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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Immobilien"

[19.Kalenderwoche] Wenn ich das recht in Erinnerung habe, waren die Immobilien in den neuen Bundesländern nach der Fusion zwischen DDR und BRD Gegenstand einer riesigen Spekulationswelle, in deren Sog nicht wenige ...

... EinwohnerInnen de facto enteignet wurden einerseits und anderseits auch verschiedene bestandene westdeutsche Banken in Not gerieten, weil sie die Liegenschaften über Wert belehnt hatten und ihre Erträge nicht mehr hereinholen konnten. Ich gehe davon aus, dass diese Geschichte unterdessen halbwegs ausgestanden ist, was ja niemanden vor neuen Entwicklungen auf dem Liegenschaftensektor bewahrt. In der Europäischen Union bzw. in den einzelnen Ländern steht die Einführung von Immobilientrusts unter dem schönen englischen Kürzel REIT für Real Estate Investment Trusts bevor. Sie genießen im Rahmen eines neuen Rechtsstatus gewisse Gewinnprivilegien, fragt mich nicht weshalb, aber im Kern geht es wohl darum, die Kapitalverwertung im Liegenschaftensektor zu beschleunigen und zu optimieren. Nein, halt, bleibt da, geschätzte Hörerinnen und Hörer, Ihr braucht jetzt nicht sofort Eure Wohnungstür zu verriegeln, der Spekulant oder Makler steht noch nicht auf der Matte, es dauert noch ein Weilchen, und absehbar ist erst ein Trend, und dieser wird zunächst wohl die obersten Etagen beschlagen, zum Beispiel die Frankfurter Bankentürme von der 10. Etage an aufwärts; untendran tummelt sich ja eigenartigerweise die Drogen- und Stricherszene, das ist ja etwas eigenartig und lädt geradezu ein zu falschen Vergleichen. Was solls. Vielleicht wird mit solchen REIT auch nur der Markt stabilisiert, denn der Liegenschaftenmarkt ist ein seltsames Ding, wobei ich vielleicht in erster Linie von meinen Beobachtungen in der Schweiz sprechen sollte, welche nicht zwingend auch in Resteuropa zutreffen. Hier nämlich, und zwar vor allem im schönen Zürich, ist die Nachfrage nach Wohnungen im Stadtzentrum und an anderen bevorzugten Lagen seit Jahren auf einer absurden Höhe; es gibt keinen erschwinglichen Wohnraum mehr in dieser Stadt. Trotzdem kann man hier noch wohnen, und zwar dank dem hohen Anteil an Wohnbaugenossenschaften, privaten Stiftungen sowie dank den erheblichen Liegenschaften und Siedlungen in städtischem Besitz, was insgesamt gut und gerne 40 Prozent des gesamten Wohnungsmarkts in Zürich ausmacht. Bei den Büroräumen läuft die Tendenz nicht wirklich parallel; hier gibt es seit 10 Jahren Überbestände, die zur Jahrtausendwende auf einem Rekordhoch standen. Das hat sich auch etwas gebessert, sodass die Immobilienfirmen auch diesbezüglich recht zufrieden sind. Dagegen kam es in anderen Gegenden zu zum Teil gewaltigen Preiseinbrüchen. Rund um die Stadt herum blieben die Niveaus in etwa gleich, aber draußen an der Peripherie bezahlt man heute zum Teil tiefere Preise als vor 10 Jahren. In Reisezeit ausgedrückt: Was über eine Stunde von Zürich entfernt liegt, kannst du vergessen, sofern nicht ein anderes städtisches Zentrum einen eigenen Sog entwickelt. Das Angebot wäre da, aber der Mensch ist offenbar immer bequemer und drängt massiv auf den dünnen zentralstädtischen Wohnungsmarkt. Das Land hat jegliche Anziehungskraft verloren.

