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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Bayraktar

Man ist wohl kein Verschwörungstheoretiker oder vielmehr Verschwörungsgläubiger, wenn man einen Zusammenhang sieht zwischen den Ausfälligkeiten des Erdopimpel-Türkpaschas gegenüber dem französischen Präsidenten Macron und der 16 Jahre lang gereiften spontanen Erkenntnis von Le Monde Afrique, dass das im Jahr 2004 abgeschlossene Freihandelsabkommen zwischen der Türkei und Marokko die marokkanische Wirtschaft in den Ruin getrieben habe.



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Türkische Kleider, Möbel, Lebensmittel, Haushaltsprodukte, all das werde zu Preisen angeboten, gegen welche die marokkanischen Hersteller keine Chance hätten. Zehntausende von Arbeitsplätzen seien deswegen verschwunden, schreibt Ghalia Kadiri am 6. November. Auch die grundsätzlich hoch seriöse Zei­tung Le Monde unterliegt offensichtlich Konjunkturen in ihrer Berichterstattung, die nicht von den Ereignissen, sondern von der politischen Stimmung bestimmt werden. Eine wirklich unab­hängige und objektive Berichterstattung müsste sich bekanntlich zuallererst aus sämtlichen Bezügen zur Aktualität heraus halten oder andernfalls wirklich und wahrhaftig umfassend sein, also welt­um­spannend und bis hinein ins Detail. Da so etwas auch für die allerbeste Zeitungsredaktion nicht zu leisten ist, müssen wir uns wohl oder übel mit den Schlagseiten der zuständigen Schriftleiterinnen abfinden. Im Fall der Türkei fällt mir das noch nicht einmal so schwer, obwohl ich der Meldung über den wirtschaftlichen Ruin der marokkanischen Wirtschaft durch türkische Billigprodukte doch noch anfügen muss, dass sie wortgleich vom bisherigen US-Präsidenten für die Vereinigten Staaten formuliert wurde – in Bezug auf Marokko dagegen hege ich nach wie vor die Vermutung, dass der französische Einfluss auch im wirtschaftlichen Bereich zirka zehntausend Mal wichtiger ist als der türkische Ramsch.

Vielleicht ist es auch kein Ramsch. Jedenfalls richtet die türkische Drohne Bayraktar TB2 in Berg-Karabach gerade ziemliche Verheerungen an unter den lokalen, armenienfreundlichen und zu allem Elend auch noch christlichen Truppen, nachdem sie bereits in Libyen für die Auferstehung des offiziellen Präsidenten As-Sarradsch gesorgt hatte. Das Teil fliegt seit sechs Jahren mit Motoren der österreichischen Rotax, britischen Abschussvorrichtungen und Optoelektronik der kanadischen Wescam. Produziert wird sie von der Firma Baktar, die dem gleichnamigen Schwiegersohn des Erdopimpels gehört, der einen Abschluss am Massachusetts Institute for Technology im Sack hat. Also der Herr Baktar, nicht der Herr Erdogan. Im Moment wird die Drohne von den ukrainischen Streitkräften getestet, und im Falle einer Bestellung soll eine Lang­strecken­drohne mit Triebwerken der ukrainischen Firma Ivtschenko Progress fertig entwickelt werden und in Produktion gehen; das erinnert mich übrigens daran, dass bereits bei den Trägerraketen der nordkoreanischen Atomwaffen von ukrainischen Motoren die Rede war. Jaja, Augen auf bei der Wahl des Schwiegersohns! Das hat Schwiegerpaschapapa sehr gut gemacht. Jetzt einfach noch einen Atomphysiker für die andere Tochter, und dann taufen wir die Türkei um in Nordsyrien.

