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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Wahljahr 2008"

[02. Kalenderwoche] Im Moment wird auf der ganzen Welt gewählt, dass es eine Art hat, die Demokratie macht Leibesübungen. In den Vereinigten Staaten laufen die Ausscheidungen für die Präsidentschaftskandidaten der beiden großen ...

... Parteien, wobei ich hier meine Einschätzung bestätigen möchte, dass es bei den Demokraten letztlich doch Hillary Clinton schaffen wird, weshalb, weil ich in einer Gesellschaft, welche vor vier Jahren den Dorftölpel Busch massiv als Präsidenten bestätigt hat, keinerlei Anzeichen eines Bedarfs an einem neuen Kennedy erkenne und zweitens, weil ich es einfach fast nicht glauben kann, dass die Rassenvorurteile in den USA derart gründlich unterdrückt worden sind, dass ein schwarzer Präsident möglich ist. Immerhin erscheint es jetzt als realistische Option denkbar; dazu haben nicht zuletzt Colin Powell und Condoleezza Rice beigetragen, was ich auch an dieser Stelle nochmals verdanken möchte. Und was denkbar ist, ist immer auch machbar; dennoch setze ich auf Hillary, nicht weil ich sie sympathischer fände, sondern weil sie die Mechanismen des demokratischen Schauspiels besser beherrscht. Die Republikaner dagegen stehen zum Vornherein auf verlorenem Posten nach der verheerenden Präsidentschaft von Wilhelm Busch, mit dem die letzten Reste der neokonservativen Bewegung in den USA verschwinden werden. Ihre einzige Chance würde noch in der Mobilisierung rassistischer Elemente gegen Barack Obama in letzter Minute bestehen; aber sowas könnte sich offenbar unterdessen durchaus auch als unproduktiv erweisen.

Dann rollen wir aber auch in Deutschland auf eine ausgedehnte Wahlstrecke zu, die in den Bundesländern beginnt und im nächsten Jahr in den Bundestagswahlkampf mündet. Beispielhaft machen die CDU und die SPD vor, wie man aus einem Thema, das keines ist, einen Wahlkampf schmiedet. Ich meine dabei noch weniger den Mindestlohn, obwohl mir der suspekt ist, und zwar einfach deswegen, weil so ein Mindestlohn wohl kaum ohne Ausnahmen dekretiert werden kann, sonst würde eine ganze Reihe von Kleinst- und Familienbetrieben sofort dicht machen müssen, was ja wohl nicht der Zweck der Maßnahme ist. Und wenn wir einmal Ausnahmen eingeführt haben, sind die Mindestlöhne gleich wieder im Eimer, und die Forderung entpuppt sich als populistische Schaumschlägerei. – Das ist nun nicht die ganze Wahrheit. Immerhin wird damit wieder einmal ein Zeichen gesetzt dafür, dass auch die unteren Gesellschaftsschichten Rechte haben, die geschützt werden sollen. Das ist schon nicht einfach unbedeutend. Anderseits halte ich Mindestlöhne eben nicht für das Gelbe vom Ei; ein bedingungsloses und Existenz sicherndes Grundeinkommen würde all diese Forderungen gegenstandslos machen und erst noch das Problem der Kleinstunternehmen einerseits, der Langzeitarbeitslosen anderseits einer sauberen Lösung zuführen. Aber dies nebenbei.

