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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "US-Wahlkalküle"

[06. Kalenderwoche] 935 Falschaussagen hat das Center for Public Integrity zusammen mit dem Fund for Independence in Journalism gezählt in den eineinhalb Jahren von September 2001 bis zur Auslösung ...

... des Kriegs im Frühjahr 2003. 935 Falschaussagen des Weissen Hauses, welche zur Begründung des Irak-Feldzuges dienten und von den Medien in den USA und weltweit jeweils tausendfach vervielfältigt wurden. 532 Mal hieß es unzweideutig, der Irak sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen. Dies sagte Hampelmann Busch selber 231 Mal, der damalige Außenminister Colin Powell übertraf oder überlügte ihn mit 244 zu Massenvernichtungswaffen; dazu kamen die Behauptungen über die Verbindung von Saddam Hussein mit Al Kaida. Wie wir seit längerer Zeit wissen, waren es die US-Amerikaner selber, welche mit ihrem Einmarsch den Al-Kaida-Kämpfern den Weg in den Irak freigeschossen haben.

935 Falschaussagen innerhalb von 540 Tagen – das erinnert stark an Silvio Berlusconi, wobei der Unterschied darin liegt, dass Silvio Berlusconi immer lügt, während die Lügen des US-Präsidenten und seines Umfelds natürlich Methode hatten. Insgesamt aber ergibt sich eine Story, für die jeder Drehbuchautor auf der ganzen Welt einen Tritt in den Arsch erhielte: Der US-amerikanische Präsident, ein Hampelmann der US-Erdölindustrie und komplett unter der Fuchtel seines Vizepräsidenten Cheney, der früher beim Erdöldienstleister Halliburton gearbeitet hat, was er übrigens dauernd bestreitet oder vergisst, lässt seine Geheimdienste falsche Informationen zusammenstellen, aufgrund derer er den Senat rumkriegt und in den Irak einmarschieren kann.

Bin ich nun entsetzt? – Unter uns gesagt: Ja. Aber nicht wegen des Kriegs selber; den halte ich für einen strategisch derart kapitalen Fehler, dass die USA noch über mehrere Jahre hinweg alle Hände voll zu tun haben werden, um aus dem Schlamassel wieder heraus zu kommen, zum einen, und zum anderen haben die USA wie jede andere Großmacht auch seit eh und je zu militärischen Mitteln gegriffen, wenn es um die eigenen Interessen ging – darin unterscheidet sich der Zappelbusch nicht von seinen Vorgängern.

Aber dass es ein derart missratener Präsidentendarsteller unter der Fuchtel eines allein auf die Sonderinteressen der Erdölindustrie fixierten riesigen braunen Lochs an die Spitze dieses Landes und somit der Streitkräfte brachte und in keiner Weise von der Opposition oder vom Parlament bei seinen Pinocchiaden gehindert wurde, dass er vielmehr problemlos wiedergewählt wurde und zeitweise einer der beliebtesten US-Präsidenten aller Zeiten war – das finde ich schon Atem beraubend.

Aber es geht offensichtlich nicht nur mir so, sondern auch einer zunehmenden Zahl an US-EinwohnerInnen, wie eben den beiden anfangs erwähnten Instituten. Das heißt ja dann wohl auch, dass der Georg Walker Bush mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit noch den Rest seiner Tage im Amt absitzt und anschließend den Demokraten einen überwältigenden Wahlsieg präsentiert. Das ist soweit in Ordnung und zeugt von einer gewissen Selbstreinigungskraft der US-amerikanischen Demokratie, wenn man bloß nicht den Eindruck hätte, es würde sich anschließend das Gleiche ereignen wie nach der Beendigung des Vietnamkriegs, als nämlich die Geheimdienste zusammen mit den ultrareaktionären Republikanern den demokratischen Präsidenten Carter demontierten und den wohl damals schon an Alzheimer leidenden Ronald Reagan als Vorzeigefigur ins Amt hissten. Ich habe manchmal den Eindruck, solche Pläne seien bereits in der Auseinandersetzung um die demokratische Präsidentschaftskandidatur absehbar; von der republikanischen will ich hier nicht sprechen, dieser Fall scheint mir zu eindeutig zu sein.

Wenn ich an Zufälle glauben täte, so würde ich die Tatsache, dass sich bei den Demokraten gleichzeitig die erste Frau und der erste Schwarze mit Aussicht auf Erfolg um die Präsidentschaftskandidatur bewerben, für einen solchen halten. Aber in den Vereinigten Staaten halte ich nun eben überhaupt nichts für einen Zufall. Ich wäre geneigt, Wetten einzugehen darauf, dass hinter der Kandidatur von Obama Barack republikanische Gelder stehen. Nicht nur, selbstverständlich; aber doch auch, und zwar in einem nicht geringen Umfang. Ich komme darauf, weil das Kalkül auf der Hand liegt: Gegen Hillary Clinton ist schlicht und einfach nicht zu gewinnen, auch in vier Jahren nicht; dagegen bietet der schwarze Kandidat einmalige Chancen, die versteckten rassistischen Strömungen im Land anzusprechen, mehr oder weniger diskret und in erster Linie im Hinblick auf die Wiederwahlen in vier Jahren.

