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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die österreichischen Freiheitlichen

An diesen Nebeneffekt des Brexit hatte ich gar nicht gedacht: dass er nämlich die geifernden Anti-Europäer vom rechten Ufer aller Seen und Flüsse zum Schweigen bringt.



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> Download Natürlich ist es das Schweigen der Geiferer, das heißt, sie geifern weiter, aber sie mussten ihre Anti-EU-Tiraden neu justieren und damit einen Teil ihrer früheren Geifereien klammheimlich oder kleimhammlich begraben und dementieren, was so ein Geiferer natürlich niemals tut, er geifert einfach weiter zu anderen Themen oder eben sogar mit gegenteiligen Aussagen zum gleichen Thema, und da sind wir schon bei der Bestätigung einer alten These angelangt: Dem Geiferer geht es nicht um einen Inhalt, der Geiferer geifert um des Geiferns willen.

Menschen, die sich auf eine linke politische Tradition berufen, nehmen für sich in der Regel eine kühle Wissenschaftlichkeit in Anspruch, wie sie schon Karl Marx für den wissenschaftlichen Materialismus reklamierte und wie sie in neuerer Zeit von klugen Köpfen wie Theodor Wiesen­grund Adorno und seinen Nachfahren aus der neuen Frankfurter Schule behauptet und betrieben wurde. Nix Geifern, nein, Rationalität und steife Oberlippe, wie der Engländer früher sagte, bevor das Land in den Brexit verfiel, wobei dies nicht immer ausreicht, um die Herzen der Massen zu gewinnen, und oft reicht es nicht einmal für die Gehirne. Es gibt auf dem Markte der Ideen auch noch andere Angebote, die ebenfalls ohne Schaum vor dem Mund vorgetragen werden, und es gibt sogar welche, die sich auf die Kraft des Faktischen stützen können, nämlich der tatsächlichen Machtverhältnisse. Wer möchte da nicht gerne ein in der Wolle gewaschener Liberaler sein! – Wobei deren ihr wissenschaftlicher Liberalismus nicht erst seit Christian Lindner eher unglaub­würdig erscheint, nicht als Geiferei, durchaus nicht, aber doch als Schaumschlägerei.

Die rechten Geiferer dagegen sind im Moment vor allem mit ihren Abstürzen in den Schlagzeilen, wobei man sich die Augen reibt über die österreichischen Freiheitlichen, die sich übrigens als Bestandteil der deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft definieren – da möchten vielleicht andere, vielleicht sogar zentrale Bestandteile dieser Kulturgemeinschaft in eine alternative Gemeinschaft emigrieren, da müsste man mal abstimmen. Spanien bietet sich an, vor dessen Küste im Mittelmeer tummeln sich unterdessen schon mehr Deutsche als Engländer. Und eben freie Österreicher. Es ist wirklich verdienstvoll, wie dieses Video von Strache und Gudenius auf Ibiza die enge Vermählung zwischen nationalistischer Propaganda und purem Eigennutz aufzeigt. Diese beiden Herren dürften für die nächsten zwei Jahre erledigt sein, solange reicht nach Untersuchungen der Universität Graz das Volksgedächtnis, danach können sie wieder völkisch auftischen. Man fragt sich einfach immer die gleiche Frage, die konstituierende Frage der Demokratie: Wie kann eine Bevölkerung so blöd sein, solche Affen zu wählen? Und man fragt sich auch: Sollte es einer dieser rechtsnationalen Parteien einmal gelingen, einen moralisch weitgehend unanfechtbaren Führer zu montieren, sind dann die Österreicherinnen und Österreicher bereit, ihm hinterher zu watscheln? – Nun gut, die Gefahr eines moralisch einwandfreien Rechtsextremen ist in Österreich nicht besonders groß, aber trotzdem.

