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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Louis de Funes"

[03.Kalenderwoche] Irgendwann im Lauf des Jahres 2007 erhielt die Weltmacht, aber nicht Exportweltmeister Frankreich Besuch von einem Zwergstaat, jawohl, unsere letztjährige Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey stattete dem neuen ...

... französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy einen Antrittsbesuch ab. Ich erwähne dies nun nicht wegen der zweifellos nicht existierenden Bedeutung, sondern weil die Begegnung natürlich gefilmt wurde, um uns Zwergstaatlern zu beweisen, dass der Gigant auch ganz kleine Pfoten schüttelt. Da sah man also unsere Micheline im Nadelstreifenanzug auf denen ihren Sarkozy zuschreiten; sie streckte ihre Hand aus zu Begrüßung, Sarkozy schlug ein und blickte sofort zur Seite, als würde ihn Micheline blenden oder als wäre sie unaussprechlich hässlich. Das machte mich neugierig, und ich schaute bei einem Besuch eines nicht ganz so unwichtigen Staatsgastes erneut genauer hin: die gleiche Reaktion, Sarkozy blickte praktisch im Moment des Handkontakts weg, in die Foto- und Filmkameras hinein oder sonstwo hin, einfach weg. Das irritierte mich ein bisschen. Bedeutet das nun: Kommen wir zur Sache? – Aber dafür ist ja in der Regel Zeit eingeplant. Hat Sarkozy Angst vor seinem eigenen Blick, der sich unanständig tief in die Seele seiner Gegenüber fressen könnte? Oder hält er umgekehrt einfach keinen direkten Blickkontakt aus? Plötzlich war mir der Mann ein Rätsel, allerdings ein kleines, denn eines halte ich für sicher: Nicolas Sarkozy bemüht sich, die Aura eines Machers auszustrahlen, ein Fluidum von Energie und Optimismus auszustrahlen, mit dem die eingerosteten Strukturen in Frankreich dynamisiert werden sollen, was ihm zunächst im Wahlkampf auch gelungen ist, insonderheit als krasser Kontrast gegen das Schleimmonster Jacques Chirac, einmal abgesehen von der etwas diffusen Sozialdemokratin Ségolène Royal. Aber ob das Herumkaspern auf allen nationalen und internationalen Bühnen ausreicht, um effektiv strukturelle Fortschritte zu erzielen, muss sich erst noch weisen. Damit will ich ausdrücklich nicht gesagt haben, dass ich es für unmöglich halte; im blödsinnig zentralistischen französischen System können Veränderungen wahrscheinlich wirklich am leichtesten von der Spitze aus eingeleitet werden. Aber bisher ist noch nicht so 100%-ig klar geworden, worin die Veränderungen denn bestehen sollen. Die Aufhebung der Gräben zwischen der traditionellen Linken und der traditionellen Rechten, wie sie Sarkozy unter anderem mit sozialistischen Ministern in seiner Regierung betreibt, kennen wir ja auch in Deutschland mit der Angleichung von CDU und SPD bis zur Aufgabe der eigenen Identität. Und von weiteren Reformen habe ich bisher noch nichts vernommen, es sei denn, man hielte es für einen Fortschritt, dass Sarkozy eine junge Justizministerin beschäftigt, deren Bruder wegen Drogendelikten im Knast sitzt. Immerhin gibt es keine Anflüge von Sippenhaftung. Aber das reicht nicht weit. Auch seine intimen Kontakte zur herrschenden Klasse, die in Frankreich wohl etwas ausgeprägter und selbstbewusster auftritt als in Deutschland, bilden zunächst noch keinen Entwurf für die Konsolidierung der weltpolitischen Stellung Frankreichs und der Französinnen und Franzosen darin. Allerdings auch hier wieder: Das Gegenteil ist vorderhand auch noch nicht bewiesen. Bloß erscheint Nicolas Sarkozy mit zunehmender Dauer eher als eine Art von Zappelphilipp denn als der entschlossene Machtmensch, der großen Zielen zum Durchbruch verhilft.

