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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Schauspielereien"

[45.Kalenderwoche] Offenbar ist die pakistanische Demokratie ein Schauspiel, das sein Publikum noch sucht, sonst hätte der oberste Militärchef Pervez Musharraf wohl weniger Probleme gehabt bei seiner eigenen Wahl zum Präsidenten und ...

... mit den theoretisch auf Januar angesetzten Parlamentswahlen. Jetzt hacken alle lupenreinen Demokraten auf der ganzen Welt auf dem Mann herum, und mir bleibt es wieder mal, einen Rest an Verständnis aufzubringen, und zwar einfach deshalb, weil die angeblich demokratische Opposition im Lande, allen voran die wunderschöne Frau Benazir Bhutto, ja nun offensichtlich nichts weiter bezweckt, als die aus den demokratischen Einrichtungen entstehenden Pfründe für sich, nochmals für sich, dann für die Familie und noch für ein paar tausend weitere Schmarotzer unter den Nagel zu reißen; den Tatbeweis dafür haben wir anhand der vorherigen Regierungszeiten von Frau Bhutto und ihren politischen Gegnern schon längstens gesehen. Mit Demokratie hat sowas nichts zu tun, sowenig wie die bolivarischen Sozialisten in Venezuela etwas mit einem lupenreinen Sozialismus zu tun haben. Der gesellschaftliche Entwicklungsstand bietet schlicht und einfach die Grundlage nicht, in Venezuela nicht für den Sozialismus und in Pakistan nicht für eine Demokratie. Da in Pakistan darauf noch die Islamistenfrage aufgetoppt wird, also eine Bewegung, welche die demokratischen Freiheiten ausdrücklich maximal ausnützen will zur Bekämpfung der Demokratie, ergibt sich daraus zwar nicht gerade eine lodernde Begeisterung für die Ausrufung des Notstandes durch Pervez Musharraf, aber eben: durchaus ein gewisses Verständnis. Wie ich dies ja auch schon für unseren Oberdemokraten Putin geäußert habe. Offenbar gab der jüngste Tag der russischen Einheit auch dort wieder Anlass für die Emanation großrussischer Kleingeister, spricht russischer Nationalisten, bei denen man aber im allgemeinen Orientierungsmuster nicht mehr genau weiß, ob sie nun links oder rechts stehen. Jedenfalls ist ihre Forderung bekannt: Russland den Russen!, und auch hier wäre gegen die Forderung zunächst nichts einzuwenden, wenn sie sich nämlich gegen die russische Oligarchie wenden täte, welche Russland zweifelsfrei in ihren demokratischen Fängen hält. Aber so wars nicht gemeint; vielmehr sollen die etwa 2 Promille an Nichtrussen a) verantwortlich sein für alles Übel und b) ausgewiesen oder was weiß ich noch werden. Das erinnert an die anhaltende Judenfeindlichkeit in Polen, wo seit dem großen deutschen Reinemachen vor sechzig Jahren auch keine Juden mehr leben; es erinnert aber auch daran, dass in Ostdeutschland, wo die Ausländeranteile generell tiefer sind als in Westdeutschland, der Ausländerhass offensichtlich viel stärker verbreitet ist als im Westen. – Immer diese Erinnerungen!

