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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Japaner-Abe"

[10.Kalenderwoche] Zwischen Deutschen und Japanerinnen gibt es sicher unglaublich viele Unterschiede, aber die meisten davon gibt es auch unter den Deutschen selber, und ganz sicher der geringste Unterschied besteht darin, dass sie ...

... beide im Zweiten Weltkrieg Achsenmächte waren, die Aggressoren in Europa und in Asien. Besiegt wurden sie beide, aber es ist recht verblüffend, wie stark sich in Japan revisionistische Tendenzen halten. Letzte Woche hat offenbar der japanische Premierminister Shinzo Abe wieder einmal die Existenz von Zwangsprostituierten während dem Zweiten Weltkrieg bestritten. Alles Freiwillige, sagte Abe. Der Mann hat offenbar eine Wasserader unterm Bett, sonst würde er diese olle Kamelle wohl kaum wieder ausgraben. Die historischen Tatsachen lauten dahin, dass in China und Korea rund 200 000 Frauen für Kriegsbordelle geraubt wurden. Dafür haben sich die meisten japanischen Regierungen, unter anderem auch Abes Vorgänger Koizumi, in regelmäßigen Abständen auch immer wieder entschuldigt.

Er ist offenbar ein eigenartiges Wesen, der Japaner, bei dem man nicht etwa von Bewusstseinsstörungen sprechen sollte in diesen Zusammenhängen, sondern einfach von einem anderen Bewusstsein. In Japan hat die Historikermeute offenbar keinerlei Rechte im Geistesraum. Das bräuchte uns ja nicht besonders zu interessieren, wenn wir nicht auch einen wirtschaftlichen Sinn hätten, zum Beispiel in der Automobilindustrie, wo die Japaner mit den Deutschen die alten Präpotenzen wieder aufleben lassen. Wenn doch dieser Abe und seine Vorgänger und Nachfolger sich auch nur ein bisschen zurückhaltender äußern täten, hätten sie ein viel besseres Leben, insbesondere in Asien. Denn in Europa und in den Vereinigten Staaten von Amerika kümmert es wohl kaum jemanden, was die Asiaten in Asien treiben, Krieg hin oder her, es sei denn, dass man gerade selber in einen verwickelt wäre wie z.B. in Vietnam, wo die Krieg führenden Truppen ja auch etwelche genetische Spuren hinterlassen haben. Davon abgesehen hält sich das Interesse des Europäers für den Japaner in Grenzen; das war vielleicht schon eine Voraussetzung für die Allianz im Zweiten Weltkrieg. Deshalb ist es uns auch egal, ob wir Automobile importieren aus einem Land, das seine Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg nach wie vor nur zögerlich zugibt oder zum Teil eben ganz bestreitet, und auch die Grünen fordern hybride Toyotas und nicht etwa kriegsneutrale Volvos oder Saabs. Was abgesehen davon schon ausgereicht hat, um die deutschen Automobilhersteller und die von ihnen bezahlten PolitikerInnen in Gekläff und Geheul ausbrechen zu lassen, wie man dies letztmals wohl vor der Abschaffung der Zigarettenreklame gehört hat.

Aber egal. Der Japaner jedenfalls vernagelt sich höchstpersönlich den Zugang zu einem Markt, den nicht einmal wir gelangweilten Europäer langweilig nennen würden, nämlich China, indem er von der fixen Idee besessen ist, es passe nicht zu einem erwachsenen Menschen, sich bei einem anderen Menschen zu entschuldigen, egal, was vorgefallen ist. Im konkreten Fall der Zwangsprostituierten erscheint uns diese Abe-Artigkeit sowieso wie die Zuspitzung des Männlichkeitswahns, nämlich der Vorstellung einer Männlichkeit, die im Krieg ganz elementar zum Vorschein kommt und dort in der hervorragenden Spitze des Penis ihre Vollendung findet – damit ist doch schon rein über die Definition erstellt, dass eine von einem japanischen Soldaten besprungene Frau niemals Opfer eines Zwangs, sondern vielmehr dankbare Empfängerin unerhört männlichen Glücks geworden ist. So stellt sich uns der Japaner in seiner Abe-Form dar, und, wie gesagt, Shinzo Abe ist nicht mehr und nicht weniger als der japanische Ministerpräsident.

Daneben bin ich in keiner Art und Weise legitimiert, Aussagen über Japan zu machen, denn ich kenne weder Land noch Leute. Was ich davon gehört habe, ist, dass sie mit zunehmendem Alkoholgenuss primitiver werden; das soll offenbar auch für die Chinesen gelten. Jene Menschen, die mir das gesagt haben, sind offenbar der Überzeugung, dass die EuropäerInnen mit zunehmendem Alkoholgenuss höhere Stufen der Zivilisation erklettern. Das ist mir jetzt wieder nicht aufgefallen. Aber vielleicht erträgt der Japaner tatsächlich weniger viel Alkohol als der durchschnittliche Bayer oder gar Russe, wer weiß. Und daneben habe ich den Eindruck, dass die Menschen für unser Verständnis viel krasser sind, das heißt, die Koexistenz zwischen umfassender Anpassung und radikalem Ausflippen ist viel spektakulärer als bei uns, wo ja überhaupt in letzter Zeit niemand mehr ausflippt, wenn nicht gerade eine Fernsehkamera in der Nähe ist. Viel mehr weiß ich nicht über dieses Land. Es gibt etwa 130 Mio. JapanerInnen, ihre Lebenserwartung ist die höchste der Welt, das Bruttoinlandprodukt pro Kopf beträgt etwa 33'000 USD, und, eben, Toyota wird in den USA demnächst die meistverkaufte Automobilmarke sein; übrigens spezialisieren sich die deutschen Automobilbauer im US-Markt nach wie vor auf die Sports Utility Vehicles, welche mindestens 20 l Most pro 100 km fressen, wozu man auch an dieser Stelle nur Guten Appetit hinterher brüllen kann. Das ist genau das, was wir so lieben an unserer Politik und ihren Duzbrüdern in Industrie und Gesellschaft: Nach Klimaschutz schreien und SUV und Offroader produzieren. Das ist wirklich genial. Da sind die Japaner in der Praxis doch etwas intelligenter, wobei für mich die große Intelligenz im Automobilbereich darin besteht, nicht Automobil zu fahren, sondern Eisenbahn. Dafür bräuchte es aber wiederum ein perfektes System mit öffentlichen Verkehrsmitteln mit dem entsprechenden Fassungsvermögen und neuen Infrastrukturen und modernem Rollmaterial; davon träumen wir jetzt wohl alle noch ein paar Generationen lang.

