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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Nationalismus 2008"

[05. Kalenderwoche] In Deutschland ist man immer noch sensibel gegenüber Manifestationen von Nationalstolz wegen der nicht besonders erfolgreichen Geschichte dieses Gefühls mit der missglückten Eroberung der Weltherrschaft und der ...

... Judenvernichtung als Begleitgepäck. Insofern müsste die Welt den Deutschen eigentlich dankbar sein für die sehr deutliche Demonstration dessen, wohin so ein Nationalgefühl gedeiht, wenn mans bloß gedeihen lässt. Im Auf und Ab und Hin und Her der Entstehungsgeschichte der EU stellt sich aber doch die Frage, ob der Nationalstolz in einer harmloseren Form nicht eine unerläßliche Voraussetzung sei für das Europa der Nationen, ungefähr in dem Sinne: Nur wer sich der eigenen Identität sicher ist, kann mit anderen Zusammenschlüsse eingehen. Ich halte dies nicht für eine völlig falsche Sicht der Dinge, auch wenn mir im Prinzip ein Europa lieber wäre, in dem sich die Menschen als EuropäerInnen empfänden und nicht als Deutsche, Däninnen, Portugiesen, Spanierinnen, Griechen, Italiener, Französinnen usw., die aus strategisch/taktischen Gründen untereinander eine Allianz eingegangen sind. Genau so sieht es aber im Moment noch aus, und diese Situation wird noch verstärkt durch die beschleunigte Aufnahme von Krisengebieten im ehemaligen Osteuropa. Wenn es bei Rumänien und Bulgarien ähnlich läuft wie zum Beispiel in Portugal oder auch in Polen, dann erleben diese Länder in den nächsten Jahren einen gewaltigen Wachstumsschub, was nicht nur positiv ist, sondern im Interesse wirklich aller Beteiligten liegt; anderseits merkt man doch, dass die Geduld oder Toleranz der europäischen Massen, welche zu den Erweiterungsschritten kaum je etwas zu sagen hatten, erheblich strapaziert wird. Man muss richtig froh sein, dass Europa nicht noch größer ist. Ich glaube, die Aufnahme beispielsweise der Inneren Mongolei würde im Moment die EU überfordern. Aber davon kann ja nicht die Rede sein; jetzt bleiben nur noch das ehemalige Jugoslawien sowie die Türkei übrig als Beitrittskandidaten. Und als Nicht-Beitrittskandidaten natürlich Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz.

Hätte man aber über die EU und die verschiedenen Erweiterungsschritte jeweils ein demokratisches Verfahren gewählt und in den bestehenden Ländern die Stimmberechtigten befragt, wäre wohl nach Spanien und Portugal Schluss gewesen. Beziehungsweise hätte sich wohl das Stimmvolk dunnemals schon gegen die Aufnahme der beiden strukturschwachen Südpole Europas gewandt. Somit wurden die wichtigsten Integrationsschritte der letzten Zeit am Volk vorbei entschieden bzw. gegen die Volksmeinung. Anderseits ließ sich mit diesem Vorgehen ein objektiver Fortschritt erzielen, ohne dass es zu einem Bürgerkrieg kam. Darüber kann man sich nun auslassen oder auch nicht, jedenfalls zeigen sich dabei zwei bestimmende Elemente der modernen Demokratie: Erstens gelingt es in der Regel, zentrale Entscheide am Volk vorbei zu schmuggeln, wenn es unbedingt sein muss; und anderseits ist bei ebendiesem Volk unterstellt, dass es keinen blassen Schimmer von einer übergreifenden Ebene hat und sein politisches Talent allein auf regionaler Ebene aufgrund der unmittelbarsten Eigeninteressen bildet. Diese beiden Elemente sind nicht nur bestimmend, sondern auch die charakteristischen Schwachstellen für die aktuelle Ausformung der Demokratie.

