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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Stefan Gärtner

Bevor ich mich dem Hauptthema der heutigen Sendung zuwende, möchte ich die österreichische Kabarettistin Lisa Eckart zitieren, die zum Abschluss eines Exkurses über Facebook und Instagram gesagt hat: «Dem Juden die Kinder in die Arme zu treiben, ist verantwortungslos.»



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Die Stelle findet sich in der August-Ausgabe der Satire-Zeitschrift Titanic, aber sie stammt nicht von Lisa Eckart, ich entschuldige mich für den rhetorischen Trick. Lisa Eckart unterliegt selbst­verständlich einem strik­ten Publikationsverbot, nicht nur in der Titanic, sondern in weiten Teilen der Bundesrepublik Deutsch­land, nachdem die herausragenden Intellektuellen und Sprachkritiker zu Beginn dieses Jah­res endlich herausgefunden hatten, dass ein WDR-Beitrag von Frau Eckart vor zwei Jahren eben antisemitisch gewesen sei. Laut Wikipedia wurde jüngst ihre Teilnahme an einem Hamburger Lite­ra­tur­festival abgesagt, weil zum Vornherein klar gewesen sei, dass die Veranstaltung gesprengt worden wäre, ich nehme mal vorsichtshalber an, von Antifaschistinnen und Linksextremistinnen, welche auf Antisemitismus-Vorwürfe reagieren wie, naja und Entschuldigung, Pawlowsche Hunde. Ich möchte diesen Kolleginnen empfehlen: Geht lieber Rechtsextremisten und Reichsbürger kloppen als euch in die Diskussion darüber einzumischen, was Kabarett und Satire ist und darf. Lisa Eckarts, auf Wikipedia dokumentierter Judenwitz aus dem Jahr 2018 richtet sich in erster Linie gegen jene Leute, die Judenwitze machen, nicht gegen die Juden, auch wenn das einige jüdische Organisationen nicht auf Anhieb realisiert haben. Merkt euch das.

Ich habe nicht nur die Autorin ausgetauscht, sondern das Originalzitat aus der Titanic eingedampft, wörtlich lautet es nämlich: «Dem Juden, dem Instagram natürlich ebenso gehört, die Kinderlein aber auch noch in die Arme zu treiben: man möcht' es glatt verantwortungslos finden.» Hier geht es also nicht um Harvey Weinstein oder Woody Allen, sondern um Mark Zuckerberg, den Besitzer von Facebook und damit eben auch Instagram. Und noch einen Unterschied gibt es: Während Frau Eckarts Beitrag unter die Kategorie Satire fällt, ist Stefan Gärtners Beitrag in der Satirezeitschrift Titanic keine Satire. Gärtner bemüht sich seit Jahren um das Erbe von Konkret-Gründer Hermann L. Gremlitza, einschließlich breit gestreuter Adorno-, Benjamin- und Tucholsky-Zitate, welche Geist und Tradition der Neuen Frankfurter Schule beschwören, und er wuschelt und nuschelt in Gremlitzas nicht-eigentlichem Stil herum, dass es eine Art hat. Ein Muster gefällig? «Wo noch die Veganerin den Schlachthof verantwortet und kapitalistische Logik sich so wechselnd wie bedarfs­ge­recht als Glück, Sachzwang oder Machenschaft übersetzt, wird Kritik zu Attitüde und Ange­be­rei», schreibt Kamerad Gärtner in seiner August-Kolumne, die unter dem Titel «Aufklärung als Massenbetrug oder Kritik als Rezension: eine Fleischbeschau» daher fließt. Wirklich, hier hört man Gremlitza grummeln, aber eines steht fest: Eigentlichkeit hin oder her, einen Satz wie den eingangs zitierten von Gärtner hätte sich Gremlitza zeit seines Lebens nie geleistet. Es ist verantwortungslos, dem Juden Kindlein in die Arme zu treiben? Ach ja, ich erinnere mich: Der frisst sie ja!

