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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Espresso"

[11.Kalenderwoche] So, wie es immer wieder Frühling wird, so kehrt mein Blick beim Herumschweifen auf dem Globus immer wieder auf den Brennpunkt Israel zurück, wo es leider nach wie vor nichts Neues ...

... gibt, will sagen: Wenn man die Angriffe der israelischen Luftwaffe auf gewisse Stadtviertel im Gazastreifen noch halbwegs versteht, weil man den Angaben über Bombenbastler und mobilen Abschussstellen in solchen Gebieten durchaus Glauben schenken kann, wobei die Auswirkungen dieser Do-it-yourself-Raketen militärisch gesehen völlig vernachlässigbar sind, weshalb es umso mehr immer wieder erstaunt, mit welcher Impertinenz die Gesellschaft der palästinensischen Bombenwerfer immer wieder Geschoße nach Sderot feuert und diese umgehend mit Zins und Zinseszinsen auf den eigenen Kopf zurückgeschleudert erhält, aber immerhin; wenn man also das Trauerspiel einer bis zum Halskragen und über die Scheitelspitze hinaus hoch gerüsteten Minisupermacht im Nahen Osten gegenüber den Raketenbastlern im Gazastreifen halbwegs begreift, so ist auf der anderen Seite, nämlich im Westjordanland, die anhaltende Besiedelung palästinensischer Grundstücke durch israelische Kolonisten wie einst im Wilden Westen ein klarer Beleg dafür, dass Israel durchaus nicht die Absicht hat, langfristig einen Frieden in den Grenzen von 1967 abzuschließen. Vielmehr ist das Ziel Israels mindestens die teilweise Annektion des Westjordanlandes; der Gazastreifen und vielleicht noch einige palästinensische Enklaven im Westjordanland bilden die israelische Vision des palästinensischen Palästinas. Man muss davon ausgehen, dass Israel den Palästinakonflikt in nächster Zeit für nicht lösbar hält, weshalb es seine Positionen verstärkt, und die Armee bewegt sich nun mal sicherer auf einem Terrain, wo sie mindestens streckenweise auf befreundete Bevölkerungsteile zählen kann, Ihr erinnert Euch an den alten Spruch vom Fisch im Wasser; und wenn man die Besiedelung nur so einrichtet, dass die Weltöffentlichkeit zwar ungefähr in dem Maße quakt, wie ich dies hier regelmäßig tue, aber ansonsten nicht von einer direkten Eroberungs- und Annektionsstrategie spricht, was es in Tat und Wahrheit ist, so kann man dem israelischen Staat dazu nur gratulieren – die Strategie funktioniert. Und wir im fernen Europa können uns weiterhin die Köpfe darüber einschlagen, ob Israel wohl auf alle Zeiten hinaus unter dem Schutz des Holocaust-Tabus stehen darf oder soll oder ob irgendwann mal der Zeitpunkt kommt, da man dieses Gebilde wie einen normalen Staat zu behandeln hat; dazu sind aber zugegebenermaßen auch gewisse Voraussetzungen auf Seiten der nicht ausgeprägt freundlichen Nachbarn zu erfüllen. Und ganz selbstverständlich ist anzuerkennen, dass die Antisemiten überall dort, wo sie nicht so leicht offen antisemitisch agieren können, immer genau diesen objektiven Ton der Israel-Kritik einschlagen, den auch ich hier im Rhythmus der Jahreszeiten anschlage. Trotz dieser unglücklichen Koinzidenz gehe ich weiterhin davon aus, dass Israel Cisjordanien langsam und effizient besiedelt und dann bei Gelegenheit auch offiziell dem Staat einverleibt. Die Situation ist auf mehreren Ebenen unglücklich; ich kann sie weder befürworten noch verneinen, sie ist schlicht und einfach real. Israel müsste eigentlich Is real heißen.

