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LP der Woche | KW 06/2012 | Leonard Cohen - "Old Ideas"

Fürchte dich nicht! - die neue Platte von Leonard Cohen "Old Ideas"

Fürchte dich nicht!

Wer Leonard Cohen auf seiner neuen Platte „Old Ideas“ zum ersten Mal hört, denkt sich vielleicht: Mensch, ist das eine traurige Platte, ist das eine unglückliche Platte. Eine verbitterte Platte ist das. Aber diese Platte ist nur ein bisschen verbittert und traurig, zumindest im Vergleich zu seinem früheren Werk. Zum pechschwarzen „Songs of Love and Hate“ aus dem Jahre 1971 beispielsweise, von dem es hieß, die Rasierklingen würden bei Bestellung gleich mitgeliefert. Natürlich scheint das neue Werk ein Abgesang zu sein, auf das Leben und die Liebe, das hat auch die Hamburger Morgenpost gleich erkannt:

„Auf ‚Old Ideas’, seinem ersten Studioalbum nach acht Jahren, klingt Cohen jedoch resigniert. So, als wären all seine flüchtigen Affären und großen Liebesbeziehungen ein langer Leidensweg gewesen, auf dem er viel Schuld auf seine Schultern geladen hätte.“

Aber kann man diesem Abgesang trauen? Natürlich nicht. Wahrscheinlich ist Cohen nur belustigt darüber, wenn man schon wieder versucht, ihm neue Attribute anzuhaften. Zum Beispiel „der Verzweifelte“ oder „der Nimmerliebende“ oder „der von den Frauen betrogene“. Die erste Strophe auf “Old Ideas” lautet: "I'd love to speak with Leonard/ He's a sportsman and a shepard/ He's a lazy bastard living in a suit". Er hat schon viele Charaktereigenschaften nachgesagt bekommen, auch solche, die ihn nicht beschreiben.

Pendant zu Dylan

Cohen wurde erst als Mittdreißiger bekannt, in einem Alter also, in dem viele Künstler dieser Zeit den Zenit bereits hinter sich hatten. Er konzentrierte sich zunächst auf eine Karriere als Literat – Musik war ihm nur ein Mittel zum Zweck, mit Musik wollte er das Geld verdienen, was er zum Überleben als Dichter brauchte. Erst nach und nach rückte das Songwriting in den Vordergrund. John Hammond von Columbia Records entdeckte Cohen auf dem Newport Folk Festival und nahm in unter Vertrag. Für den Produzenten war der zweite Dylan gefunden. Und er hatte recht: selbst heute, aus der Ferne betrachtet, haben Dylan und Cohen viel gemeinsam. Sie sind beide Geschichtenerzähler. Nur jeder für sich, Verwechslung ausgeschlossen.

Was die beiden unterscheidet, ist das, was um die Stimmen herum geschieht. Dylan ist als zerzauster Vollblut- Folksänger groß geworden, mit Mundharmonika und Akustikgitarre. Roh und minimalistisch. Dieses Bild haftet noch heute an ihm, obwohl er damit lange gebrochen hat. Cohen hingegen legte schon immer großen Wert auf das Äußere. Rolf Thomas schreibt dazu in der F.A.Z.:

„Cohen hat sich - entgegen seinem Image war er nie der Barde, der lediglich zur akustischen Gitarre greift - schon immer für eine zeitgemäße musikalische Umsetzung seiner Songs interessiert, sein Comeback-Album „The Future“ von 1992 klingt geradezu knallig modernistisch.“

Auch „Old Ideas“ ist zeitgemäß. Die Background- Stimme bei „Banjo“ könnte auch einer modernen Soul- Ballade entliehen sein, der Song wirkt dadurch wie ein musikalisches Experiment. Generell ist das sanfte Säuseln der Webb- Schwestern, die Cohen auch schon auf seiner ausgedehnten Welttournee begleiteten, eine willkommene Abwechslung zum tiefen Organ des Sängers. Den größten Teil im Klanggerüst nimmt allerdings, und das ist dann wieder ganz typisch, der Synthesizer-Bass ein, der in den meisten Fällen die rhythmische und melodische Fährte legt. Neben ihm platzieren sich Klavier und Streicher. Und dann ist da natürlich diese Stimme, die immer noch tiefer zu werden scheint. Von Gesang konnte man bei Leonard Cohen ja eigentlich noch nie sprechen, sein kellertiefer Bass ist aber auch im Rezitativ eindrucksvoll genug. Das Endprodukt ist an manchen Stellen neu für Cohen. Es wirkt frisch und poppig, ein bisschen aufgekrazt sogar. „Darkness“ und „Different Sides“ wären was fürs Radio, für ein gutes Radio natürlich. Und wenn es mal leise wird, dann nicht finster, sondern charmant. Ein bisschen Traurigkeit ist selbstverständlich geblieben, aber diese Platte ist gesund, sie macht einen vitalen Eindruck.

Gierige Managerin sorgt für Comeback

Es heißt, Leonard Cohen sei vor einigen Jahren aus Geldsorgen auf Tournee gegangen. Eine Managerin habe ihn um 8 Millionen Dollar gebracht. Cohen selbst wird ihr wahrscheinlich nicht dafür danken, vielleicht aber seine Fans. Der 77- jährige hat noch was zu sagen, auch wenn er manchmal nur zu kokettieren scheint. Was wahr ist und was nicht, das ist noch immer nicht klar bei Cohen und so befindet der Rolling Stone:

„Er mag mit den Jahren weiser geworden sein, der Erleuchtung näher gekommen als wir transzendental Obdachlosen, doch er blieb ein Zweifler und Ironiker. Das bewahrte ihn als Künstler davor, irgendwann in einen leeren Spiegel zu schauen und statt großer Sentenzen nur noch Glückskekssprüche zu dichten.“

Zu durchschauen ist er freilich nicht, auch nicht auf seinem neuesten Werk, wo es manchmal so scheint, als verstecke sich Cohen hinter seiner eigenen Resignation. Der Mann gibt Rätsel auf - und wenn er so weiter macht, kommen bald noch ein paar Attribute hinzu.

Robert Marschall


08.02.2012

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