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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Balkan und Arabien

Die Post von Nordmazedonien hat laut einer Meldung des Presseportals Euractiv dem Thema «Nordmazedonien in der EU» eine Briefmarken-Serie gewidmet. Auf einer davon wurde die EU-Präsidentschaft von Kroatien gewürdigt, und zwar unter anderem mit einer Kroatien-Landkarte, welche das Gebiet des Unabhängigen Staates Kroatien zeigt, ...



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...also den faschistischen Staat, den die Deutschen nach dem Balkanfeldzug unter der Leitung der Ustascha beziehungsweise von Doktor Ante Pavelic einsetzten und der neben dem heutigen Kroatien auch Bosnien und Herzegowina sowie ein Stück des heutigen Serbiens umfasste. Er dauerte von 1942 bis 1945. Dagegen reichte das serbische Außenministerium umgehend einen Protest beim Botschafter ein, die Post erklärte sich bereit, die Marken einzustampfen. So ist alles wieder beim Alten beziehungsweise die Geschichte des Balkans um eine Anekdote reicher, nachdem in letzter Zeit vor allem der serbische Präsident Alexander Vukic von sich reden gemacht hat mit seinen rasenden Positionswechseln vom extremen Nationalisten, welcher über den Genozid an der serbischen Rasse faselt, zum engen Freund Chinas und zum stabilen Verbündeten Russlands, der dann von der EU höhere Geldbeiträge einfordert, nachdem er bei Ronald Trump ebenfalls um Finanzhilfen nachgesucht hatte. Bosnien und Herze­gowina bleibt eine Kunstfigur, belebt von Fördermitteln der internationalen Gemeinschaft, der EU und der Saudiarabier; während Slowenien einen einigermaßen normalen Kurs steuert, hat in Kroa­tien selber schon vor der EU-Präsidentschaft plötzlich die Vernunft Einzug gehalten, es gibt kaum mehr nationalistischen Geifer, dafür aber eine konsequente Distanzierung von der faschistischen Vergangenheit und ein Verantwortungsgefühl, für das die Region bisher nicht bekannt war. Das letzte Beispiel ist der Rücktritt des Verteidigungsministers, nachdem die Luftwaffe Anfang Mai den zweiten Flugunfall verzeichnete. Bulgarien wiederum schäkert nach wie vor mit der Türkei. Umge­kehrt macht sich das Land Sorgen über die erwarteten neuen EU-Richtlinien zum Straßentransport, welche das Gewerbe in den einzelnen Mitgliedstaaten schützen sollen mit schärferen Vorschriften zur Ruhezeit und mit Verpflichtungen zur Rückkehr in den Heimathafen in regelmäßigen Abstän­den. Ein hoher Anteil der Lastwagen und der Lastwagenfahrer, die für den Gütertransport innerhalb der EU besorgt sind, stammt aus Bulgarien und arbeitet zu Löhnen, die in Bulgarien marktüblich sind, nicht aber zum Beispiel in Frankreich, Deutschland oder sogar in Italien. Aus diesem Grund unterstützen die entsprechenden Transport-Lobbies auch die Verschärfung der Vorschriften, während die Bulgaren ihrerseits darauf verweisen, dass sie eine im Durchschnitt gut 5 Jahre jüngere und damit modernere und umweltfreundlichere Lastwagenflotte betreiben als die Lobbyisten in Kerneuropa.

Jedenfalls tut man gut daran, sich an regelmäßige Klimawechsel in der balkanischen Politik zu gewöhnen, so wie das ja auch andernorts der Fall ist, wenn nicht gerade die Corona-Pandemie die Aktivitäten der verschiedenen Lobbyisten in Schranken weist. Jetzt allerdings, wo die Restriktionen wieder gelockert werden, kriechen auch die Lobbyisten aus den Löchern, am schönsten sieht man das bei der Automobilindustrie in Deutschland. Wobei ich gleich einräume: Gelacht über die neuerliche Forderung nach einer Abwrackprämie hat man schnell einmal, und im Lachen ist auch ein Teil Fassungslosigkeit über den vollständigen Mangel an Fantasie dieses Lobbyverbandes enthalten, denen kommt wirklich nichts in den Sinn, was entfernt Sinn machen täte, mit einer Abwrackprämie wird man die Automobilverkäufe in diesem Jahr ja nicht im Traum noch retten können. Aber eben, gelacht hat man noch schnell einmal; aber eine richtige Antwort darauf, was denn nun das Richtige wäre oder was überhaupt zu tun wäre, wenn der tragende Pfeiler der Volkswirtschaft ins Wanken gerät, die hat man dann nicht so schnell bei der Hand.

