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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Verschwörungstheorie"

[16.Kalenderwoche] Die wirklich Eingeweihten, also jene, die wissen, was Sache ist hinter allen spanischen Wänden und unter allen Oberflächen, die wissen, dass die Mondlandung anno 1969 ...

... gar nicht stattgefunden hat. Sie wurde in einem geheimen Fernsehstudio der NASA oder der CIA oder beider abgedreht, was u.a. die schlechte Qualität von Regie und Bildern erklärt. Die gleichen Leute wissen auch, dass seit dem Absturz eines unbekannten fliegenden Objektes Ende der 40-er Jahre ausgerechnet in einem gesperrten Atombombentestgebiet der US-Armee ein toter Marsmensch wissenschaftlich/medizinisch untersucht wird. Wozu solche Vorspiegelungen nütze sein sollen, wissen diese Fachleute anderseits nicht genau; es reicht ihnen die wohltuend systemerklärende Vermutung, dass hinter all dem, was wir wahrnehmen, nur eine Verschwörung steckt. Im Grunde genommen handelt es sich um eine lustige Analogie zum Versuch der Naturwissenschaft, die Welt zu erklären, oder aber zu den marxistisch-leninistischen Glaubenssätzen zur Natur des kapitalistischen Systems. Alles dreht sich um geheime innere ôder äußere Strukturen und Gesetze, vor denen es den Vorhang zu lüften gilt, wie dies Karl Marx in seinen Polemiken wiederholt formuliert hat, allerdings in einem etwas anderen Kontext als die globalisierte Welt des Jahres 1950, 1970 oder 2007. Das erinnert mich daran, dass ich neulich in einer Theateraufführung war eines Stückes mit dem schönen Titel: «Das Kapital, Band 1», dargeboten von einer Truppe namens Rimini Projekt, welche zu diesem Behuf etwa ein Dutzend Laienschauspieler aufgeboten hatte, und eben diese Laienschauspieler brachten anhand ihrer eigenen Biografie auf die Bühne, wie sie Umgang mit Marx und der Revolution gepflegt hatten, vom Jahr 1968 bis heute, unter anderem ein ehemaliger Leiter der Marx-Engels-Gesamtausgabe mit Arbeitsort in Leipzig; das Bühnenbild bestand mehr oder weniger aus einem Bücherregal, in dem auch die SchauspielerInnen saßen und hin und wieder daraus hervor traten und eben ihre Geschichten zum Besten gaben, unter anderem noch ein Blinder, der Marx in Braille liest, ein Russisch sprechender Lette, eine Dolmetscherin, ein ehemaliger Maoist, der heute im China-Geschäft tätig ist, ein Buchautor über einen Betrüger und zu guter Letzt noch ein nachnominierter Jungmarxist aus Düsseldorf oder so, dem die Herzen der jungen Zuschauerinnen zuflogen, nicht aber der Verstand des erwachsenen Publikums, denn es macht sich einfach nicht gut, ausgerechnet Karl Marx als Evangelisten zu behandeln, da hätte sich der aber mit erheblichen Mörsersalven dafür bedankt. Wie auch immer: Das Stück war wirklich anregend, und falls es mal bei Euch in der Nähe vorbeikommt, geht doch einfach hin. Den Titel kann man sich ja halbwegs merken.

