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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Neue deutsche Schaubühne"

[50.Kalenderwoche] Die Neue deutsche Schaubühne in Berlin, nämlich das Bundesparlament bzw. die ihm zugehörigen Parteien spielen zwar immer das gleiche Theaterstück einer modernen Demokratie, aber die Rollen werden doch ...

... immer interessanter interpretiert. Besonders bemerkenswert ist die Preisgabe sämtlicher sozialdemokratischer Prinzipien durch die Parteiführung der Sozialdemokratie. Schröder hat ganze Arbeit geleistet, so dass sein Nachfolger Müntefering nun überhaupt nichts mehr hören will von Klassen oder Schichten oder gar von einer Unterschicht. Den letzten klassenkämpferischen Rülpser, der sich seinem Gekröse entwunden hat, nämlich jener von den Heuschrecken bzw. den ausländischen Superkapitalisten, hat er jetzt wohl definitiv verdaut. Die Gesellschaft ist bereinigt und widerspruchsfrei; die Bevölkerung ist nicht mehr eine Einheit der Gegensätze, sondern völkisch, auch wenn Müntefering das natürlich niemals so aussprechen würde. Aber die Essenz liegt hier. Nach der Aufhebung des Grundwiderspruchs zwischen Lohnarbeit und Kapital bzw. seiner Domestizierung und Überführung in ein von Kapitalisten und Gewerkschaft gleichermaßen gefördertes großes Techtelmechtel zwischen verantwortungsbewussten Arbeitgebern und den ebenfalls bis zur Lohnaufgabe verantwortungsbewussten Arbeitnehmern existieren keine weiteren Widersprüche mehr, die Gesellschaft ist befriedet. Das ist ein rechter Schnaps.

Ich selber halte es absolut nicht für notwendig, dass in unseren modernen Gesellschaften Menschen am Hungertuch nagen oder anderweitig der Verzweiflung anheim fallen, das habe ich hier immer wieder betont, und ich bin effektiv fest davon überzeugt, dass wir die Gespenster von Armut und Randständigkeit auch ohne weitere Systemumstürzung ein für allemal vertreiben können. Aber damit sind die Probleme eben nicht gelöst; jetzt organisieren sich die Widersprüche auf einer neuen Ebene, und das wäre doch der Stoff für ein neues politisches Programm. Wer heute als fortschrittlich gelten will, kommt nicht drum rum, die absehbaren neuen Widersprüche zu definieren und die entsprechenden Kraftfelder zu schildern sowie die eigene Position innerhalb dieser Kraftfelder. Nämlich ist es völlig offensichtlich, dass als nächste Stufe jener Schritt ansteht, in dem unser Volkstheater einer Demokratie zu einer effektiven Demokratie wird, in der sämtliche BewohnerInnen auch tatsächlich Zugriff zu den Entscheidungen haben, also nicht einfach zusätzliche Entscheidkompetenzen, sondern in erster Linie die Kompetenz, solche Entscheide auch zu fällen. Man kann jetzt einwenden, dass in der hohen Politik die meisten EntscheidungsträgerInnen ebendiese Kompetenzen ja selber auch nicht hätten und sich dem Diktat der Sachzwänge und der Fachleute, einmal abgesehen von den Ideologen unterwerfen würden. Mag sein, aber das stellt das Problem ja nur umso drängender dar: Als nächsten Schritt in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit müssen jetzt sämtliche BewohnerInnen in die Lage versetzt werden, über ihre eigenen Geschicke im Rahmen einer globalisierten Welt, also zusammen mit den anderen Subjekten auf dem Globus zu bestimmen. Dazu braucht es ein Ausmaß an Ausbildung und an Aktionsmöglichkeiten, das nicht zuletzt einen riesigen Bedarf an Fachkräften schafft. Entscheidungsfähig werden heißt unter anderem auch, relativ genaue theoretische und praktische Erfahrungen zu besitzen bei der Organisation größerer Projekte, wo also der Einfluss der externen Faktoren mit einbezogen werden muss. Sowas lernt man ja in der Regel nicht in der Schule. Nun, dann muss man hier mal anfangen. Ich glaube, wenn alle Menschen wüssten, welche Kräfte in unseren überaus diversifizierten Gesellschaften auf eigentlich jede Entscheidung einwirken, wäre schon viel geholfen. Es ist, grob gesagt, jener Punkt, an dem sich weisen muss, ob Wissen tatsächlich Macht ist oder nur eine Ansammlung von Daten. Und hier scheidet sich auf der politischen Ebene die Welt ganz deutlich in zwei Lager. Es gibt jene, welche den einfachen Menschen oder der breiten Mehrheit so etwas zutrauen, und es gibt jene, welche dies unter verschiedenen Titeln nicht tun. Dazu gehören ohne Zweifel auch die Gewerkschaften, welche immer sehr gerne die Interessen der einfachen Menschen vertreten, anstatt dass sie diese Leute systematisch in die Lage versetzen, diese Interessen selber wahrzunehmen. Aber die Gewerkschaften sind wirklich nur das letzte Glied am Ende einer langen Kette; und den größten Widerstand gegen eine solche allgemeine Anhebung der Volkssouveränität wird zunächst einmal zweifelsohne das Volk selber, also eine große Mehrheit der großen Mehrheit, leisten; denn all das riecht ja nach Schule, Lernen und Intelligenz, und die steht in diesem Zeitalter nicht in besonders gutem Lichte dar.

