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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Varia vor Ostern"

[12.Kalenderwoche] Also befindet sich Eure Bundeskanzlerin auf Reisen in Israel und hat im Handgepäck gleich 9 MinisterInnen mitgenommen, also ein fast völlig funktionstüchtiges Kabinett – wer soll hier von...

... wem lernen? Als ehemalige DDR-Bürgerin kann Frau Merkel Tipps sowohl bezüglich des Mauerbaus als auch bezüglich des Schleifens von Mauern geben, aber darum gings wohl nicht. Vielmehr belegt die massive Präsenz höchster deutscher Staatsdiener die Ernsthaftigkeit der Bemühungen, mit Israel möglichst gute Beziehungen zu pflegen, und das ist gut so. Aus neutraler Sicht handelt es sich um einen fast schon wohltuenden Gegenakzent zu den verwürgten österreichischen Bemühungen, sich anläßlich des 70-jährigen Anschlusses an Hitlerdeutschland als wichtigstes Opfer der Nazis darzustellen. Am schönsten hat es der senile Graf Otto von Habsburg auf den Punkt gebracht. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wieso man derartiges adliges Gesocks frei herumlaufen lässt. Es sind doch sehr viele noble Häuser und sogar Schlossanlagen in psychiatrische Kliniken umgewandelt worden, also steckt diesen Idioten doch dort hinein. Aber er ist nicht allein; offenbar gehört es sich in Österreich auch heute noch nicht, die begeisterte Umarmung der nationalsozialistischen Schlächter und die umfassenden Judenpogrome öffentlich in den Vordergrund zu stellen. Da habens die Deutschen unterdessen einfacher; nicht nur stand ihre Schuld nie zur Debatte und auch das Ausmaß nicht, sondern haben sich gerade die 68-er erstklassige Verdienste erworben bei der Aufarbeitung der Nazivergangenheit der Bundesrepublik. In der ehemaligen DDR war diese Art von Selbstkritik wohl etwas weniger ausgeprägt.

Wie auch immer: Die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten Deutschland und Israel kann nur positiv sein. Dass das Verhältnis nach wie vor im Schatten der 6 Mio. ermordeten Jüdinnen und Juden steht, lässt sich dabei nicht unterschlagen; im Gegenteil ist dies gerade die Grundlage der Normalisierung, welche jetzt stattfindet, und wenn einige verbohrte Abgeordnete finden, dass die Bundeskanzlerin ihre Ansprache an die Knesset nicht in deutscher Sprache halten dürfe, so haben die eben auch einen Hau. Einen verständlichen, aber dennoch einen Hau. Die Zeit macht die Dinge nicht ungeschehen, aber man muss eine Form des Umgangs auch mit den Schrecken der Menschheitsgeschichte finden, und dieser Besuch passt sehr genau in diesen Prozess, übrigens nicht zuletzt deswegen, weil Frau Merkel schlicht und einfach überzeugend ist. Damit dies auch mal aus neutraler Sicht festgehalten ist.

