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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Jugos"

[48.Kalenderwoche] Vor einigen Jahren bin ich mal auf einen Buchtitel gestoßen, der mir gefallen hat, und zwar hieß der «Der Mann, der seine Frau mit seinem Hut verwechselte». Ja, warum denn nicht, hab ich mir gesagt, solange ...

... es Verwechslungen gibt, kann man ja alles verwechseln, den Irak mit dem Iran, den Iran mit dem Uran, das Uran mit dem Urin, Klopstock mit Rostock, Monika Schavan mit Edmund Stoiber, und am Schluss ist die Verwechslung der eigenen Ehefrau mit dem ebenfalls eigenen Hut noch ein relativ geringfügiges Übel. Es wird allerdings in der Praxis gewisse Probleme verursachen, die Ehefrau aufzusetzen, mehr jedenfalls, als den Hut zu küssen. Dagegen kommt es dann nicht zur gleichen schwer wiegenden Unbill, die dann entsteht, wenn der gleiche Mann nur mal um die Ecke Zigaretten holen will und dann 20 Jahre lang nicht mehr nach Hause findet. Wenn er dabei nämlich die Frau auf dem Kopf hat anstelle des Hutes, können sie sich gemeinsam in ein neues Leben stürzen, und es bleibt nur noch die Frage der Kinder zu regeln; aber vielleicht sind diese bereits erwachsen, oder aber das Paar hat gar keine; andernfalls wäre eine Zusatzverwechslung ganz praktisch, der Mann könnte die Kinder, wenn es zwei wären, mit seinen Handschuhen verwechseln, und so wäre die Familie wieder komplett.

Wieso mir das ausgerechnet jetzt in den Sinn kommt, kann ich Euch partout nicht erklären, aber der Titel gefällt mir, und das Buch stammt von einem Hirnforscher mit dem Namen Oliver Sacks und ist meines Wissens bereits vor mehreren Jahren sogar erfolgreich auf die Bühne gebracht worden. Davon abgesehen muss ich jetzt schnell Zigaretten kaufen gehen - oh, jetzt fällts mir wieder ein, ich rauche ja gar nicht beziehungsweise nicht mehr, ich habe damit schon aufgehört, bevor es die Gesundheitsbehörden dem fortschrittlichen Teil der Menschheit erlaubten, sich gesundheitsbewusst gegen das Rauchen zu empören, und, meiner Treu, ich habe die feste Absicht, damit irgendwann wieder mal zu beginnen, denn nach meiner Erinnerung ist Rauchen etwas Schönes, wenn ich da nichts durcheinander bringe, einmal abgesehen vom Dauerkatarrh; ich jedenfalls muss seither immer wieder so ne Zen-Übungen machen, damit meine Finger nicht herumpuzzeln und ich den Eindruck eines Spastikers oder Break-Dancers erwecke.

Keine Erfahrung dagegen habe ich bisher mit der ziemlich weit verbreiteten Droge Kokain gemacht. Unter uns gesagt fürchte ich mich ein bisschen davor, und zwar insofern, als einen das Kokain doch ziemlich erhellt, wenn ich das richtig verstanden habe, Durchblick einerseits, Tatkraft anderseits, es ist also im Drogenmiljöh schon ziemlich exakt das, was die Wirtschaftswunderfachleute von den Bevölkerungen der modernen Demokratien erwarten. Wenn Frau Dr. Angela Merkel nicht diplomierte Physikerin, sondern Chemikerin wäre, hätte man möglicherweise den Aufschwung Ost mit ein paar Koksschüben, Kokain statt Braunkohle, unterstützen können. Schade drum. Aber immerhin seht ihr daraus, dass ihr bei der Wahl der PolitikerInnen für bestimmte Ämter auch auf den beruflichen Hintergrund achten solltet. Helmuth Kohl war Historiker und hat den historischen Vereinigungsschnitt gemacht, was ihm vielleicht nicht ganz und gar alleine zugute geschrieben werden kann, aber er hat sich auf jeden Fall nicht aktiv dagegen gesträubt, und die EU-Osterweiterung gibt ihm doch im Nachhinein auf allen Gebieten Recht. Gerhard Schröder war, meines Wissens, gar nix, und dementsprechend war auch seine Kanzlerschaft, und jetzt habt Ihrs mit einer Physikerin zu tun statt mit einer Chemikerin, weshalb es weder im Osten noch im Westen Kokain gibt oder auch nur LSD.

