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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "MörgeleMengele"

[07. Kalenderwoche] Dafür, dass mit der Gedenkstätte Buchenwald kein Unfug getrieben wird, sorgt eine Aufsichtskommission, und diese musste letzte Woche energisch eingreifen und den staatlichen Schweizer TV-Sender ...

... und den SVP-Nationalrat Mörgeli zur Ordnung rufen, und zwar kam das so: In einer Kommissionssitzung hatte unser FDP-Bundesrat Pascal Couchepin vom KZ-Killerarzt Mengele sprechen wollen, vertat sich dabei aber zuerst und sprach von Doktor Mörgele. Das besonders sensible Spürnäschen Oskar Feyersinger, seines Zeichens SVP-Nationalrat aus dem Wallis, Hobbypoet und Ehrenmitglied des serbischen Schriftstellerverbandes, witterte sofort einen Skandal, verlangte von Couchepin eine Entschuldigung, die dieser natürlich als absurd ablehnte, und informierte sofort seinen Parteikollegen Christoph Mörgeli und das Schweizer Fernsehen. Mörgeli flog sozusagen stehenden Fußes nach Buchenwald und ließ sich dort vor der Kulisse des Konzentrationslagers vom Fernsehen filmen und leerte sein kummerschweres Herz darüber aus, dass ihn dieser FDP-Bundesrat (was in Deutschland ungefähr der CDU entspricht) ihn quisiquasi als KZ-Schergen beschimpft hatte.

Ihr habt Glück: Ihr kennt weder Pascal Couchepin, den ich im übrigen für einen wackeren Liberalen halte, der zudem ebenfalls aus dem Kanton Wallis stammt, aber im Gegensatz zum Lyriker Feyersinger aus dem französischsprachigen Teil, noch kennt ihr den unsäglichen Duodezpoeten und Serbenfreund Oscar Feyersinger, und vollends erspart blieb und bleibt euch auch weiter der SVP-Nationalrat Mörgeli, der eben innerhalb der SVP und bei den verschiedenen ziemlich unsäglichen Kampagnen, welche den Ruf der Schweiz weltweit immer stärker beschädigen, stets an vorderster Front mitgemischt hat. Gesetzt, man würde die SVP mit der NSDAP gleichsetzen, wovon ich sowohl hier als auch sonst überall dringend abrate, denn dies trifft einfach nicht zu, aber gesetzt der Fall, man würde den Vergleich trotzdem ziehen, dann wäre der Mörgeli natürlich nicht der Mengele der Schweiz, sondern ganz eindeutig der Göbbels. Und Göbbels-Qualitäten haben seine verschiedenen Tiraden allemal. Bloß sind die Menschen, an die sie sich richten, nicht die Deutschen der Jahre 1933-1945, und die Zeit ist insgesamt nicht mit dem Faschismus zu vergleichen, sodass über den Vorwurf von Göbbels-Rhetorik nichts weiter an die Adresse von Christoph Mörgeli gerichtet werden kann. Mörgeli ist übrigens der Chefideologe einer Partei mit einer krankhaften Abneigung