Die Verschwörungstheorien sind aber eben doch nicht immer aus der Luft gegriffen. So gabs doch im deutschen Bundestag und in der Öffentlichkeit eine riesige Debatte über den Einsatz von deutschen Tornado-Flugzeugen in Afghanistan, also über den direkten Kriegseintritt von Deutschland in einem Konflikt, den man bei etwas großzügiger Definition ruhig den Dritten Weltkrieg nennen kann; dies ist jedenfalls das erklärte Ziel von Al Kaida und Konsorten, und es ist doch nichts als modern, dass dieser Krieg nicht mehr mit konventionellen Armeen geführt wird, sondern über Netzwerke. Die Wirkungsweise der modernen Kriegstechnik ist nicht mehr, oder korrekter: nicht mehr ausschließlich eine Funktion der modernsten Waffentechnik – die gehört natürlich dazu, nimmt aber einen zunehmend geringen Teil am ganzen Geschehen ein. Den wichtigeren Teil übernehmen eben die Netzwerke, die sich verhalten wie Viren, welche an einzelnen Brandherden virulent werden und an anderen Orten Ableger bilden. Der zentrale Aspekt dabei ist einerseits die Kommunikation; hier spielen bekanntlich die von mir dauernd zitierten Mobiltelefongeräte und auch die E-Mails und Telefonate eine zentrale Rolle. Als Plattform aber dient eine pure Ideologie, im vorliegenden Fall irgend eine Idiotenform einer Religion, zufälligerweise des Islam; möglicherweise bietet sich eine Weltreligion oder eben eine weltumspannende Ideologie als Träger an, weil sie eben weltumspannend ist, während so ein Janomani-Kult auch beim besten Willen nicht über den Parana hinaus käme. Was ich damit sagen will, ist ja eigentlich nur, dass wir uns, wie gesagt, bei etwas großzügiger Definition durchaus im III. Weltkrieg befinden; letztlich kommt es darauf an, wie sich die Verhältnisse entwickeln bzw. wie sich die ideologischen und kommunikations- und kampftechnischen Fronten verschieben. Manchmal hat man den Eindruck, die Sache hätte sich etwas beruhigt, und dann knallt es wieder wie letzte Woche in Algerien, und wenn die Al Kaida jetzt wieder Spanien zu ihrem Ziel erklärt, dann ist dies einerseits lächerlich, aber anderseits hat niemand Grund zum Lachen.

Was solls: Die Bundeswehr greift also in diesen Krieg ein und macht damit Deutschland zu einem potenziellen Angriffsobjekt, wie dies ja hin und wieder bereits in Geiselnahmen mit entsprechenden Forderungen zum Ausdruck kommt. Aber ist es wirklich soweit? Handelt es sich hier nicht wieder um eine Vorspiegelung, diesmal nicht von Demokratie, sondern von weltpolitischem Engagement?`Wo sind diese Tornados nämlich in Wirklichkeit? Die fliegen in keiner Art und Weise etwa in den Bergen Afghanistans, die fliegen in der Schweiz! Da wäre wohl niemand drauf gekommen, wenn nicht einer davon in irgend einen Schweizer Berg gedonnert wäre – das ist auch zu blöde, dass in den Alpen überall so ne Berge herumstehen, wohl wahr. Deswegen haben die Schweizer Kampfpiloten auch den Auftrag, immer möglichst hoch oben in der Luft zu bleiben; der Bodenkampf befindet sich nicht mehr im Pflichtenheft unserer Luftwaffe. Aber die deutsche Luftwaffe auf sogenannter Nato-Mission in Afghanistan, oho und aha!