Das heißt, man weiß es eigentlich nicht. Vielleicht haben trotz allem alle Länder ihre je eigenen Neuroleptika oder sonstige Trinkwasser- und Nahrungsmittelbeigaben, damit die Bevölkerung bei den Wahlen auch die richtigen Kreuze im richtigen Kreis anbringen. Vielleicht ist das, was wir alle als Realität auffassen, nur ein umfassendes Komplott einer geheimen Weltregierung unter dem Vorsitz von Pater Braun. Man weiß es nicht, und man will es auch gar nicht wissen. Ich selber nehme auf jeden Fall Abstand von der Droge Kokain, und zwar nicht deshalb, weil sie ein erhebliches Flash auslöst, ohne dass man dabei das körperliche Gleichgewicht verliert, sondern wegen des anschließenden Lochs. Ich glaube, wenn ich einmal so voll auf Speed wäre, würde ich anschließend nur schwer wieder drauf verzichten. Wenn es dagegen so ne Tablettchen gäbe, bei denen man ohne Neben- und Nachwirkungen vorübergehend eine Explosion an Initiative und Energie auslösen könnte, mei, die würden wir nicht nur uns selber, sondern per Dekret der gesamten Bevölkerung verordnen. «Der Aufschwung beginnt im Kopf», hieß es doch hierzulande schon vor einiger Zeit, und damit wäre doch eine zentrale Aufgabe für all die Pharmaunternehmen gestellt.

Ja, wie müsste man sich das vorstellen, wenn nun plötzlich alle 90 Mio. Deutschen wie von einem Starkstromschlag aufgerüttelt auf die Straßen strömen würden? Das würde ja sicher gewaltig aufschwingen, aber wie, wo und warum? Ich glaube, da müsste dann wieder eine ordentliche Portion Aufschwung ürschendwie sublimiert werden, wobei die Sublimation ja eine der bestimmenden Triebkräfte des Aufschwungs, äh, der Entwicklung darstellt, aber insgesamt komme ich nicht auf eine bildliche Vorstellung davon, wie ein allgemeiner Kopfaufschwung sich in der Realität äußern sollte, obwohl ich selber absolut überzeugt davon bin, dass wir noch unzählige Verbesserungsschritte tun können und müssen, von der Zivilisierung der barbarischen Gebiete innerhalb unserer Gesellschaften bis hin zur Abschaffung des Nationalismus und der Nationen insgesamt. Letzteres ist zwar allerdings ein Fernziel, das man so richtig nur dann erreichen kann, wenn die anderen Länder auf dem Planeten dabei auch so einigermaßen mitziehen, und davon sind wir im Moment doch noch ein erhebliches Stück entfernt.

