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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Homo Ludens"

[36.Kalenderwoche] Wenn der Mensch nur dann ganz Mensch ist, wenn er spielt, dann geht es rund um die Börsen sehr menschlich zu, wobei es sich hier um eine Veranstaltung handelt, deren Regeln wohl nicht alle Mitspieler völlig begriffen ...

... haben, mindestens was die strukturierten Produkte und die unzähligen kreativen Vorschläge betrifft, welche auch von seriösen Instituten unterbreitet werden. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 3. September zum Beispiel bietet die Zürcher Kantonalbank für die Renditeoptimierung einen Crash and Protect Soft Runner on Worst of, also für den schlimmsten Fall. Sie erklärt dieses neuartige Instrument vor wie folgt: «Der Crash&Protect Soft-Runner on Worst of entspricht einem Barrier Reverse Convertible mit folgendem neuartigen Schutzmechanismus: Wenn die Schlusskurse aller Basiswerte an einem Tag zwischen Initial Fixing und Final Fixing beim oder unter dem Knock-in-Wert notieren, erfolgt eine Barrückzahlung von 100% des Nominamlbetrages zuzüglich der vollen Couponzahlung bereits 5 Arbeitstage nach Eintreten des Ereignisses. Mit diesem Produkt erhalten Sie einen attraktiven Coupon von 10% bzw. 12.50% und eine zusätzliche Kapitalschutz-Chance mit vorzeitiger Rückzahlung.» Alles klar? Die Bank Vontobel bietet einen Express Voncert mit Prämie von 7.00% resp. 12.10% und einer Barriere von 65%. All diese schönen Angebote mag nutzen, wer will, ich sage nur: Manchmal hat Hartz IV auch seine Vorteile, muss man sich wenigstens nicht den Kopf zerbrechen, wie man seine Halbersparnisse mit idiotischen Mischinstrumenten vernichtet. Dabei handelt es sich hier noch um einigermaßen seriöse Institute und um Angebote zum Teil von Großbanken, welche Hunderte von Menschen beschäftigen mit dem Auftrag, immer kreativere neue Angebote auf die Beine zu stellen wie bei echten Gebrauchsgütern. Hier bin ich auch stets von neuem überrascht, dass schon wieder ein Waschmittel auf den Markt kommt, das als völlige Weltneuheit porentief rein und hygienisch wäscht. Und dennoch ist die Beschäftigung mit Kapitalanlagen unterdessen weit in die breiten Volksmassen eingesickert. Zwar spricht man nicht gerne davon, weil, das könnte ja den Neid der Nachbarn wecken oder zu guter Letzt das Interesse des Finanzamtes; aber seit es sich herumgesprochen hat, dass Sparhefte keine so gute Möglichkeit mehr darstellen, sein Erspartes nützlich anzulegen, steigt die Zahl der Aktionäre oder Teilhaber an Aktienfonds und eben anderen Instrumenten stetig und macht sicher unterdessen zwei Drittel der Bevölkerung aus.

Eines muss man aber den internationalen Finanzmärkten oder der Kapital- und Geldsphäre insgesamt einfach lassen: Ohne diese Ebene, ohne ein weitgehend verläßliches System des globalen Austauschs und damit auch der Austauschmittel, also eben des Geldes oder des Kapitals, wäre weder jene höchste Stufe der Massenproduktion möglich mit dem, was wir manchmal etwas konsterniert als Welthandel betrachten, noch gäbe es eine derart umfassend freie Zirkulation der Menschen rund um den Erdball, die wir ja je nachdem als positiv oder als negativ empfinden. Positiv ists für uns, wenn wir uns als Touristen oder Abenteuerreisende von einem Land ins andere begeben können, in meinem Umfeld übrigens in letzter Zeit mit Vorliebe nach Indien, und negativ ists, wenn andere Menschen und Rassen bei uns anklopfen, um ein Teil unseres Lebensstandards zu ergattern. Dass die globale Kommunikation hier praktisch Hand in Hand geht mit dem Geld als globales Schmiermittel, versteht sich von selber. Tatsächlich sind Fernsehen und Mobiltelefonie fast gleich so schnell wie die internationalen Geldflüsse. Insofern kann es nicht wirklich erstaunen, dass das Geld oder das Kapital als Schmiermittel der internationalen Bewegungen auf sämtlichen Stufen der Existenz hin und wieder ins Stocken geraten, denn diese Sphäre befindet sich nach wie vor in einem Ausdehnungsprozess, der immer tiefer in die immer entlegensten Ecken des Globus hinein sickert. Mit einer einfachen international anerkannten Kreditkarte kann ich mich heute doch schon in praktisch jedem Land der Erde bewegen, sofern sie halbwegs gedeckt ist. Das ist nicht nur mirakulös, sondern eine Tatsache.