Und dennoch handelt es sich um diesen Schritt. Die materiellen Bedürfnisse sind soweit befriedigt oder lassen sich einer Befriedigung zuführen – aber die Souveränität des Volkes, eine wirkliche Demokratie ist damit noch längstens nicht hergestellt. Und dies liegt längstens nicht mehr nur an den Besitzverhältnissen; denn mit den Besitzverhältnissen verhält es sich umgekehrt so, dass sie in letzter Zeit ihrerseits ganz komplex geworden sind und längstens nicht mehr dem Besitzer sämtliche Rechte am Besitz geben, sondern vielmehr muss der Besitzer exakt das tun, was ihm sein Besitz vorschreibt. Nein, es geht nicht darum, es geht um die Kapeh und darum, wer sich dafür einsetzt und wer sich dagegen wehrt.

Davon träumt die Sozialdemokratie natürlich nicht mal mehr. Indem sie auch ihre traditionellen Positionen verlassen hat, besitzt sie nun überhaupt keine mehr, nicht mal mehr theoretisch. Dagegen hat die bürgerliche Gegenseite unterdessen begonnen, die von der SPD verwaisten Positionen aufzurollen. Früher habe ich immer gesagt, dass die SPD eine CDU-Politik betreibe und die CDU eine SPD-Politik; und zwar beide Male jeweils im Vokabular des Gegenteils, also wenn die SPD offiziell die Arbeitnehmerinteressen vertritt, schmeißt sie sich dem Kapital an den Hals, um die nächsten Wahlen sicher nicht zu verlieren, und die CDU führt einen Arbeitnehmerflügel, damit nicht alle Werktätigen wieder zu ihrer SPD-Mutter rennen; heute stimmt dies nicht mehr, die SPD vertritt nicht mal mehr pro Forma Arbeitnehmer-Positionen, während sich die CDU diesbezüglich plötzlich auch programmatisch als wahre Jeanne d’Arc der Armen und Entrechteten aufspielt. Was eben null problemo ist, da die SPD dieses Terrain geräumt hat und irgendwohin emigriert ist in einen Bereich, wo es nur noch um Macht-und Selbsterhalt geht. Wie man aber Macht und sich selber erhalten kann, indem man sämtliche programmatischen Erbschaften wegwirft und keine neuen an ihre Stelle setzt, das vermag ich mir nun nicht mehr vorzustellen.