Meine Überlegungen zu diesem Thema gehen dahin, dass ein Großteil der Leute, welche solche Lärmnudeln wählen, sie eher trotz ihrem aufgesetzten Nationalismus wählen als wegen des Natio­na­lismus. Im Unterschied zu den etablierten Parteien und auch im Unterschied zu den etablierten Parteien der Opposition, vor allem auf der linken Seite, welche seit dreißig Jahren nie mehr etwas zustande gebracht haben, erscheinen die rechten Brüllaffen halt mal als eine Abwechslung, als eine Alternative in dem Sinne, dass die Staatsmaschinerie und die Wirtschaft ja sowieso weiter funk­tio­nieren, egal, ob Strache jetzt der Strabag keine Aufträge mehr erteilt für den Bau von Straßen und Tunnels in Österreich und diese Aufträge gegen ein kleines Entgelt im zweistelligen Prozentbereich an eine russische Firma beziehungsweise deren Tochtergesellschaft in Graz vergibt. Darauf kommt's nun wirklich nicht an. Und weil es derart nicht drauf an kommt, kann man die putzigen Jungs auch mal an die Macht bringen, wo die doch auch den Andreas Gabalier so gut finden wie man selber. Ja, ich bin ziemlich überzeugt davon, dass der Aufstieg der Rechten und der Populisten damit zu tun hat, dass sich die politische Arbeit weitgehend erschöpft hat.

An die Stelle früherer Inhalte müsste etwas Neues treten, von dem ich im Moment keine griffigen Begriffe kenne und vielleicht noch nicht mal die Substanz. Ich weiß dagegen auf jeden Fall, dass heute die Zeit wäre für konkrete Fragestellungen anstelle von abgedroschenen Parolen. Wie organisiert man ein Gemeinwesen, von der Kommune bis hinauf zur Europäischen Union? Solche Themen müssten doch den Inhalt des Europawahlkampfes bilden, nicht die Billigslogans wie zum Beispiel jenen der CDU, «Gemeinsam erfolgreich in Europa» oder «Kommt zusammen für ein soziales Europa» der SPD. Wo Substanz und Tiefe im politischen Diskurs derart radikal ausgemerzt sind, braucht man sich nicht zu wundern, wenn Krakeel- und Spektakel-Parteien einen gewissen Anteil an Wählerstimmen erobern. Und irgendwann kippt dann der gesamte Diskurs in die Krakeel- und Spektakel-Veranstaltung, wie wir dies unglücklicherweise in England gerade sehen. Von solchen Zuständen berichten die Zeitgenossen aus dem London im achtzehnten Jahrhundert, aber damals stand hinter den Ausschweifungen der englischen Elite immerhin die wirtschaftliche Supermacht einer zunehmend dominierenden Seefahrtsnation, während davon heute nicht mal mehr eine Reminiszenz zu sehen ist.

Wie auch immer: Da die Europawahlen sowieso keine größeren Auswirkungen auf die EU-Politik respektive die Verwaltung jener Mittel hat, die auch die größten Anti-EU-Rhetoriker immer wieder gerne einstreichen, vor allem, wenn sie in ihr eigenes Portemonnaie fließen, kann man dem Wahltag sowieso gelassen entgegensehen, vor allem, weil die befürchtete Explosion der rechtsnationalen Wähleranteile aller Voraussicht nach ausbleiben wird. Für mein persönliches Wohlbefinden wäre natürlich eine Implosion dieser Bewegungen sehr schön, aber damit kann ich nun leider auch wieder nicht rechnen. Wer sich in Deutschland unbedingt nicht für eine Partei entschließen kann, der hat immerhin die Wahl, die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Teilzeitarbeit, Elitenförderung und Ingwerbier (oder so ähnlich) zu wählen, kurz: die PARTEI, also die Gruppierung rund um ein paar frühere Redakteure der Satirezeitschrift Titanic, deren Slogan noch bis vor wenigen Jahren lautete: Wir fordern die endgültige Teilung Deutschlands! – Offenbar haben die durchaus Chancen, mehrere Abgeordnete nach Brüssel zu entsenden und nicht nur den einen bisherigen, Martin Sonneborn. Damit wäre nach Beppe Grillo und dem neuen ukrainischen Präsidenten auch Deutschland mit einer namhaften Delegation von Satirikern in der Politik präsent. Allerdings werden die Satiriker in der Politik oft fade, wie man bei Beppe Grillo gesehen hat und wie er es übrigens auch selber bemerkt hat, sodass er sich wieder ins Kabarett zurückgezogen hat und jetzt eigentlich am ehesten sich selber verulken müsste, was er dann aber doch wieder nicht übers Herz bringt. Der andere Dingsbums in Kiew da, der Wladimir Selenski, hat bereits erklärt, dass er die Krim wieder zurückerobern will, hat sich dabei aber nicht auf einen verbindlichen Zeitplan festgelegt, was die Sache dann sofort wieder entschärft hat. Trotzdem sieht man auch hier sofort die Grenzen der Satire, nämlich sobald sie selber etwas in die Hand nimmt mit einer anderen Absicht, als es zu verspotten, dann ist fertig lustig. Da kann man nichts machen.