Und jetzt kommts, das heißt, hier ereignete sich bei mir kürzlich ein Erkenntnissprung: Nicolas Sarkozy hat tatsächlich ein Vorbild, das er fast perfekt imitiert, und zwar Louis de Funès. Der unstete Blick, die Augenbrauen, das irrlichternde Herumfuchteln und -fahren, all das ist bei Louis de Funès perfekt vorgespielt, bis hin zu den schönen Schauspielerinnen, welche sich Louis de Funès jeweils aufs Set holte – übrigens ähnlich wie Woody Allen, um das auch wieder mal in Erinnerung zu rufen. – So; und damit soll jetzt jeder von Euch machen, was sie oder er will.

Ich selber benutze das Sprungbrett für den einen oder anderen Kalauer. So könnte ich sagen, wenn schon das französische Volk nichts zu lachen hat, so kann es doch als Staatspräsidenten einen Kasper vorweisen, was die internationale Anlegergemeinde sicher besonders schätzen wird. Das ist allerdings nicht besonders witzig, denn den Französinnen und Franzosen geht’s nicht besonders schlecht, wenn man mal die Vorstädte ausnimmt, wo die Immigranten im Zustand sozialer Verzweiflung zusammengepfercht werden; und hier wäre auch ein echter Prüfstein für Sarkozy, und genau hier habe ich noch überhaupt nix vernommen. Zweitens ergeben sich verschiedene Kalauer aus dem Vergleich des neuen französischen Staatspräsidenten Sarkozy mit den verschiedenen anderen Staatspräsidenten in Europa. In Polen war das eine Zeitlang besonders einfach; rein durch die Besetzung durch das Zwillingspaar Kaczynski wurde die Funktion des Staatschefs als authentische Zwillingsfunktiion des Regierungschefs ausgestaltet. In Deutschland dagegen macht Euer freundlicher Horst Köhler einen ziemlich ähnlich blassen Eindruck wie alle seine Vorgänger im Amt des Bundespräsidenten, es ist überhaupt nicht einfach, sich an sie überhaupt noch zu erinnern: Johannes Rau, Roman Herzog, Weizsäcker, Carstens und so weiter; es handelt sich eindeutig um rein repräsentative Funktionen. In Italien genießen die Staatsoberhäupter generell eine hohe Achtung, sogar wenn es sich wie beim gegenwärtigen Napoletano um Kommunisten handelt; allerdings ist hier die Voraussetzung, dass man nicht jünger als 80 Jahre sein darf, was dann die Achtung auch etwas leichter macht, denn in diesem Alter zettelt auch der wildeste Präsident keine Revolution mehr an. Daneben besitzt er in Italien noch gewisse Befugnisse, namentlich die Ablehnung gewisser Gesetzesentwürfe, mit denen durchaus hin und wieder gedroht wird und von denen die Präsidenten sogar manchmal Gebrauch machen. In Spanien und in Engelland und wohl auch in Norwegen, Dänemark und Schweden haben Königshäuser die Rolle der Staatsoberhäupter mit fast ausschließlich repräsentativen Funktionen. Frankreich bildet also durchaus eine Ausnahme und treibt auch hier den Zentralismus auf die Spitze. Wenn ich vorher gesagt habe, dass man Frankreich am leichtesten von da her reformieren könne, so müsste Sarkozy-de Funès gerade daran gemessen werden, wie er diesen Zentralismus zertrümmert. Aber davon stand bisher noch nichts auf der Agenda.

Jedenfalls bestätigt die Wahl von Louis de Funès ins höchste Amt Frankreichs, dass wir definitiv im Zeitalter des Jokus leben. Und das führt mich wieder zum Jokus-Pokus von Stefan Raab, aus aktuellem Anlass diesmal zu seinem Musikwettbewerb, den heuer bekanntlich eine junge Frau aus dem schweizerischen Oberwallis gewonnen hat. Zufälligerweise hörte ich den Song und sah die Darbietung von Frau Heinzmann im Sender Viva, und kann ich hier nur anfügen, dass sich bestätigte, was mir die KollegInnen in Erfurt geflüstert haben, nämlich dass der Musikgeschmack von Stefan Raab gar nicht so schlecht sei, im Gegensatz zu seinem Garderoben-Witzmaß, das heißt, der Song taugt so halbwegs etwas, durchaus, ja. Leider war in dieser Viva-Ausstrahlung nur allzu klar erkenntlich, dass Frau Heinzmann an diesem Song selber nicht einen allzu großen Anteil hatte. Was sie wirklich gesungen hat, entzieht sich meiner Kenntnis; auf jeden Fall war es nicht das, was auf dem Audiband lief. Was solls, werdet Ihr jetzt vielleicht einwenden, die Stones singen ja auch schon längst nicht mehr live auf der Bühne, sonst wären die Konzertbesucher vergrätzt, wenn sie nicht genau das hören würden, was sie auf der CD zuhause haben; und Luciano Pavarotti ist auch zwanzig Jahre vor seiner Explosion verstummt, als er diese Betrügereien mit den Three Tenors zu lancieren begann, welche mit Garantie niemals auch nur einen Ton live gesungen haben. Wenn man sich gar all die Volksmusikantenveranstaltungen anschaut, kann einem diesbezüglich erst recht schwindlich und grauslich werden. Insofern erweist sich also Meister Raab bloß auf der Höhe der Zeit. Wir aber, die wir einmal daran geglaubt hatten, dass eine Interpretin eine wirkliche Interpretin sei, wir runzeln unsere Frontklappe wie bei einem gut abgehangenen Unfall.