Im US-Bundesstaat Michigan sind die Automobilfabriken heute wieder in Produktion gegangen, nachdem diese mehrere Wochen geschlossen bleiben mussten. Schutzmaßnahmen sollen's richten; der demokratische Gouverneur Whitmer wurde schließlich wegen der Schließungsanordnung von den Republikanern hart angegangen, obwohl in diesem Bundesstaat fast 5000 Menschen an Corona gestorben sind. Jetzt geht es also wieder ans Geldverdienen, und darum geht es eben auch in Deutschland, und zwar eben nicht nur für die Konzerne, sondern vor allem für die Arbeitnehmer. Man kann davon ausgehen, dass die Konsumentinnen vorderhand keine besondere Lust nach einem mit Abwrackprämien verbilligten neuen Auto der gleichen Sondermüllkategorie wie das bisherige verspüren, sodass die Produktion eher auf Halde läuft als auf Verkauf; da bleibt vorderhand wohl die Kurzarbeit das Mittel der Wahl, will heißen, der Staat schöpft Kaufkraft aus seinem Staats­haushalt für die Beschäftigten in der Automobilindustrie. Allerdings könnte er dies unter den gegebenen Umständen ja auch tun, ohne dass die Beschäftigten Automobile produzieren, welche dann sowieso niemand kauft. Aber da würden ja Staat und Gesellschaft vollends eingestehen, dass so etwas überhaupt in einem breiten Maßstab möglich ist, nämlich nicht nur ein Grundeinkommen, sondern vollwertige Löhne fürs Nichtstun.

Man könnte sich allerdings auch etwas anderes einfallen lassen. Mercedes stellt die Produktion um auf Mikromotoren für Beatmungsgeräte, zum Beispiel. Endlich mal eine Alternative zu den ewigen Abgasen! Aber soviel Fantasie darf eben nicht sein, die Fantasie muss Abwrackprämie heißen und die Vision: zurück zur Vollbeschäftigung dank der Produktion alter Verbrennungsmotoren. Das ist zwar enttäuschend, aber mehr hatten wir auch nicht erwartet.

Im gleichen Sektor warten wir mit einer gewissen Spannung auf den Entscheid der europäischen Wettbewerbsbehörde über die Fusion zwischen Fiat Chrysler und Peugeot, die in einem Monat fallen soll. Der wirtschaftliche Hintergrund ist für beide Parteien nicht besonders günstig, was allerdings erst recht für die Fusion sprechen sollte. 50 Milliarden kostet das ganze Geschäft, und entstehen sollte der weltweit viertgrößte Automobilhersteller.

