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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Monaco"

[49. Kalenderwoche] Also war ich wieder mal in München, zum ersten Mal seit 25 Jahren. Der Zug hatte 9 Minuten Verspätung, und es war um halb sechse schon dunkel, sodass ich mein Hotel nicht auf Anhieb fand, obwohl ich wusste, dass ...

... es in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs liegen musste. Übrigens fand ich auch den Prater nicht; glücklicherweise suchte ich den auch nicht besonders lange. Umso erfreuter war ich dann, in der Goethestrasse das Hotel Goethe zu sehen; das war zwar nicht mein Hotel, aber im o von Goethe befand sich laut und deutlich ein türkischer Halbmond. Richtig lag nebenan auch gleich das Goetheinstitut, und überhaupt gibt’s beim Hauptbahnhof sehr viele türkische Waren zu kaufen. Das erinnerte mich an den türkisch-bayrischen Kabarettisten Dschango Asyl, was mich sofort in gute Laune versetzte. Etwas weiter hinten nahm ich dann Quartier in einem, was weiss ich: Neuklassik- oder Jugendstilhaus, in dem unten ein ganz ansehnliches Restaurant von allerlei jungem Gemüse betrieben wird. Ruhig, sauber, sympathisch, ein guter Start. Dann machte ich mich auf die Socken zum Karlsplatz, weil mich der Name Stachus an eine Folge aus der Münchner Polizeiserie München 7 erinnerte; von da aus gings zum Rathaus, wo ich erstmals die bayrische Fahne mit Bewusstsein wahrnahm - der Freistaat Bayern ist wohl fast der einzige Staat auf der Welt, der eine Tischdecke zum Nationalwimpel erkoren hat. Der zweite ist Kroatien, die haben rote Karos statt blaue Rauten. Daneben war alles voll mit Weihnachten, in erster Linie mit Festbeleuchtung, aber es hatte auch unzählige Verkaufshütten, was unterdessen wohl auf der ganzen Welt verbreitet ist, jedenfalls laden uns die Fluggesellschaften schon zum Weihnachtsshopping nach Montréal ein, was man bloss nicht versäumen sollte, weil da kann man dann myclimate einen Schlechtes-Gewissen-Beitrag für die Flugreise überweisen und damit ganz toll CO2 sparen. So winkt ein rundum gelungenes Weihnachtsfest. All die Geschenke unter dem Weihnachtsbau aus Montréal eingeflogen und dabei massiv CO2 eingespart. – Habt Ihr übrigens gewusst, dass Deutschland CO2-mäßig den größten Ausstoß pro Person in Europa aufweist? Es ist zwar immer noch die Hälfte des US-Amerikaners, aber doch 10 Mal soviel wie der Inder. Ihr fliegt eben zuwenig nach Montréal, das ist es. Wenn alle Deutschen zur Arbeit nach Kanada fliegen täten, dann sähe der CO2-Output für Euer Land viel besser aus. – Davon abgesehen aber erwähne ich nicht nur den Weihnachtsmarkt, sondern auch diese wirklich breite Fußgängerallee vom Karlsplatz in Richtung Marienplatz oder Rathaus oder was auch immer; hier können auch die Eltern von Fünflingen ihre Kleinkinder in nebeneinander angeordneten Fünfsitzern spazieren fahren, und es bleibt immer noch Platz, um daneben zwei weitere Elternpaare mit ebenfalls Fünflingen passieren zu lassen. Das nenne ich mal eine Familienpolitik, von der sich die CDU eine Scheibe abschneiden könnte. In Erfurt wäre sowas gerade mal auf dem Anger möglich, und dort kann man ja nicht spazieren, sondern nur stehen. Eine stehende Familienpolitik! – Da sollte sich die CDU mal etwas einfallen lassen. Vielleicht einen Zusatz-Ring um Erfurt, einen Fünflinge-Umfahrungsring. Ein Name fällt mir spontan jetzt aber nicht ein. Wer war denn in der Sowjetunion der Held aller Väter? – Daneben ist das Münchner Verwaltungsviertel schon etwas stier, wenn man die Fussgängerzone auch nur ein paar Meter verlässt; aber anderseits setzte ich mich dann in ein Restaurant mit dem schönen Namen Atzinger zu Knödel und Schweinebraten mit Krautsalat, wobei ich nur den Krautsalat ganz erledigte. Neben mir sassen zwei junge Herren und diskutierten angeregt, zunächst über gewisse Passagen aus dem deutschen Idealismus, dann über einen Münchener Wirtschaftsprofessor mi t dem schönen Namen Sinn, welcher offenbar der Ansicht ist, dass die Wirtschaft nur dann so richtig toll wächst, wenn möglichst wenig Geld in den Privatkonsum fließt, denn laut Professor Sinn schaukeln sich die Unternehmen gegenseitig auf wie toll, wenn sie bloß keine Löhne bezahlen müssen. Das war allerdings ergötzlich. Und dann wendeten sich die beiden Herren unvermittelt dem bedingungslosen Grundeinkommen zu, das heißt, der eine erklärte dem anderen das Konzept und das ganze Drumrum in einer Präzision, wie ich es selber nicht geschafft hätte. Da wars natürlich um mich geschehen, denn weshalb war ich in München: Natürlich wegen iener Vorbereitungssitzung für den nächsten deutschsprachigen Grundeinkommenskongress, der im September 2008 in Berlin stattfinden soll. Ich griff tüchig ins Gespräch ein und sparte nicht mit Lob, und ich halte es für meine Pflicht, auch an dieser Stelle ganz einfach München zu loben. Eine Stadt, in der am ersten besten Wirtshaustisch auf höchstem Niveau über das Grundeinkommen genuschelt wird, kann einfach keine schlechte Stadt sein. Zufrieden ging ich zurück in ein Hotel und trank im Speisesaal noch ein Getränk.