Na, lassen wir das. Dafür hat der türkische Ministerpräsident Erdogan gegenüber Angela Merkel sein Herz ausgeschüttet und sich eingehend beklagt über en Mangel an Enthusiasmus und Unterstützung für das EU-Beitrittsgesuch der Türkei. Zuhause in der Türkei protestierte gleichzeitig eine ungeheure Menschenmenge gegen die Kandidatur des gleichen Erdogan für das Amt des Staatspräsidenten mit dem Argument, an der Spitze des türkischen Staates dürfe kein islamischer Geistlicher stehen. Erdogan ist zwar meines Wissens nicht Pfarrer, aber doch Vorsitzender einer islamischen Partei. Trotzdem kommt hier der Widerspruch bereits aufs Schönste zum Ausbruch: Der Leiter der islamischen Partei und damit wohl auch die Partei selber will mit aller Macht in die weltliche und westliche EU, während der Klüngel aus Militär und Staatsbürokratie im Namen der Weltlichkeit für die Erhaltung des bestehenden Systems mobilisiert, das ich nur deswegen nicht mafiös nenne, weil es ja die bestehenden Staatsorgane dominiert, aber nicht im ursprünglichen Sinne der Institutionen. Hier liegt zweifellos eine der größten Skurrilitäten der Türkei, welche nicht so zwanglos abgestreift werden kann. Ein zweiter Punkt liegt an der Außengrenze der Türkei. Zum ersten Mal seit Langem oder vielleicht überhaupt verfügen die Kurden im Nordirak über einen praktisch selbständigen Staat, notabene mit reichlichen Erdölvorräten. Die Intervention der türkischen Armee in den Nordirak ist so sicher wie der nächste Vollmond, sobald die US-Army das Land verlässt. Was sich die EU mit einer solchen Politik einhandeln würde, ist ja einfach sonnenklar. Dieses Risiko wird sie nicht tragen wollen, nehme ich aus neutraler Sicht jetzt einmal an, außer die ganz besonders intelligenten Politikerinnen und Politiker sagen sich, dass ein erhöhter Druck von außen zu einer erhöhte Stabilität im Innern führt. Aber das wäre dann doch zu frivol. Und so gibt es realistischerweise für die Türkei bezüglich der EU in nächster Zeit nur den Status eines assoziierten Landes; dies aber mit weit reichenden Garantien und Harmonisierungen und bilateralen Abkommen wie mit der Schweiz, und in der Türkei können die Tornados sowieso ungehindert von großen Bergketten fliegen – das ist ja schon jetzt ein Nato-Land.

Daneben habe ich mich an dieser Stelle schon früher darüber geäußert, dass ich verschiedene türkische und kurdische MigrantInnen kenne beziehungsweise dass ich die türkische Migration in die Schweiz ungefähr überblicke; ich habe dazu nicht mehr und auch nicht weniger Einwände als gegenüber anderen EinwandererInnen und auch gegenüber den UreinwohnerInnen in diesem Land, mit einer Ausnahme: Kochen können sie in der Regel besser als die UreinwohnerInnen, und ich meine hier nicht die Kebapstände, und noch nicht mal gegen einen guter Döner ist etwas einzuwenden.

Wie auch immer. Soeben habe ich ein Schreiben erhalten, auf dem der Poststempel lautete: Persönliche Dokumente! Gleich öffnen! Und das Thema war ausweislich des Briefaufdrucks eine Expertenbefragung 2007, und zwar zum Thema: Tierschutz. Werden bedrohte Tierarten ausreichend geschützt? Sagen Sie uns Ihre Meinung! Als Absender firmierte ein Helvetisches Münzkontor in Tägerwilen, für welches ein Herr Dr. Michael Göde firmierte, den ein echter Helvetier wie ich unschwer als einen Voll- und Volksdeutschen identifiziert. Es gab tatsächlich die angekündigte Umfrage – insofern wurde ich also durchaus nicht hinters Licht geführt –, und als Belohnung erhalten die TeilnehmerInnen das hochwertige Klappmesser Weißkopfseeadler zum Vorzugspreis von nur 14.95 Franken (statt 101.10 Fr.) mit einem nummerierten Echtheitszertifikat, das für die strenge Limitierung sorgt, und zusätzlich einen edlen Messerrahmen mit Magnethalterung, sowie eine elegante Armbanduhr. Und, Spitze des Fortschritts, im Kleingedruckten, das ich aber mit einer Leselupe dennoch gut entziffere, würde ich mit meiner Unterschrift, mit dem ich besagtes Dankeschkön-Paket für die Beteiligung an der Umfrage bestätige und bestelle, auch noch mein Anrecht auf die aktuellsten Neuausgaben der Klappmesser «Wildlife» sichern, welche ich zum aktuellen Vorteilspreis erhalte. Und schließlich sind die Ergebnisse der Umfrage nach Beendigung auf der Homepage www.muenzkontor.ch einsehbar.