Immerhin seid Ihr in Deutschland nicht allein. Am 8. März beginnt der Automobilsalon in Genf, und auch der steht offenbar im Zeichen des Klimaschutzes. Eben, wie seinerzeit bei der Zigarettenindustrie werden uns wohl die Automobilhersteller weismachen wollen, dass das Fahren ihrer jeweiligen Automarken einen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Wenn wir nicht alle schon so abgebrüht wären und hart im Nehmen von Medienmitteilungen, würden wir vielleicht hin und wieder blöde Drohungen ausstoßen, wenn nicht direkt gegen die Automobilkonzerne, so doch wenigstens gegen ihre PR-Abteilungen. Anderseits hat der moderne Mensch unterdessen die Nase schon so gestopft voll vom Klimawechsel, dass es ihm unterdessen schon bald wieder egal ist, ob die Fläche nördlich der Alpen demnächst zu einem subtropischen Urwald wird, wie sies ja schon einmal war vor, was weiß ich, 500 Mio. Jahren oder so. Wirklich, noch nie war das Gespräch über das Wetter derart intensiv wie in diesen Jahren. Dabei könnten wir uns doch auch über vernünftige Sachen unterhalten. Aber nein, das Wetter muss es sein, allenfalls noch die Börsenkurse oder überhaupt die Wirtschaftslage. Der durchschnittliche Bürger kann ja schon nicht mehr richtig schlafen, wenn in China die Aktienkurse um 3 Prozent in die Tiefe rutschen. Zwar hat die überwiegende Mehrheit der Menschen auch in den entwickelten Ländern keine nennenswerten Aktienbestände, aber ihr Mitleidvermögen mit den globalen Finanzmärkten einerseits, aber auch differenziert bis hinunter zum Bundesverband deutscher Gastwirtinnen und Gastwirte ist schon ganz enorm. Sie begreifen alle auf eine ihnen selber nicht völlig klaren Art und Weise, wie intim sie mit dem Wohlergehen der Wirtschaft en gros und en détail verbunden sind. Davon legen die Fernsehnachrichten tagtäglich beredt Zeugnis ab. Das ist wirklich ziemlich lustig.

Zum Teil ists aber auch verständlich. Nämlich ist unser gesamtes Leben in der Zwischenzeit derart massiv in globale Zusammenhänge eingespannt, dass wir wirklich gar keine andere Wahl mehr haben, als in größeren Rahmen – na, nicht gerade zu denken, das wäre dann doch zu viel der Ehre für diese kollektiven Rülpser im Klima- und Wirtschaftszusammenhang, aber doch mindestens zu ahnen. Die Ahnung eines größeren Zusammenhangs, jenseits von Religion, also knapp unter der Stratosphäre, ist durchaus nicht abwegig. Und wenn man früher mal die Religion als selbst erschaffener Himmel des Menschen über der menschlichen Gesellschaft bezeichnet hat, so wird man dem Verständnis dieser kollektiven Prozesse relativ nahe kommen. So müsste denn ähnlich wie vor ein paar Jahrhunderten die Religionskritik jetzt dann auch eine Art von Ahnungskritik einsetzen, welche erstens den Idiotencharakter sowohl des Klimathemas als auch des Börsenthemas enthüllt und zweitens versucht, effektive Mechanismen auf der Erdoberfläche nachzuzeichnen. Dass dies im Rahmen von Imperialismus bzw. Antiimperialismus nur missglücken kann, habe ich hier schon mehrfach festgehalten; aber anderseits ist es mir bisher auch noch nicht gelungen, auch nur ansatzweise vernünftige Alternativen anzubieten. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass auch unter den Intelligenzlern ein ähnlicher Wettbewerb herrscht wie unter den Meteorologen und Klimafachleuten. Man braucht sich bloß Typen wie den Sloterdijk anzukucken, da hat man Klimaerwärmung und Eiszeit philosophisch gesehen in einem Sack beisammen. Eben: Auch hier warten wir jetzt einfach ein bisschen ab, bis sich diese Schauer gelegt haben und in irgendwelchen unauffälligen Orten ein paar Menschen in Geheimsekten wieder jene Tätigkeit zu pflegen beginnen, welche man früher mit Denken umrissen hat. In der Zwischenzeit ist wahrscheinlich schlicht und einfach Amüsement angesagt, was ja mindestens bezüglich des Wohlbefindens auch nicht so schlecht ist. In diesem Sinne: Prost.



Albert Jörimann
07.03.2007

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