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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Baumdaten"

[08.Kalenderwoche] Am Wochenende gabs wieder mal Umberto Bossi von der italienischen Lega Nord in den Fernsehnachrichten. Ich habe noch selten eine größere Übereinstimmung zwischen Idee und ihrem ...

... Träger gesehen. Die Berufung der Padaner auf einen angeblichen, vor 2000 Jahren untergegangenen Keltenstamm zur Rechtfertigung ihrer Separationsansprüche ist ungefähr gleich hirnrissig und hinfällig wie der Kréateur und Hauptträger dieser Idee nach seinem Hirnschlag vor vier Jahren; es handelt sich um einen krankheitsbedingten Nachvollzug des Kretinismus der Idee am Trägerkörper. Ich habe schon verschiedentlich darauf hingewiesen, dass sich solche Idiotien höchstens noch die Schweizer leisten, die sich Confoederatio Helvetica nennen, also genauso einen keltischen Stamm bemühen, der aber wenigstens von Julius Cäsar in seiner durchaus nicht eingebetteten Kriegsberichterstattung ausführlich zitiert wird, den es also gegeben haben muss; daneben sind diese Helvetier unter der römischen Kolonisierung und Jahrhunderte später mit der Einwanderung von Alemannen und Burgunden verschwunden, lange bevor die Eidgenossenschaft gegründet wurde. Ebenfalls geschichtsnotorisch ist als weiterer Fall eines Kollapses des Geschichtsbewusstseins der Fall Israel bzw. Palästina; ich gehe davon aus, dass die intelligentere Mehrheit der Israeli und Jüdinnen das Existenzrecht Israels nicht auf 2000 Jahre Vertreibung, sondern auf 60 Jahre Kolonisierung zurückführen, die wiederum vor dem Hintergrund des deutschen Holocausts zu sehen ist. Insofern ist Bossi eben schon einzigartig, gleichzeitig in seiner Blödheit wie auch in seinem blöden Verfallsstadium. Er dient auf jeden Fall als abschreckendes Beispiel dafür, wohin Dummheit und Dreistigkeit führen kann. Ich möchte Euch bitten, ab sofort in den Erfurter Schulen als Bestandteil des Ethik- und Moralunterrichts den Umberto Bossi zu behandeln.

Das Thema war diesmal der Rückzug der italienischen Fluggesellschaft Alitalia vom neuen internationalen Flughafen Malpensa bei Mailand, den sie ursprünglich selber an diesem Ort mehr oder weniger erzwungen hatte. Alitalia will sich auf Rom konzentrieren, um Kosten zu sparen; Malpensa wird mindestens vorübergehend einige Verbindungen verlieren, welche die norditalienische Industrie schon jetzt schmerzlich vermisst und deshalb ihre Idiotenherolde vorschickt. «Vola, Malpensa», Flieg, Malpensa, versuchte Bossi ins Mikrofon zu schreien, und es krächzte aus ihm heraus wie aus einem niemals flugtauglich gewordenen vergreisten Küken.

Der Hintergrund ist die Krise von Alitalia. Diese Fluggesellschaft schreibt seit Jahren oder Jahrzehnten Verluste, die mit einiger Sicherheit jeweils der italienische Staat auffängt, der mit 49.9% beteiligt ist. Die Bargeldbestände reichen angeblich noch bis im September dieses Jahres. Ebenfalls seit Jahren soll das Unternehmen verkauft werden, wogegen sich immer alle möglichen Spielarten von Opposition regen, in erster Linie natürlich die Personalverbände. Seit einem halben Jahr läuft wieder so eine Phase mit Ankündigungen und Verschiebungen von Verhandlungen, unendlichen Sitzungen der Verwaltungsräte, Uneinigkeit bei der Regierung, die ja in der Zwischenzeit sowieso zurückgetreten ist. Erstaunlich ist, dass Air France-KLM trotz allem bereit scheint, 35 Cents pro Aktie auf den Tisch zu legen; das Gegenangebot der kleinen italienischen Air One lautet auf 1 Cent pro Aktie. Nicht bekannt sind die weiteren Bedingungen. Jedenfalls geht der Aktienkurs von Air France bei jedem neuen Verhandlungsanlauf wieder zurück, da die Anleger mit einer Ausdehnung des Desasters bei Alitalia auf Air France rechnen.