Selbstverständlich ist nicht alles Verschwörung bei der demokratischen Kandidatenkür. So zeigt sich, dass Bill Clinton während seiner Präsidentschaft offensichtlich Teile des Parteiestablishments verletzt hat; anders ist die offene Unterstützung der Kennedys für Barack Obama nicht zu erklären. Und vor allem verstehe ich den Wunsch nicht nur der jüngeren Wähler nach einer gründlichen Erneuerung von Personen und Politikstil über alle Maßen gut; insofern habe ich selbstverständlich überhaupt nichts gegen eine Kandidatur von Obama Barack einzuwenden. Manchmal bringt tatsächlich allein die Aura eines frischen Windes gerade die übelsten reaktionären Widerstandsnester viel gründlicher zur Auflösung als eine Person der alten Garde, und mag sie noch so qualifiziert sein; und zur alten Garde gehört Hillary Clinton nun mal trotz den 2 Metern Schminke auf allen sichtbaren Hautstellen. Es wäre ja dann auch die dritte und vierte Amtszeit des Gesamtehepaars Clinton, wenn ich mich nicht irre. Eben: Bei aller Schminke liegen da einige ganz offensichtliche Schönheitsmängel vor.

Trotzdem setze ich weiter auf Hillary, und wenn sies gewinnt und dann den Barack Obama zu ihrem Vizepräsidenten macht, dann werde ich mit einem Glas Selterswasser anstoßen und mich gleichzeitig immer wieder fragen: Was war denn jetzt das mit diesem Präsidentenjockel Wilhelm Busch? Kann sich ein Land sowas leisten? Der Wodkoholiker Boris Jelzin war ja dem gegenüber geradezu ein Spitzenpolitiker. Mein lieber Schwan.

Und wenn wir gerade bei den Pinocchios sind: Das oberste EU-Gericht hat festgestellt, dass der Mediaset-Sender Rete4 von Silvio Berlusconi seit Jahr und Tag sein Programm analog im ganzen Land verbreitet, ohne dass er vom Staat eine Frequenz zugeteilt erhalten hätte. Berlusconi sorgte dafür mit einer ganzen Reihe von Übergangsregelungen und dann noch mit einem eigenen Mediengesetz. Wenn man nun aber meint, es käme zu irgendwelchen Verfahren gegen Mediaset oder Berlusconi, dann befindet man sich ganz erheblich im Irrtum. Mediaset sagt, dass sie von diesem Urteil überhaupt nicht betroffen sei, und sie könnte dabei recht haben, denn der Fall wurde von einem benachteiligten Konkurrenten angestrengt, und zwar nicht gegen Mediaset selber, sondern gegen den italienischen Staat. Ganz 100%-ig sicher ists zwar noch nicht, aber angesichts der Tatsache, dass der italienische Staat gegenwärtig andere Probleme hat, kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass unser Silivo bzw. denen ihr Silvio die Italiener weiter ungestraft illegal bedienen darf.

Im Vergleich dazu geht es in Deutschland geradezu langweilig zu und her. Sogar Roland Koch hat sich für seine rassistischen Ausfälle im Wahlkampf relativ deutlich entschuldigt. Dabei ist nicht die Entschuldigung selber das Interessante, denn damit konnte man schon vor den Wahlen rechnen; faszinierend ist vielmehr, dass die hessischen WählerInnen dem Koch-Affen sozusagen die rote Karte gezeigt haben, auch wenn es zum sofortigen Sturz doch nicht gereicht hat, aber immerhin. Wenn sich jetzt auch noch die Neonazibrüder entschuldigen, lange Haare wachsen lassen und zu kiffen beginnen, habt Ihr alle Aussichten, zu den Lieblingskindern der Europäischen Union oder überhaupt Europas zu werden. Dabei gelten die Deutschen ja eigentlich nach wie vor als recht spießig; vielleicht lässt sich auch hier noch das eine oder andere Element verbessern. An und für sich ist gegen Kleinbürgerei gar nicht so viel einzuwenden; seit der Verbreitung der Massenproduktion sind wir allein über den Massenkonsum an Gütern und Medien alle in gewissem Sinn zu Kleinbürgern geworden. Das heißt nun noch nicht, dass man sich deswegen nicht auch den einen oder anderen Luxus leisten kann, zum Beispiel einmal einen originellen Gedanken oder ein putziges Kleidungsstück oder auch einen Lebenslauf, der durchaus an den üblichen deutschen Institutionen in Staat und Wirtschaft vorbei führt; so etwas muss ja nicht in jedem Fall in eine Verbrecherkarriere münden. Im Bereich der Lebensgestaltung gäbe es eigentlich wahnsinnig viele Optionen. Nehmen wir als Beispiel nur jene tausenden von Rentnerinnen, welche sich nach der Pensionierung nach Spanien oder sonstwo hin ins Ausland verabschieden. Man mag das etwas billig oder eigenartig nennen und möglicherweise sogar als eine Form der Freizeitkolonisierung gewisser ausländischer Regionen, gegenüber der sich die Migration von ausländischen Arbeitnehmern hierher geradezu lächerlich ausnimmt; aber im Kern handelt es sich in erster Linie um eine ernsthafte Option, die eigene Biografie mal tüchtig in die eigenen Hände zu nehmen. Dass dann in der Masse der deutschen Exilanten auf Ibiza oder wo auch immer wieder das gleiche traute Glück entsteht, dem man in Deutschland soeben entflohen ist, darf man nur als einen leichten Scherz des Schicksals auffassen oder sogar als Hinweis darauf, dass die Lebensgestaltung theoretisch durchaus auch zuhause besser möglich wäre.






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06.02.2008

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