Daneben scheppert die US-Kreditkrise munter weiter vor sich hin. Auf insgesamt 270 Mrd. US-Dollar schätzt eine Ratingagentur den gesamten Abschreibungsbedarf; davon sind bis dato rund 190 Mrd. bereits verbucht. Dabei hat diese Krise ein eigenartiges Gesicht. In den Vereinigten Staaten leidet die Realwirtschaft seit einem halben Jahr ebenfalls, und zwar vor allem darunter, dass aus den Hypothekarkrediten kein Geld mehr in den Privatkonsum fließt, ganz abgesehen davon, dass in den USA viel mehr auf Kredit konsumiert wird als in anderen Weltgegenden. Überall sonst aber scheint es der Realwirtschaft ausgezeichnet zu gehen, am stärksten in den Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch Europa hält sich ganz anständig. Natürlich sind auch Finanzinstitute außerhalb der USA ins Taumeln geraten, nicht zuletzt die schweizerische UBS; aber insgesamt wohnen wir aus aktuellem Anlass nicht nur einer Kreditkrise, sondern einer Verschiebung der wirtschaftlichen Fronten bei. Die Schuldenfrage bei Ländern der Dritten Welt hat ihr Gesicht völlig verändert; die wichtigen Schwellenmärkte sind unterdessen von Nettoschuldnern zu Nettogläubigern geworden. Über die neu gewonnene wirtschaftliche Potenz von China brauche ich nichts zu sagen, und bezüglich des Kräfteverhältnisses USA/Europa spricht die Entwicklung der Wechselkurse in den letzten 6 Monaten Bände. Während sich die deutschen Automobilhersteller über steigende Absatzzahlen freuen, fahren die beiden großen US-Automobilkonzerne immer stärker gegen die Wand. Bei General Motors rechnet man zum Beispiel für dieses Jahr mit einem Verlust von USD 1 pro Aktie oder mehr: Das Eigenkapital des Unternehmens steht bei minus 37 Milliarden USD. All das ist gar nicht lustig für die Vereinigten Staaten von Amerika. Und all das schieben wir unter anderem auch dem Irakkrieg in die Schuhe, einmal abgesehen von der Finanzakrobatik der Investment Banker, welche sich eben diesmal auf dem US-Immobilienmarkt ausgetobt hat und damit halt in erster Linie die Länder der Dritten Welt verschonte. Das ist dann wieder für uns lustig.

Ebenfalls nicht lustig geht’s im Tibet zu und her. Die chinesische Führung hat in der westlichen Öffentlichkeit einen schweren Stand gegen die Autorität des Dalai Lama, der mich ein bisschen an Mahatma Ghandi erinnert. Daneben halte ich für mich dennoch immer wieder fest, dass die Beziehungen zwischen China und Tibet nicht erst seit gestern oder seit 50 Jahren ein Spannungsfeld darstellen. Tibet gehört seit Jahrhunderten in den Einflussbereich Chinas, was auch immer das heißen mag. In irgend einem Pekinger Kloster steht ein 3 Stockwerke hoher Ritualbaum, der vor was weiß ich wie vielen Jahrhunderten aus dem Tibet als Morgengabe geliefert wurde. Wenn ich auch hoffe, dass bei Gelegenheit einmal eine Lösung in gegenseitigem Respekt möglich ist, bin ich in der Zwischenzeit dennoch geneigt, im antichinesischen und protibetanischen Protest unter anderem auch reaktionäre Züge zu sehen, eine Verherrlichung einer ziemlich rückständigen Priester-Kastengesellschaft, welche mit der modernen Zeit nichts zu schaffen hat. Die Tibet-Verteidiger haben nicht zuletzt Einwände gegen die neue Eisenbahnlinie nach Lhasa, weil sie den Zustrom chinesischer Einwanderer erhöhen wird. Das kann ich zwar nicht ausschließen bzw. ich gehe sogar davon aus; aber anderseits bin ich eben kein Anhänger von reinen und unverdorbenen Gottesstaaten. Davon abgesehen will ich selbstverständlich den Dalai Lama immer loben und preisen; der macht eigentlich einen ganz vernünftigen Eindruck.

