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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Frauenfragen

Kaum hatte ich am vergangenen Dienstag meinem Missmut über Joe Bidens Steuer- und Briefkasten-Oase Delaware Ausdruck gegeben, zum wiederholten Mal, versteht sich, da verabschiedete das US-Parlament ein Gesetz, das einige der Steuerhinterziehungs-Praktiken in diesem Bundesstaat mindestens einschränkt; offenbar besteht von nun an die Pflicht, die Identität von Besitzern von Briefkastenfirmen offenzulegen.

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Was das genau heißt, weiß ich selbstverständlich nicht, aber offenbar gibt es doch Bewegung in dieser Angelegenheit, was auch meine Polemik über das US-Parlament relativiert: Es ist nicht alles Mist, was dort gebaut wird, es kommt offenbar auch zu Akten der Gesetzgebung, welche nicht ausschließlich der Bereicherung der Reichsten und der Zementierung von Privilegien beziehungsweise der Schöpfung von neuen dienen. Ich nehme das zur Kenntnis, ohne allerdings mein Stirnrunzeln einzustellen, denn habt ihr gesehen, wie und wo diese Briefkasten-Gesetzesnovelle eingeführt wurde? Im Verteidigungshaushalt. Offenbar gibt es in den Vereinigten Staaten im Jahr einmal die Möglichkeit, ein neues Bundesgesetz zu erlassen, nämlich zu Ende des Geschäfts­jahres, und diese Gesetzgebung muss dann als ein Anhängsel an den Verteidigungs­haushalt eingeflochten werden. Das Social-Media-Hologramm im Weißen Haus hat ja gerade deswegen den ersten Entwurf mit einem Veto blockiert, konkret weil es kein Gesetzes-Anhängsel zu den Tech-Giganten enthielt, und er wurde dann bekanntlich in beiden Kammern überstimmt. Das ist mir mal eine seltsame Art, Politik zu machen und Gesetze zu erlassen. Stellt euch das mal für Deutschland vor, wenn alle Novellierungen nur als Anhang zum Verteidigungs-Etat durchgewunken würden! Kann man natürlich machen, aber so ein Verfahren entbehrt jeglicher Systematik und Logik.

Daneben werde ich auch dahingehend belehrt, dass die Besetzerinnen des Parlaments durchaus nicht alle die Absicht hatten ein friedliches Happening zu veranstalten, wie ich es den Bildern entnommen habe; einige hätten gerne ein paar Parlamentarierinnen gelyncht, allen voran den nur dem Namen nach Republikaner und Vizepräsidenten Mike Pence.

Noch weiter daneben beziehungsweise dahinter geschieht wieder mal alles hinter meinem Rücken: Ohne dass ich zuvor gewarnt wurde, hat Spanien seit dem Wochenende eine Art von Google- und Tobin-Steuer eingeführt. Die Finanztransaktions­steuer bezieht sich zwar vorerst nur auf Börsen­ge­schäfte mit Papieren der größten spanischen Firmen, und wie die Google-Steuer im Detail aussieht, weiß ich nicht einmal; jedenfalls sollen die beiden neuen Steuern dem Staat im Jahr 2021 eine Milliarde Euro an Mehreinnahmen einbringen, was nicht besonders viel ist, aber wenn sich andere EU-Länder entschließen, hier nachzuziehen und eine gemeinsame Strategie zu fahren, kann das schnell deutlich mehr werden. Adelante, Muchachos! – Die US-Amerikaner haben dement­spre­chend auch schon ernste Drohungen ausgestoßen, weil die Internet-Giganten ihnen gehören; das wird sicher spannend.

