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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "La France"

[15.Kalenderwoche] Frankreich wählt die oder den NachfolgerIn für den schmierigsten und korruptesten Staatspräsidenten, den Frankreich je hatte, wobei ich mich in meiner Qualifikation auf seine Zeit als Bürgermeister von ...

... Paris usw. beziehe; als Staatspräsident war das wohl einerseits weniger einfach und zweitens gar nicht nötig – da hörte ja eh alles auf ihn. Eine eigenartige Demokratie, dieses Frankreich, mit dem Präsidenten als Zentrum des stark zentralisierten Staates. Das KandidatInnenangebot weckt keine wirkliche Begeisterung und/oder Polarisierung. Der bürgerliche Nicolas Sarkozy ist nicht wirklich beliebt, weder bei den Gegnern – das ist an und für sich normal – noch bei seinen, naja, Freunde wird man sie nicht nennen; er hat wenig Freunde. Er war wohl eben zu wenig korrupt. Sarkozy ist einfach eitel und gibt die Rolle des dynamisch/entschlossenen Machers, der im Wahlkampf aber vor allem durch eine hermetische Abschottung vor allem aufgefallen ist, was nach Realität stinkt. Er dürfte es trotzdem schaffen; seine Gegenkandidatin Ségolène Royal hat zwar einen passenden Namen, aber zu wenig Charisma und schon gar kein Programm, wobei das mangelnde Charisma durchaus ein Ergebnis der Hintergrundarbeit bei den Medien sein könnte, das weiß man nie so genau. Ein Teil ihrer Schwäche ist aber sicher selbst produziert, indem Ségolène Royal versucht, in der Mitte bürgerliche Wähler herüber zu ziehen; das wirkt in der letzten Wahlkampfphase eher peinlich. Schon eher normal ist dagegen, dass Nicolas Sarkozy den starken Mann markiert und damit bei den Rechtsextremen Stimmen sucht. Niemand hat vergessen, wie Jean-Marie Le Pen seinerzeit den sozialistischen Kandidaten Lionel Jospin aus dem Rennen warf. Dies wird sich nicht wiederholen, obwohl Le Pen wieder antritt; bei ihm vermute ich persönlich eher einen Menschenversuch. Dieser Typ besteht doch nur noch aus Ersatzteilen; das einzige, was noch hält, ist die rechtsextreme Ideologie, mit der Le Pen daneben ausgerechnet in den Vororten bei den EinwandererInnen auf Stimmenfang aus ist. Am meisten Aufmerksamkeit zieht der Kandidat der extremen Mitte, Bayrou, auf sich; seine grösste Stärke liegt darin, dass er in keiner Art und Weise ein Medienprodukt oder ein Produkt eines Parteiapparates ist. Das wäre ein wirkliches Ereignis, dass sich das ganze Land gegen diese Werbeereignisse auflehnt. Insgesamt aber gilt die Diagnose gleich wie für Deutschland: Es wird sich kaum was ändern, egal, ob Sarkozy oder Bayrou oder sogar Ségolène Royal zum neuen König oder zur Königin von Frankreich wird.

Hin und wieder bin ich diesem Land gegenüber etwas skeptisch oder bitter, da es in den letzten 40-50 Jahren einige Hoffnungen enttäuscht hat, sei dies bezüglich seiner Rolle in den ehemaligen Kolonien, der europäischen Integration, vor allem aber bei der eigenen sozialen Integration. Ich stoße mich dabei weniger an der herrschenden Klasse aus Absolventen der Eliteschule ENA, den 100 dominierenden Familien in Frankreich, welche die Schaltstellen in der staatlich gestützten freien Marktwirtschaft und im Staat selber besetzen; immerhin handelt es sich in der Regel wenigstens um kluge Köpfe, auch wenn man das dem Sarkkozy nicht immer ansieht, aber seine 100 beim IQ-Quotienten bringt er immer noch zusammen. Diese Oligarchie ist zwar stoßend, aber das wirkliche Problem liegt bei der Unterschicht, welche hier ihren Namen deutlich verdient, weil sich die Mittelschicht so gründlich davon distanziert. Es gibt in diesem tief greifenden Konflikt auch keine Programme, und das ist die größte Enttäuschung dieses Landes, welches sich eben eines gewissen Intellektes rühmt. Für die soziale Frage hat man kein Quentchen Überlegung mehr aufgewendet, insonderheit nicht die Leute in der sozialistischen Partei und links davon. So hat man wirklich den Eindruck, als müsste man ganze Teile dieses Landes von neuem zivilisieren.

Und daneben funktioniert es doch erstaunlich gut, hat eine hohe Lebensqualität, eine konkurrenzfähige Industrie, im Wesentlichen funktionierende Institutionen; der öffentliche Verkehr außerhalb der Städte ist eine Katastrophe, da aber mittlerweile sowieso alle FranzösInnen in den Städten leben, kommt das nicht so drauf an. Kulturell und geschichtlich platzt das Land aus allen Nähten und pflegt sein Erbe ebenso wie die Avantgarde beziehungsweise das, was die ENA-Absolventen davon halten. Alles ganz normal, mit anderen Worten; und dies wird sich in den Wahlen wieder bestätigen, und ein Normalitätsknüller wäre es wie gesagt, wenn der einfache Kandidat Bayrou gewählt würde; dies müsste man eine Sensation nennen. Die Sensation der Normalität.