Gleichzeitig hört man ein paar Krisenmeldungen von der arabischen Halbinsel. Laut Reuters hat Qatar unterdessen die Spitzenposition eingenommen bei der Ansteckung mit dem Coronavirus im Verhältnis zur Bevölkerungszahl mit 795 Fällen auf 100'000 Personen. Gleichzeitig gibt Saudiarabien erstmals Anzeichen einer Beeinträchtigung durch den Erdöl-Preiszerfall bei gleichzeitiger Bekämpfung der Pandemie-Risiken. Der Mehrwertsteuersatz soll per 1. Juli von 5% auf 15% angehoben werden, abgesehen von der Kürzung von Lebenshaltungs-Zulagen. Im ersten Quartal betrug das Budgetdefizit des Landes 9 Milliarden Dollar, wobei der Staatshaushalt doch immerhin so etwas wie 300 Milliarden Dollar beträgt bei Einnahmen von etwas über 200 Milliarden – so richtig bedrohlich sieht das noch nicht aus. Aber wenn der Erdöl-Preiskrieg weiter geht, dann werden die Kosten auch weiter steigen. In Sachen Corona und in absoluten Ansteckungszahlen hat Russland bekanntlich unterdessen Italien und Spanien überholt und liegt jetzt nur noch hinter Spanien und den Vereinigten Staaten zurück, nachdem sich Präsident Putin zu Beginn so gegeben hat, als würde er mit den alleinigen Muskeln seines Oberkörpers diesem Virus, nein, eben nicht die Stirn, sondern die Bauchmuskeln bieten. Demonstrativ setzte er sein Nothilfecorps in Bewegung nach Italien, um dort einen kleinen Propaganda-Coup zu landen. Jetzt ist er selber gelandet auf dem Boden der Realität, wie man so schön sagt, und da ist von Bauchmuskeln nicht mehr viel zu sehen; kleinmütig drückt er sich jetzt um jede Verantwortung und delegiert die Kompetenzen zur Virusbekämpfung seinen Provinz-Statthaltern. Putin verhält sich exakt gleich wie die anderen notorischen Trottel, von Boris Johnson über den Brasilianer Bolsonaro bis zur menschlichen Leerstelle im Weißen Haus, die alle zu Beginn die Gefährlichkeit leugneten und dann in den ihnen jeweils zugewachsenen Arten schwiegen, im Fall von Trump heißt dies durch anhaltendes Geröhre von weiterem Stumpfsinn, wie es typisch ist für eine vollkommen persönlichkeitsenthöhlte Charakter­hülse. Jetzt steigt die Spannung, was Weißrussland betrifft. Dort hat der andere Träger von Bauchmuskulatur, Alexander Lukaschenko, grad überhaupt nichts unternommen. Fußballfans können sich wenigstens an der Übertragung von Spielen aus der weißrussischen Liga erfreuen. Am 4. Mai meldete der Vatikan den Tod des ersten Priesters der orthodoxen Kirche. Offenbar haben sich zahlreiche Kleriker angesteckt, weil man die Liturgie weiterhin unter voller Volksbeteiligung abhält. Wir erinnern bei dieser Gelegenheit daran, dass sowohl in Mulhouse als auch in Südkorea Großgottesdienste die erstklassigen Verbreitungsbiotope für das Corona-Virus waren, während es in Gangelt in Nordrhein-Westfalen der Karneval war und in Bergamo das Fußballspiel Atalanta gegen Valencia. Naja.
Daneben steht der gemeldete Wiederanstieg der Reproduktionsrate im Fokus des Pandemie-Interesses. Wie überall, nimmt man auch in der Schweiz die Lockerung der Sicherheitsmaßnahmen mit Erleichterung zur Kenntnis, während man gleichzeitig realisiert, dass die Rückkehr zur Normalität noch auf sich warten lässt, nicht nur für die Automobilbauer. Nach dem Stillstand muss man jetzt den Umgang mit der Ansteckung im Alltag trainieren und sich darauf einstellen, dass das noch lange dauern wird. Eines kann man aber jetzt schon sagen: Die Phase eins mit den Einschränkungen beziehungsweise dem Notrecht war in den zivilisierten Ländern der Welt ein voller Erfolg, wie der Rückgang der Ansteckungsraten belegt. Jetzt geht es darum, die Weiterverbreitung zu managen, möglichst so, dass die Opferzahl klein bleibt und, wie im ersten Anlauf beabsichtigt, die Spitäler nicht doch noch oder schon wieder überfüllt werden. Nach den Erfahrungen der ersten Phase bin ich da allerdings ziemlich optimistisch. Selbstverständlich werden neben den verschiedenen Lobbyisten-Organisationen auch die politischen Hauptlager jetzt wieder laut und recyclen die gleichen Positionen und Vorwürfe, die sie schon vor Corona als ihr Markenzeichen vor sich her getragen haben. Das habe ich nach diesen paar Wochen verordneten Stillstands allerdings ziemlich satt, muss ich sagen. Und wenn ich dann noch höre, dass in Berlin die Rechtsextremisten unterdessen den Linksextremisten die Positionen und Demonstrationen streitig machen, dann bin ich versucht zu sagen: Rutscht mir doch den Buckel runter, das hat ja keinen Zweck so. Von den Rechtsextremisten erwarte ich ja nichts anderes – aber dass sich auch die Linken in Orgien der Gedankenfreiheit ergehen, damit hatte ich nicht gerechnet.


Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
12.05.2020

Kommentare

  1. Zitat:“In Sachen Corona und in absoluten Ansteckungszahlen hat Russland bekanntlich unterdessen Italien und Spanien überholt“ - wo steht das? Spanien: 227.436,
    Vereinigtes Königreich: 224.332,
    Russland: 221.344
    - also weit hinter den USA mit 1.347881 an 4. Stelle !
    Bei den Toten werden bei Russ. 2009 Opfer gemeldet, aber warum schreibt man nicht über Belgien mit 8707 Toten, Niederland mit 5475 Opfer oder die Einwohner starke Schweiz (kleiner Scherz) mit 1845 Toten? Deren Politiker haben wohl offensichtlich keine „Baumuskeln“? Putin - einem "notorischen Trottel" - fehlt offenbar diesen Länder, der seine Landsleute im Gegensatz z.B. zu den USA mehrere Wochen BEZAHLT von der Arbeit frei stellt.
    Daten vom 12.5.20, 7.30 Uhr JHU

    Detlef Höner - 12.05.2020, 21:39