Daneben bin ich wieder mal im Kino gewesen in einem Film mit dem Titel «Charlie Wilsons War». Es geht um einen US-Abgeordneten, welcher zu Beginn der 80-er Jahre die Aufrüstung der antisowjetischen Guerillakämpfer in Afghanistan über die versteckten Kassen des Kongresses finanzierte, offenbar eine wahre Geschichte. Hervorheben möchte ich in erster Linie Julia Roberts, um die ich nämlich üblicherweise einen gewaltigen Bogen mache; aber hier passte sie als texanische Milliardärin geradezu ausgezeichnet hinein, abgesehen von Tom Hanks, der seit «Forrest Gump» sowieso unsterblich ist. Einige unter Euch wissen vielleicht, dass es in der Schweiz üblich ist, dass die Filme bei Halbzeit oder auch etwas früher unterbrochen werden für eine Pause, in der sich das Publikum Eis und Getränke besorgt. Diese Pause hat in diesem Fall den Film abgeschossen. Bis dahin ging alles rasend schnell und war gute Unterhaltung, einmal abgesehen vom Umstand, dass die Darstellung der Welt wieder mal eindeutig schwarz/weiß ausfiel, obwohl der Film in Farbe gedreht wurde, will sagen, die Sowjets wurden ungefähr so geschildert wie an einem Schlesier-Vertriebenenabend, während der Abgeordnete Tom Hanks bzw. Charlie Wilson natürlich in erster Linie ein herzensguter Kumpel ist, der für das Selbstbestimmungsrecht des afghanischen Volkes einsteht bzw. ihnen all die verschiedenen Waffen besorgt, welche sie benötigen, um die Sowjethelikopter, Lastwagen und Panzer gleich serienweise abzuschießen. All das ist eben ziemlich hanebüchen, aber spannend, wenn bloß diese Pause im Film nicht gewesen wäre; von hier an läuft man Gefahr einzuschlafen, vor allem, wenn man den US-amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan auch nach seinem Tod nicht ausstehen kann. Der tritt zwar nicht selber auf, aber der Abgeordnete Wilson und die Milliardärin Julia Roberts gehören natürlich zu seinem Dunstkreis, und nur schon das irritiert unsereinen dann doch recht massiv. Dass die US-Amerikaner für diese Hochrüstung der afghanischen Guerilla zwar zuerst einen Preis einheimsten, nämlich letztlich den Kollaps der Sowjetunion, dann aber ihrerseits einen Preis bezahlen mussten, nämlich die Taliban und die Al Kaida, gefolgt vom ziemlich unsäglichen Irakfeldzug des Reagan-Enkels George W. Bush, ist dann eine Abwicklung der Geschichte, welche wohl in keine Weltauffassung so ganz exakt hinein passt. Das wäre dann soweit wieder in Ordnung.

Daneben informiert mich meine Hauszeitung noch darüber, dass die stellvertretende Parlamentspräsidentin in Ägypten gefordert hat, dass die Frauen in Ägypten in jeder Beziehung besser gestellt werden müssten; unter anderem geht es um ihren Stellenwert im islamischen Recht, wo die Scharia sagt, dass für jeden Mann als Zeugen in einem Prozess zwei Frauen beigebracht werden müssen, was die Geschlechterverhältnisse ziemlich klar festlegt. Die stellvertretende Parlamentspräsidentin argumentiert nun, dass sich dies auf eine Zeit bezogen habe, zu der die Frauen praktisch nicht in Geschäftsfälle verwickelt gewesen seien, wogegen heute die Aussage einer ausgebildeten Fachfrau doch ein größeres Gewicht haben müsse als jene eines Mannes ohne jede Ahnung von der Sache. Dies erscheint mir zwar eine logische, aber doch sehr westliche Auffassung; denn meines Wissens ist der Koran ein sakrosanktes Buch, das heißt, es ist von keinerlei zeitlichen Veränderungen beeinflussbar, und wenn laut Koran eine Frau nur eine halbe Portion ist, dann kann daran auch ein jahrelanges Fachstudium nichts ändern. So habe jedenfalls ich diese Sache verstanden, und in dieser Auffassung unterstützen mich auch die ägyptischen Moslembrüder, welche mit den Forderungen der ägyptischen Parlaments-Vizepräsidentin durchaus nicht einverstanden sind. Ich muss sagen, dass mich diese Auseinandersetzung nicht gerade brennend interessiert; anderseits habe ich doch den Eindruck, dass der Islam gewisse Modernisierungsprobleme hat, und das kann wiederum bedeuten, dass auch im Islam die eine oder andere Entwicklung denkbar ist. So wie im Christentum, wo unser aller Papst Benedikt XVI. jetzt wieder Exorzisten ausschwärmen lässt. Vielleicht treffen sich die beiden Religionen irgendwann mal, der Katholizismus auf dem Weg zurück und der Islam auf dem Weg nach vorn.



Albert Jörimann





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18.03.2008

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