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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Die Wahrheit ist konkret

Ich bin kein Freund von Nationalstaaten, was heißt da kein Freund: Nationalstaaten gehören abgeschafft.



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> Download Allerdings zu gewissen Bedingungen, nämlich soll die Aufhebung des Nationalstaates seine Grundschwäche beseitigen, nämlich die Konkurrenz zu den anderen Nationalstaaten, aber gleichzeitig die Errungenschaften beibehalten, vor allem die soziale Sicherung, die notwendigen Gesetze und Regulierungen, je nachdem auch die Infrastrukturen oder das Bildungssystem. In Italien zum Beispiel müsste man die Infrastrukturen gründlich modernisieren; allerdings hat Italien den Nationalstaat in seiner modernen sozialdemokratischen Form gar nie richtig eingeführt, das ist seit den Zeiten des Faschismus ein stark von antiken Vorgängern beeinflusstes Modell. Insofern zeigt Italien sehr gut, worauf bei der Abschaffung der Nationalstaaten zu achten ist. Man kann sich ungefähr an folgende Grundsätze halten: Erstens sind sämtliche Normen international zu standardisieren, also nicht nur zwischen Nachbarstaaten, sondern global; diese Forderung ist an und für sich bereits erfüllt, aus ganz simplen technischen Gründen. Zweitens sind auch die institutionellen Normen anzupassen. Was spricht zum Beispiel gegen ein einheitliches Zivilrecht in allen Staaten, mindestens in Europa? Die gleiche und einheitliche Organisation der Gerichte? Braucht es zwingend Abweichungen unter den Strafnormen? – Durchaus nicht. Also macht euch mal an diese Arbeit. Und mit der Vereinheitlichung der Lebensräume durch die Einführung der vollständigen Personenfreizügigkeit besteht eine wesentliche Voraussetzung bekanntlich bereits im Rahmen der Europäischen Union, wobei bekannt ist, dass die EU als Vorläuferin der Aufhebung der Nationalstaaten vorläufig nicht als durchschlagender Erfolg bezeichnet werden kann. Allerdings ist so etwas normal; auf jede Entwicklung folgt in der Geschichte zwingend eine Gegen­ent­wick­lung, genau so entwickelt sich eben die Gesamtentwicklung. Kein Grund also zur Beunruhigung.

In der Zwi­schen­zeit dienen die Grenzen zwischen den Staaten als so etwas wie eine Schall­schutz­mauer. Ich bedaure aufrichtig alle Menschen, welche die bösartig dummen Sprüche von Friedrich Merz oder Christian Lindner ungefiltert zu sich nehmen müssen. Bei der Karnevalsvereinigung aus Bayern, welche die Bundesregierung als Deponie für ihre größten Trottel benützt, braucht man sich dagegen nicht besonders zu echauffieren, da reichen ein paar stille Seufzer. Aber Merz und Lindner sind selbst unter Anrechnung des Faktors, dass es für eine Generallinie auch die Ausschläge nach dumm benötigt, schwer zu ertragen. Wenn man sich Gedanken macht über die Zukunft nach dem automobil-industriellen Zeitalter, ist das schon für sich eine schwierige Aufgabe, weil man Über­legungen zu Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätzen anstellen und Vorschläge formulieren muss; da sind die in ideologischer Konservierungsflüssigkeit eingelegten Leerstellen dieser beiden angeblichen Liberalen ein objektives Hindernis, weil man eben mit einem Ohr doch noch zuhört, wenn sie ihren Quark von sich geben und dabei sogar aus dem Herz, vielmehr aus dem Dünndarm verschiedener Teile der ansonsten überaus geschätzten Bevölkerung sprechen.

