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"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Mo-Ibrahim-Foundation

Verstanden hab ich's zwar nicht wirklich, aber trotzdem Glückwunsch an Frau von der Leyen zur Wahl als Chefin der EU-Kommission, es war tatsächlich Zeit für eine Frau auf diesem Posten, auch wenn man dabei eher an Margarete Vestager gedacht hätte, aber wenn es nun mal eine Deutsche sein musste, warum nicht Frau von der Leyen, wie gesagt: Glückwunsch, und möge der Anteil der Frauen in Positionen mit Verantwortung weiterhin steigen.



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> Download Mohammed Ibrahim ist laut Wikipedia ein britisch-sudanesischer Mobilfunkunternehmer, der sich für gute Regierungsführung in Afrika einsetzt. Studiert hat er in Ägypten, den Abschluss machte er in England, und dort übernahm der den neuen Bereich Mobiltelefonie bei British Telecom. 1998 gründete er den Mobiltelefonieanbieter Celtel, der fünf Jahre später beim Verkauf an eine kuwaitische Firma in 13 afrikanischen Ländern aktiv war. Mohammed Ibrahim erhielt dafür 3.5 Milliarden Dollar. 2006 gründete er die Mo-Ibrahim-Stiftung, welche unter anderem sehr gut dotierte Preise für Politikerinnen vergibt, die sich bei der guten Regierungsführung ausgezeichnet haben, und auch sonst betätigt sie sich auf verschiedenen Gebieten, wie dies Stiftungen halt so tun. Unter anderem erstellt sie den Ibrahim-Index, eine Art Rangliste auf diesem Gebiet.

Ein solcher Bericht der Stiftung, der im Frühling dieses Jahres veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit Gründen und Ausmaß der Migration, namentlich in Afrika, aber auch im globalen Rahmen. Entgegen der gängigen Auffassung sei Afrika bei weitem nicht die bedeutendste Ursprungsregion der Wanderbewegung, heißt es da; nur gerade 14% der gesamten Völkerwanderung entfalle auf Afrika, weit hinter Asien mit 41% und sogar noch hinter Europa, wo fast 24% der globalen Personenfreizügigkeit vollzogen werde. Nach Ländern sei Ägypten das wichtigste Auswan­de­rungs­land in Afrika, gefolgt von Marokko und Somalia; aber Ägypten belege nur Rang 19 in der Auflistung nach Nationen. An der Spitze steht Mexiko, aus dem 5% der gesamten Migration stammt, gefolgt von Russland mit 4.1% und China mit 3.9%. Für die europäische Sichtweise ist dabei noch bedeutend, dass mehr als zwei Drittel der afrikanischen Wanderbewegungen als Ziel ein anderes afrikanisches Land haben. Und schließlich sei Afrika zunehmend auch das Ziel von externen Migrantinnen, zum Beispiel von Palästinenserinnen mit 452'000 Menschen, gefolgt von 253'000 FranzösInnen und 210'000 SyrerInnen.

Dass die Migrationsgründe dagegen nicht zur Hauptsache in politischer Verfolgung oder Sicherheitsbedenken bestehen, ist dann keine Überraschung; Der Bericht der Mo-Ibrahim-Stiftung schätzt den Anteil der Auswanderer, die ein besseres Leben suchen, auf 80%. Dies wiederum hängt damit zusammen, dass die stark wachsende und junge Bevölkerung in den Ländern Afrikas noch sehr wenig anständige Beschäftigung findet. Laut dem Bericht werden in Afrika südlich der Sahara jedes Jahr 3 Millionen Jobs geschaffen; es bräuchte aber 18 Millionen, um die Nachfrage zu befriedigen. Was kann man tun, um dieses Ziel zu erreichen? Die Stiftung spricht in erster Linie von der Verbesserung der geografischen Mobilität, also justament der Migration, und von der Maximierung des Humankapitals, sprich Bildung und Ausbildung der Jugend. Die Stiftung nennt als wichtigste Bereiche den Erwerb von Kompetenzen in neuen Technologien im Rahmen der 4. industriellen Revolution, Ausbildung in jenen Bereichen, die nicht von Automaten und Robotern abgelöst werden können sowie eben ganz allgemein die lebenslange Weiterbildung. Dass daneben anständige Strukturen und Rechtssicherheit zentrale Bereiche sind, ist für eine Stiftung mit dem Zweck der Förderung der Good Governance selbstverständlich.