Ich hatte solche Marketingformen für ausgestorben gehalten. Als Dankeschön für die Beteiligung an einer Dieter-Bohlen-Umfrage unterzeichne ich eine Bestellung für eine Reihe von garantiert nicht schneidenden Dekorationsmessern, von denen ich nicht mal weiß, wie groß sie sind. Das beweist, dass die Durchschnittskonsumentin auch im Jahr 2007 noch ständig auf der Hut sein muss vor diesen Wegelagerern, welche ihre Billigprodukte auf dem Weg über Meinungsumfragen los werden wollen, anstatt sie direkt in den Karstadt und Kaufhof zu liefern.



Albert Jörimann





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17.04.2007

Kommentare

  1. Münzkontor ist etwas merkwürdig. Ich habe eine unbestellte Sendung erhalten und geantwortet, dass ich nichts bestellt habe. Drei Wochen später sagt man mir dass ich durch Teilnahme einer Expertenbefragung einen Auftrag abgegeben habe. Habe nun mal erneut reklamiert und um Kopie des Auftrages gebeten. Mal abwarten.

    Hier der Brief:
    Sehr geehrte(r) Herr [mein name],

    wir möchten an dieser Stelle nochmals erwähnen, dass wir grundsätzlich keine unbestellte Ware liefern, sondern eine Bestellung Ihrerseits erfolgte.
    Bei einer Überprüfung konnten wir feststellen, dass mit Ihrem Auftrag (Expertenbefragung) gleichzeitig ein Abonnement - Anschluss verbunden war. Vermutlich ist es hier nur zu einem Missverständnis gekommen.
    Da Sie an einem Abonnement jedoch nicht interessiert sind, haben wir sofort veranlasst, Ihnen keine Lieferungen mehr zu senden.

    Wenn Sie einen Artikel mit dem Zusatz "mit Abonnement -Anschluss" bestellen bedeutet das, dass Sie weitere Ausgaben zu dieser Serie automatisch erhalten. Wenn der Serienanschluss nicht gewünscht wird haben Sie selbstverständlich die Möglichkeit dies gesondert zu vermerken, oder bei telefonischen Bestellungen ausdrücklich zu verneinen. Um die Portokosten zu reduzieren umfasst Ihre erste Lieferung bereits zusätzlich das erste Exemplar der Sammlung.
    Die Abonnement-Lieferungen erhalten Sie alle drei Wochen. Natürlich können Sie diesen Lieferrhythmus auf Wunsch individuell festlegen.

    An dieser Stelle möchten wir Ihnen gerne mitteilen, dass eine Rücksendung innerhalb der Rücksendefrist von 20 Tagen möglich ist.
    Nach dieser Zeit können leider keine Waren mehr angenommen werden. Eine Abholung kann nicht veranlasst werden.

    Wir freuen uns, wenn wir Ihnen mit dieser Information helfen konnten. Selbstverständlich stehen wir Ihnen auch weiterhin gerne zur Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ihre Kundenbetreuung
    Münzkontor Aschaffenburg

    Frau U. J[...]

    Hans - 26.04.2007, 16:29

  2. Habe ebenfalls unverlangt Ware v. B. Münzkontor erhalten - den Verein angeschrieben und Abholung der Ware sowie Nachweis der Bestellung verlangt. Weder wurde die Ware abgeholt noch konnte man mir eine Bestellung nachweisen. Habe heute - Samstag 28.04.07 - Inkassoandrohung bekommen und werde am Montag - wie übrigens auch angekündigt - den Rechtsanwalt einschalten. Jeder sollte sich vor SPAM-Post vom Bayerischen Münzkontor hüten!
    Mein Antwortschreiben vom B. Münzkontor lautete (wie anscheinend in vielen tausend anderen Fällen - s. Google-Treffer) fast wörtlich wie der oben dargestellte.
    Mit freundlichen Grüssen

    Weber - 28.04.2007, 15:10