Eben: Sogar ich höre das noch hin und wieder. Dabei weiß ich doch, dass die Wahrheit konkret ist. Aus diesem Grund bin ich schon länger auf der Suche nach einer politischen, nein, nicht Theorie, das auch, aber zunächst mal ganz einfach einer politischen Bewegung oder Gruppe, welche in ihrem Programm ganz simple konkrete Angaben macht zu konkreten Zahlen. Zum Beispiel stehen dem Bundesministerium für Bildung und Forschung im Haushalt 2019 18.27 Milliarden Euro zur Verfügung, also ungefähr gleich viel wie die Bedienung der Bundesverschuldung, die 18.38 Milliarden Euro erfordert. Wenn man die Bildungsausgaben von Ländern und Kommunen dazu rechnet, kann ich keinen Budgetwert angeben, aber die effektiven Aufwände im Jahr 2017, nämlich 133.4 Milliarden. Je ein Viertel davon entfielen auf Betreuungseinrichtungen von SchülerInnen und StudentInnen, wobei ich bei letzteren die Hochschulen meine, und die Hälfte auf die Normal­schulen. Welche Bildungsrealität sich hinter diesen Zahlen verbirgt, kann ich nicht präzise sagen, es wird sich ungefähr so verhalten wie überall, besser in den privilegierten Wohnvierteln, schlechter in den städtischen Quartieren mit tieferem Bildungsniveau der Eltern; und hier würden jetzt in meiner politischen Bewegung oder Gruppe ein paar konkrete strategische Aussagen folgen zur Hebung der Qualität der allgemeinen und Volksbildung und zum Abbau der Bildungsunterschiede zwischen den sozialen Gruppen oder Klassen.
Sechs Komma 32 Milliarden Euro stehen im Haushalt 2019 dem Bundesministerium für Ernährung und Land­wirt­schaft zur Verfügung. Das ist nicht viel mehr als bei uns, in der zehn Mal kleineren Schweiz. Der niedrige Wert hat vor allem damit zu tun, dass die Agrar-, nicht so sehr -politik als vielmehr -finanzierung schon seit 50 Jahren in die Kompetenz der EU beziehungsweise damals der EWG übertragen wurde. Auf dieser Ebene stehen gut 60 Milliarden Euro zur Verfügung, von denen ich nicht genau weiß, wie viel auf Deutschland entfallen; laut Spiegel Online betrugen die Direktzahlungen aus diesem Topf im Jahr 2016 durchschnittlich 289 Euro pro Hektar. Daneben stehen noch Gelder für die ländliche Entwicklung zur Verfügung. Eine Bewegung oder Partei, mit der ich etwas anfangen könnte, würde in diesem Bereich recht viele Aussagen machen und auch Untersuchungen anstellen, namentlich zu ökologischer Landwirtschaft mit tieferen Erträgen, was höhere Stückkosten bedeutet, die aber durch die Subventionen sowieso wieder gesenkt werden; allerdings müsste der volkswirtschaftliche feuchte Traum von einem Kilo Schweinefilet zum Preis von 99 Cent definitiv aufgegeben werden, soviel steht fest. Auf der anderen Seite kommt als erwünschter Nebeneffekt die Senkung der landwirtschaftlichen Überproduktion dazu, was wiederum den Folgeeffekt hat, dass die EU nicht mit landwirtschaftlichen Exporten zu Dumping­preisen auf dem Weltmarkt die ProduzentInnen im Süden zur Sau machen muss. Drittens, und hier wären Studien dringend vonnöten, gibt es ja noch so etwas wie einen Weltmarkt und so etwas wie Weltpolitik, die hin und wieder auch mit Agrarprodukten gemacht wird, wie Robert Menasse mit seinem EU-Roman «Die Hauptstadt» recht deutlich geschildert hat. Wie sich ein Land oder eine politische Union wie die EU in dieser Dynamik verhalten muss oder kann, mag die Agrarpolitik noch einmal beeinflussen.

Solche Aussagen suche ich in einem Parteiprogramm, nicht Dinge wie die Stärkung der unternehmerischen Freiheit oder Steuersenkungen für die Reichen, wobei es selbstverständlich auch um den Steuerdiskurs geht mit der Laffer-Kurve, welche den effizientesten Steuersatz zu ermitteln angibt, als auch mit dem globalen Steuerwettbewerb beziehungsweise mit der Bekämpfung der Steuerschlupflöcher, wo man sich offensichtlich zuerst mit dem Einfluss der Kapital-Lobbyisten auseinander setzen muss, wie übrigens mit dem Einfluss der Lobbyisten ganz generell.

