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Nachruf Robert Kurz

Der Philosoph und Publizist Robert Kurz ist am 18. Juli 2012 an den Folgen mehrerer Operationen in Nürnberg verstorben. Ein Nachruf von Christian Höner.


In Erinnerung an Robert Kurz
von Christian Höner

Kennengelernt haben wir Bobby zunächst nicht persönlich, sondern über seine Texte. Wir waren damals Mitte der 90er ja wohl das, was man heute „Bewegungslinke“ nennt und auf der Suche nach neuen Orientierungen. Die Welt schien komplizierter geworden, nicht mehr darstellbar in den alten Denkkategorien. Die „große Utopie“ des real existierenden Sozialismus war wenige Jahre zuvor im Orkus der Geschichte verschwunden und die Linke nannte sich nun größtenteils demokratisch und sah ihre vornehmste Aufgabe darin, die „soziale Marktwirtschaft“ gerecht zu moderieren. Es war überdeutlich, dass die gängigen Konzepte der traditionellen Kapitalismuskritik abgewirtschaftet hatten. Demgegenüber trat die von Bobby Mitte der 80er Jahre begründete fundamentale Wertkritik mit dem Anspruch eines kategorialen Bruches auf.

Und wahrlich, was für eine neue Denkperspektive: Statt der Skandalisierung vermeintlich ungerechter Mehrwertverteilung wurde bereits die Produktion des Werts und der Ware kritisiert. Ein Sozialismus ohne Warenproduktion, ohne Tausch, ohne Geld – was für ein Gedanke! Mehr noch: Nicht nur die Lohnarbeit wurde kritisiert, sondern die Arbeit als solche! Kritik von Staat und Nation! Kritik der Politik, Kritik der Rechtsform, Kritik von Freiheit und Gleichheit, Kritik der Aufklärung und erst spät (Roswitha sei Dank): Kritik des Geschlechterverhältnisses. Das war und das ist starker Tobak. Freilich, vieles von dem findet sich in Ansätzen bereits bei Marx oder in anderen theoretischen Kontexten, doch in der Wertkritik wurden diese Ansätze konsequent fortgeführt und zugespitzt. Schließlich ist die Krisentheorie hervorzuheben, die es (so) in keinem anderen linken Theorieentwurf gibt. Schon in seinem ersten Buch prognostizierte Bobby den Kollaps der Modernisierung (1994). Was damals nur theoretische Evidenz zu besitzen schien, nimmt heute drohend Gestalt an. In Anbetracht der sich zuspitzenden Krisenszenarien erscheint es mittlerweile alles andere als abwegig, dass das System an seinen inneren Widersprüchen zerbricht.

All dies auf den Begriff zu bringen, daran hatte Bobby innerhalb der wertkritischen Theoriezusammenhänge einen herausragenden Anteil. Seine Fähigkeit beschränkte sich aber nicht nur auf theoretische Innovationen, auf den Mut, Neues zu denken, sondern auch auf die seltene Gabe, Kompliziertes verständlich zu vermitteln, sei es im geschriebenen oder im gesprochenen Wort. An der Verankerung der Kritik an einer Vergesellschaftung über den Wert im linken „Diskursfeld“ bzw. an der publizistischen Verbreitung dieser Kritik hat Bobby einen maßgeblichen Anteil. Neben den zahllosen journalistischen Interventionen im Neuen Deutschland, dem freitag, der Jungle World, der konkret, der Jungen Welt, der brasilianischen Folha, diversen Rundfunkbeiträgen für den SWR und Fernsehauftritten bei 3sat und im ZDF ist natürlich das wohl populärste Werk Schwarzbuch Kapitalismus hervorzuheben.

Als wir Bobby 1996 bei einer Flasche Schampus auf irgendeinem Bahnhof im Wendland persönlich kennen lernten, war die Wertkritik gerade in ihrer Take-Off-Phase. Gemeinsam mit Bobby erlebten wir äußerst aufregende und anregende Jahre der theoretischen Entwicklung und Auseinandersetzung, sei es auf den Seminaren in der Burgmühle, bei Veranstaltungen bei Radio F.R.E.I. oder auf den Redaktionstreffen. Wir haben zusammen diskutiert, gestritten, gelacht, gesoffen und uns angeschrien. Wir haben Bobby als jemanden kennengelernt, der auf der Ebene der gesellschaftskritischen Auseinandersetzung mit Unerbittlichkeit und brillianter Schärfe im Gedanken und in der Polemik agieren konnte. Dies korrespondierte mit einer ebenso ausgeprägten Warmherzigkeit, Großzügigkeit und Offenheit im persönlichen Umgang; intellektuelle Überlegenheitsallüren waren nicht seins.

Als im Jahre 2004 die Krisis-Gruppe auseinanderbrach, beeinträchtigte dies zunächst auch unser Verhältnis. Trotzdem hielten wir den Kontakt aufrecht und organisierten zusammen weiter Veranstaltungen in Haina und bei Radio F.R.E.I. Dies endete erst, nachdem Bobby aus Rücksicht auf seine Gesundheit den Referatsmarathon einstellen musste. Robert Kurz starb am 18. 7. 2012 in einem Nürnberger Krankenhaus an den Folgen mehrerer Operationen. Die Linke hat einen ihrer herausragendsten Kritiker verloren.


artikel/RobertKurz.pngRobert Kurz Lesung auf der F.R.E.I.Fläche 2009

Beiträge jüngerer Vergangenheit in unserer Mediathek
Sendungen Freier Radios über/mit Robert Kurz









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08.08.2012

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