Man fragt sich, was Gospodin Wladimir Wladimirowitsch von den Auseinandersetzungen im Süden seines Landes und damit mitten in seinem Machtbereich hält. Dass der Türke ein wenig mit seinen Drohnen spielen darf, versteht sich von selber, und ob der Armenier oder der Aseri im Besitz der in allen Belangen unbedeutenden Bergrepublik Karabach ist, hat für Putin weiter keine Bedeutung. Des Erdopimpels Bestrebungen stets knapp unter der Toleranzschwelle sowohl der Russen als auch der Nato und der Golfstaaten, aber auch von Israel und im Fall der seismischen Sondierungen im Mittelmeer auch der EU sind ja ihrerseits eine Art von Sondierungen, die in erster Linie dazu dienen, herauszufinden, wo man auf Granit stößt, also in erster Linie wohl bei Putin, sagen wir es in der nötigen Klarheit: wie ich doch hoffe. Putin hat seine unerträglichen Seiten, insbesondere beim Umgang mit kritischen Journalistinnen und Oppositionspolitikerinnen, aber insgesamt überwiegen die rationalen Seiten einer Großmachtpolitik, für welche die Türkei die Bedeutung einer gut gewaschenen Pobacke hat. Sollte hinter dem Deal mit den ukrainischen Raketenmotoren letztlich ein nordkoreanisches Geheimnis aufschimmern, also Spurenelemente einer Atompolitik, so will ich stark hoffen, dass der russische Geheimdienst keine Sekunde zögern wird, die entsprechenden Anlagen nicht mit Nowitschok, sondern mit dem beliebten Sprengstoff TNT dem Erdboden gleichzumachen, ganz egal, ob sich die Fabrik in der Ukraine oder zu einem späteren Zeitpunkt bereits in der Türkei befindet. So, wie der israelische Geheimdienst vor einem halben Jahr das iranische Atomprogramm gesprengt hat. Bei dieser Gelegenheit möchte ich wieder mal meinen unbedingten Drang erwähnen, das Land Ukraine mit der unschönen, aber wohl zutreffenden Be­zeich­nung Geschwür zu bezeichnen, und ich erinnere an die unselige EU-Kommissions­präsi­den­ten-Brühwurst José Barroso, der dieses Territorium unbedingt von den Russen weg locken und an die EU anbinden wollte, wofür dieser Barroso jetzt bei Goldman Sachs auf irgendeinem Direktoren­posten sitzt. Na gut, das war wohl nicht vor allem für seine ukrainischen Verdienste, sondern für verschiedene andere Faveurs. Egal!

Der Form halber will auch ich an dieser Stelle bestätigen, dass mich eine tiefe Zufriedenheit erfasst hat, als ich die definitiven Ergebnisse der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl vernommen habe. Wie alle anderen vernünftigen Menschen war ich zunächst fassungslos, dass dieser unsäglich schlechte Darsteller all seiner Rollen zeit- und ansatzweise vor seinem jugendlichen demo­kra­tischen Challenger Biden lag und tatsächlich verschiedene US-Bundesstaaten für sich zu entscheiden vermochte – da haben ja nicht nur Ku-Klux-Klan-Mitglieder und Neonazis für den gestimmt, das waren in der Mehrheit echte Menschen aus dem realen Leben. Was ist da los? Diese Frage wurde nach einer vierjährigen miesen Darbietung, die jeglicher Beschreibung spottet, mit den Unmengen an Stimmen für die irre Mandarine keineswegs beantwortet. Umso stärker war dann der Optimismus und die Lebensfreude, als die krakeelende Abrissbirne ihrerseits immer stärker abgerissen wurde. Ja, wirklich, ich bin zufrieden, wenn ich auch keine Sekunde daran zweifle, dass sich an der Struktur und an der Politik der USA kaum etwas ändern wird – aber doch immerhin der Umstand, dass nicht die Lüge das höchste Prinzip ist, wobei Lüge nicht das richtige Wort ist: Der Trump hat ja stets irgendetwas herausgebrüllt, das sogar wahr sein konnte, darum ging es am Schluss beziehungsweise von Anfang an schon gar nicht mehr. Hauptsache laut und unflätig, alles, was Quote bringt, wie es der Mann mit den zahlreichen Fernsehsendern und Fernsehshows schon vor fünfzig Jahren gelernt hat.