Ich kann mir diese Tendenz nicht erklären, muss es nicht und will es auch gar nicht, da ich immer froh bin um einen Sachbereich, von dem ich gar nichts verstehe, nachdem in meinem Kopf eh schon unglaublich viele Gebiete mit Halbwissen verstopft sind. Trotzdem stechen mir zwei Elemente ins Auge, nämlich einerseits das beschränkte Landangebot in den besonders attraktiven Zentren, was in der Schweiz deutlich ausgeprägter ist als in den umliegenden Ländern, und anderseits die Baugesetzgebung. Letztere wurde bei uns vor 40 Jahren richtig prall entwickelt und eingeführt, um den damaligen Spekulations- und Bauboomprozess einzuschränken und die Zersiedlung der Landschaft etwas zu bremsen. Im Nachhinein kann man sagen, dass die Raumplanung keinen nennenswerten Beitrag gegen die Zersiedelung der Landschaft erbracht hat, indem der Bau von Einfamilienhausquartieren auch heute noch anhält, und am unteren Ende des Zürichsees sind unterdessen praktisch alle Uferanstöße verbaut. Dafür verhinderte sie etwas, was sich bei mir deshalb zur fixen Idee entwickelt hat, nämlich das Bauen in die Höhe. Ich weiß nicht, ob ich das an dieser Stelle bereits einmal extemporiert habe, aber es scheint mir relativ logisch, dass man das steigende Bedürfnis an Wohnraum pro Person nicht durch die grenzenlose Ausbreitung in die Fläche befriedigen kann, sondern einzig und allein durch die Einführung einer zweiten und dritten Überbauungsebene über den bestehenden. Selbstverständlich unter Ausnahme von historischen oder sonstwie geschützten Stadtteilen; aber über den Rest sollte man wirklich eine zusätzliche Ebene ziehen. Dies sage ich deshalb, weil es natürlich nicht ausreicht, einfach einzelne Häuser in Zukunft statt 8-stöckig 16- oder 30-stöckig zu bauen. Damit da auch wirklich etwas wird, was einen Bezug der BewohnerInnen untereinander und zum Gebäude ermöglicht, muss man alle 8 oder 10 Stockwerke eine Ebene einfügen, auf der innerhalb der Gebäude kommuniziert wird – was übrigens auch den Bauvorschriften entspricht mit Sicherheits-Zwischengeschoßen; aber diese gebäudeinternen Ebenen müssen auch mit den anderen Gebäuden verbunden werden, sodass auf dieser Ebene neue Straßen, neue Läden, eben neue Lebensebenen entstehen; sonst gibt es ja überhaupt keine Kontaktebenen mehr abgesehen von den Korridoren.

Zieht man aber eine solche Ebene zusätzlich ein, dann gewinnt die Stadt eindeutig eine zusätzliche Dimension. Man muss ja nicht sofort an die kilometerhohen Türme denken, wie sie in gewissen Filmen gezeigt werden; mir persönlich reichen fürs erste schon zwei zusätzliche Ebenen auf der Höhe des zehnten und des zwanzigsten Stockwerks. Und ganz zuoberst kann man so etwas wie Hügelquartiere bauen. Das ist eben schön und würde es erlauben, ohne weiteren Bodenkonsum den durchschnittlichen BewohnerInnen zwei- und drei Mal soviel Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig kämen sie auch in den Genuss einer direkt zugänglichen Infrastruktur mit Internetcafés, normalen Kaffeestuben, Eisdielen, Friseuren, Treuhandbüros und was halt noch so dazu gehört. Selbstverständlich müsste man sich auch überlegen, ob man Versammlungsräume oder die Verwaltung oder Spiel- und Veranstaltungslokalitäten da hinein pappt, damit das Ganze möglichst abwechslungsreich aussieht, denn Abwechslung ist gerade im Zeitalter der Massenproduktion das halbe Leben.