Wirtschaft und Energie verschlingen in eurem Budget 2019 8.19 Milliarden Euro, die Entwicklungszusammenarbeit 10.245 Milliarden, wobei ein Teil dieses Budgets neuerdings als Rüstungsaufwendungen ausgewiesen werden soll, wenn ich das richtig verstanden habe, Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben 10.5 Milliarden zur Verfügung, und wenn ich diesen Posten richtig verstehe, könnte das Ministerium auch heißen: Das Alles-was-nicht-erwerbstätiger-Mann-ist-Ministerium, was mir natürlich sehr gefällt. Jens Spahn und sein Gesundheitsministerium kriegen 15.03 Milliarden, das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 15.849 Milliarden, und hier hebe ich natürlich die Heimat hervor, welcher eigenartigerweise nicht das gesamte Budget von 356 Milliarden Euro gewidmet sind, sondern offensichtlich bloß so, sagen wir mal 35.6 Millionen – das nenne ich nun aber eine strukturelle Verächtlichmachung nicht nur des Begriffs, sondern des gesamten Inhalts Heimat. Budgettechnisch, geschätzte Nachbarinnen und Nachbarn in Deutschland, seid ihr also nur zu einem Zehntel Promille heimatfähig! – Aber uns alten Internationalisten gefällt so etwas schon aus Prinzip. Bildung und Forschung hatten wir schon, ebenso die Bedienung der Schulden. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur kriegt mit fast 30 Milliarden Euro dann doch etwas mehr. Eine politische Praxis würde hier einen Schwerpunkt legen, das Ministerium in ein Infrastrukturministerium umwandeln und ordentlich Knete investieren, zum Beispiel in Autobahnen, allerdings nicht für BMW, sondern für diese kleinen Tierchen, die Daten heißen, oder für die Stromversorgung, und dann würde meine Bewegung das Schienennetz und das darauf zirkulierende Rollmaterial gewaltig fördern und in den öffentlichen Nahverkehr investieren, nicht zuletzt in den Randregionen, welche die EU eben nicht nur mit Landwirtschaftssubventionen, sondern auch anderweitig im Rahmen einer kontinentalen Raumplanung fördern könnte. Dies, geschätzte Nachbarinnen, bietet mittelfristig eine Lösung für das Problem der verrostenden Automobil-Industrialisierung, indem hier von Intelligenz und Muskelkraft her sehr viele Menschen benötigt werden, und die Finanzierung ihres Einsatzes ist bloß eine Frage des Wollens, welches Wollen dann wieder von den seltsamen kleinen Bakterien der Ideologie erzeugt wird, welche im Moment unter einer starken Verseuchung durch die Altlasten der Automobilindustrie selber und ihrer Vertreter an der Spitze des entsprechenden Ministeriums leiden. In diesem Bereich, denke ich, könnte eine politische Bewegung sehr, sehr konkret werden.

Die 43 Milliarden Euro für die Verteidigung will ich hier nicht kommentieren. Es gibt weltweit derart viele kriegerische Komponenten und Elemente, dass die Forderung nach Frieden jenseits der grundsätzlichen Ebene, auf welcher sich ja alle einig sind, sogar die allergrößten Kriegstreiber und WaffenfabrikantInnen, nur als Ausdruck der idealen Naivität zu verstehen sind. Die ideale Naivität hat zugegebenermaßen auch ihre schönen Seiten, vor allem im Charakterbild der einzelnen Menschen, aber wenn man die praktische Vernunft in Anschlag bringt, kommt man hier nicht weiter, und damit wird jede Diskussion über Rüstung, Aufrüstung und Bundeswehr zu einer Frage der Kriegstechnik, zu welcher ich mich eben an dieser Stelle nicht äußern will. Immerhin soviel: Offenbar ist eure Bundeswehr in einem vollkommen desolaten Zustand, offenbar bezahlt eure Verteidigungsministerin lieber Berater als Waffen, und trotzdem steht weder das polnische noch das russische Heer vor den Toren Berlins. Das ist doch auch mal eine gute Nachricht, oder?

Den Löwenanteil am Haushalt 2019 beansprucht auf jeden Fall das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit 145 Milliarden Euro, das sind etwa 45% der gesamten 356 Milliarden Euro. Hiervon wiederum gehen 105 Milliarden in die Rentenversicherung und in die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung und 38 Milliarden in die Leistungen nach dem zweiten und dritten Buch Mose, nein, Sozialgesetzbuch, und was eine politische Bewegung konkret zu diesen Leistungen sagen könnte, darüber sprechen wir ein anderes Mal.


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Albert Jörimann
26.03.2019

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