Vor diesem Hintergrund ist sogar der Nationalstolz schon ein Fortschritt, denn da weitet sich der Blick immerhin auf ein ganzes Land aus und nicht nur auf die Interessengruppe, der man sich zugehörig fühlt. Und dementsprechend erleben wir eine vielgestaltige Renaissance des Nationalismus. Eigentlich warte ich nur darauf, dass demnächst mal ein EU-Land ein Austrittsgesuch aus der EU stellt oder mindestens beginnt, damit zu drohen. Da die meisten Entwicklungsprozesse in der Regel sämtliche möglichen Dummheiten absolvieren müssen, rechne ich ziemlich fest damit, dass dies in den nächsten Jahren ein Thema wird. Ansätze dazu haben wir schon gesehen in Großbritannien, aber auch in Polen mit den Kaczynski-Eineiern, und während der EU-Abstimmung gab es entsprechende Töne in Dänemark und zum Teil sogar in Frankreich. Wenn Ihr Deutsche also Lust habt, wieder mal eine Pioniertat zu unternehmen, nachdem der erste Weltraumflug leider bereits vergeben ist, so kann ich Euch nur zum Austritt aus der EU raten. Aber ich warne Euch: Die Schweiz wird Deutschland nicht aufnehmen. Bei uns treibens die Nationalisten nämlich im Moment noch toller. Dabei handelt es sich um eine vermeintlich sanftere Form des Nationalismus, um nicht zu sagen um eine spielerische. Sie erstreckt sich denn auch auf die politische Linke, die plötzlich viele nationale und nationalistische Anliegen völlig normal findet. Am extremsten zeigt sich dies im Moment bei den Gewerkschaften, welche einerseits schweizerisch hohe Löhne fordern und anderseits europäisch niedrige Preise. Wenn ich auch die gewerkschaftlichen Forderungen nach Lohnerhöhungen durchaus begreife, stoße ich hier doch an meine Grenzen. Einerseits sind Forderungen nach Tiefstpreisen in der Regel nur durchsetzbar, wenn in einem anderen Land die Arbeitnehmer dafür bezahlen. Anderseits gurkt es mich überhaupt schon seit vielen Jahren an, dass man ausgerechnet im reichsten Land der Welt immer noch nach Lohnerhöhungen japst, als hätte man gerade die erste Brotkrume seit zwölf Tagen vorgeworfen erhalten. Mindestens in der Schweiz haben die Gewerkschaften komplett vergessen, qualitative Forderungen für die im Produktionsprozess stehenden Menschen aufzustellen. Qualitativ heißt: bessere Ausbildung, Befähigung der Menschen, an den gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen, Erhöhung der Genussfähigkeit durch Eröffnung des Zugangs zu den unterschiedlichsten Aktivitätsbereichen von Kunst, Küche und Freizeitgestaltung; in diesem Zusammenhang kommt bei mir übrigens immer eine gewisse Wehmut auf, wenn ich das Grundwissen von Absolventen der DDR-Schulen mit jenem bei uns vergleiche. Da hätte eigentlich der Westen etwas vom Osten übernehmen können. Aber das war wohl für den gänzlich von der Nouvelle Pédagogie besetzten West-Bildungsbereich nicht denkbar.

Egal. Vielleicht kommt Euch Italien noch zuvor mit einem EU-Austritt. Dort sind offenbar schon wieder die letzten Hemmungen gefallen, wenn man die Freudenausbrüche der Forza-Italia- und der Lega-Abgeordneten anläßlich des Sturzes von Romano Prodi ansieht. Der Hass auf den Professore sitzt offensichtlich wahnsinnig tief. Es ist der Ekel eines auf Schlagzeilen und Fernsehen getrimmten Pöbels gegenüber einem Mann, der besonnen und ruhig auf das Argument baut. Zugegeben: Oft war Prodi wirklich nicht nur professoral, sondern überhaupt super-pädagogisch. Das ändert nichts an der Tatsache, dass sich im italienischen Parlament der Ingrimm der besoffenen Dummheit gegenüber jeglicher Regung von Intelligenz entlud. Wenn wir davon ausgehen, dass diese Kräfte auch im nächsten Parlament rund 50% der Stimmen erhalten werden, geraten wir in Versuchung, unsere Anstrengungen anderen Bereichen zuzuwenden als der Herstellung einer Demokratie, welche ihren Namen verdient. Dabei stößt der Hass auf das Argument in Italien nicht ganz zufällig auf ein derart großes Echo; denn Italien ist gleichzeitig das Land der grenzenlos schwafelnden Rhetorik, das nicht nur das politische, sondern auch das Rechtssystem so angelegt hat, dass man sich aus einem effektiven Beschluss noch Jahre lang herausreden kann. Insofern ist das Ressentiment noch halbwegs begreiflich. Was nichts daran ändert, dass Italien wieder mal einen Versuch unternommen hat, sich als unregierbar darzustellen. Vielleicht ist es das ja auch.

