Artikel

Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Dichte Verflechtungen"

[23.Kalenderwoche] Habe ich also gelesen, dass sich zunehmend auch die Rechtsradikalen für die Proteste gegen die G8 zu interessieren beginnen, a) weil es dort so toll Krach gibt jeweilen und b) weil die nationale Rechte selbstverständlich ...

... einen Hass auf globale Strukturen und Organisationen hat, solange sie nicht von Deutschland bestimmt werden, und dazu sieht Eure Kanzlerin doch noch zu wenig Furcht einflößend aus. Nun erscheint es ziemlich unwahrscheinlich, dass die Globalisierung die alleinige Herrschaft Deutschlands über den Planeten oder auch nur über Deutschland zulassen wird. Wenn man ganz grob wäre, könnte man fortfahren: Die Weltherrschaft liegt in den Händen der US-Amerikaner, Punkt. Aber dies ist mit Sicherheit nicht die volle Wahrheit, wenn die uns auch mit dem Militär und den Geheimdiensten mehr oder weniger schon bemuttern oder bevormunden oder wie auch immer man dem sagen will; wohin aber Militäraktionen führen, erlebt der US-Amerikaner im Moment schon zum zweiten Mal innerhalb von 35 Jahren, und man kann doch durchaus sagen, dass die meisten Staaten dieser Welt im gleichen Boot sitzen und dass letztlich von einer Alleinherrschaft der Amerikaner über die Welt nicht die Rede sein kann. Damit will ich nicht bestreiten, dass die US-Amerikaner ihre Meinungen und Interessen viel besser durchsetzen können als praktisch alle anderen Länder; aber wenn die konservative Rechte in den Vereinigten Staaten so einen Volltrottel an die Macht bringt wie George Wilhelm Busch bzw. seinen Souffleur, den Vizepräsidenten Cheney, dann hat sie ihre eigenen Interessen am nachhaltigsten beschädigt. Mit dem Irakkrieg haben die USA fast alles Drohpotenzial verspielt. In Lateinamerika sind deswegen die politischen Gegenspieler an der Macht, China wird wirtschaftlich und politisch praktisch von Tag zu Tag stärker, Russland spielt auf seinen aus Erdgasrohren bestehenden Putinorgeln, und die EU kann letztlich nur an sich selber scheitern, wenn nämlich eben in den einzelnen Ländern die Antiamerikaner und Nationalisten an Gewicht gewinnen. Die Präsidialzeit von Georg Wilhelm Busch steht für eine massive Schwächung der US-amerikanischen Position auf der Welt, die jetzt nur noch durch einen schwafelnden demokratischen Präsidentschaftsnachfolger zum Ausdruck gebracht werden müsste, wie dies nach dem Vietnamdebakel der Fall war mit Jimmy Carter. Dafür bietet sich jetzt Alfred Gore geradezu auf dem Präsentierteller an. Nachdem er entdeckt hat, dass sich das Klima verwandelt, stellt er jetzt auch noch fest, dass die reine Vernunft den Bach runter geht, und, meiner Treu, es ist fast noch schlimmer, die eigenen Beobachtungen und Denkbemühungen in der Form dieser Gore-Verhohnepiepelung zu beobachten als den wenigstens rundum unbedarften Wilhelm Busch. – Erinnert Ihr Euch übrigens noch daran, wie der im Jahr, ich weiß gar nicht mehr, wann es war, wohl vor etwa 5 Jahren, auf einem Flugzeugträger einen Kampfjet landete und dann meldete: Mission erfüllt? Mein lieber Schwan. Um die Idiotie dieses einzelnen Menschen in ihrer vollen Pracht auszubreiten, brauchte es wirklich das weit herum sichtbare Amt des US-Präsidenten. Und jetzt kommt der uns schon mit einem Klimaschutz-Vorschlag, nachdem er 6 Jahre lang standhaft sämtliche Zusammenhänge seines Energiesektors mit irgendwelchen anderen Dingen, z.B. dem Klima, standhaft geleugnet hat.