Auf den neuen CDU-Parteichef Laschet kommen laut einhelliger Meinung der Kommentatorinnen die gleichen Aufgaben zu wie auf den neuen US-amerikanischen Präsidenten Biden: Er muss nicht das ganze Land, aber immerhin die ganze Partei einen und heilen. Das leuchtet mir nun überhaupt nicht ein. Armin Laschet ist jene Figur, welche den Abgang von Frau Merkel überbrücken muss. Da wird sich nach den Wahlen in jedem Fall ziemlich viel ändern, nicht an der Politik, welche sich in ihrer sozialdemokratischen Form mehr oder weniger selber schreibt, aber im Vorgehen beziehungs­weise im Verkauf. Laschet muss sicherstellen, dass der Frauenanteil in den Beschlussgremien der Partei bei den landes­üblichen 30 Prozent stabilisiert wird, das ist mal die Hauptaufgabe. Was an­schlie­ßend geschieht, ist nicht so wichtig, bis auf jenes Detail, dass sich die Allianz für Deutschland neue Slogans kaufen muss. «Laschet an den Galgen» zieht im Moment noch nicht so richtig. Der Heilungsprozess in den Vereinigten Staaten dagegen besteht in erster Linie darin, dass die Straf­ver­folgungsbehörden nun über eine recht umfassende Mitgliederliste der rechtsextremen Schläger­banden verfügen – das Trump-Präsidenten-Hologramm hat doch seine Vorzüge. Übrigens ver­mutlich auch im Nahen Osten. Tatsächlich ist es unmöglich, dass eine solche Show-Figur bar jeglicher Kenntnisse und Kriterien vollständig alles falsch macht, und die Annäherung zwischen Israel und den sunnitischen arabischen Staaten war eine der positiven Leistungen dieser Regierung, ganz unabhängig vom demokratischen oder menschenrechtlichen Reinheft von Saudiarabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten und so weiter.

Die Einschränkung der Grundrechte hält weiter an, und man fragt sich, was man davon merkt. Wählen darf man offenbar weiterhin, es ist auch weiterhin erlaubt, den Kopf in den Sand zu stecken, was wohl das wichtigste Grundrecht ist überhaupt; das Recht auf eine eigene Meinung haben ebenfalls zahlreiche Menschen nicht nur entdeckt, sondern sie nutzen es auch tüchtig, unabhängig davon, ob der Meinung Fakten unterlegt sind oder nicht. Aber das ist im Grunde genommen nicht neu, neu ist nur die Lautstärke.

In Skandinavien gedeiht unterdessen eine schon ältere Kommunikationsform zu einer neuen Blüte: die Meinungsumfragen. Nachdem der finnische Arbeitgeberverband eine solche publiziert hatte, in welcher sich die Arbeitnehmer massiv für eine Aufhebung der Tarifverträge und den Abschluss individueller Arbeitsverträge ausgesprochen hatte, veröffentlichte er wenig später eine weitere Erhebung, wonach diesmal die Industrie absolut nicht einverstanden sei mit dem Kurs der Regierung von Sanna Marin. Schweden griff den Ball auf und veröffentlichte am letzten Dienstag eine Umfrage, die zugunsten eines sofortigen Nato-Beitritts lautete. Ob ich die Meldung, dass die Frau eines ehemaligen rechtsnationalistischen Verteidigungsministers in Norwegen eine Hass- und Hetzkampagne gegen sich und ihren Mann grad selber durchgeführt hat, um die Gewaltbereitschaft der politischen Linken zu beweisen, ebenfalls unter Meinungsumfragen laufen lassen soll, weiß ich jetzt nicht genau. Dafür habe ich mich entschieden, die Dinge insgesamt in einem positiven Licht zu sehen und die Erde zwischen zwei Polen rotieren zu lassen, nämlich zwischen dem erwähnten Finnland einerseits und Neuseeland anderseits. Man kann sagen, was man will, aber Sanna Marin und Jacinda Ardern sind zwei Politikerinnen, die für ziemlich viele der positiven Dinge stehen, die man an der menschlichen Gesellschaft so gerne schätzen würde. An ihnen scheint sich mindestens vorübergehend zu bewahrheiten, dass die Welt und in ihr die Politik besser wäre, wenn die Frauen endlich an der Macht wären. Ich nehme an, dass auch Marin und Ardern regelmäßig Entscheide fällen, die mir nicht in den Kram passen täten, wenn ich nur davon wüsste, aber grundsätzlich bin ich ganz begeistert von dieser neuen Polarität.