Ich werde hier nicht den Versuch unternehmen, Stefan Gärtner als Antisemiten zu entlarven oder demaskieren, wie das in Corona-Zeiten wohl heißen sollte. Das Problem ist in seinem Falle jenes, dass er sich schlicht für über jeglichen Sprachverdacht aus allen Ecken erhaben hält. Wie Gremlitza schwadroniert er gleichzeitig ernst und ironisch, auf Meta-, Pata- und Sub-Ebenen, von welchen er seiner Leserschaft immer zuzwinkert, welche er in seinem Verbund weiß, die also immer weiß, dass er gerade eigentlich-uneigentlich in den höchsten Ebenen und mit den schärfsten Schneiden des Verstandes und mit den spitzesten Spitzen der Vernunft seinen Gegenstand analysiert und seziert und kritisiert und so weiter und so fort. De facto ist das alles längstens reiner Blödsinn, dem dann eben auch egal ist, wenn die antijüdischen Klischees über die Tastatur in den Text fließen; Gärtner ist sich dessen nicht bewusst, weil er weiß, dass alles, was er sagt, gar nicht antijüdisch sein kann, da er selber die Verkörperung beziehungsweise die Vergeistigung des Anti-Antisemiten ist.

Genug davon! Lustig ist das ja bloß insofern, als dem einen der nackerte Antisemitismus als Satire in der Tradition von Adorno erlaubt ist, während die andere, Lisa Eckart, mit einem, übrigens durchaus nicht 24-karätigen Witz über Antisemiten unter Bezug auf die gleiche Tradition vom lese- und denk-unfähigen linken Femegericht verdammt wird.
Mit einer gewissen Konsternation betrachten wir die passive Bombardierung von Beirut durch die eigene Elite, also durch Unfähigkeit, Untätigkeit, juristische Schlampereien, wie wir sie sonst nur von der einen Hälfte der italienischen Gesellschaft kennen. Soeben wurde die neue Autobahnbrücke in Genua eröffnet, nachdem die alte wegen Schlamperei und Geldscheffelei der Betreiber­gesell­schaft zusammengebrochen war. Die Autostrade per l'Italia gehört zum Benetton-Konzern, also zu einem respektablen, nicht als mafiös bekannten Teil der italienischen Elite. In Beirut wird sich nicht mal dies, also die konkrete Verantwortung wirklich ermitteln lassen. Schnell tauchte das Gerücht auf, dass die Hisb'allah den Hafen unter ihrer Kontrolle gehabt hätte und damit letztlich die Schuld an der langen kriminellen Lagerung der explosiven Ware trage. Mit seinem ultraschnellen Dementi hat ihr Chef Nasrallah diese Version eher bestätigt als entkräftigt. Aber dass die Hisb'allah oder überhaupt irgendwer in Beirut zur Rechenschaft gezogen wird, damit ist nicht zu rechnen, und das treibt die Bevölkerung im Moment auch derart auf die Zeder. Das Machtgleichgewicht im Libanon ist durchaus nicht fragil, aber komplex, und weil alle Beteiligten ein Interesse daran haben, dieses Gleichgewicht zu erhalten, ist es einerseits wie gesagt stabil, anderseits wird sich daran kein Jota ändern. Es sei denn, dass die Bevölkerung den ganzen Klüngel aus Wirtschaft und Politik hinweg fegt; aber das ist in der Geschichte ein seltenes Ding, eine Bevölkerung, welche ganz ohne beste­hende Organisationsstrukturen reinen Tisch macht in einem Land, und zwar auf längere Zeit hinaus. Von solchen Sachen träumt das reine anarchistische Herz, und beim Träumen bleibt es in der Regel.

Der Libanon ist anerkannterweise eine Drehscheibe für alle geschäftlichen und diplomatischen Beziehungen im Nahen Osten, die eben sowohl die Saudiarabier, die Vereinigten Arabischen Emirate, vor allem der Iran, aber auch Russland mit Syrien und die Vereinigten Staaten und vor allem Israel sehr intensiv nutzen. Die Bevölkerung spielt dabei eine unbedeutende Nebenrolle. Sie hat sich generell auch daran gewöhnt und geschäftet selber unter diesen Rahmenbedingungen nach bestem Vermögen. Daran wird sich nichts ändern.