Außerhalb der Aktivitäten der Mo-Ibrahim-Stiftung liegt eine Nachricht zur Energieerzeugung in Afrika. Das Portal Jeune Afrique berichtet von einem US-amerikanischen Projekt, das noch von der Regierung Obama angestoßen wurde und zum Ziel hat, neue Elektrizitätskapazitäten von 30'000 Megawatt zu installieren für 60 Millionen neue Anschlüsse. Hauptnutzniesser ist offenbar Senegal, und verantwortlich ist die Entwicklungs­zusam­men­arbeitsagentur der USA, die US Aid, welche meldet, dass man nunmehr bei 10'000 Megawatt angekommen sei. Bei einer Produktionszeit von, sagen wir mal vorsichtig 10 Stunden im Tag ergibt das 36.5 Millionen Megawattstunden im Jahr. Als Vergleich: In Deutschland betrug die Energieerzeugung im Jahr 2008 639 Terawattstunden bzw. 639 Millionen Megawattstunden. Allerdings wären für einen korrekten Vergleich zahlreiche weitere Faktoren zu berücksichtigen – eine Vorstellung ergibt sich aus der Gegenüberstellung trotzdem. Und offenbar laufen solche Projekte weiter sozusagen hinter dem Rücken des aktuellen Präsidenten, der sich um Afrika ansonsten einen feuchten Dreck kümmert, wie sich auch an der Abwesenheit einer hochrangigen Vertretung beim Wirtschaftsgipfel USA-Afrika in Maputo im letzten Monat zeigte. Aber von diesem Mann ist nicht zu sprechen, sondern zu schweigen.

Während im Moment das Engagement Chinas in Afrika entdeckt wird, spielt sich im französischsprachigen Afrika weiterhin die Vincent-Bolloré-Show ab. Neben verschiedenen Eisenbahnkonzessionen, durchaus vergleichbar mit den chinesischen Ansätzen, hat seine Gruppe zahlreiche Hafenkonzessionen erworben, selbstverständlich unter Bezahlung von Schmiergeldern. Eine dieser Geschichten, nämlich der Erwerb der Betriebserlaubnis für den Containerhafen in Conakry in Guinea, wurde am 27. Juni 2019 vom Berufungsgerichtshof in Paris als verjährt abgeschrieben, nachdem der Prozess aus dem Jahr 2011 offenbar nicht termingerecht abgeschlossen werden konnte – schade, schade! In diesem Jahr 2011wurde Alpha Condé zum Präsidenten Guineas gewählt, unter anderem mit tatkräftiger Unterstützung der Bolloré gehörenden Medienfirma Havas. Etwas später räumte die guineische Armee das Hafengelände, wo die Firma Getma International mit den Arbeiten am neuen Containerhafen beschäftigt war, nachdem sie drei Jahre zuvor den Zuschlag erhalten hatte. Pikanterweise war Getma eine Tochtergesellschaft einer ebenfalls französischen Unternehmung, nämlich Necotrans, welche heute im Konkursverfahren steckt. Das Pariser Gericht, welches auf Verjährung befunden hat, bestätigte in seinem Entscheid immerhin, dass es 2011 Schmiergeldzahlungen gegeben habe. Mit dem gleichen Vorwurf, nämlich der Bestechung in Form von Wahlkampfunterstützung durch Havas, diesmal von Faure Gnassingbé, zugunsten der Erlangung der Betriebsbewilligung für den Hafen Lomé, ist Bolloré im Togo konfrontiert. Hier ist das Ergebnis vor den Pariser Gerichten noch offen. Fest steht aber auf jeden Fall, dass Bolloré Africa Logistics der unbestrittene Marktführer bei den Hafenanlagen im frankophonen Afrika ist.

Nun, im Prinzip gilt hier wohl das gleiche wie bei den chinesischen Investitionen: Solange sie dazu dienen, die Infrastrukturen tatsächlich zu verbessern oder überhaupt herzustellen, ist es besser, ein internationaler oder globaler Akteur stellt sie her als eine afrikanische Machtgruppe mit ihren Bekannten und Verwandten, die von Tuten und Blasen keine Ahnung haben. Noch besser aber ist es, wenn in den afrikanischen Ländern mit der Zeit beziehungsweise möglichst schnell die entsprechenden Kapazitäten aufgebaut werden, sei es im Bereich gute Unternehmensführung oder gute Staatsführung, damit man nicht ständig von Aderlass sprechen muss. Im Moment sieht es so aus, als würde die Herstellung solcher Kompetenzen am besten in privaten Unternehmen gelingen, welche in der Regel auch wissen, wie sie mit den politisch Machthaben umgehen müssen. Hierfür gibt es keine klugen Ratschläge aus neutraler und objektiver Sicht, nur die Aufforderung: Macht es einfach!, benutzt das ausländische Kapital und das ausländische Fachwissen dazu, eigenes Kapital und eigenes Fachwissen in Afrika aufzubauen, und gleichzeitig auch die Strukturen, in welchen man so etwas an den Mann bringen beziehungsweise in Tat umsetzen kann.