Da lobe ich mir Österreich, einmal abgesehen davon, dass dort die Rechtsextremisten in einem Dummheitswettkampf gegenüber den italienischen Padanern durchaus nicht chancenlos dastünden. Aber ansonsten nimmt denen ihr Nationalgefühl immer interessantere und vor allem zeitgemäße Formen an. Zum Beispiel heißt der zweitplatzierte Verein in der Fußballmeisterschaft Red Bull Salzburg. Den ersten Platz belegt Pluntigamer Sturm Graz. Bier liegt also momentan gegenüber Red Bull vorn. Da kann Deutschland einpacken, wo vielleicht mal das eine oder andere Fußballstadion Allianz-Arena heißt oder der FC Schalke von Gazprom gesponsort wird – aber heißt er deswegen. FC Gazprom Schalke? Nichts da, diesen Dreh haben erst die Österreicher raus, und zwar eben durchaus national. An 7. Stelle der Fußballmeisterschaft liegt gegenwärtig die Spielervereinigung Josko Fenster Ried, gefolgt von Cashpoint SCR Altach. Am wenigsten bezahlt offensichtlich SK Austria Kelag Kärnten; die müssen offenbar alles Geld in ihre Neofaschisten investieren. Das beschränkt sich aber durchaus nicht auf den Fußball; Red Bull Salzburg ist ein polysportiver Verein und führt auch eine Mannschaft in der Erste Bank Eishockey Liga. Nun gut, auch die Schweizer Fußballmeisterschaft heißt unterdessen Axpo Champions League. Trotzdem hat der Österreicher die Nase vorn, der Radikalinski. Sagt Euch der Name Mullwitzkogel etwas? Nein? Zu Recht. Denn dieser Berggipfel im Osttirol heißt seit bald einem Jahr die Wiesbauerspitze nach dem österreichischen Wurstwarenhersteller Wiesbauer, welcher als Gegenleistung der Gemeinde Prägraten eine Marketingkampagne finanzierte. Das eröffnet Aufschwungperspektiven, die sich gewaschen haben. Wenn ich Euch mit der Nase etwas drauf stippen darf: Man kann ja mit Straßennamen beginnen. Der Juri-Gagarin-Ring erinnert doch auf unzulässige Art und Weise an die Triumphe der sowjetrussischen Weltraumfahrt; wieso macht ihr nicht einfach einen Mars-und wieder voll im Schwung-Ring draus? Oder mit den Unternehmen der öffentlichen Hand. Wieso heißt das denn immer noch Deutsche Post oder Deutsche Telekom? Die Deutsche Post könnte sich doch umbenennen in Coca-Cola-Delivery Worldwide. Für Deutsche Telekom sähe ich Estée Lauder Telekommunikation. Für die deutsche Bundeswehr nehmen wir etwas Neutraleres; vielleicht könnte man ein Scheichtum im Mittleren Osten von einer Investition überzeugen, und dann hieße eure Armee Abu-Dhabi-Sturmtruppe?

Die Welt ist unterdessen ziemlich unordentlich geworden, eben, vor allem in Österreich und in Italien. Lang lebe das kreative Chaos!, auch wenn man sich dann halt von einigen Prinzipien trennen muss.


29.01.2008

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