Unwillkürlich denkt man an Hongkong, nicht wegen der Geldsaugerei und Korruption, für welche die Stadt deutlich weniger bekannt ist, als vielmehr wegen der Machtlosigkeit der Bevölkerung. Der chinesische Zentralstaat hält Dinge wie die Pressefreiheit für überflüssig, und meiner Treu, die meisten Presseleute geben ihm ja Recht. Der Großteil der Journalistinnen im freien Westen ist damit beschäftigt, PR-Texte zu verfassen oder aber Artikel, welche ein Maximum an Klicks erzeugen, das heißt, welche mit dem klassischen Journalismus, für welchen man die Pressefreiheit braucht, nicht die Bohne zu tun haben. Die Wahrheit und ihre Darstellung ist in der freien Welt ein derart abgekartetes Spiel, dass man die Menschen aus der Pegida versteht, wenn sie «Lügenpresse» brüllen. Recht haben sie deswegen nicht, mindestens nicht so, wie sie meinen; es gibt neben den Unmengen an Pseudo- und Tendenz-Druckerzeugnissen doch noch einen Kernbereich an Infor­mation, der von den meisten Medien angeboten wird, und den Rest kann man sich aus einigen anderen zuverlässigen Quellen zusammen suchen.

Was Hongkong aber angeht, so wird man sich einfach damit abfinden müssen, dass die Engländer die Stadt vor 23 Jahren an China verkauft haben, auch wenn es schmerzt, wenn man der Oppo­si­tion und der freien Presse bei ihrem Untergang zusehen muss. Aber sowas schmerzt ja auch in Weiß­russ­land oder bei den Scharaden in der Ukraine, von anderen Weltregionen ganz abgesehen, und somit muss man solche Abläufe unter dem Rubrum «Die Welt, wie sie ist» ablegen. Im Gegensatz zu Hongkong kann man China aber Vorwürfe machen in Bezug auf das Tibet oder neuerdings auf die Uiguren, wo einem einfach die Spucke wegbleibt, selbst wenn man von den erhobenen Vor­wür­fen noch 50 Prozent als Pro­pa­ganda abzieht, und undiskutabel sind die territorialen Ansprüche im chine­sischen Meer, die einfach gegen das Völkerrecht und bestehende Verträge verstoßen. Und auch hier ist es nichts Neues, dass sich eine Großmacht Recht verschaffen kann unter Verstoß gegen alle inter­na­tio­nalen Abmachungen; das lernen wir nicht von den Chinesen, das machen uns zum Beispiel die Vereinigten Staaten seit Jahr und Tag vor. Aber mit denen sitzen wir selbstverständlich im gleichen Boot, deshalb fällt uns das schon gar nicht mehr auf.
In Deutschland geht nicht ein Ruck, sondern ein Wums durch das Land, sehr schön, und als Kan­didat dieses Wums tritt uns der Finanzminister vors Auge. Habemus Olaf, sagt eine Lateinerin, welche Olaf für unbeugbar hält, grammatikalisch mindestens. Gleichzeitig gibt es in der Partei­leitung offenbar ein Raunen um mögliche Linkskoalitionen, vielleicht sogar mit der Linkspartei. Dieses Raunen soll wohl die stramm bürgerlich-sozialdemokratische Ausrichtung von Scholz ausgleichen, denn das wird schon die Frage sein im nächsten Jahr: Ist Scholz nun die echte Nachfolgerin von Angela Merkel? Der Kandidat Friedrich Merz auf jeden Fall ist es nicht, aber vielleicht geht der bis dahin noch unter. Vielleicht muss sich dann der unbeugbare Scholz dem wendigen Söder stellen, dessen Partei auf jeden Fall und in Bayern stark sozial ist und sein muss. Das wird schwierig, da Scholz in dem Fall fast nur auf den antibayrischen Reflex im gesamten Rest Deutschlands setzen kann; wie stark der unterdessen ist, kann ich überhaupt nicht einschätzen, ich weiß nur, dass der Weltgeist sich unterdessen einen Spaß macht daraus, die Wege der Politik anhand von längst untergegangenen Mustern zu lenken. Dabei kommt mir aber zum Schluss einfach die Frage in den Sinn, ob vielleicht Scholz was Schulz ist. Allerdings bleibt dieser Kalauer unter uns.

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Albert Jörimann
11.08.2020

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