Daneben kriege ich vor lauter Bewegung in vielen grundlegenden Bereichen gar nicht mehr alles mit. Zum Beispiel finde ich es schwindelerregend, wie laut sich die Automobilindustrie von sich selber distanziert. Jeep bewirbt seine Fahrzeuge nur noch mit Schmetterlingen und so, die deutschen Automobilkonzerne tun dergleichen, als wäre ihnen die Elektromobilität in die Wiege gesungen worden. Der französische Erdölkonzern Total zieht sich aus dem American Petroleum Institute zurück; Begründung: Die Unterstützung des API für die Lockerung von US-Vorschriften zur Methan-Emission, unterschiedliche Ansichten zur Bepreisung von CO2-Emissionen und mangelnde Unterstützung für die Subventionierung von E-Fahrzeugen. Und so weiter und so fort; ich kann mich da noch lange lustig machen über die unverhüllte Heuchelei der alten Betrüger, Tatsache ist, dass sich die Welt verändert und wir in ihr. Die Europäische Union hat dieses Jahr zum Jahr der Eisenbahn erklärt, wenn ich mich nicht irre; am Schluss macht uns der Andreas Scheurer noch den Lokführerschein und fährt eigenhändig von Berlin nach Warschau.

Was haben wir noch: Den Nawalny natürlich, dessen Courage man ebenso bewundern muss wie die Blödheit von Gospodin Putin. Du kannst den nicht wegen Verstoßes gegen Bewährungsauflagen in den Knast stecken, nachdem du selber gesagt hast, du hättest ihm die Ausreise nach Deutschland erlaubt, Kollege. Anderseits ist das dem Putin wohl ziemlich schnurze; dritterseits ist aber doch auch Putin beziehungsweise die russische Regierung darauf angewiesen, mindestens hin und wieder, sagen wir mal: zu über 50 Prozent etwas Wahres zu sagen. Russia Today Deutschland, die Stimme Putins in Deutschland, stellt die Rückkehr des vom KGB mit Nowitschok vergifteten Nawalny als Showeinlage für die Westpresse dar, das versteht sich; umgekehrt gucke ich ja RT Deutschland auch nur dann an, wenn ich wieder mal ein Vorurteil nicht gegen die Russinnen, sondern gegen die offizielle Presselinie bestätigt haben will. Übrigens kommt mir gerade in den Sinn, dass ich letzte Woche gelesen habe, dass in Moskau nun tatsächlich auch Frauen in den Führerstand einer U-Bahn arbeiten gehen können, und zwar als Lokomotivführerinnen, das wäre ein weiteres Argument für Andi Scheurer. He, das muss man sich mal vorstellen: In der Sowjetunion wurde das Frauenstimmrecht so zirka 1917 angenommen, die Gleichstellung war offizielle Parteilinie, Frauen haben so ziemlich alle Arbeiten erledigt, die Männer auch so hin und wieder tun, bloß Verantwortung auf allen Ebenen, das hat weder der Sowjetkommunismus noch die russische Putin-Partei oder offenbar überhaupt die russische Gesellschaft für die Frau bisher noch nicht in Erwägung gezogen. Dieses früher mal angeblich revolutionäre Land hat seine Frauen einfach von den leitenden Positionen auf allen Stufen fern gehalten. Was für ein Prachtsvorbild!

Naja, in Deutschland wird es ja nun auch eine Weile dauern, bis man die Ära Merkel verdaut hat, also die 16-jährige Amtszeit der ersten Bundeskanzlerin, noch mehr: der ersten sozialdemo­kra­tischen Bundeskanzlerin im Rock der CDU-Parteivorsitzenden. Das war ohne jeden Zweifel ein Erfolg; jetzt muss sich weisen, wie das deutsche Establishment in Zukunft mit der Frauenfrage umgeht. Das Beispiel Annegret Kramp-Karrenbauer macht da nicht gerade Mut.


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Albert Jörimann
19.01.2021

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