Jedenfalls ist das Schauspiel einer Demokratie durchaus unterschiedlich, je nach Weltregion, und zwar sowohl bezüglich des Geschehens auf der Bühne als auch, wie gesagt, bezüglich des Publikums. Aber dies bezieht sich wohl nicht nur auf die Demokratie. Wenn ich mich auf der Straße umschaue, sehe ich mindestens in Zürich eigentlich nur Leute, die irgend etwas darstellen möchten, und zwar bis in die letzte Minenzuckung hinein. Je stärker sich die Kommunikationsgesellschaft durchsetzt, desto extremer greifen die Menschen zu den Angeboten an Charaktervorbildern, welche ihnen in verschiedenster Form geboten werden, und es muss sich durchaus nicht um Paris Hilton handeln. Jemanden, der auf ganzer Linie nur er selber oder sie selber war, habe ich seit langer Zeit nicht mehr getroffen. Eigentlich bin ich diesbezüglich unterdessen ganz alleine. Und auch bei mir entdecke ich viele Komponenten, welche ich von anderen abgekupfert habe, die mir gut gefallen haben, von der einfachen Redewendung bis zur Körperhaltung beim Genuss eines Glases Mineralwasser. Das ist natürlich etwas schwierig, aber offensichtlich ist das Rollenspiel in demokratischen Gesellschaften viel gründlicher, als ich das ursprünglich angenommen habe. Ganz besonders schön kommt dies übrigens auf den Fußballplätzen zum Ausdruck. Ich erinnere bei dieser Gelegenheit vor allem die nachstoßenden Generationen gerne daran, was für absolute Hoch-, Tief- und Weitflug-Akrobatikrekorde Euer ehemaliger Fußball-Nationaltrainer Jürgen Klinsman während seiner beruflichen Laufbahn aufgestellt hat. Besser als er war in meiner Erinnerung nur noch Maradona, der immer schon zu bluten anfing, wenn sich ein Gegner auf 5 Meter an ihn näherte. Er warf die Hände in die Luft und ssackte vornüber zu Boden, als hätte ihn gerade ein Exekutionskommando hingestreckt. Dies wiederum passt relativ gut in jene Ikonografie von Christus und Che Guevara, der er offenbar auch heute noch anhängt. Und, unter uns gesagt, es ist doch immer noch ein bisschen sympathischer als Paris Hilton. Aber unabhängig davon: Einen würdigen Nachfolger haben Maradona und Klinsmann gefunden in der Person von Cristiano Ronaldo, welcher bekanntlich während der WM 2006 mit einer Schauspieleinlage jenen Wayne Rooney vom Platz befördert, mit dem er jetzt in der gleichen Mannschaft zusammenspielt. Cristiano Ronaldo ist Portugiese, und wenn man hin und wieder in die portugiesische Fußballliga hinein zappt, dann sieht man, dass der keineswegs ein Einzelfall ist. Die portugiesischen Fußballmatches gleichen Bajonettkämpfen in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges. Vielleicht erbarmen sich UEFA und FIFA und lassen in Portugal demnächst noch einen persönlichen Krankenpfleger oder, was für das Spektakel natürlich besser wäre, eine persönliche Krankenschwester hinter den Fußballstars hinterher laufen, welche sie nach jedem Ball- und Körperkontakt pflegen mit Verbänden, Spritzen, Pflastern und Tabletten. Warum denn nicht. Nachdem offenbar Cheerleading zu einer eigenen Sportart geworden ist, die sicher demnächst zu den Olympischen Spielen zugelassen wird, könnte man hier mit Soccer Nursing einen Ausbau vornehmen.

Die Welt, und zumal die Fußballwelt, ist in vollem Fluss, mindestens in den entwickelten Teilgebieten der Welt. Am Wochenende habe ich vom portugiesischen weg in den österreichischen Fußball gezappt. Bei allen Gemeinsamkeiten ist mir doch vor allem eine große Ungleichheit aufgefallen: Die österreichischen Fußballspieler tragen nicht mehr einfach Trikotwerbung, die haben noch einen weiteren Körperteil für die Werbung erschlossen, nämlich den Arsch. Ich weiß nicht, ob sich damit die Altherren-Bezeichnung «der Allerwerteste» rechtfertigt, das heißt, ob die Prämien für die Arschwerbung höher sind als für die Leibchenwerbung, und es interessiert mich nicht brennend; aber dass auf dem Arsch geworben wird, das ist ein zweifelsfreier Fortschritt – daran hatte noch niemand gedacht, nämlich ich nicht. Jedenfalls muss es sich dabei um eine Frauen- und Schwulenfreundliche Entwicklung handeln, die nur noch übertroffen wird, wenn in Zukunft nach jedem Treffer vorne zwischen den Beinen eine Werbeflagge hochspringt und drauf steht: Dieses Tor wurde Ihnen offeriert von der Fleischerei Hattecke!

Die Fleischerei Hattecke gibt es übrigens tatsächlich, und zwar im Unterengadin, in Zernez, und Meister Hattecke verpackt seine Fleischwaren in kleine Tüten wie Parfums oder Lippenstifte, und er verlangt für seine Preise ähnliche Preise wie für Gold und Silber. Soviel für die VegarierInnen unter Euch.