Davon abgesehen wollte ich Euch wieder mal davon erzählen, was gegenwärtig mindestens den deutschschweizerischen Teil unseres kleinen Landes besonders bewegt. Nämlich ist es nicht die Tatsache, dass die Fußballnationalmannschaft sowohl gegen Brasilien als auch gegen Österreich 2:1 verloren hat, damit ist bei uns immer wieder zu rechnen. Auch nicht die Tatsache, dass unsere neue Volkswirtschaftsministerin zwar einen Silberblick hat, aber mit Sicherheit einen Frisör, der doppelt schielt, weil nämlich ihre Haartracht anders nicht zu erklären wäre. Nein, die Deutschschweizer Volksseele wurde in diesem Jahr ziemlich massiv behämmert durch unterdessen vier in diesem Jahr bekannt gewordene Fälle von Vergewaltigungen minderjähriger Mädchen durch ebenfalls minderjährige Vergewaltiger. Besonders abstoßend war der jüngste Fall, wo sich gut ein Dutzend Jugendliche über mehrere Wochen hinweg an einer 13-jährigen vergingen. Dies ereignete sich in einem Arbeiter- und Ausländerquartier in der Stadt Zürich, und die Täter hatten alle einen Migrationshintergrund, wie das so schön heißt, das heißt, ihre Eltern sind Ausländer oder neu eingebürgerte SchweizerInnen. Die Nationalitätenfrage spielte auch bei den anderen Vergewaltigungen zum Teil eine Rolle, so dass man um die Feststellung nicht herum kommt, dass es in diesem Jahr einen erheblichen fremdenfeindlichen Ruck gegeben hat, wobei sich die Xenophobie vor allem auf den Balkan, genauer: auf das Gebiet Albanien-Serbien-Kosovo-Mazedonien beschränkt. Auch in gemäßigten Kreisen stehen entsprechende Überlegungen zuvorderst auf der Zungenspitze. Nachdem die so genannten Jugos bisher vor allem durch nächtliche Autowettrennen auf Überlandstraßen bekannt geworden waren, ist mit den Vergewaltigungen offensichtlich ein neues Niveau erreicht, das eigentlich ganz interessante Fragen aufwirft, wenn man einmal die obligate Verbeugung absolviert hat, dass sicher nicht alle Jungs aus dem ehemaligen Jugoslawien oder aus Balkanien potenzielle Vergewaltiger seien – geschenkt, versteht sich von selber. Abgesehen davon aber setze ich diese ganzen Sex- und Machtspiele auf den Pausenplätzen und in der Freizeit neben der Tatsache, dass diese Jungs bzw. ihre Familien aus einem Kriegsgebiet stammen, wo die Spannungen durchaus noch nicht beigelegt sind und nur dank der Präsenz von UNO-Truppen einigermaßen im Zaum gehalten werden, zu anderen Entwicklungen in Beziehung. So ist es offenbar eine Tatsache, dass mindestens im Großraum Zürich immer weniger Knaben den Schritt ins Gymnasium schaffen, der Mädchenanteil nimmt fast schon dramatische Formen an, und für die Jungs müssen eigentliche Förderprogramme eingerichtet werden, damit die schulisch überhaupt noch mithalten. Direkt hat diese Tendenz mit der Vergewaltigung nichts zu tun, denn diese fand natürlich auf Grundschulstufe statt, wo logischerweise jene SchülerInnen mit den geringsten schulischen Aussichten bearbeitet werden. Aber es gibt sie, diese klare Tendenz, welche auf eine Stärkung der gesellschaftlichen Position der Frauen hinweist. An den Universitäten bilden sie auch schon die Mehrheit, allerdings noch nicht in den Hardcore-Fächern wie Mathematik oder Chemie und Physik, aber auch das kann sich demnächst ändern. Gleichzeitig sind in der Öffentlichkeit, das heißt vornehmlich in der Werbung wieder Tendenzen zu beobachten, wie sie zu besseren Zeiten der Frauenbewegung schlicht undenkbar gewesen wären, sexistisch bis ins Mark hinein. Hier entstehen schon Spannungen, denen offenbar nicht alle gewachsen sind. Was wiederum nichts entschuldigt, sondern die Frage nur verschärft, wie solche Fälle oder Probleme oder Problemfälle anzupacken sind. Eigentlich rechnet man ja mit einer weitgehend friedlichen Integrationskraft unserer vergleichsweise offenen Gesellschaften, zumal in den großen Städten. Und anderseits hat man dann die Nase auch ab und zu voll. Letzte Woche saß ich in der Straßenbahn wieder mal in so einem Jugo-Grüppchen, und einer davon prahlte mit seinen Eiern, die einen Durchmesser von 24 Zoll hätten. Eigentlich war das ja lustig, vor allem, da der Sprechende knapp sein 12. Altersjahr vollendet hatte. Anderseits hatte ich eben diese Vergewaltigung im Kopf und fragte mich nach dem Sinn dieser präpubertären Gockelei. Aufs Idealste ergänzt wurde dies dann einen Tag später, als ich bei einer Zugfahrt zwischen zwei zirka 17-jährige Schweizerinnen zu sitzen kam, welche sich unablässig über ein Pferd mit dem Namen «Girlie» einerseits, über die Vorzüge des Meeres in Florida anderseits sowie über drittens eine dreistündige Fernsehsendung über die Prominenz im Showbusiness ausließen, und zwar im direkten Zwiegespräch ebenso wie durch eine fast ununterbrochene Reihe von Mobiltelefoniegesprächen. Was für ein Leben ist das moderne Leben geworden! Skylla und Charibdis waren daran gemessen noch reine Kindergartenaufgaben.


Albert Jörimann
28.11.2006

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