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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Seife"

[39.Kalenderwoche] Irgendwann gibt sich ein normaler Mensch dem Trommelfeuer der Gegenwart geschlagen und passt sein Verhalten an den Mainstream an, egal, ob es sich um das iPhone von Apple handelt ...

... oder um Kindermützen, die übrigens manchmal ganz possierlich aussehen, insbesondere jene Till-Eulenspiegel-Kappen mit fünf Spitzen. So schlimm ist das also insgesamt gar nicht, was die Gegenwart auf einen loshetzt. Zu diesen gegenwärtigen Gegenwärtigkeiten zähle ich auch die Körperpflege, die jetzt in Windeseile von den Frauen über die schwulen Männer auch auf den Hauptharst der Männlichkeit übergegriffen hat oder dabei ist, es zu tun. Dabei kann ich auch hier den Narzissmus, der damit verbunden ist, allerbestens verstehen. Sich im Tag eine halbe oder eine ganze Stunde lang nur sich selber widmen und sich allerlei Flüssigkeiten und Elixiere in die Poren zu schmieren, welche nicht nur der Schönheit, sondern in erster Linie der Gesundheit dienen, das ist doch eins a, und eigentlich fragt man sich, wieso man dieses Feld so lange der Frau überlassen hat. Soweit es sich nämlich um Erotik handelt, gilt der Satz: Autoerotik ist auch Erotik, und zwar manchmal sogar bessere Erotik, weil einem niemand dreinpfuscht. Und erotisch sind diese selbstpflegenden Momente mit letzter Sicherheit, und wenn sie dann noch in der für das Unterbewusstsein gemilderten Fasson eben der Körperpflege daher kommen, dann ist die Sache ja schon fast zu schön, um wahr zu sein. Ja, was hindert uns jetzt noch daran, in den modernen Wohnungen die Kubatur der Badezimmer zu verzehnfachen und in Schmink-, Pflege- und Duftabteile zu gliedern? Zur Nacht reinigen und vitalisieren wir sämtliche Körperteile gründlich und massieren uns anschließend eine Stärkungscrème ein, die viele wertvolle wissenschaftliche Suggestionen enthält, z.B. ein Koenzym Q10, einen Liposomalkomplex mit Botox-Wirkung, Hyaluronsäure, Echinacea-Extrakt und so weiter. Am Morgen schminken wir uns die Nachtcrème ab und tragen die Tagessalben auf nach der Peelingcrème mit Alpha-Hydroxy-säure, Lärchenholzextrakt und Provitamin B; wir baden in Ysopextrakt, tragen Allontonine und Ringelblumen auf, verwenden Aloe Wera und Rosmarinexxenzöle, vielleicht noch hydrolisierte Weizenproteine – kurz, wir verschmelzen in höchst kunstvoller Weise mit dem Besten, was uns die Natur zu bieten hat. Schön ist das, und die Tiefenwirkung bis mitten in die Seele hinein erscheint mir ziemlich garantiert. Das ist schön, und der Witz dabei bleibt, dass auch der Spötter nicht im Ernst bestreiten kann, dass diese Produkte irgend einen positiven Effekt auf die Epidermis haben und somit, damit dies auch wieder mal gesagt sei, auf das größte Organ des Menschen. Was gesund ist, ist gesund, auch wenn es in narzisstischer Form daherkommt, beziehungsweise die Volksgesundheit muss sich zu ihrer Verbreitung auf freiwilliger Ebene vielleicht hin und wieder des Narzissmus der Menschen und der Männer bedienen, beziehungsweise diesen Narzissmus überhaupt erst schaffen als ein Kulturgut, wie es eben nur elaborierte Individuen mit sich führen. Und damit wäre die Vermutung formuliert, dass die Frauen früher zivilisiert gewesen seien als die Männer. Das nun wieder dürfte etwas schwierig zu beweisen sein, geschätzte Damen. Aber wie auch immer –

All diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich jüngst in meinem Lieblingsladen, weil nämlich jenem mit dem größten Sortiment zu vernünftigen Preisen im besten Abstand zu unserer Wohnstätte, nach einer Seife suchte. Die Frau im Haushalt hat bei uns vor ein paar Jahren die Regel eingeführt, dass in Schrankfächern mit Kleidungsstücken ein Stück Seife zu platzieren ist zur Verhinderung anderweitiger Geruchsbildung. Nun versuchte ich hier die Bestände wieder aufzustocken und strich in der Abteilung für Körperpflege und Kosmetik um die Regale. Es hat nichts genützt. Wenn dieser Laden repräsentativ ist, was ich nicht beurteilen kann, da ich aus Faulheitsgründen kaum einmal in ein anderes Geschäft gehe, aber annehmen tu ichs mal, sodass ich zum Schluss komme: Die Seife ist ausgestorben. Diese Vermutung wird gestützt durch die Beobachtung, dass in der ganzen weiten zivilisierten Welt auf den Badezimmern und Toiletten nirgends mehr Seife aufliegt, sondern nur noch diese Flüssigseifenspender. Aber einen Flüssigseifenspender kann ich nicht gut in meine Sockenschublade legen. So oder so: In der allgemeinen Warenwelt ist die Seife als solche ausgestorben. Dagegen gibt es sie noch als Luxusartikel in spezialisierten Geschäften, wo sie einfach zehn Mal so viel kosten wie früher eine ordentliche und normale Seife. Was soll ich sagen: Ich will nicht klagen, das schreibt, glaub ich, schon Mathias Claudius, aber eigentlich müsste man doch jedesmal, wenn ein Produkt und zumal eines der zentralen Zivilisationsprodukte der Menschheit die Bühne definitiv verlässt, ein kleines Requiem anstimmen. Ein Requiem für die Blockseife oder Stückseife, das würde ich jetzt durchaus gerne in einer Uraufführung hören. Aber es ist nicht mal eine Agenturmeldung wert. Jedenfalls kann ich sagen, dass in der Migros auf 100 Quadratmeter zwar siebentausend Toiletten- und Kosmetikartikel angeboten werden, wild gegliedert nach Marken oder Anwendungszwecken, aber es befindet sich leider keine Seife mehr darunter. Übrigens scheint auch die einfache Handcrème bereits weitgehend ausgestorben zu sein, man muss bereits einen biometrischen Hautpass mit sich führen, um exakt bestimmen zu können, welche Liposome, Vitamine und Dermalfüller für die jeweiligen Körperpartien gerade am Platz sind.

Wie gesagt: Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, ganz im Gegensatz zum Alterungsprozess, mindestens der Haut, aber vielleicht insgesamt, aber darüber habe ich mich hier schon verschiedentlich geäußert; früher wollten die Menschen groß und stark werden, heute möchten sie ums Verrecken jung bleiben. Mir ist das egal, ich passe mich an.

Daneben rückt auch in Deutschland das Wahljahr 2008 langsam in Sichtweite heran. Wenn ich das richtig beobachte, hat sich die Politikverdrossenheit ihrerseits etwas tot gelaufen; dieses Land scheint seine Mitte definitiv gefunden zu haben. Wo die beiden großen Volksparteien sich nur minimal voneinander unterscheiden, sollen sie auch gemeinsam regieren, das ist sicher richtig und bei weitem besser, als wenn die SPD mit einer sozialdemokratischen Rhetorik die Politik der CDU betreibt, einfach noch viel radikaler als die CDU dies selber je tun würde. Umgekehrt scheint sich die CDU zum Teil darauf vorzubereiten, ihr Spektrum voll und ganz auf die soziale Seite hin auszudehnen, sodass sie im ganzen Land demnächst mal eine ähnliche Rolle anpeilen könnte wie sie die CSU in Bayern seit Jahr und Tag spielt. Der riesige Vorteil der bürgerlichen Parteien besteht heute darin, dass sie niemals irgendwelche Visionen oder Zielvorgaben propagiert haben jenseits des Istzustandes, im Gegensatz zur Sozialdemokratie, welche ihre Köpfe nie so ganz aus dem sozialistischen Sumpf herausziehen wollte, obwohl sie, wie gesagt, in der Machtpraxis eine viel hahnebücherne rein unternehmerorientierte Politik betrieb als die CDU. Nun aber erscheint alles in Ordnung; die leichten konjunkturellen Trübungen durch die Hypothekar- und Kreditkrise auf den US-amerikanischen Finanzmärkten nimmt man so wahr wie ein kleines Seitenstechen, aber viel mehr ist da nicht, sodass sich im Moment ein durchaus ruhiger Wahlkampf abzeichnet. Aber sowas kann natürlich grausam täuschen. Spätestens im Februar werden die Parteigeschütze in Stellung gebracht, die Auseinandersetzungen im Bundestag lärmig, man wird vom Platzen der großen Koalition zu sprechen beginnen – bloß weiß ich nicht, auf welcher Ebene da größere Differenzen bestehen sollten. Gewisse Einzelgänger wie der rollende Innenminister Schäuble sind wohl auch in ihrer eigenen Partei stark umstritten, und wenn man das aus der Vorausdistanz anschaut, so versuchen die Parteien in erster Linie damit Stimmung zu machen, dass sie sich als brave und eifrige Arbeiter im Dienste des Landes geben, und da eben beide Großparteien mit dem gleichen Projekt beschäftigt sind, dürfte es dem Durchschnittsbürger immer schwerer fallen, hier Unterschiede auszumachen, welche dann den Ausschlag geben. Besonders neue Töne sind auch von der Linken nicht zu erwarten, die FDP hat bereits wieder die Qual der Wahl, irgend ein neues Thema anzureißen und sich selber als dessen Vorreiter zu positionieren; vielleicht engagieren sie sich diesmal für eine bemannte deutsche Marsmission oder für die Privatisierung von Strafvollzug und Sozialhilfe. Irgendetwas Originelles, bei dem der Westerwelle sein bestes Organ, nämlich seine Hände als Kreuzung aus Tennisracket und Bratpfanne klatschend zum Einsatz bringen kann, wird dieser Karikatur einer liberalen Partei schon einfallen.