Also den Penis als Werbestängel hat der österreichische Fußballverband noch nicht bestiegen, aber es handelt sich sicher nur um eine Frage der Zeit. Wenn man dann weiter zappt im Fußballwunder, kommt man auf Berichte aus den deutschen unteren Ligen, zum Beispiel von der Auseinandersetzung zwischen dem FC Leipzig und dem FC Chemnitz. Mein lieber Schwan, da ist aber noch Begeisterung drinne! Der Schiedsrichter pfeift Käse, die Spieler winden und wundern sich, und auf den Zuschauerrängen tobt der rechtsextreme Pöbel. Das sind natürlich schon Standortfaktoren, welche die internationale Aufmerksamkeit anzulocken vermögen, zweifellos. Aber ein Trost ist gewiss: Der Nationalismus hat Hochkonjunktur. Manchmal war man früher sogar noch um den Pro-forma-Internationalismus der Ostblockkommunisten oder nur schon der Sozialdemokraten froh, welche sich im übrigen wirklich nie so richtig um eine richtige Internationalisierung bemüht haben, im Gegensatz eben zum System und zu den Kapital- und Handelsflüssen, aber durchaus auch im Gegensatz zu den Menschenströmen, sei es nun der Fernreiseverkehr von Touristen oder der Fernreiseverkehr von Arbeitssuchenden, welcher mindestens in Westeuropa verschiedene Sedimente von ItalienerInnen, SpanierInnen, Portugiesinnen, TürkInnen und Jugoslawinnen hinterlassen hat, zu denen im Lauf der Zeit noch ein paar andere Flüchtlingsereignisse gestoßen sind. Die sozialdemokratischen Parteien haben sich darum im Kern nicht die Bohne gekümmert, auch wenn sie, wie gesagt, manchmal sogar noch die Internationale geträllert haben. Aber nur schon die Forderung nach einer einheitlichen Sozialgesetzgebung in der ganzen EU, welche man dann ja immer noch in der konkreten Ausformung den einzelnen Staaten überlassen könnte, nur schon eine solch simple und elementare Forderung im Rahmen des gemeinsamen Europas ist den Sozialdemokraten über kein einziges Körperorgan gekrochen. Der erste Mensch, der diese nur und ausschließlich vernünftige Forderung in letzter Zeit in meinem Umfeld aufgestellt hat, war ein Mitglied von attac Österreich anläßlich des zweiten deutschsprachigen Grundeinkommenskongresses in Basel. Wenn sich also jemand von Euch dringend irgendeiner Organisation anschließen möchte, empfehle ich attac Österreich.

Davon abgesehen hat der Nationalismus Hochkonjunktur, wie ich gesagt habe. Und wenn ich hier definitiv wiederhole, dass Nationalismus eine brunzdumme Hirnkrankheit ist, vergleichbar einer humanen spongiformen Enzephalitis, also deutlich schlimmer als Vogelgrippe und Creutzfeldt-Jacobs, so füge ich doch an, dass erstens die ganze Geschichte niemals sich linear entwickelt, dass also ein nationalistischer Rückschlag mehr oder weniger naturgesetzlich erfolgen musste im Rahmen der EU-Vereinheitlichung. – Übrigens habt Ihr wohl auch mitgekriegt, dass die Italiener jetzt damit begonnen haben, kriminelle Bürger von osteuropäischen EU-Ländern wieder in diese Länder zurückzuspedieren, ob man dies nun gut findet oder nicht, aber das passt hier genau rein. – Zweitens begreife ich die Bewegung zum Teil sogar, indem nämlich nirgends eine Bewegung oder ein Projekt absehbar ist, welches den einfachen Einwohnerinnen Wege und Perspektiven eines Postnationalismus aufzeigt, einer Zeit, in der die Nation aufgehört hat, die Köpfe der Menschen zu dominieren. Das gibt’s schlicht und einfach nicht, und zwar nicht, weil die Einsicht nicht da wäre, sondern weil sich kein PolitikerInnenschwein getraut, das dem Wahlvolk, dem Schauspielpublikum vorzusetzen. Man riskiert die politische Todesstrafe, offenbar. Und das, geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, ist dann wahrscheinlich der Todesstoß für die sozialistische Bewegung. Dass sie nicht einmal das geschafft hat – das ist ja armseliger als arm. Das ist nur noch Elend.



Albert Jörimann





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06.11.2007

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