Nächstentags war ich zu früh für das Meeting und trödelte noch etwas rum, das heißt, ging ein paar Straßen rauf und runter und ließ das Teil weiter auf mich einwirken. Ausgeschlafen überzeugt M. in erster Linie durch eine unerreicht monarchistische Namensgebung. Insbesondere möchte ich den in der Nähe der Goethestraße liegenden Kaiser-Ludwig-I.-Platz erwähnen, denn besagter Ludwig muss zu einer Zeit Kaiser gewesen sein, da die Germanen noch Merowinger, Baldinger, Ratzinger und Katzelmacher hießen; mir jedenfalls ist aus der Geschichte des hl. Dt. Reiches deutscher Nation kein Kaiser namens Ludwig I erinnerlich, auch wenn auf dem Google mindestens ein Ludwig II. existiert; man kann ja nicht alles wissen. Aber auch sonst haben wir alles Gute und Schöne an untergegangenen Duodezfürsten auf den Straßenschildern. Vermutlich ist deshalb M. nie ein richtiger Presseplatz geworden, im Gegensatz zu Hamburg oder Berlin, wo die Demokratie, wo nicht überhaupt Arbeiter- und Bürolistenräte dem adligen Saupack mit Trommeln und Pfeifen den Marsch geblasen hatte; München überging so etwas ganz offenbar mit einem Stoizismus, der sich im Volksgemüt weiterhin manifestiert und a) dazu führt, dass Bayern mehr oder weniger eine Einparteiendiktatur ist, die jeweils in sogenannten Volkswahlen 99.99 Prozent der Stimmen erzielt, mit Ausnahme der Wahl des Münchner OB, der laut Verfassung ein Sozi sein muss; b) aber hat dies wiederum den Vorteil, dass in den politischen Zirkeln in München keinerlei Themen basisdemokratischer Natur abgehandelt werden, was leider Gottes den ultimativen Zerfallszustand jeder echten Demokratie darstellt. Wenn die Menschen sich basidemokratisch über Form und Farbe von Teelöffeln zu streiten beginnen, dann ist das Projekt Demokratie gescheitert, und soweit kann es in München gar nicht erst kommen. Das ist der Vorteil von Einparteiendiktaturen und Monarchien: Das Volk wird nicht zu verdummenden Gesprächen über Einbahnstraßen oder Veloständer oder Bepflanzungen im öffentlichen Raum gezwungen und kann sich ganz direkt im deutschen Idealismus ergehen.