Und um ein Desaster muss es sich hier wirklich handeln. Das Unternehmen wird seit Jahren hin und her geschoben in Interessenknäueln von Unternehmensleitung, bestochenen Ministern oder Ministerialbeamten, Zulieferern und Gewerkschaften, welche den Begriff von einer vernünftig funktionierenden Unternehmung schon lange ad absurdum geführt haben. Alitalia ist eines jener Beispiele, das belegt, dass der italienische Staat kein Selbstbedienungsladen ist, denn in einem Selbstbedienungsladen muss man am Schluss doch bei der Kasse durch, und das trifft beim italienischen Staat nicht zu. Das wiederum ist frustrierend für jene Menschen, welche gerne ein funktionierendes Staatswesen hätten mit anständiger Spitalversorgung für die Allgemeinheit, mit Trinkwasser- und Abfallentsorgung und was so alles dazu gehört. Aber dafür ist das italienische Regierungssystem nicht gemacht, und ob sich dies mit einer reinen Wahlrechtsreform ändert, ist nicht wirklich sicher. Umgekehrt zwingt der italienische Staat die italienischen EinwohnerInnen ganz einfach zu einer anderen Lebenseinstellung, die möglicherweise einen Teil der Anziehungskraft dieses Landes ausmacht. Bloß Erfindungen wie den Umberto Bossi oder die ambulante Lüge Silvio Berlusconi hätten sie nicht zu machen gebraucht. Aber was solls.

Der Fortschritt lässt sich ja doch nicht aufhalten. Dies habe ich letzte Woche wieder mal erkannt, als ich mich mit einem alten Bekannten unterhielt über die neuesten Informatikspielereien in seiner Kommunalverwaltung. Der Typ ist gelernter Landvermesser und hat in den letzten 15 Jahren unter anderem die gesamten technischen Informatiksysteme einer Kleinstadt in der Nähe von Zürich zusammengeführt, also zunächst mal alle verlegten Leitungen mit Elektrizität, Wasser, Abwasser usw., wobei das bis hin zur Friedhofsverwaltung geht, welche natürlich schon längstens nicht mehr auf den Grabsteinen nachkuckt, welche Leichen nun ihren Platz räumen müssen. Meine zwiespältige Bewunderung gegenüber diesen administrativen Wunderwerken bleibt ungebrochen nach dem neuesten Fortschritt: Jetzt sind die Damen und Herren beim Wald angelangt. Eine Voraussetzung dafür liegt in einer GIS-Software, also bei einem Geo-Informationssystem, das die Grundbücher und Katasterpläne zusammenführt mit geografischen Satelliteninformationen; diese Satelliteninformationen sind übrigens ein Nebenprodukt der elektronischen Kriegsführung, wie sie u.a. zum Steuern von Raketen benutzt wird. Mit solchen geografisch-geometrischen Informationssystemen kann man übrigens auch andere schöne Sachen machen; ein anderer Kollege von mir hat damit historische Landkarten aufgebaut, das heißt, du kannst bei bestimmten Referenzpunkten jeweils auf die unterschiedlichen Daten der unterschiedlichen Jahre oder Jahrhunderte gehen, zum Beispiel, wenn du einen Postkutschenfahrplan aus dem Jahr 1753 ermitteln willst. Aber gegenwärtig sind die Jungs eben beim Wald, und das heißt, dass man den Wald nach drei Kriterien parametriert, nämlich nach dem sozialen, dem wirtschaftlichen und dem ökologischen Nutzen; sprich: Wie viele Waldwege sind vorhanden, welches Holz gibt es und wie alt ist es, besteht ein Schutzinteresse an Fauna und Flora. Logischerweise erstreckt sich dieses Informatiksystem in letzter Konsequenz bis auf den letzten Baum, wo der Förster dann im Wald herumirrt und auf seinem Palm die Bäume kennzeichnet, die demnächst gefällt werden müssen. Im Moment sei man noch nicht soweit, sagte der Herr Kollege, im Moment erfasse man erst einzelne besondere Bäume von besonderem Interesse auf den jeweiligen Katasterorten, das aber richtig, das heißt mit einem Gesundheitsdiagramm, mit Jahrringen, Höhe, Pflanzdatum usw. usf.

