Artikel

"Aus neutraler Sicht" von Albert Jörimann - Habeck

Der serbische Ministerpräsident Vukic, früher einmal Informationsminister von Slobodan Milosevic, befindet sich gerade in seiner proeuropäischen Phase...


artikel/Aus neutraler Sicht/J_KW_48_200px.png


>>>Download

...kein Wunder, ist ihm doch der Geistesbruder in Washington abhanden gekommen, der ihm ebenso viel versprochen hat, wie er nicht gehalten hat, also alles und nichts, was bei dieser menschlichen Nullstelle in der US-amerikanischen Präsidentenfunktion mehr oder weniger selbstverständlich ist; da bleiben Vukic im Moment keine anderen Möglichkeiten als die EU und selbstverständlich Russland, aber Russland ist wohl eher eine Art von Grundrauschen im serbischen Populismus, während China unglücklicherweise zu weit entfernt ist, das Geld liegt im Moment eindeutig in Brüssel, also nichts wie hin mit weit heraus gestreckter Zunge. Man sollte ihn für diese Phase ebensowenig loben wie für die antieuropäische oder insgesamt für die nationalistische tadeln; er ist ein Phänomen, nicht eine Ursache dieser Zeit, und eben, es gibt deutlich ärgerlichere Beispiele. Zum Beispiel der Raketen-Schwiegerpapa-Pascha Erdopimpel, dem die Luft aber ebenfalls langsam auszugehen scheint; ein paar Nadelstiche setzt er weiterhin im Mittelmeer und auf Nordzypern, das er jetzt definitiv heim ins Türkenreich holen will, aber ansonsten lautet seine jüngste europa-politi¬sche Verlautbarung nun wieder so, dass sich die Türkei in Europa sehe und ihre Zukunft mit Europa gestalten wolle. Das war absehbar, ich melde sozusagen Vollzug, aber wie es weiter geht, darüber will ich mich hier grad nicht auslassen; in erster Linie wird dieser Schwenker zunächst niemanden überzeugen beziehungsweise man wird weiterhin auf seine Schwiegersöhne sehen, ob da nicht eben ein Atom- beziehungsweise Atombomben-Physiker darunter ist. Nein, ihr merkt es, ich mag ihn nicht, diesen Renegaten, der nun den reuigen oder Re-Renegaten zu spielen beginnt; er hat uns einen allzu tiefen Einblick in sein Innenleben gegeben, das er mit einem 1000-Zimmer-Palast auch außen abgespiegelt hat, als dass wir ihn als Person und als Staatschef auch nur annähernd noch ernst nehmen können. Fertig. Abmarsch. Go, go, go!

Naja, die Realitäten der globalen Politik sind wohl andere als jene eines neutralen Beobachters, nach der Wiederherstellung einer gewissen Rationalität in den internationalen Beziehungen wird man sich mit dem Erdopimpel abfinden müssen, so, wie man sich durchaus zwanzig oder dreißig Jahre mit dem tiefen Staat in der Türkei abgefunden hat in jenen Zeiten, bevor der junge Erdogan damit tatkräftig Schluss gemacht und unsereins in einen Zustand erfreuter Zustimmung versetzt hatte. Wie auch immer –