Auf der anderen Seite hat der für gelegentliche Unflätigkeiten bekannte hessische Ministerpräsident Roland Koch wieder mal in den Topf der Fremdenfeindlichkeit gelangt mit der Forderung, ausländische jugendliche Straftäter sollten ins Heimatland zurückspediert werden. Sachlich gesehen würden damit für den gleichen Straftatbestand unterschiedliche Strafmaße eingeführt. Das ist für einen Rechtsstaat etwas ungemütlich. Da kann man ja demnächst auch die Milchpreise für AusländerInnen anheben, die Rentenberechtigung kürzen und so weiter und so fort. Nach meinen eher dünnen Beobachtungen ist Roland Koch dabei durchaus kein Ausländerfresser; er führt bloß einen Wahlkampf und spekuliert darauf, dass die xenophoben Tiraden nach gegessener Suppe sofort wieder vergessen gehen im besten Sinn der TV-Unterhaltungsindustrie von Sat.1 und Pro7. Wenn die breite Masse an TV-KonsumentInnen bzw. WählerInnen tatsächlich so verroht und verdummt ist, wie dies das entsprechende TV-Programm vermuten ließe, würde dies sogar zutreffen. Da wir dies aber trotz allem nicht annehmen, unterstellen wir eine längerfristige Wirkung dieser Fremdenhasser-Parolen und klagen Roland Koch der versuchten völkischen Hetze an. Das wird zwar nichts nützen, wirft aber trotzdem Licht auf den Kontext, welchen sich dieser CDU-Politiker in seinen Wahlkämpfen aussucht und von dem sich die Parteileitung durchaus nicht zu distanzieren müssen meint. Im Übrigen tut dies auch die SPD nur halbherzig, indem sie das Problem der ausländischen Jugendkriminalität doch auch bestätigt. Aus neutraler Sicht kann ich da nur sagen: Solange Deutschland das Problem der nationalsozialistischen Jugendbanden und -gewalttaten nicht in den Griff kriegt, sollte es sich hüten, anhand von Einzelfällen fremdenfeindliche Propaganda zu machen. Die internationale Gemeinschaft könnte sonst ein etwas anderes Bild vom Exportweltmeister bekommen, der noch vor zwei Jahren mit dem Motto «Zu Gast bei Freunden» zur Fußball-WM lud.

Aber wir könnens auch anders rum sagen: Roland Koch führt einfach einen polnischen Wahlkampf bzw. einen Kaczynski-Wahlkampf. Ich gehe vorderhand davon aus, dass sich dieser nicht auf den gesamtdeutschen Bundestags-Wahlkampf ausbreiten wird im Jahr 2009; Eure Bundeskanzlerin Frau Merkel hat für sowas eigentlich weder Talent noch Energie noch den Willen. Hoffentlich.

Aber eben, gewählt wird auch anderswo. Georgien war dabei gerade noch das kleinste Problem; in Pakistan haben die Unruhen nach der Ermordung von Frau Bhutto zur Verschiebung der Wahlen geführt, von Wahlen notabene, welche nicht etwa eine demokratische Legitimität im Land widerspiegeln, sondern einzig und allein der Zuteilung der politischen Pfründe unter den rivalisierenden Eliten im Land dienen. Die doch ganz ansehnliche Verankerung islamischer Extremisten in diesem Land hängt eng damit zusammen, dass die sogenannte Demokratie in Pakistan die Bevölkerungsmehrheit praktisch ausschließt, einmal abgesehen davon, dass gewisse Landesteile nach wie vor in Stammesordnungen leben, welche sowieso nicht zu einer Demokratie passen. Da muss man ausnahmsweise fast froh sein um das Militär, welches diese gewaltigen Unterschiede bisher offenbar recht gut verkraftet hat.

Eine andere Spielart der Wahlen haben wir in Kenia erlebt; die sofort ausbrechenden ethnischen Kämpfe haben mich allerdings ziemlich verblüfft, denn ich hatte Kenia bisher für ein relativ stabiles Land gehalten. So kann man sich täuschen bzw. so schnell kanns gehen, bis gewisse unter der Oberfläche liegende Spannungen explodieren. Die Lage scheint sich wieder zu beruhigen, und das ist auch gut so; denn viel mehr als den Hinweis, dass solche Eruptionen in den besten Familien vorkommen, zum Beispiel vor bald 20 Jahren in Europa bzw. in Jugoslawien, und dass es dafür noch nicht mal einen ethnischen Anlass braucht, es reicht durchaus, sich gegenseitig als Kroate oder Serbe zu erschießen, einmal abgesehen von den Bosniern – all das wäre für die Kenianer wohl kaum ein echter Trost. Immerhin ist Kenia recht dicht durchwoben von ausländischen Interessen, neben den üblichen Unternehmensrepräsentationen mit einem großen Uno-Stützpunkt in Nairobi und einer umfangreichen Tourismusindustrie, sodass sich der Egoismus der nationalen Wirtschaft hoffentlich nachhaltig durchsetzt gegenüber dem Egoismus der Clans oder Ethnien.