A proposito Bepflanzungen: Wirklich fast zu Tränen rührte mich die Propagandazeile, bzw es war eher eine Art von Fußnote in der Auslage einer Fleischerei bzw. Fleischboutique, zu welcher Gattung Einzelhandelsfachgeschäfte es übrigens im Bayerischen Rundfunk am letzten Freitag (oder am letzten Freitag im Bayrischen Rundfunk, wurscht) in der Mittabendsendung Die Komiker ein echtes Musical gab, wobei der Inhaber der Fleischboutique Hartmeier oder ähnlich mit einem original Schlachtermesser im Kopf seine beiden Verkaufsangestellten nicht besonders stimmmächtig begleitete. Aber dies nur der Vollständigkeit halber. In der Fleischerei, an der ich vorbeischlenderte oder auch einfach vorbeiging, winkte wie ein Untertitel, ja, wie eine Wort gewordene Pflanze aus dem Little Shop of Horrors, für all jene, welche dieses Musical und den Film gesehen haben, das Wort: Fleischpflanzerl. Ich wiederhole dies für mich, nicht für Euch: Fleischpflanzerl. Da ich anschliessend an einer internationalen Sitzung teilnahm, konnten mich die österreichischen TeilnehmerInnen aufklären, dass es sich hierbei um Buletten handle, auch Fleischlaibchen genannt. Aber da wars schon zu spät; die intrinsische Poesie dieses Wortes hatte mich bereits durchdrungen. Ein Fleischpflanzerl! Wo, bitte, heben sich die Widersprüche schöner auf im Leben und auf der Welt als in diesem einzigen Begriff: Fleischpflanzerl? Gibt es vielleicht auf der Welt eine Pflanze, welcher die Botaniker einen Namen wie Rosenwurscht oder Tulpenkotelett gegeben haben? Die Antwort muss ganz klar lauten: Nein, meine Damen und Herren! Und abermals nein! - Aber der poetische Schlachter geht hin und bietet in seinem Laden als Nebenbemerkung Fleischpflanzerl feil. Thja, da staunt ein neutraler Beobachter nicht schlecht am Montagmorgen um 10 Uhr nullneun.

Und dann kam ich auf die prachtvolle neugotische St. Pauls-Kirche, die ich nicht deswegen lobend erwähne, weil ich Neugotik liebe und dies wiederum, weil einem Großteil halbwegs mythischer oder mindestens mystischer prähistorischer Spielsachen, mit denen wir in einer relativ reichen Verwandtschaft eines relativ armen Schulfreundes jeweils zu spielen pflegten, diese ganze Neugotik als Vorläufer des Jugendstils unterlegt war. Überhaupt sind so ne Sachen wie Neuschwanstein oder eben Hohenzollern, aber auch das schweizerische Landesmuseum gleich neben dem Hauptbahnhof Zürich echte gemauerte Vorstellungen einer idealen Ritterherrlichkeit, wie sie eben nur die zweite Hälfte des 19. Jahrhhunderts nicht nur hervorbringen, sondern auch noch finanzieren konnte. Aber wie gesagt, ich erwähne die St. Pauls Kirche nicht deshalb, sondern weil einer der Seiteneingänge gestiftet wurde als Brauteingang von niemand anderem als einer Familie Berghammer - und wer den Bullen von Tölz nicht kennt, der kann damit eh nichts anfangen, aber Ottfried Fischer heißt nun mal in dieser Paraderolle ganz einfach Benno Berghammer, und so schließen sich in M. die Kreise ein ums andere Mal.

Ich weiß, ich weiß, der Freistaat Thüringen ist auf den Freistaat Bayern nicht immer und besonders gut zu sprechen, alte Ressentiments West und Ost und so. Aber aus neutraler Sicht kann ich nur raten, solche Animositäten schleunigst zu begraben und sofort diplomatische Beziehungen aufzunehmen und eben einen Fünfliinge-Ring rund um Erfurt zu legen.



Albert Jörimann





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06.12.2007

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