Die jetzt wohl abgeschlossenen Verwerfungen auf den internationalen Kreditmärkten wegen der Subprime-Krise in den USA stehen mit der Verbreitung der Geldsphäre auf der ganzen Welt durchaus in einem größeren Zusammenhang; nämlich handelte es sich eindeutig um einen Elastizitätstest bei der Ausdehnung der Geldspielmenge. Solche Tests gehen halt manchmal in die Hosen, und damit hat sich die Sache auch schon wieder erledigt. Es ist nicht anzunehmen, dass in den USA in den nächsten 12 Monaten fünf Millionen Leute auf der Straße stehen bzw. vor ihren leeren Häusern übernachten; anderseits gibt es auch keine Anzeichen dafür, dass die Rezession, in welchen die Vereinigten Staaten von Amerika seit zwei Jahren stecken, durch diese Wohnbaukrise übermäßig verschärft wurde. Soweit Wirtschaft und Wirtschaftswachstum auch auf psychologischen Faktoren beruhen, kann man im Gegenteil davon ausgehen, dass die Erholung des Wohnungsmarktes bzw. die Bereinigung der Hypothekarvergabepraxis schon bald zu einem ausgeprägten Aufschwung führt; und dies hat schon eine gewisse Bedeutung, wenn man sich vergegenwärtigt, dass zwei Drittel des Bruttoinlandprodukts in den USA aus Konsumausgaben besteht.

Allerdings bleibt diese Geldsphäre anfällig, denn die rasanten Entwicklungen führen zu dauernden Verschiebungen von Gewichten, welche eben in erster Linie auf dieser Ebene ausgeglichen werden, egal, ob es sich nun um die bereits als Schwergewichte auftretenden ehemaligen Schwellenländer handelt oder um Verlagerungen innerhalb der einzelnen Länder, wo der Strukturwandel nach wie vor in rasender Geschwindigkeit abläuft, und zwar, ohne dass wir davon im Alltag allzu viel merken. Tatsächlich findet dank dieser Geld- und Kapitalebene stets und sofort so etwas wie ein internationaler Druckausgleich statt, der deswegen so effizient ist, weil er immer die Form einer anerkannten und scheinbar logischen Entwicklung annimmt, sei es bei den Veränderungen der Wechselkurse oder auf der Börse oder wo auch immer. Diese Sorte von Spiel wird insofern immer menschlicher, als zunehmend alle Menschen davon betroffen sind, man könnte auch sagen: ihm unterworfen sind; aber die Hypothese, dass eine Steigerung des internationalen Austausches grundsätzlich allen Beteiligten zugute kommt, hat mindestens für mich immer noch Gültigkeit, auch wenn es in der Regel eine Horde von Profiteuren gilt, welche dabei Gewinne realisieren, dass es einem graust; aber das ändert nichts an einer Entwicklungstendenz, welche grundsätzlich in eine positive Richtung zeigt.