Gewählt wird auch in Russland, und zwar ein neuer Präsident in genau 2 Monaten. In Russland liegt der Fall nochmals anders, wobei dies vor allem anlässlich der Parlamentswahlen im letzten Dezember diskutiert wurde. Kein Mensch zweifelt an den Vorwürfen bezüglich Wahlmanipulationen und autoritären Zügen in der aktuellen Regierungsform. In der Regel wird hier aber der Hinweis vergessen, dass die demokratische Staats- und Regierungsform in Russland auf noch relativ jungen und unstabilen Kräfteverhältnissen beruhen. Eine freie demokratische Auseinandersetzung beruht darauf, dass die wirtschaftlichen und sozialen und zum Teil nötigenfalls auch die regionalen oder ethnischen Beziehungsgeflechte einigermaßen zur Ruhe gekommen sind bzw. ihrerseits reif sind für den demokratischen Prozess. Dies ist in Russland durchaus noch nicht überall der Fall, und das erklärt auch die demokratischen Mängel.

Das Demokratie-Spiel hat insgesamt schon einige Feinheiten zu bieten, die oft unterschätzt werden. Die alleroberflächlichste Dummheit besteht dabei eben darin, die Lage in Regionen mit völlig anderen gesellschaftlichen Entwicklungsständen mit unserer Lage zu vergleichen. Der einzige Nutzen, den man daraus ziehen kann, ist eine recht anrüchige Form des Selbstlobs, wie weit wir es in den westlichen Ländern doch schon gebracht haben. Das ist auch wieder blöde, denn dem Ideal einer Demokratie, was bekanntlich Volksherrschaft heißt, entsprechen auch unsere Demokratien ja hinten und vorne noch nicht. Wenn alle vier Jahre irgend ein Populist eine schmutzige fremdenfeindliche Kampagne anreißen kann und damit für weitere 4 Jahre die Wahlen gewinnt, spricht dies klarer für die echten Mängel unseres Systems als alle anderen Vorhaltungen. Eine wirkliche Volksherrschaft würde bedeuten, dass sämtliche stimm- und wahlberechtigten BewohnerInnen des Landes im Großen und Ganzen im Bild sind über die effektive Lage, über die Institutionen, die vorhandenen oder fehlenden Instrumente, die Finanzen, über die internationalen Zusammenhänge, über die großen Entwicklungstendenzen und auch über die kleinen. Davon kann ja bei uns keine Rede sein; dieses Wissen haben noch nicht mal die VolksvertreterInnen, welche in ihrer Arbeit denn auch immer in eine unmögliche Zwickmühle eingespannt sind, in der sie einerseits ihrem Wahlvolk immer wieder ein paar Brocken an politischen Erfolgen oder mindestens Lebenszeichen vorwerfen müssen und anderseits alle Hände voll zu tun haben, um zu begreifen, was die bezahlten Expertenlobbies oder Lobbyexperten ihnen als wahres Abbild der Verhältnisse und der zu ergreifenden Maßnahmen verkaufen. Insofern haben Wahlen und Abstimmungen in den industrialisierten Ländern in erster Linie die Funktion von Feedback-Instrumenten; wenn ich mich recht erinnere, hat schon Lenin gesagt, Wahlen seien ein Gradmesser der Reife der arbeitenden Klasse, und das sind sie auch heute noch: Gradmesser.

Dass aber ein Volk wirklich herrscht und seine Geschicke selber in die Hand nimmt, dies ist eine liebenswerte und notwendige Fiktion, aber doch eine wirkliche Fiktion, eine Vorspiegelung. Weder sind die Subjekte der Demokratie in der Lage, eine solche Herrschaft auszuüben, noch ist die moderne Welt geeignet, um überhaupt eine Reihe von sogenannt freien Volksherrschaften zu ertragen. Gewisse zugrunde liegende Dinger entziehen sich weitgehend der Volkskontrolle. Dies sind die Rahmenbedingungen, wenn wir uns dafür einsetzen, endlich einmal eine Demokratie einzurichten, welche diesen Namen verdient, also in erster Linie die Einwohnerinnen und Einwohner des Landes über die effektiven Verhältnisse ins Bild zu setzen.



Albert Jörimann





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11.01.2008

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