Aus den Augenwinkeln heraus habe ich den Parteitag der deutschen Grünen beobachtet, zunächst selbstverständlich die Film- und Fotokulisse für den Auftritt der beiden Leitfiguren Robert Habeck Annalena Baerbock, nämlich ein Wohnzimmer im Stil der 1960-er Jahre. Will uns die Führungs¬spitze der Grünen damit etwas sagen? Ich hoffe es nicht. Sie sagen uns ja auch sonst nicht so besonders viel. Es sei nun an der Zeit, die Machtergreifung anzustreben, meinte Kamerad Habeck, Macht komme ja von Machen. Ich erinnere mich schwach, dass die Grünen vor zwanzig Jahren schon einmal an der Macht waren, damals mit einem Außenminister Fischer, der seither dauernd versucht, den Kissinger zu geben, wenn Ihr noch wisst, wer dieser Kissinger war. Ganz so neu ist das Bemühen um die Plätze an den Schalthebeln also nicht. Das Grundeinkommen hat der Parteitag gegen den erklärten Willen der Führung noch so halbwegs ins Programm gewürgt, allerdings in einer unverbindlichen Fassung; überhaupt hat man den Eindruck, dass die Grünen-Spitze vor lauter Machthunger auch ihr Klimaziel eher widerwillig formuliert hat, obwohl die Klimafrage der Partei selbstverständlich zu ihren Erfolgen in den letzten Jahren verholfen hat. Besonders gewundert hat mich aber das Habeck-Orakel über die direkte Demokratie. «Volksabstimmungen wirken pola¬risierend, es sind Ja-/Nein und Schwarz/Weiss-Entscheide», sprach er ins offene Mikrofon, ohne zu erläutern, wie er denn jeweils im Bundestag abstimmt; haben die einen «Vielleicht»-Knopf zur Verfügung oder einen «Ja, aber»-Knopf? Als stimmberechtigter Bewohner eines Landes, das seit 150 Jahren Volksabstimmungen durchführt, und zwar am Laufmeter, kann ich mir da nur an die Stirn langen, um mir nicht selber in den Schritt greifen zu müssen. Aber das passt natürlich zu all dem Geschwätz von den tief gespaltenen Ländern, ein bisschen überall auf der Welt, in erster Linie natürlich in den Vereinigten Staaten von Amerika und mit sicherer Sicherheit ganz zuletzt in der Volksrepublik China. Wir müssen die Gesellschaft wieder mit sich versöhnen, reich und arm müssen sich ans Nierentischchen setzen und miteinander alte Fotos der Grünen anschauen. Die Gegensätze dürfen keine Gegensätze mehr sein, sie müssen zu einem friedlichen Nebeneinander wachsen, in welchem keine Hartz-IV-Empfängerin mehr nachweisen muss, dass sie den Anspruch auf die volle Heiz-Entschädigung hat, obwohl sie ihre paar Quadratmeter mit einem alten Holzofen befeuert – ich habe kürzlich mal gelesen, dass die Ämter es tatsächlich schaffen, auch in diesem Bereich noch einen Formularkrieg anzuzetteln, ganz abgesehen von der Bürokratie, welche in Deutsch¬land offenbar unabdingbar ist, um an Dinge wie PC für die Schulen zu gelangen. Es könnte sich schließlich jemand so einen Rechner unter den Nagel reißen, der dazu gar keine Berechtigung hat, und aus diesem Grund verbarrikadieren wir den Zugang zu diesen Rechnern mit derart vielen Bedingungen und Nachforschungen, dass die Prozessoren direktemang ins Industriemuseum verfrachtet werden können, wenn die Geräte dann endlich doch noch ausgeliefert werden. Ja, ge¬schätzte Hörerinnen und Hörer, diesen Eindruck vermittelt uns in der neutralen Schweiz euer schönes Land im Moment: Die Post habt ihr privatisiert und die Bahn sowieso, aber die Beamten-Vorschriften haben sich dafür in den gesamten Staatsapparat ausgedehnt, ganz abgesehen davon, dass Ihr sowieso immer noch ein Beamtenrecht habt – weshalb eigentlich? Es geht auch ohne, kann ich Euch aus der vom Beamtenrecht weitgehend gesäuberten Schweiz sagen. Es ist bei der Abschaf-fung dieses Sonderstatuts durchaus nicht zu einem Einbruch der Arbeits- und Lohnbedingungen der Staatsangestellten gekommen.

Wo war ich – bei Robert Habeck, genau, der sich nun ausdrücklich gegen die direkte Demokratie ausspricht, nachdem die grünen Partei über längere Zeit hinweg durchaus zahlreiche Anhängerinnen eben nicht nur des Grundeinkommens, sondern auch des Initiativ- und Referendumsrechts und eben von Volksabstimmungen enthalten hatte. Das ist nun offenbar vorbei, und wenn Habeck von der Machtergreifung spricht, spricht er davon, alle Prinzipien über Bord zu werfen, welche der Regierungsfähigkeit im Wege stehen; und man beginnt zu ahnen, dass Angela Merkel im Kern vermutlich ein stärkeres Demokratieverständnis aufweist als vor allem der männliche Teil des grünen Zweispänners.