Davon abgesehen aber wären aber die USA auch mit einem besseren oder, im vernünftigen Sinn, mit überhaupt einem Präsidenten nicht diese Hegemonialmacht, als die sie einfach konstruierte Köpfe immer wieder darstellen. Sie sind mit Sicherheit die wichtigste und bestimmende Macht im Imperium; aber die internationale Verflechtung, von den Finanzmärkten über die Weltwirtschaft bis hin zur Personenfreizügigkeit, hat aus den entwickelten Regionen eine derart untereinander verflochtene Einheit geschaffen, dass es nicht zulässig ist, die USA davon abzutrennen und sie in Opposition zu stellen zum Rest der entwickelten Welt. Im Gegenteil ist es einigermaßen korrekt, dass die USA aufgrund ihrer Weltpolizistenrolle oft die Drecks- oder Grundlagenarbeit verrichten, von der andere Regionen, namentlich Europa, dann in der einen oder anderen Form profitieren, direkt, nämlich wirtschaftlich oder über offene Märkte, und dann natürlich indirekt, indem sie sich davon auch noch protestierend distanzieren können. Vom Erdölpreis sind nämlich nicht nur die USA, sondern ist auch Europa abhängig. Dies aber nur als Beispiel.

Dies heißt ja nicht, dass deswegen alles gut ist, was die US-Amerikaner treiben. Die gegen sie erhobenen Vorwürfe sind in der Regel stichhaltig. Man sollte bloß nicht so tun, als hätten die europäischen Regierungen damit überhaupt nichts zu tun. Und vor allem sollte man die Vorwürfe in einer Form erheben, welche eine glaubwürdige Entwicklungsalternative aufzeigt auf der Grundlage einer glaubwürdigen Analyse. Daran mangelt es im gegenwärtigen Zeitpunkt ganz radikal, und zwar vor allem bei denen, sie sich selber radikal nennen und die letztlich nur dazu in der Lage sind, von morgens früh bis abends spat immer nur NEIN zu brüllen.

Das ist wohl eine Entwicklungsphase, die man dann aber auch mal überwinden muss. Unter dem Hitleradolf hat das ganze deutsche Volk immer brav und einheitlich und auf Befehl JA geschrien. Da ist eine Neinsagerphase nichts als natürlich. Und wie der Übergang zu neuen Aussagen gemacht werden könnte, die sich nicht mehr allein auf die bald 200-jährige frühsozialistische Denktradition stützen, ist nicht so klar. Immerhin bietet sich als Ausgangspunkt die Feststellung an, dass wir in der reichsten Gesellschaft leben, welche die Menschheit je gekannt hat, und dass im Rahmen dieses Reichtums die gesellschaftlichen Strukturen jeglicher Modernität ermangeln, welche zu einem Ausbau oder auch nur zur Nutzung dieses Reichtums führen; und dazu zähle ich unter anderem auch den Abbau des Energieverbrauchs, nämlich aus einer Luxussituation heraus und nicht zur Verhinderung des Luxus. Aber diese ziemlich generelle Feststellung, die niemanden etwas kostet, hilft ja noch nicht wirklich zum Verständnis dessen, was zu tun wäre.

