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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Cousteau"

[51. Kalenderwoche] Ich bin nicht sicher, ob ich an dieser Stelle bereits ein paar Äußerungen zum Film «The Life Aquatic with Steve Zissou» getätigt habe. Zum Hauptdarsteller Bill Murray habe ich schon das eine oder andere Wort verloren, wenn ich ...

... mich richtig erinnere, nämlich im Zusammenhang mit Filmen, welche sich unter anderem auf öffentliche Infrastrukturen wie die Postdienste abstützen. Damals ging es um Broken Flowers. The Life Aquatic setzt entweder die gängigen Sehgewohnheiten oder aber übliche Darstellungsweisen außer Kraft und ersetzt sie durch das radikale Gegenkonzept zu den immer wuchtigeren Spezialeffekten in den Filmen; in The Life Aquatic sind noch nicht mal die Meeresfische wirkliche Fische, die auf dem Strand liegenden angeblichen Leuchtquallen sind schlicht und einfach alte Nachttischlampen, das Schiff ein Studio-Sperrholzmodell, das zum Teil sogar aufgeschnitten gezeigt wird. Der von Bill Murray verkörperte Steve Zissou orientiert sich am Meeresforscher Jacques Cousteau und zieht in erster Linie seine Öffentlichkeitsaktionen ziemlich tief ins Schmutzwasser, gewinnt aber mit all den kurios vortechnischen Requisiten eine Art von Fahrt, welche der sensibilisiertere Teil des Publikums mit großem Applaus begrüßt hat. Daran fühlte ich mich erinnert, als ich kürzlich die Verfilmung der Comic-Strip-Figur Popeye durch den kürzlich verstorbenen Regisseur Robert Altman gesehen habe. Olivia steckt da zum Teil effektiv in einem hörrohrähnlichen Kamin auf dem Schiff, und Popeye hat es mit einer Krake zu tun, die echt nicht von schlechten Eltern ist – also diese Art der Stilisierung der Heimwerker-Filmstudioausrüstung bringt schon ziemlichen Charme auf die Weltmeere. Und dafür sind natürlich wir Schweizer ganz besonders anfällig, die wir ja auf einer einsamen Insel mitten im umtobten EU-Meer sitzen und darauf warten, dass die US-Amerikaner unsere Flaschenposten endlich erhalten und lesen und uns befreien und als zweiundfünfzigsten Staat aufnehmen. – Nichts da, das war nur ein Scherz, das war vielleicht vor hundertfünfzig Jahren aktuell, aber unterdessen ist dies behoben. Was wir aber immer noch dringend vermissen, ist einen Hochseeanschluss. Zwar verfügen wir nach wie vor über eine Hochseeflotte, die im Zweiten Weltkrieg offiziell gegründet worden war, um eine minimale Liefersicherheit zu gewährleisten. Das kann natürlich nur dann funktionieren, wenn die Wasserstraßen auf dem Lande funktionieren, konkret: über den Rhein. Tatsächlich gelangt rund ein Siebtel der ganzen Volumenimporte über den Rhein in die Schweiz. Übrigens wurde die Schweizer Hochseeflotte bereits im Jahr 1991 von Luxemburg übertroffen, sodass ich hier nicht besonders großen Staat machen will. Immerhin schlug sich die Sehnsucht der Schweizer nach dem Meer auch industriell nieder; der Erweiterungsbau des Zürcher Schauspielhauses heißt nicht zufällig Schiffbau, sondern weil er sich in einer Halle befindet, in der früher ganze Schiffe, insbesondere aber Schiffmotoren produziert wurden, die noch in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in die ganze Welt verkauft wurden und auf den Weltmeeren herumtuckerten. Ich gehe davon aus, dass Sulzer-Escher Wyss den Sprung zu den Supertankern oder Superfrachtern nicht mehr geschafft hat; dafür hätte man wohl Werkshallen bauen müssen, so groß wie ein halbes Stadtquartier, und das macht man dann doch wohl besser in Korea oder allenfalls noch in Kiel.

Aber auch ohne Schiffsmotorenfabrik wäre ein Hochseeanschluss gar nicht so übel. Ich meine, sogar das Kaiserlich-königliche Österreich hatte bis zum Ersten Weltkrieg einen Hochseehafen, nämlich das heute italienische Triest, was natürlich ziemlich lumpig war und maximal den Zugang zum Mittelmeer, aber nicht zu den Weltmeeren ermöglichte, denn England kontrollierte damals ja sowohl den Suezkanal als auch Gibraltar. Das war also im Flottenzeitalter ein echtes Expansionshemmnis. An diesem gleichen Faktor sind zum Teil auch die Deutschen gescheitert bei ihren Kolonialisierungsbemühungen; dem Engländer war einfach nichts entgegen zu setzen. Noch im Zweiten Weltkrieg entschied sich der Krieg nicht zuletzt auf der See, ohnehin im Pazifik, aber auch in Europa, wo England von den Vereinigten Staaten versorgt wurde und zum Teil auch Russland Hochseelieferungen empfing. Heute dient so ein Hochseeanschluss ja eher sportlichen Zwecken. Unser Jungfrauenhormon-Erbe Ernesto Bertarelli hat die Schweizer Yachtingflagge in Valencia eingepflanzt. Ich halte das zwar für eine gute Wahl, aber es ist einfach nicht dasselbe, wenn der Hafen nicht uns selber gehört. Ich meine, sogar Bosnien-Herzegowina hat einen eigenen Hafen, Neum, der allerdings nicht groß genug ist für eine kommerzielle Nutzung und eigentlich nur zum Baden taugt. Aber immerhin.