Ich bin zufrieden, halte aber nicht dafür, dass es Joe Biden gelingen könnte, das heillos zerrissene oder tief gespaltene Land zu versöhnen und zu einen. Das geht nun mal nicht, in diesem Land gibt es nichts zu heilen, die USA sind kreuz und quer zerrissen und geteilt, in Gegensätze und Widersprüche aller Art, begonnen bei den klassischen ökonomischen Widersprüchen des Kapitalismus und dem, was daraus nach der Deindustrialisierung geworden ist, über die Gegensätze zwischen Stadt und Land, zwischen den Küstenregionen und dem Landesinnern, zwischen Norden und Süden – und selbstverständlich zwischen verschiedenen Arten von Vernunft, zu welchen unter anderem auch die Gewinn-Rationalität zählt, auf der einen Seite und dem Universum an Unver­nunft, bei welchem in mir durchaus nicht die Verschwörungsgläubigen oder die Rechtsextremisten die größten körperlichen Reaktionen auslösen, sondern diese verdammten, bigotten Evangelikalen, die ihren Blei- und Pferdefuß in fast alle Türspalten einer geordneten Existenz setzen. Als bildlicher Inbegriff dafür bleibt mir die Foto in Erinnerung, welche eine zirka sechzigjährige blonde Predi­gerin zeigt, die für das gute Gelingen der Trump-Präsidentschaft betet, indem sie den neben ihr stehenden Trumpdonald mit beiden Händen und geschlossenen Augen am Oberarm fasst, während neben ihr ebenfalls mit geschlossenen Augen nicht der Beifang oder Beiprediger, sondern mit Sicherheit der Kassierer ihrer Kirche steht und sie, nein, nicht am Popo, sondern ebenfalls am Arm hält in scheinbar ebenfalls betender, in Tat und Wahrheit aber rechnender Pose; und dem Trump­donald gefällt diese Szene sichtlich über alle Maßen, er feixt nämlich zufrieden auf die andere Seite zum Bild heraus und sagt: Ha!, die hab ich schön über den Tisch gezogen. In der Praxis kann man sich darüber streiten, wer wen ausnützt und wer wem am meisten nützt, aber in Wählerinnen-Anteilen machen diese bigotten Gotteskinder, also diese Bigotteskinder offenbar doch fast die Hälfte der Bevölkerung aus. Was für ein Horror! – Und diesen Abgrund an Unvernunft wird uns der Bidenjoe nicht auffüllen oder ausstopfen, mit Garantie nicht. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Passage aus dem Großmutter-Buch von Lisa Eckart vorlesen: «Ich vermisse diese Zeiten, als man noch um Fakten stritt. Als es noch um Wahr und Falsch, nicht nur um Gut und Böse ging. Als der Klügere noch nicht nachgeben musste. Weil es noch gar keinen Klügeren gab. Es gab den Klugen und den Dummen. Dem Dummen wurde Einhalt geboten, indem man Lexika zur Hand nahm und sie ihm um die Ohren schlug. Der Dumme wurde widerlegt und nicht etwa überzeugt. Weil im Recht zu sein noch mehr als reine Ansichtssache war. Damals bestand die Streitkraft des Zänkers maßgeblich aus seinem Wissen, manchmal sogar aus seinem Verstand, niemals aber aus seinem Gefühl. Der, welcher die Welt nur fühlt, doch weder etwas denkt noch weiß, ist zum Streiten gar nicht fähig. Er zieht schon siegreich in die Schlacht. Deshalb trägt er keine Waffen. Er kommt nur, um dem Feind zu künden, dass er bereits gewonnen hat.» Das steht auf Seite 373 dieses Buches, und es ist sehr lustig, wie genau dies auf den Trumpdonald in der Wahlnacht zutrifft.

Schwamm drüber. Verschiedene Menschen freuen sich fast noch mehr als über das Verschwinden von Donald Trump über die Erscheinung von Kamala Harris, mit welcher tatsächlich nur vier Jahre nach Barack Obama wieder eine Farbige ins Weiße Haus einzieht, zunächst als Vizepräsidentin und, wenn sie ihre Sache gut macht, schon in vier Jahren als Präsidentin. Ich gebe zu, dass diese Tatsache einen schönen Teil meiner Hass- und Hetztiraden gegen die Vereinigten Staaten einfach in Luft auflöst. Wenn das Land auch in außerordentlichem Umfang gespalten und der Länge und der Breite nach zerrissen ist, so enthält es doch eine mehr als nur gerade kritische Masse, welche für wichtige Fortschritte in der Geschichte sorgt. Auch wenn man einwenden kann, dass acht Jahre Obama an der Gewalt gegen Schwarze kaum etwas geändert haben, so wird man doch nach wie vor einräumen müssen, dass die Wahl und die Wiederwahl eines schwarzen Präsidenten ein wichtiger Schritt war für die Emanzipation. Der Resonanzboden für Bewegungen wie Black Lives Matter ist gerade wegen dieser Personalie viel breiter geworden. Wie es eben auch die allergische Reaktion der Gegenseite, unter anderem mit der Wahl des katastrophal miserablen Präsidentendarstellers Trump belegt.

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Albert Jörimann
10.11.2020

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