Eine abwechslungsreiche Infrastruktur, bei der man es auch an den sozialen Einrichtungen nicht fehlen lassen soll, ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass solche Überbauungen weder zu Luxuswohnobjekten werden noch zu jenen verächtlichen Slum-Hochhäusern, wie wir sie aus den französischen Vorstädten kennen. Es braucht ja für eine Verslumung durchaus keine Hochhäuser; aber Hochhäuser, welche nicht gepflegt werden und vor allem die eben keine horizontalen Zwischenebenen anbieten, eignen sich für die Verslumung natürlich schon sehr gut.

Naja. Bis das soweit ist, mindestens in Zürich, dauert das noch seine Weile. Erste Projekte könnte man allerdings schon in Gang setzen, indem man zum Beispiel bei wichtigen Immobilienfirmen oder bei der Stadt mal versucht, mindestens einen Straßenzug so zu verbinden. In Erfurt hättet Ihr dafür nämlich bereits ausgezeichnete Voraussetzungen, zum Beispiel am Juri-Gagarin-Ring. Ich würde sowas mal im Ernst ansetzen unter dem ausdrücklichen Titel eines Pilotversuchs.

Daneben bleibt der Immobiliensektor ja ein eigenartiges Renditeterritorium. In Spanien hat die Regierung letzte Woche ein Gesetz erlassen, gemäß dem in Zukunft bei allen Großüberbauungen ein Anteil von mindestens 30% in den sozialen Wohnungsbau gehen muss. Dort ist der Liegenschaftenmarkt offensichtlich ebenfalls total überhitzt, wahrscheinlich wiederum in den großen Zentren, während andere Regionen dahin serbeln, die man nicht so richtig entwickelt hat; ich erinnere mich immer wieder an die Vorstädte von Bilbao gegen das Meer hin, wo sich eine Schiffbauruine an die nächste Industrieruine reiht. Aber vielleicht sieht das dort unterdessen auch wieder etwas anders aus. So oder so: Auch in Zentral- und Osteuropa sind in den Stadtzentren Liegenschaften mit westlichem Entwicklungsstandard gefragt, während du dreißig Kilometer daneben die Häuser für ein Butterbrot erhältst. Wirklich ein Spezialfall, von dem man auch mit der Einführung der Real Estate Investment Trusts nicht so recht weiß, ob er sich insgesamt vereinheitlichen wird oder nicht. Offensichtlich spielen hier sehr unterschiedliche Kräfte mit, und seien es nur die für Zürich erwähnten Genossenschaftswohnungen, aus denen über die Jahre hinweg niemals ein Gewinn abgezogen wird, weshalb die am Schluss nicht nur modern, sondern auch spottbillig sind.

Eine weitere interessante Entwicklung sehe ich im Nahrungsmittelbereich. Wie Ihr vielleicht wisst, hat sich der Schweizer Schokoladekonzern Nestlé seit längerem erfolgreich auch mit anderen Lebensmitteln und nicht zuletzt mit Wasser beschäftigt, sodass daraus ein ganz ordentliches Weltunternehmen mit bald einmal 100 Mia. Franken Umsatz geworden ist. Die bauen jetzt aber ihr Lebensmittel-Produkteportefeuille drastisch um in Richtung Gesundheit und Wellness und zum Teil ganz und gar in Richtung klinische Ernährung. Ihr seht schon, wo das lang geht: Es reicht nicht mehr, die Produkte biologisch und ökologisch anzubauen, sie müssen jetzt dann auch noch im Einklang mit den biophysikalischen Grundbedürfnissen der Individuen sein, abgestimmt je nach Diagnose der Nahrungsberaterinnen und bald einmal auch Ärzte. Es zeichnet sich an einem nicht allzu fernen Horizont eine Konvergenz ab zwischen dem Lebensmittelsektor einerseits und dem Gesundheits- oder Krankenwesen anderseits. Wenn das so weiter geht, können wir in zehn Jahren unsere Einkäufe von exakt maßgeschneiderten Lebensmitteln über die Krankenkasse abrechnen.

Albert Jörimann





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15.05.2007

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