Das ändert nichts daran, dass das ganze Spiel einerseits absurd ist und anderseits von wirklich niemandem im Kern verstanden wird. Zwei Seiten hinter dem Crash&Protect-Softrunner der Zürcher Kantonalbank veröffentlicht die Neue Zürcher Zeitung eine Grafik von Citigroup-Analysten, welche behaupten, dass die Kurse auf den europäischen Aktienmärkten in den ersten 6 Monaten nach einer Leitzinssenkung in den USA um Durchschnitt um 7.5% gestiegen seien und innerhalb eines Jahres sogar um 18%. Nun rechnet man im September justament zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder mit einer solchen Leitzinssenkung. Es wäre jetzt also langsam an der Zeit, die Matratzen aufzuschneiden und die Spargroschen definitiv in die Börse zu stecken. Aber wenn man sich allein den DAX ansieht, stellt man fest, dass der bis vor der Kreditkrise im Juli auf über 8000 geklettert war im Vergleich zu den unter 6000 ein Jahr zuvor. Rechnet man das zurück, so hätte für diesen Anstieg um einen Drittel die US-amerikanische Notenbank ihre Zinsen im Jahr 2006 um mindestens ein halbes Prozent senken müssen. Stattdessen gingen die Fed-Zinsen zwischen Februar und Juli 2006 von 4.50% auf 5.25% in die Höhe. Kurz: Alles Bruch, nur eines steht fest: All diese Analysten verdienen mit Sicherheit nicht unter 100'000 US-Dollar im Jahr. Die reine Existenz solcher Propheten beweist, dass dieses unser System ganze Klassen von Menschen beschäftigt, welche im konventionellen Sinne nicht anders als Schmarotzer bezeichnet werden müssten. Die Krux liegt nur darin, dass die konventionellen Werte und Regeln nicht mehr gelten. Das System kann solche sogenannten Schmarotzer nicht nur locker aushalten, es beruht oder besteht sogar darauf, immer mehr Leute in Sektoren zu beschäftigen, welche im herkömmlichen Sinn und gemäß der gängigen Wirtschaftstheorie überhaupt keinen Zweck haben. Auf der einen Seite führen im industriellen Bereich alle namhaften Unternehmen alle paar Jahre umfangreiche Kostensparprogramme durch und entlassen haufenweise Personal, und auf der anderen Seite entstehen Jobs, die es strikt wirtschaftlich gesehen gar nicht geben dürfte. Das ist ebenfalls eine große Schwierigkeit, wenn man die Welt von heute verstehen will und daraus sogar noch gewisse Schlüsse für das individuelle und kollektive Handeln ziehen will. Wir haben wirklich immense Defizite.

Kürzlich las ich einen Artikel über das «Internet der Dinge», über die Möglichkeit, dass die Angaben über das Konsumverhalten der Menschen, welche bekanntlich digital immer stärker erfasst werden, einerseits zu einem Profil zusammenwachsen und anderseits ein Eigenleben zu führen beginnen, was ich einerseits lustig empfinde und anderseits ebenfalls eigenartig. Ursprünglich war doch das Geld die wirklich virtuelle Größe, welche sämtliche Warenbewegungen abspiegelte. Jetzt ist im digitalen Raum die effektive Warenbewegung bereits nachverfolgbar als echter Teil der längst bekannten Datenspur. Zusammen mit den jederzeit überprüfbaren Mobiltelefoniegesprächen und dem ganzen E-Mail-Verkehr eröffnet sich hier eine zusätzliche Ebene, über die ich eigentlich viel lieber intensiver diskutieren würde als über die Löhne von Lokomotivführern oder über Hartz IV. Dies umso mehr, als solche Auseinandersetzungen in den untersten Lohn- und Sozialversicherungsklassen angesichts der fürstlich entlöhnten Absurdarbeiter zunehmend ein Witz sind. Wie immer habe ich den Eindruck, dass mit solchen Auseinandersetzungen aus einer längstens untergegangenen Zeit nichts anderes betrieben wird als Augenwischerei, damit wir uns möglichst nicht mit den effektiven Bewegungen beschäftigen.



Albert Jörimann





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04.09.2007

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