gegen den Staat und vor allem gegen Staatsangestellte und verdient dabei sein Geld als Leiter des medizinhistorischen Institutes der Universität Zürich, Schwerpunkt Totentanz, also ein paar hunderttausend Franken für eine der garantiert nutzlosesten Aufgaben im ganzen Rund der staatlichen Ausgabenpalette. Aber dies illustriert nur einmal mehr die völlige Diskrepanz zwischen Gekläff, Gegeifer und Gebelle unserer Rechtspopulisten gegenüber dem wirklichen Leben und vor allem ihrer täglichen Praxis. In der Wochenendpresse wurde zum Beispiel ein relativ wichtiger kantonaler Exponent der Zürcher SVP entlarvt als betrügerischer Bezüger einer Invalidenrente – ausgerechnet so einer, dessen Partei seit Jahren gegen Scheininvalide schmäht und giftelt, was das Zeuchs hält, und dabei natürlich in erster Linie die Ausländer auf dem Korn hat – denn diese machen bei den Beschäftigungsgruppen mit dem höchsten Gesundheitsrisiko mit Sicherheit die höchsten Anteile aus und sind dementsprechend auch am stärksten vertreten bei den IV-Renten. Und zudem, das kann man auch noch anfügen, gibt es eine durchaus stattliche Anzahl von ausländischen Mitbewohnern, welche sich mit Hilfe ihrer Vertrauensärzte ganz ansehnliche kleine Invaliditäts- oder Unfallrenten gesichert haben und daneben munter weiter arbeiten, und zwar schwarz. Der Anteil der Serben darunter dürfte nicht unbedeutend sein, wenn ich da wieder an Kollega Feyersinger zurückdenke. Aber eben: So wenig wie der Ausländer ist auch der Schweizer vor Betrugsversuchen bei der Sozialversicherung gefeit. Die breite Masse der Versicherten empfindet sowas logischerweise als Betrug, sogar am eigenen Portemonnaie, denn da kommen die Beiträge ja her; zudem ist es ein Verstoß gegen das zugrunde liegende Prinzip von Treu und Glauben, und das sollte man auch nicht unterschätzen. Hier setzt die SVP mit ihrer Hetze gegen Sozialversicherungsbetrüger und Scheininvalide ja auch an, sonst hätte sie ja wohl auch kaum Aussicht auf Erfolg. Und hier muss man noch den größten Brocken der Geschichte der Invalidenversicherung der letzten Jahre nachführen: Während der ersten großen Welle der Restrukturierungs- und Entlassungsprojekte in allen Sektoren und Industrien wurde ein ganz ansehnlicher Anteil der Betroffenen in der einen oder anderen Form zur Invalidenversicherung überschrieben; statt frühpensioniert sozusagen frühinvalidiert. Die Invalidenversicherung trug somit einen hübschen Teil eines gesellschaftlichen Restrukturierungsprozesses, für den sie durchaus nicht entworfen worden war. Aber soweit reichen die Argumente unserer Serbischen Volkspartei natürlich nicht.