Was würde man den linken Parteien wünschen? Schön wäre es, einmal ein Programm zu lesen, in dem nicht die defensiven und rückwärts gewandten Töne alles andere übertönen. Ich gehe für mein Teil davon aus, dass es der Linken, der im übrigen nach wie vor meine Sympathien gehören, nicht gelingen wird, aus eigener Kraft die eigenen Mythen zu überwinden. Die Grünen werden daran zu beißen haben, dass sich die Parteispitze in ähnlichem Ausmaß als Apparatschiks herausstellt, wie dies bei der Schröder-SPD der Fall war, mit denen sie im gleichen Boot gesessen sind, wobei dieser Nachteil bei den Grünen insofern deutlich schwerer wiegt, als ein Teil ihres ursprünglichen Engagements sich ausdrücklich gegen diese Sorte von Staatsapparat gerichtet hatte. Das Knirschen in der Partei ist längst unüberhörbar geworden, könnte aber dennoch für einen etwas heterogenen Zulauf sorgen.

Zu euren völkischen Rechtsextremen fällt mir dagegen nichts ein, sowenig, wie mir überhaupt zu Rechtsextremen etwas einfällt. Die einzige Frage, die sich hier vernünftigerweise stellt, ist die, wo Notwehr beginnt und wie weit die Polizei diese Organisationen selber im Griff hat. Ich gehe mal davon aus, dass dies grundsätzlich der Fall ist.

Bei uns in der neutralen Schweiz befinden wir uns dagegen gerade jetzt in der heißen Phase des Wahlkampfs vor dem Ereignis selber am 21. Oktober. Hier starrt die ganze politische Welt wie gebannt auf die diffus rechtsnationale Schweizer Volkspartei, welche einen Wähleranteil von rund 30 Prozent hält, knapp vor den Sozialdemokraten; dahinter folgen die Liberalen und die Katholiken und die Grünen. Es ist nicht mit großen Änderungen zu rechnen für diese Legislaturperiode. Dieser wird erst stattfinden, wenn der große Guru der Schweizer Volkspartei, der Milliardär und Bundesrat Christoph Blocher, welcher für den Wahlkampf der Partei als anonymer Spender Millionenbeträge aufwirft, in vier oder spätestens 8 Jahren das politische Zeitliche segnet. Solange hätten bei uns die fortschrittlichen Kräfte theoretisch Zeit, ein Programm zusammenzunageln, das, wie ich oben erwähnt habe, nicht defensiv und rückwärts gewandt ist, sondern die Chancen thematisiert, welche uns der theoretisch problemlos realisierbare allgemeine Wohlstand eröffnen würde. Wer heute noch mit Fragen wie Armut und Prekariat Politik macht, ist einfach hoffnungslos hinter der Zeit zurückgeblieben. Solche Fragen gehören nicht mehr diskutiert, sondern nur noch gelöst, und dafür findet man auch eine Übereinkunft unter den vernünftigen Politikern. Solange sie aber Gegenstand von Wahlpropaganda bleiben, solange bleibt wohl auch das Problem bestehen, egal ob in Deutschland oder in der Schweiz.



Albert Jörimann





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26.09.2007

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