Zu Vincent Bolloré findet man übrigens auf der deutschsprachigen Wikipedia-Seite eine ziemlich mangelhafte Auflistung, wie Wikipedia selber schreibt. Die Medienagentur Havas beschäftigt offenbar zahlreiche Leute, die sich der Imagepflege des obersten Chefs widmen, ganz in der Tradition der ehemaligen Nachrichtenagentur, die schon im 20. Jahrhundert für ihre Falschmeldungen legendär war. Wer diese Geschichte wiederum auf Wikipedia nachschlagen will, findet den Hinweis: «In diesem Artikel oder Abschnitt fehlen noch folgende wichtige Informationen: Was geschah zwischen 1879 und 1998?» Mit anderen Worten: Die Havas-Informationstechniker haben volle 120 Jahre Firmengeschichte von der deutschen Wikipedia-Seite gelöscht. Das ist doch schon fast rekordverdächtig. Und die französischsprachige Wikipedia berichtet einigermaßen ausführlich über den Druck, den der Bolloré-Konzern auf die Presse ausübt, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Berichterstattung über eine Plantage in Liberia, wo unter anderem minderjährige Kinder arbeiteten und wo die Menschenrechtslage katastrophal gewesen sei. Bolloré reichte Klage gegen zwei Medien ein, unter anderem France 2, auch wegen anderweitiger Berichte, unter anderem über Aktivitäten in Kamerun. Auch wenn Bolloré in der Regel nicht Recht erhielt, überstiegen diese Druckversuche das Übliche bei Weitem, sodass im Januar 2018 26 Vereinigungen, 23 recht unterschiedliche Medientitel und zahlreiche JournalistInnen öffentlich zur Wehr setzten. Der Nutzen war wohl nicht besonders hoch; im Januar dieses Jahres wurden zwei Journalisten von Mediapart wegen übler Nachrede verurteilt in einem Artikel mit dem Titel «Wie der Bolloré-Konzern zwei kamerunische Unternehmer ruinierte»; im Mai 2019 wurde umgekehrt der Bolloré-Konzern wegen missbräuchlicher Prozessführung verurteilt gegen den Journalisten Benoît Collombat. Wo diese Prozesse mittlerweile stehen, kann ich nicht sagen, in der Regel haben Konzerne wie jener von Vincent Bolloré einen recht langen juristischen Atem.

Aus neutraler Sicht sind die Aktivitäten des Bolloré-Konzerns in Afrika selbstverständlich in den Zusammenhang der europäischen Afrika-Politik zu stellen, wo Frankreich bekanntlich mit seiner Fremdenlegion für ein paar Bollwerke gegen den Islamismus sorgt und dabei die EU-Mitglieder mit Sicherheit jeweils auf dem Laufenden hält, wenn nicht sogar die Bundeswehr ein paar Spähpanzer nach Mali oder anderswohin entsendet. Die französische Truppenpräsenz ist aber nicht erst mit dem Auftauchen der Islamerer entstanden, sie bildet einen der Begleitumstände, welche die Investitionen der Bolloré-Gruppe überhaupt ermöglichen. Je nach Warte, von der aus man urteilt, kann man das als verwerflich anschauen; ich bin mir da nicht so sicher, weil ich wie gesagt die konkreten Investitionen für harte Tatsachen halte, welche die entsprechenden Länder vorwärts bringen, einschließlich funktionierender Containerterminals. Anderseits würde man gerne mal ein Strategiepapier lesen, wie sich die Französinnen und die EuropäerInnen insgesamt mittelfristig den Ausstieg aus dieser postkolonialen Strategie vorstellen, einen Ausstieg, der auf jeden Fall nicht wieder in den Rückfall in die Bereicherung der machthabenden Clans münden darf, wie dies bei der ersten Dekolonialisierungswelle der Fall war.



Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
23.07.2019

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