Srpechen wir von etwas Erfreulicherem: Streiken lohnt sich! – Hin und wieder flackern noch Restbestände des alten Klassenbewusstseins auf, eines Selbstverständnisses, das darauf beruhte, dass die eigene Arbeit auch einen gewissen Wert hat. Dieses Wertverständnis geht weit über die Lohnfrage hinaus; es hat die Gesellschaft über 100 Jahre lang geprägt in unterschiedlichen Formen, vom Berufsstolz bis hin zur Arbeitersolidarität. All dies ist in den letzten Jahren gewaltig unter Druck gekommen mit der Automatisierung und der Produktionsverlagerung; neben der ökonomischen Verschiebung fand vor allem eine ideologische Attacke auf das Selbstverständnis eines gewaltigen Teils der Menschen in dieser Gesellschaft statt, indem sie zunehmend als unnütz, ihre Qualitäten und Qualifikationen als überflüssig, veraltet und zu teuer und die Menschen somit insgesamt immer mehr als Problem statt als Zukunft angesehen und bezeichnet wurden. ES ist erfreulich, dass sich wieder mal eine Gewerkschaft erfolgreich auf die Füße gestellt hat gegen diesen Trend, und es ist vielleicht typisch, dass es eine kleine und offensichtlich gut organisierte Gewerkschaft war; vermutlich haben die Großgewerkschaften in der aktuellen Form erhebliche Nachteile bei der Organisation von Kampfmaßnahmen in einzelnen Sektoren. Vielmehr produzieren Großgewerkschaften in erster Linie eine Kaste von Kadern, deren Funktion nur noch in der Vermittlung von Sozialmaßnahmen und in der Ruhigstellung der Gewerkschaftsbasis besteht. Dabei will ich ja nicht sagen, dass überall und immer gestreikt werden kann und soll, ich will auch nicht sagen, dass man sich gegen die Automatisierung oder gegen die Entwicklung auf den Weltmärkten sträuben soll, ich sage im Gegenteil, dass in unseren Gesellschaften der Übergang zu einer postindustriellen Struktur und Ideologie und somit auch eine Abkehr von traditionellen gewerkschaftlichen Reflexen überfällig ist. Aber das heißt ja nicht, dass man deswegen sämtliche Vorzüge der gemeinschaftlichen Aktion zu den Akten legen müsste, bei Weitem nicht. Maßnahmen, welche eindrücklich daran erinnern, dass auch die sogenannt einfachen Menschen mindestens ein Bestandteil des Gesellschaftsspiels sind, können nicht hoch genug gelobt werden nach den Zeiten der sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Misere in den letzten zehn Jahren.

Allerdings müssen solche Kampfmaßnahmen in Zukunft ergänzt werden durch andere Manifestationen, in denen ein öffentliches Bewusstsein sich um eine neue Funktion bemüht für die ganze Bevölkerung. Worauf sollen sich die Menschen stützen, nicht nur in Deutschland, sondern ebenso in Frankreich, Österreich, Dänemark, sogar in der Schweiz, wenn sie in Zukunft ihrem Herrn gegenüber, nämlich in der Demokratie sich selber, ihre Existenzberechtigung geltend machen wollen? Was sind die zwingenden, einmaligen Eigenschaften des modernen Massenmenschen? Das ist die spannende Frage, mit der wir uns zu beschäftigen haben. Wer will, kann auch ein Lied drüber singen oder Witze machen; aber im Grunde genommen ist es Ernst.


17.01.2008

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