Wie auch immer: Ich werde Euch jedenfalls über die weitere Entwicklung des Buchenwald-Dramas in der schweizerischen Schweiz auf dem Laufenden halten, da Ihr ja doch in ziemlicher Nähe zu diesem Höllenlager lebt. Dass sich ausgerechnet die nationalistisch und ziemlich eindeutig rassistisch getönte SVP in den KZ-Opferstatus hinein manövrieren will, ist wirklich ziemlich einmalig; anderseits zeigt es eben auch eindeutig, dass unsere SVP bei allem Nationalismus, Rassismus und reaktionärem und absichtlich stockdummem und volksverhetzendem Gehabe nichts mit wirklichen Faschos zu tun hat. Diese Partei ist nur nationalistisch, rassistisch, reaktionär und arbeitet bewusst mit stockdummen und volksverhetzenden Methoden. Weiter ist da nichts.

Sprechen wir von was anderem. Letzte Woche habe ich gelesen, dass die holländische Erdölgesellschaft Royal Dutch Shell Plc für ihr Erdölgeschäft in Nigeria ein Joint Venture mit dem nigerianischen Staat gebildet habe. Das nigerianische Erdölgeschäft ist sonst eigentlich eher bekannt dafür, dass periodisch Mitarbeiter der Erdölgesellschaften entführt werden und dann gegen Lösegeld freigelassen oder aber dass es hin und wieder Feuer und Explosionen gibt bei Lecks, welche die AnwohnerInnen in die Pipelines schlagen, um wenigstens ein klein wenig vom Erdölreichtum zu profitieren – denn ansonsten sehen die Menschen in Nigeria davon nicht besonders viel, wobei eine solche Aussage nicht einfach zu begründen ist, denn man müsste ja zum Vergleich ein Land herbei ziehen mit gleichen Bedingungen, aber ohne Rohöl, und woher ein solches nehmen? Ich nehme als Arbeitshypothese an, dass auch die normale Bevölkerung in Nigeria in geringem Umfang vom Erdöl profitiert, wenn eben auch nicht in dem Maße, das eigentlich möglich wäre in einer halbwegs modernen Gesellschaft. Das ist Nigeria zweifellos nicht, die sind nicht einmal im Final der afrikanischen Fußballmeisterschaft gestanden. Wie auch immer: Also hat Shell mit dem nigerianischen Staat ein Joint Venture gebildet, und man kann davon ausgehen, dass der Staat dabei nicht nur mit dem Kapital zur Hälfte beteiligt ist, sondern auch die Hälfte der Erlöse erhält; wie er sie anschließend verteilt, ist dann nicht in erster Linie eine Sache von Royal Dutch Shell, sondern eben der Nigerianerinnen und Nigerianer, und da bin ich immer noch ziemlich skeptisch, auch wenn der neue Präsident Yar’Adua bisher einen deutlich besseren Eindruck hinterließ als sein Vorgänger Obasanjo. Wie auch immer: Also hat Shell dieses Joint Venture auf die Beine gestellt, an dem die nigerianische staatliche Erdölgesellschaft Nigerian National Petroleum Corp. zu 50% beteiligt ist. Es handelt sich dabei offenbar um Beiträge von je 1 Milliarde USD. Nun ja; der Kulturskeptiker sagt natürlich sofort, dass in Nigeria niemals eine Milliarde US-Dollars auch nur ansatzweise in irgendwelche Projekte fließen können. Und so siehts denn auch aus: Royal Dutchs Shell Plc meldete letzte Woche, dass sie die Finanzierungslücke bei diesem Joint Venture habe schließen können. Sie schießt jetzt der nigerianischen Partnergesellschaft besagte 1 Milliarde US-Dollars einfach vor. Damit sind sämtliche Ansprüche befriedigt: Das Geschäft läuft, die Erträge fließen, und die Milliarde US-Dollar konnte doch angemessen unter den Familien und Kollegen, was weiß ich: des Energieministers verteilt werden. Und für die niederländische Shell ist das Geschäft offenbar auch noch mit diesem Scheinkredit rentabel genug, dass man sich darauf einlassen kann und soll. Vermutlich sind auch die diversen kommenden Lösegeldforderungen und Unterhaltsarbeiten an den Pipelines in der Bilanz bereits durch Rückstellungen abgedeckt. Daraus möchte ich nun deutlich nicht Royal Shell einen Strick drehen; die folgen einfach einer hundskommunen kapitalistischen Verwertungslogik, und, meiner Treu, diese Verwertungslogik funktioniert bedeutend besser, wenn sie korruptionsfrei abläuft. Wovor ich einfach nach wie vor fassungslos stehe, das ist die radikale Uneinsichtigkeit der lokalen Eliten. Das gewaltige Wachstum der Entwicklungs- und Schwellenländer rund um den Globus in den letzten paar Jahren war doch hauptsächlich auf die Einsicht zurückzuführen, dass es langfristig klüger ist, den Gewinn aus funktionierenden Ausbeutungsverhältnissen zu schlagen, als mit kleinen Betrügereien bereits beim Aufbau dieser Ausbeutungsverhältnisse sich ins eigene Fleisch zu schneiden. In Nigeria ist diese Einsicht offenbar noch nicht gelandet, und weil dies auch für schöne Teile des übrigen mittleren Afrikas zutreffen dürfte, liegt hier weltweit vermutlich der größte Entwicklungsbedarf. Dabei möchte ich explizit nicht auf die neu ausgebrochenen Unruhen und Schlächtereien in Kenya verweisen. Dass dies auch in vermeintlich zivilisierten Ländern jederzeit möglich ist, wisst Ihr aus eurer eigenen Geschichte, und mit der Verarbeitung des unentschieden ausgegangenen Bruderkriegs auf dem Balkan vor 10 Jahren ist man auch noch nicht so recht zu einem Ende gekommen. Nein, in der Beziehung haben wir Afrika nichts vorzumachen.



Albert Jörimann





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15.02.2008

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