Es ist ja auch sonst so unglaublich viel real. Neulich habe ich eine Werbung gesehen für ein neues Mobiltelefonmodell von Samsung, wenn ich mich recht erinnere, dessen Design angeblich von Gucci entworfen wurde. Kurz zuvor waren wir an einer Plakatwerbung für eine Brille von – ach herrje, der Name ist mir entfallen, aber es war auch so eine Luxusmarke, die da brillenmäßig beworben wurde, und es war einfach furchtbar. Zwischen dem Ohr und dem Gestell für die Gläser enthielt dieser Brillenstängel zwei oder drei mit Edelsteinen besetzte geometrische Formen, welche ein unbelecktes Herz wohl Design nennen möchte, und ich meinerseits bin versucht, dies ebenfalls Design zu nennen und das ganze Design in Zukunft als Kriterium bei der Mülltrennung einzusetzen. Mann und Frau sollen sich doch mit Strass und Straps schmücken, dass die Glieder knacken, aber dem Publikum solche Brillenkrüppel als Luxus zu verkaufen und eben sich selber als Luxusmarke anzupreisen, das ist ein schwerer Regelverstoß des Kapitalismus, der eigentlich nicht mal von der Kredit- und Immobilienkrise übertroffen wird. Die Partnerschaft von Gucci und Samsung bei Mobiltelefonen geht in die gleiche Richtung, nämlich handelte es sich offensichtlich um ein Modell aus dem Jahr 2001, auf dem jetzt einfach der Gucci-Schriftzug prangte. Offenbar versucht der ganze Mobiltelefonsektor, den reinen Marketingerfolg des iPhone von Apple durch einen vergleichbaren Marketing-Schnickschnack zu kopieren. Wenn das so weiter geht, eröffnen sich natürlich brilliante Perspektiven, zum Beispiel für die Waschmittelindustrie, die seit Jahren, ja seit Jahrzehnten werbemäßig in einer echten Sackgasse steckt, weil man nämlich Weißwäsche einfach nicht weißer waschen kann als weiß, und bei Buntwäsche würde ich sogar ausdrücklich davor warnen, sie noch bunter zu waschen. Porentief sauber – mag sein, obwohl ich mich lieber nicht mit tief- oder großporigen Kleidungsstücken umgebe. Nicht nur sauber, sondern rein, all das ist schwer in Ordnung, ändert aber nichts daran, dass die Werbung für Waschmittel naturbedingt in einer Sackgasse steckt. Wenn nun die sogenannte Luxusindustrie auf den Plan tritt und Kooperationen anbietet, wird alles anders. Wir haben dann Ariel von Gucci, Perwoll von Dolce und Gabbana, Persil von Giorgio Armani, und Tiffany wäscht mit Henkel. Bald wuchern die Luxusmarken weiter auf Computer, Briefbeschwerer, warum nicht auch auf Lebensmittel: Benetton für den erlesenen Geschmack, Diesel für den kritischen Gaumen. Am Schluss befindet sich die gesamte Warenbewerbung ungefähr auf der Ebene von Helmut Glöggner, der auf den Weltmärkten nicht mehr gebrauchte Kleidungsposten zusammenkauft, sie mit seinem Kronen-Logo versieht und das Ganze dann im berühmten TV-Kanal Home Shopping Europe wortreich und als wunderbare Kopie des verstorbenen Rudi Mooshammer an die Frau zu bringen versucht – das müsst Ihr Euch dringend mal anschauen, falls Ihrs noch nicht kennt, HSE 24, ein Dauerbrenner. Die Markenwirtschaft überwuchert die Marktwirtschaft und überzieht die gesamte Produktepalette, und am Schluss stellt sich dann heraus, dass alles nur noch iWare kaufen will, nur noch Produkte mit dem Apple-Logo. So weit kommts.

Hin und wieder erwähne ich hier das italienische Magazin L’Espresso, dessen Informationen zur italienischen Schattenwirtschaft, welche selbstverständlich identisch ist mit der italienischen Realwirtschaft, jeden Menschen verblüffen, der an so etwas wie einen angelsächsischen Journalismus gewohnt ist, und zwar nicht etwa wegen der Informationen selber, die offenbar in der Regel hieb- und stichfest sind, sonst wäre nämlich das Blatt längstens unter einer Prozesslawine zusammengebrochen, sondern deswegen, dass diese Informationen nicht umgehend zu Massenrücktritten und Verurteilungen der betroffenen PolitikerInnen und Wirtschaftsbosse führen. In der letzten Ausgabe gings wieder einmal um einen Minister aus der vorherigen Berlusconi-Regierung, nämlich um den Kollegen Lunardi, der Aufträge für ein paar saftige Infrastrukturbauten zu vergeben hatte, namentlich im Bereich Straßen- und Eisenbahnbau. Dass Ingenieur Lunardi vom Fach ist, spricht auch im Nachhinein nicht gegen ihn – nichts gegen einen Minister, der von seinem Zuständigkeitsbereich eine Ahnung hat. Dass er aber gleichzeitig eine eigene Ingenieurunternehmung besaß, die er zwar seinem Sohn abtrat bzw. sie schließlich vollends einer Briefkastenfirma im schweizerischen Tessin verkaufte, die aber dennoch reihenweise Aufträge seines Ministeriums erhielt, ist dann doch etwas ungewöhnlich, eben: nach angelsächsischen Maßstäben; nicht aber nach italienischen und insonderheit nach Berlusconi-Maßstäben. Übrigens ist besagter Espresso letztlich mindestens für eine politische Bewegung in Italien verantwortlich, nämlich ritt er Attacke um Attacke gegen den klientelistischen Justizminister Mastella, bis sich ein Untersuchungsrichter im Süden Italiens erbarmte und gegen diesen Justizminister eine Untersuchung einleitete, was diesen unter lautem Gezeter zum Rücktritt und zum Auszug seiner Partei aus der Regierungskoalition veranlasste, worauf die Regierung Prodi dann tatsächlich stürzte. Ein gewisser Resteinfluss bleibt dem italienischen Journalismus also erhalten. Daneben gab es in der gleichen Ausgabe einen Artikel über die Vermögensverteilung in Italien – die reichsten 10% der italienischen Bevölkerung besitzen die Hälfte der Vermögenswerte, was heißt, dass das Land mindestens diesbezüglich im guten europäischen Durchschnitt liegt –, über den Verkauf der TV-Rechte für den italienischen Fußball an eine Gesellschaft unter der Führung eines Verwandten unseres Schweizer Fifa-Bosses Sepp Blatter, über die Restbestände der serbischen Armee, welche einem zum einen die Tränen in die Augen treiben und zum anderen die durchaus reale Gefahr paramilitärischer Truppen entstehen lassen, was im Zusammenhang mit dem Kosovo nicht völlig unbedeutend ist. Und schließlich schreibt der Espresso vom Widerwillen der italienischen Öffentlichkeit, insbesondere der staatlichen Fernsehanstalten, sich mit den Verbrechen der italienischen Faschisten unter Mussolini auseinanderzusetzen; mindestens zwei Dokumentarfilme wurden zwar recherchiert und fertiggestellt, aber nie gesendet. Nö, wirklich: Der Espresso, der taugt was.



Albert Jörimann





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12.03.2008

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