Ja, und was wäre da nützlich? Im Grunde genommen sind es zunächst nur allgemeine Hinweise, einerseits die dialektische Grundkonstante, dass alles im Fluss ist; daran haben sich unterdessen auch die Eliten in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft gewöhnt, spätestens mit der Einführung prozessorientierter Analyse. Ein Dauerbrenner sind selbstverständlich diese Eliten selber, welche nicht immer, aber doch oft ein Entwicklungshindernis darstellen, indem sie ihre bestehenden Machtpositionen verteidigen. Und generell bleibt gültig, dass die Existenz von Eliten für die selbst proklamierten Demokratien nach wie vor ein Grundproblem darstellt. Es stellt sich dauernd die Frage der Institutionen, welche der Modernisierung der Gesellschaft dienen sollten und sie nicht behindern; hier orte ich insbesondere bei der Europäisierung massive Defizite, für die einerseits die Politik und anderseits ihr selber, schnödes Volk, verantwortlich seid. Wieso habt Ihr keine einheitlichen Zivil- und Strafrechtskörper, ein einheitliches Steuerrecht, ein einheitliches Bildungs- und Sozialversicherungssystem? Dass man diese einheitlichen Strukturen in einer regionalen Umsetzung anpasst, versteht sich doch von selber. Und im Zentrum steht ganz einfach der Mensch beziehungsweise die Organisation der Menschen in einer modernen Gesellschaft. Dass diese demokratisch sein sollte, daran besteht kein Zweifel, und dass sies nicht ist, sondern nur ein Schauspiel davon, steht ebenfalls außer Frage. Nun muss man aber die Vorstellung über Demokratie wohl auch dem Entwicklungsstand der Gesellschaft anpassen. Auch wenn uns die Nationalisten oder die Fiktion des Nationalstaates dies nach wie vor als unbestritten darstellen, gibt es in Zukunft keine einheitlichen Gesellschaften mehr, sondern variable Geometrien von unterschiedlichen Kräften und Interessensgegensätzen, und zwar verhält es sich damit nach meiner Vorstellung ungefähr so, wie es sich mit allen bekannten lebendigen Organismen verhält: Die moderne Gesellschaft entwickelt sich in eine höhere Organisationsstufe, die mit den vorherigen nur noch die Geschichte teilt, die aber wirklich neue qualitative Anforderungen stellt bzw. entwickelt. Die Menschen von heute sind nicht mehr die gleichen wie jene von gestern, ihre Verhältnisse untereinander haben sich komplett verändert, sei es wegen der wirtschaftlichen Entwicklung oder auch wegen der gewaltig intensiveren Kommunikationskanäle. Mit Sozialismus hat all dies nichts zu tun und auch nicht mit Kapitalismus; das sind nur Wahrnehmungsraster, die zu gewissen historischen Zeitpunkten ihre Bedeutung haben und in anderen Epochen nur hinderlich sind.

Ja, da ists raus: Ich stelle mir wirklich vor, dass sich die Gesellschaften in den entwickelten Ländern radikal von ihren Vorgängergesellschaften unterscheiden, als weiterer Bestandteil des Reichtums. Die Gesellschaft selber, aber auch die Menschen haben zusätzliche Organe entwickelt, die wir begrifflich noch nicht erfasst haben, was vielleicht auch die Hauptschwierigkeit bei der Gegenwartsanalyse darstellt. Zweifellos ist das kollektive Bewusstsein eine gewaltige Macht, welche nicht nur für unwahrscheinliche Sondergewinne bei den Must-Have-Markenprodukten sorgt, sondern auch für politische Bewegungen, also für die auf die Gesellschaft selber gerichteten Aktivitäten, und zwar zunächst unabhängig von der Sphäre der politischen Parteien. Den Umgang mit dem Massenbewusstsein haben als erstes die Nazis geprobt; er ist aber unterdessen zur allgemeinen Praxis geronnen. Dabei dient gerade die Kritik an der Nazi-Massenpsychose als effektives Hindernis vor der Wahrnehmung dieser Instanz als eigenständiges Gesellschaftsorgan mit eigenen Rechten und Auswirkungen. Es ist natürlich längst nicht mehr einschmelzbar auf das dumpfe Ja-Ja-Geschrei der Nazimassen, sondern instrumentell ausdifferenziert; dieses Massenbewusstsein stellt eine erstrangige Voraussetzung dar dafür, dass sich in der modernen Gesellschaft überhaupt eigenständige Netzwerke nebeneinander entwickeln können. Vielleicht ist es nicht mal eine Voraussetzung dafür, sondern umfasst genau diese Ebene selber, was dann wieder ein deutlicher Unterschied wäre gegenüber den bisherigen analytischen Ansätzen.

Wer weiß denn dieses. Auf jeden Fall bin ich nicht in der Lage, hier auch nur im Ansatz korrekte Aussagen zu machen. Aber ich muss ja auch nicht alles alleine machen, oder?



Albert Jörimann





Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann des Jahres 2007


04.06.2007

Kommentare

Zu diesem Artikel sind keine Kommentare vorhanden.