Aus neutraler Sicht stellt sich die Frage, ob diese konventionell konservative Haltung wirklich eine tragfähige Grundlage für das Erreichen und den Erhalt einer grünen Machtposition bilden kann. All jene Kräfte, welche die Grünen zu ihren hohen Umfragewerten getragen haben, müssen sich bei solchen Positionen ziemlich gründlich verarscht vorkommen. Wenn es da nicht sehr bald zur Gründung einer neuen, jungen und wirklich grünen Partei kommt, würde mich das sehr wundern. Auch wenn ich das Dilemma anerkenne, vor dem alle Parteien stehen, die gleichzeitig fortschrittliche Politik machen und an die Regierung kommen wollen; das passt irgendwie nicht so richtig zusammen, wie es sich auch in den USA demnächst wieder zeigen wird unter der Schlafmütze Biden, der natürlich genau weiß, dass er zwar einen fortschrittlichen Flügel braucht, dass dieser aber niemals die Politik der Gesamtpartei bestimmen darf, sonst würde sich die Wirtschaft und mit ihr ein maßgeblicher Teil der Bevölkerung von der Partei abwenden. Dieses Dilemma fortschrittlicher Politik ist typisch für die neuere Geschichte, und wohin sich die Frustrationen der fortschrittlichen Teile dieser Parteien letztlich wenden, das ist dann die spannende Anschlussfrage. In den Vereinigten Staaten verhindert das Wahlsystem offenbar die Entstehung landesweiter Alternativen zu Demokraten und Republikanern; in Europa und in Deutschland ist dies eben nicht der Fall. Die Grünen werden es bald am eigenen Leib erleben.

Ach ja, fast hätte ich es vergessen: Die Grünen haben auch noch das Ziel der Beschränkung der Klimaerwärmung in ihrem Programm festgeschrieben, einschließlich der Beseitigung fossiler Brennstoffe beziehungsweise der Umstellung auf erneuerbare Energien, soweit ich verstanden habe, ohne konkretes Zeitziel. Angesichts der Tatsache, dass auch die rot-schwarze Regierung hinter diesen Klimazielen steht, geht fast unter, dass die Grünen das Thema seit über 40 Jahren auf ihren Bannern tragen. Meiner Ansicht nach dürften sie diese lange und kohärente Geschichte deutlich stolzer und selbstbewusster vor sich her tragen und daraus den Anspruch auf die Führungsrolle bei der Gestaltung einer neuen, umweltfreundlichen Wirtschaft erheben. Nur unter diesen Bedingungen kann Macht für die Grünen sinnvoll sein.

Noch einmal kurz zurück nach Serbien: Wir erinnern uns, wie der Informationsdompteur Vucic die Wahlen im Frühsommer dieses Jahres gewonnen hat. Nachdem er sich zunächst gemeinsam mit Donald aus den USA lustig gemacht hatte über das Virus, verhängte er plötzlich strenge Sperrmaßnahmen, um diese dann vor den Wahlen ebenso schnell wieder zu lockern, was ihm beziehungsweise seiner Partei einen Stimmenanteil von über 60% einbrachte, natürlich auch deswegen, weil die Opposition die Wahl boykottiert hatte, nachdem Vucic die Maßnahmen mehr oder weniger selbstherrlich verhängt hatte. Parallel dazu wetterte die serbische orthodoxe Kirche ziemlich vehement gegen das Verbot von Gottesdienst und Abendmahl. In letzter Zeit sind die Fallzahlen auch in Serbien wieder gestiegen; bei einem der jüngsten Opfer handelt es sich um einen 90-Jährigen Mann, nämlich um den serbisch-orthodoxen Patriarchen Irinej, der am letzten Freitag an Covid gestorben ist. Er folgte seinem Gegenspieler und Vorgänger Patriarch Amfilohije...

Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann von 2007 bis heute.

Albert Jörimann
24.11.2020

Kommentare

Zu diesem Artikel sind keine Kommentare vorhanden.