Vor solchen Entwicklungen kann ich mich nur noch ehrfürchtig verbeugen. Ich sage ja seit langem, dass sich um den Menschen die Schlinge seiner eigenen Datenspur immer enger zusammenzieht, sofern er bloß an einen Computer angeschlossen ist oder mit einem Handy telefoniert. Aber dass auch die Erfassung der künstlichen und vor allem der natürlichen Umwelt bereits auf Hochtouren läuft, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.

Daneben haben wir nicht ohne ein gewisses Vergnügen Kenntnis genommen vom Umstand, dass der honorige Chef der deutschen Post Knall und Fall seinen Hut nehmen musste und unter dem ziemlich stark erhärteten Verdacht der Steuerhinterziehung vermittels einer Stiftung im Fürstentum Liechtenstein steht. Zumwinkel ist die Leitfigur bei der Privatisierung der deutschen Post im Jahr 1995, und dieser Steuerbetrug bestätigt eigentlich nur all die Vorurteile, die man in diesem Zusammenhang seit eh und je gepflegt hat. Wir sind gespannt wie ein Pfeilbogen auf die weiteren Betrugsfälle, für die das deutsche Steueramt Informationen und Belege gekauft hat. Es versteht sich dabei von selber, dass die Reichen in Deutschland und solidarisch in allen anderen Weltregionen von diesem Vorgehen der Steuerbehörde nicht begeistert sind. So schreibt auch der NZZ-Wirtschaftsredaktor Gygi, dass unter diesen Umständen die Steuermoral der Reichen noch schlechter werde und dass sie sich noch mehr Tricks einfallen lassen werden, um sich vor dem Fiskus zu verstecken. Das ist nun eine schöne Logik. Man darf die Gesetzesbrecher nicht bestrafen, weil sie sonst noch viel stärker gegen die Gesetze verstoßen würden. Man merkt richtig, dass die ganze bürgerliche Presse die Steuerbehörden am liebsten hinter den Mond schießen möchten. Aber soweit ist es noch nicht, dass die Anwendung des geltenden Rechts gegen das Gesetz verstößt. Dass das Steueramt Daten kauft, die ihm angeboten werden, ist noch nicht das Gleiche, wie wenn es selber Daten sammeln würde. Auf diese Art der Überwachung ist Innenminister Schäuble noch nicht gestoßen, obwohl sich seine Offensive dafür ganz ordentlich eignen würde. Aber auch wenn Schäuble seinen Einsatzbereich ausdehnt, dann wird er es nicht auf die Reichen und Reichsten im Lande tun, sondern auf die DurchschnittsbürgerInnen, wo auch immer mal wieder etwas zu holen ist.

Man freut sich dennoch, dass ausnahmsweise auch ein paar reiche Säcke an die Kasse kommen. Natürlich triffts dabei die Dümmsten, und da ärgert man sich wieder darüber, dass ausgerechnet so ein Dummerjahn als Vorzeigefigur für die Postliberalisierung herhalten musste. Die anderen, die echten Reichen, die brauchen den Fiskus nicht zu fürchten, wahrlich nicht. Denen ihr Klotz befindet sich im Dauer-Steuerurlaub auf den Bahamas oder auf den Kanalinseln oder in Monaco. Der eine oder andere übersiedelt in diesem Zusammenhang, wie ihr alle wisst, gerne auch mal in die Schweiz, wo die Steuerbehörden in der Regel durchaus verhandlungsbereit sind und wo das hohe Lied der Steuerkonkurrenz sogar unter unseren Kantonen so laut erschallt, dass sich wohl auch der Liebe Gott die Ohren zuhalten würde, wenn es nämlich einen gäbe.



Albert Jörimann





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20.02.2008

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