft unterdessen auch bei einer Billion angelangt; die größte einzelne Pensionskasse hat ihren Sitz in Kalifornien, die Pensionskasse des kalifornischen Staatspersonals, und verfügt über etwas weniger als eine halbe Billion Euro. Und die arbeiten alle mindestens teilweise auch mit Blackrock zusammen, das heißt tatsächlich, Blackrock ist zu einem zentralen Akteur in der Altersversorgung in der industrialisierten Welt geworden. Umgekehrt ist die Altersversorgung zu einem zentralen Akteur im Kapitalismus geworden, und zwar im normalen Kapitalismus, also nicht im ungebändigten, wo einzelne Unternehmen oder Sektoren mit allen rechtlichen Mitteln Sonderprofite zu erzielen versuchen, sondern eben in einer sozialdemokratischen Ausformung des Kapitalismus; man könnte geradezu sagen, dass die Altersvorsorge zum eigentlichen Kerngebiet des sozialdemokratischen Kapitalismus geworden ist. Und Blackrock ist der Ausdruck davon.

Macht? Selbstverständlich, und zwar in einer weitgehend unmerklichen, diskreten Ausformung. Gebrauch dieser Macht? Ebenso selbstverständlich, im Interesse des Geschäfts und des Gesamtsystems. Machtmissbrauch? Davon habe ich bisher nichts gehört, auch in der Sendung nicht, vor allem nicht in Bezug auf die ETF. Die einzige interne Kritik betraf die Schmälerung der berechenbaren Pensionskapitalien durch unnötiges Hin- und Herschieben von Geldern von einem gleichwertigen Fonds zum anderen, wodurch Kosten entstehen, welche die Erträge und damit später auch die Rente reduzieren. Das ist allerdings nicht besonders einfach nachzuweisen, der Nachteil liegt an einem vergleichsweise kleinen Ort, und solche Transaktionen, welche nur der Erzeugung von Gebühreneinnahmen für die Verwalter dienen, dürften bei praktisch allen Fondsverwaltern tägliche Praxis sein – die müssen ja auch von etwas leben.

Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
24.09.2019

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