Seis drum. Jedenfalls zeichnet sich ab, dass nun auch die CDU, offenbar ähnlich wie zuvor die CSU in Bayern, eine wirkliche Volkspartei wird, das heißt, sie entwickelt in ihrem Kreis sämtliche gesellschaftspolitisch relevanten Flügel selber, so dass demnächst niemand mehr SPD zu wählen braucht. Am Schluss schließen sich die christlich-soziale Union und die christdemokratische Union zusammen zur Christlichen Einheitspartei Deutschlands, zu der links und rechts noch ein paar Blockflöten ein paar Begleittöne zirpen, die Grünen und die Linke und vielleicht in gewissen Exotenregionen auch noch die F.D.P. Dagegen die SPD hat die letzte Seite ihrer Geschichte geschrieben, und am Schluss prangt die Unterschrift des Testamentsvollstreckers: Münte.

Na denn halt. Um eine solche SPD ist es auch nicht schaden, und wenn ihr in Deutschland gegenwärtig keine Kraft besitzt, eine neue soziale Bewegung zu produzieren, eine radikaldemokratische Bewegung nämlich, dann lassen wir das halt vorderhand bleiben; gewisse Sachen dauern einfach eine Zeit lang. Und in der Zwischenzeit will ich euch von einem neuen Barometer oder Indikator berichten, den ich in meiner Hauszeitung gefunden habe; es handelt sich nämlich um Inserate von Banken, in welchen diese mit allerschönsten Börsenderivaten werben und welche immer einen Masimalzins von soundsoviel versprechen, und justament der Maximalzins, welchen all die Phantasieprodukte versprechen, bildet den Indikator. Eine richtiggehende Schwemme an solchen Inseraten strömte zu Beginn dieses Jahres in die Zeitungen, eine Bank überbot die andere, und bis Ende des ersten Quartals dieses Jahres hatte man die schwere Wahl zwischen ulkigen und ausgefeilten Anlagen, welche eine Rendite zwischen 15% und 18% erbrachten. Perfekto. Dann, im Mai, ging etwas Luft verloren, all die Zauberderivate büßten das eine und andere Prozent ein und gingen zurück auf 13, 12 und 10 Prozent; und heute, geschätzte Zuhörerinnen und Zuhörer, also ein Dreiviertel Jahr nach der Hausse, sind wir im Durchschnitt bei 8% angelangt. Auch die Inseratedichte hat dabei natürlich massiv nachgelassen, aber immerhin: Jetzt kann man mit der hohen Schule der Bankenanlagekunst gerade noch 8% Rendite aus seinen Spargeldern quetschen, während es vor 9 Monaten noch 18% waren. Ein Wunder!, und dabei soll es doch bleiben, und ich will einfach diesen Indikator weiter verfolgen und Euch hin und wieder davon berichten; ansonsten weiß ich wirklich nicht, was er genau soll, denn ich nehme nicht an, dass die große Mehrheit der Bevölkerung genügend Knete hat, um auf solche Inserate anzubeißen, es kann sich also nur um Trend- bzw. Tendenzinserate handeln. Auch gut. Auch schön.

Daneben kann ich vermelden, dass irgendwann im Januar der Schweizerische Verband der Immobilien- und Liegenschaftentreuhänder (oder so ähnlich) sein Jahresseminar durchführen wird, vermutlich irgendwo in St. Moritz. Ich würde Euch mit dieser Mitteilung nicht belästigen, wenn nicht das Doppelpack der eingeladenen Referenten eine leicht deutsche Note hätte: Es handelt sich zunächst um den unvermeidlichen Schrott-Latour, der bei diesem Anlass seine Allgemeinplätze wieder mal platzieren darf; sekundiert wird er aber von keinem geringerem als Josef Fischer. Jawohl, genau der, euer Jockel Fischer, das Joschkachen, das wir eigentlich im sicheren US-amerikanischen Exil wähnten, aber offenbar reichts doch noch aus, um an einer Tagung eines drittklassigen Schweizer Vereins den Elder oder mindestens Fatter Statesman zu spielen. Das Traumpaar Schrott-Latour/Fischer macht hier vielleicht einen ersten Duo-Auftritt, und vielleicht touren sie anschließend auch durch Deutschland, möglicherweise nach einer Annäherung über Österreich.

Albert Jörimann
13.12.2006

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