Unsere Meeressehnsucht nimmt ja manchmal eigenartige Formen an. Der Sohn des Stratosphärenfliegers Auguste Piccard, Jacques Piccard, stellte im Jahr 1960 zusammen mit dem US-amerikanischen Offizier Don Walsh einen bis heute gültigen Tiefseetauchrekord auf, im Marianengraben vor Japan. Die absolute Schwärze und Stille da unten, wobei offenbar trotz allem gewisse eigenartige Tiere und Organismen dort leben. In der Schweiz hat sich dies in Ermangelung eines Meeresanstoßes sublimiert in einen Drang, Löcher in und durch die Alpen zu bohren, da ist es auch ganz schwarz und still, und hier stören einen nicht mal die Felsenkäfer.

Im Übrigen habe ich mich vor ein paar Monaten von einem Biologen belehren lassen, dass die sogenannten Zellmotoren, die Mitochondrien, entstehungsgeschichtlich ursprünglich nichts anderes waren als externe Überlebensrucksäcke der Zellen, welche als solche nur in der Ursuppe leben konnten und am Sauerstoff geradewegs gestorben wären. Deshalb brauchten sie zunächst die Mitochondrien, welche sich anschließend dann in die Zellen integrierten und heute einen zentralen Bestandteil bei der Lebenserhaltung unserer Organismus bilden; dafür können wir heute nicht mehr unter Wasser atmen bzw. ohne Sauerstoffgeräte leben. Das ist eigentlich auch ein hübsches Bild dafür, und zwar erst noch ein sehr grundlegendes, wie sich eine Sache in ihr pures Gegenteil wandeln kann; darauf sollten die Menschen in der Politik etwas mehr Acht geben. Immerhin lernt man in der Politik ganz sicher ausgezeichnet schwimmen. Navigieren dagegen ist wohl nur wenigen Eingeweihten vorbehalten.

Davon abgesehen finde ich es besonders gelungen, dass auf unserer EU-Insel der Konsum von Meeresfischen nach wie vor zunimmt. Ihr wisst ja, wie das geht: Der Fang wird auf den Schiffen direkt verarbeitet, und jene Anteile, welche sich für den Sofortverkauf eignen, gehen per Helikopter zum nächsten größeren Flughafen und von dort eben zum Beispiel in die Schweiz, das macht vielleicht 8 Stunden im Kühlfach, und dann kaufen das bei uns die normalen Hausfrauen und manchmal auch die Arbeitslosen, weil dieser Fisch zum Teil billiger ist als Fleisch. Dabei ist die Biomasse aus den obersten Meerwasserschichten zu 80% abgeschöpft, und jetzt verlegt sich die Schifffangindustrie auf das Großreinemachen der Schichten unterhalb der obersten Flächen; gleichzeitig wird glücklich noch der Meeresboden aufgepflügt, sodass alles seine Richtigkeit hat und diese Gewässer bald einmal etwa gleich tot sein werden wie die schönen Alpen. Bloß Unterwasserskilaufen tut man vorderhand noch nicht, aber was man sich auch nur vorstellt, ist ja in der Regel schon praktisch erfunden. Also können wir, da uns dann ja keine Fische oder anderen Lebewesen mehr stören, unter Wasser richtige Parks einrichten mit Kunstbeleuchtung, ganz abgesehen von den Unterwasserhotels, die man vielleicht nicht einmal stabil auf ein Fundament baut, sondern je nach Strömung auf den Weltmeeren herum treiben lässt.

Im Zusammenhang mit der Meeresströmung kommt mir dieser andere britische Admiral Menzies in den Sinn, der in seinem Buch behauptet, im Jahr 1421 sei die gigantischste chinesische Flotte aller Zeiten ausgelaufen und in verschiedenen Abteilungen rund um die Welt gefahren, immer der Strömung und den Winden nach, da deren ihre Schiffe damals noch nicht so richtig wendig waren, dafür umso größer. Dass der Chineserer damals bis nach Mozambique schifferte, ist allgemein anerkannt; dass er aber damals auch tatsächlich um das Kap der guten Hoffnung und nach Latein- und Nordamerika gelangt sei, dünkt mich denn doch etwas zuviel des Guten, wenn auch die Vorstellung als solche sehr prickelnd ist, einmal abgesehen davon, dass Menzies einige durchaus lustige Belege anführt, zum Beispiel genetische Übereinstimmungen zwischen gewissen Orten und Pflanzen und Tieren und zum Teil sogar Menschen in Lateinamerika und in Asien. Aber das ist ein anderes Kapitel, über das man sich unter anderem deswegen nicht so richtig einigen kann, weil der Chineserer ein paar Jahre später die gesamte expansionistische Außenpolitik einstellte und sämtliche Archive verbrannte, so wie damals Berlusconi die Buchhaltung seiner Fininvest, als eine Steuerprüfung drohte. Wir fragen uns also im Nachhinein, welcher Art die entsprechende Steuerprüfung gewesen war. Vielleicht forderte der Meeresgott seine Rechte?

Aus Schweizer Sicht bleibt noch anzufügen, dass wir zwar keinen Meeresanschluss, aber dennoch eine Kriegsmarine haben, und zwar auf dem Bodensee und auf dem Genfer See. Selbstverständlich handelt es sich um leichte Schnellboote und nicht um richtige Schlachtschiffe, wenn möglich sogar mit Artilleriekanonen, das wäre ja doch ein wenig unfreundlich gegenüber Frankreich oder Deutschland. Aber immerhin. Lasst euch also nicht etwa einfallen, in die Schweiz auf dem Seeweg militärisch einzufallen – der Seeweg wird überwacht, nämlich.



Albert Jörimann





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19.12.2007

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