Normal ist vor allem, dass sich das Land ganz normal entwickelt und dabei in keiner Art und Weise Impulse oder auch nur Vorgaben von der Politik erhält. Die Demokratie, die ich eben in Deutschland dauernd das Schauspiel einer Demokratie nenne, hat offenbar sowohl in Frankreich als auch in Deutschland ihre Funktion in der maximalen Pracht entfaltet: Es kommt überhaupt nicht mehr darauf an, wen man wählt oder wer welche Programme vertritt; die Entwicklung geht weitgehend unbeirrt ihren Gang, und die Politik ist nur interessant für Menschen, welche sich für Posten interessieren oder für das Rampenlicht. Ausnahmen bestätigen. Die Formel lautet: «Die da oben tun sowieso, was sie wollen», aber eigentlich stimmt das auch nicht, denn sie machen das, was sich als Konsens ergeben hat und gerade durchsetzt. Eigentlich hat Politik auch keinen allzu großen Handlungsspielraum; sie kann die Armen eben nicht wirklich ärmer machen, sodass eigentlich der Politik nur zwei wesentliche Spielfelder bleiben: Die Anpassung und Nachführung der staatlichen und institutionellen Regelungen an den aktuellen Stand der Produktionskräfte und der Globalisierung, wobei immer auch ein kleiner Teil internationale Machtpolitik enthalten ist; und der zweite Teil besteht in der Ausdehnung der eigenen Kompetenzen.

Mit Demokratie im Wortsinn hat dies nicht allzu viel zu tun, und zwar unabhängig davon, ob man sich in einer rein parlamentarischen Demokratie befindet oder in einer direkten Demokratie wie in der Schweiz. Ein alter Spruch, der auf diesen Zustand vielleicht ein etwas versöhnlicheres Licht wirft, ist die alte Hegelsche Definition von Freiheit: Freiheit ist Einsicht in die Notwendigkeit, hat der gute alte Hegel vor zweihundert Jahren geäußert, und daran hält sich wohl eine Politik, welche über die Zeit hinaus gut genannt sein will. Dass dies aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann und dass man auch ideologisch und politisch nicht hinter Bismarck und Marx zurückfallen sollte, leuchtet wohl auch wieder ein; und somit gibt es nur eine eindeutige Entwicklung, die bei Gelegenheit mal in eine politische Form gefasst werden sollte: Wie bringt man das Subjekt der Politik, nämlich das demokratische Individuum, dazu, dass es in der Lage ist, politische demokratische Entscheidungen zu fällen? Denn dies ist zweifellos die Voraussetzung für eine wirkliche Demokratie: dass die Bestandteile dieses Systems auch souverän in der Lage sind, die Zusammenhänge zu erkennen und dementsprechend die Interessen abzuwägen. Interessen allerdings werden es bleiben, und auf dieser Ebene würde Politik dann wieder das, was sie heute nur vorgibt zu sein.

Bis das soweit ist, können wir uns die Zeit mit anderen Sachen um die Ohren schlagen. Wir können uns mit dem Mittleren Osten beschäftigen, der definitiv nicht weit genug entfernt ist, als dass wir unsere Kriterien unbesehen anwenden könnten. Der Mittlere Osten zeigt sich völlig unbelehrbar, insbesondere mit dem US-amerikanischen Rohrstock. Wir können uns auch mit Australien beschäftigen, wo immer wieder korrupte Politiker in den höchsten Positionen auftauchen. Mir ist, als hätte ich letzthin wieder mal von so einem Regionalkrokodil der Labor Party gehört, aber der Name will mir einfach nicht mehr einfallen. Wir können uns über den Oscar freuen, den dieser deutsche Freiherr von Donnershall für einen DDR-Film eingeheimst hat, übrigens für einen guten Film, wenn man mich fragt. Wir können uns überhaupt über gute Filme freuen oder über eine gute Küche. Verblüffend ist dabei doch immer wieder, dass dieses Grundgefühl des Glücks oder in der einfachen Form des Sichfreuens in der Regel durchaus nicht direkt zusammenhängt mit dem, was unsere wirtschaftlichen Parameter messen. Allerdings will ich damit nicht die Wohlstandsparameter schlecht machen oder etwa auf eine Pointe im Stil von «arm, aber glücklich und reich, aber unglücklich» hinaus. Vielmehr finde ich bemerkenswert, dass über der Grundlage des materiellen Reichtums immer wieder eine ebenso materielle Schicht an allgemeiner Befindlichkeit liegt, welche wiederum die Stimmung der meisten Menschen beeinflusst, wo nicht überhaupt polarisiert. Stillstand, Depression, Aufbruch, Optimismus – all dies hängt offenbar nur am Rand mit dem zusammen, was wir messen und worüber wir uns die gescheitesten Gedanken machen. Und hier habe ich persönlich jetzt dann langsam wieder Nachholbedarf. Tausend Jahre Depression, gerade in Deutschland, ist genug. Ich weiß aber bei Gott nicht, wie man eine optimistische Stimmung herstellt. Einfach so mit ein paar Slogans aus dem Hut schütteln geht nicht. Einen guten Einstieg böten wahrscheinlich gemeinsame Projekte, möglichst viele davon. Anderseits müssten es auch welche sein mit gewissen Perspektiven. Und gerade die lassen sich nicht einfach auf Reißbrettern entwerfen. Zudem sind die Dimensionen verschoben. Wir wissen gar nicht, was wir wollen und was möglich ist oder sinnvoll sein könnte. Da muss sich erst wieder ein neues Gleichgewicht bilden, und sobald Anzeichen dafür absehbar ist, wollen wir diese tüchtig feiern. In der Zwischenzeit kritteln wir halt weiter etwas herum, auch wenn wir den Klassenfeind schon fast gar nicht mehr wahrnehmen.



Seis drum.


Albert Jörimann





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12.04.2007

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