Angesichts des Strache- und Gudenius-Desasters bei gleichzeitigem Stottern des Salvini-Motors in Italien sind die anderen beiden Stichworte in den Hintergrund getreten, welche dieses Jahr bisher geprägt haben, nämlich das Klima und die Frauen. Bei den Frauen ist mir das insofern recht, als ich mich ein bisschen erholen kann von den Verwirrungen im feministischen Diskurs, der gerne darüber stolpert, dass er sich vor lauter Feminismus auch Dinge einverleibt hat, welche die Sache der Frauen gar nicht direkt betreffen, diese LGTB-Debatten, welche am Schluss in die große Frage münden, welches Geschlecht das Individuum denn am Schluss tatsächlich hat, wenn es sich ohnehin um ein soziales Konstrukt handelt und nicht um einen biologischen Grundtatbestand, wie man es bisher diskutiert hat, mindestens in der Wissenschaft. Die Mittelstrecken-Läuferin Caster Semenya bringt die Frage auf den Punkt, allerdings auf einen Punkt, den ich hier nicht definieren und kommentieren möchte, bis auf den einen doofen Spruch, für den ich mich schon zum Vornherein entschuldige: Wenn ein 800-Meter-Läufer sich gewiss ist, dass er im falschen Körper lebt, kann er trotzdem nicht bei den Frauen starten. Ich selber, um den Kalauer fertig zu stellen, fühle mich manchmal auch im falschen Körper, auch wenn ich nicht unbedingt eine Frau sein möchte, aber einen etwas besseren Body hätte ich durchaus gerne, zähle ich damit auch zu den LGTB? – Nein, im Ernst, es ist verwirrend, und wie gesagt, insofern bin ich froh um die Pause bei diesen Auseinandersetzungen, von denen allerdings die breite Öffentlichkeit gar nicht so viel mitkriegt. Ich selber finde es eigentlich schade, dass sie bei den Frauen angesiedelt werden, denn in Sachen Gleichstellung wäre an und für sich noch viel zu tun, eben auch oder halt gerade bei Frauen, die mit ihrer biologischen Erscheinungsform keine Probleme haben.

Und dann das Klima, mein lieber Schwan – letzte Woche hatten wir eine Reihe von Familien-Anlässen, da, vermutlich nicht nur in unserer Familie, aber hier signifikant, im August am meisten gerammelt wird, sodass im Mai eine Häufung von Geburtstagen anfällt. Da man sich ja sonst nichts zu sagen hat, sprachen wir von unseren Ferienprojekten, und was soll ich euch sagen, was meine eigenen Freundinnen und Familienangehörigen machen, die fliegen in der Welt herum, dass es kracht, für ein Wochenende nach Portugal, für drei Familienanlässe zwei Mal in die Vereinigten Staaten, für Wanderferien nach Südafrika und so weiter und so fort. Bekannte von uns sind soeben von einer Weltreise auf diesen schwimmenden Sondermüll-Verbrennungsanlagen, die man Kreuzfahrtschiffe nennt, zurückgekommen. Bis auch nur ein Hauch der Klimafrage in die inneren Persönlichkeitssphären eindringt, dauert es allem Anschein nach bis zur Auspressung des vorletzten Tropfens Kerosin aus den neu erschließbaren Feldern in der Arktis.

In der Zwischenzeit habe ich wenigstens einen Grund, eine weitere konkrete politische Forderung zu formulieren, sie heißt ganz einfach: Nachtzüge! In einem Nachtzug kann man in gemächlicher Fahrt und im Tiefschlaf gerne mal 1000 Kilometer zurücklegen, sofern die Schlafgelegenheiten einigermaßen anständig ausgestaltet sind. Letztes Mal erlebt auf der Strecke zwischen der französisch-spanischen Grenze in Hendaye/Irun und der portugiesischen Hauptstadt Lissabon, in diesen alten Hotelzügen der spanischen Eisenbahngesellschaft mit Zweibett-Abteilen und sogar eingebauter Dusche. Es geht, Freundinnen und Freunde. Man muss nur wollen.



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Albert Jörimann
21.05.2019

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