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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Zitate"

[28. Kalenderwoche] Das Zeitalter, in dem wir leben, ist ein Zeitalter der Zitate oder des Zitates, darauf komme ich bei anderer Gelegenheit noch zurück, denn die Phänomene sind phänomenal breit gestreut. Nehmen ...

... wir nur die Unterhaltungsmusik: Wer könnte heute im Ernst behaupten, Abba sei moderner als Madonna? – Na, schrankenlos jede und jeder, natürlich, und auch das Gegenteil kann locker bewiesen werden. Unter den Zitaten gibt’s kaum noch Rangordnungen, sie stehen nebeneinander, Kunst und Kitsch, und auch in der Politik wird das Spektrum an Versatzstücken immer breiter. Das geht manchmal etwas auf Kosten der Originalität. Bei unserem Italien-Urlaub habe ich eine Buchbesprechung gesehen, die zu lesen völlig überflüssig war, weil das Foto des Autors bereits alles sagte: Es handelte sich um einen künstlichen Glatzkopf mit einem nach beiden Seiten auskragenden Riesenschnauzer unter der Nase, also um den verzweifelten Versuch, wenigstens mit dem Gesicht eine Persönlichkeit darzustellen, die im übrigen Charakter nicht aufscheint. Der Buchtitel lautete: Der männliche Blick auf den weiblichen Busen. Wahrlich ein ganz neues Thema, zu dem noch kein halber Buchstabe vorverfasst wurde. In diesem Fall ging es bei genauerem Hinsehen aber nicht um ein Zitat, sondern es handelt sich hierbei um das letzte Exemplar jener laut rauschenden französischen Soziologie- und Philosophieprofessoren, welche die letzten zwei Jahrzehnte des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihren unsäglich aufgeblasenen Ornamenten und Plattitüden zugeschwafelt haben. Vielleicht schreibt uns dieser Soziologe bis im nächsten Jahr einen weiteren Bestseller über den Nährwert von Kartoffeln, darüber hat sich auch noch nie jemand geäußert. Immerhin muss man der italienischen Presse zugute halten, dass sie gar nicht etwa davor zurückschreckt, in ihren ausgedehnten Kultursparten den französischen Soziologen- und Philosophenbrumm ausführlich zu referieren, während aus dem deutschen Kulturbereich in erster Linie die Klassiker vor dem Zweiten Weltkrieg dominieren.

Ansonsten kann ich vermelden, dass Italien weit gehend unverändert eine ungegliederte Aneinanderreihung von Fragezeichen darstellt. Auf Regierungsebene versucht Romano Prodi als eigentlicher John Landless beziehungsweise als Romano ohne jegliche Hausmacht, mit möglichst drastischen Maßnahmen gegen die verfilzten italienischen Verhältnisse vorzugehen, welche halt nicht in erster Linie an der Superkapitalistenklasse leiden – in diesem Punkt unterscheidet sich Italien nicht von anderen zivilisierten Ländern –, sondern von den ständischen Privilegien und einer katastrophal ablehnenden Haltung gegenüber staatlichen Institutionen, welche sich umgekehrt in katastrophalen Verwirrungen dieser staatlichen Institutionen niederschlägt. Jetzt wollte der gute Prodi beispielsweise allein die Steuerprivilegien oder -hinterziehungen im Kleingewerbe bekämpfen – das ist der sichere Schritt in den politischen Selbstmord, der dem Romano Prodi allerdings seit Jahr und Tag prophezeit wird und den er jetzt trotzdem seit eineinhalb Jahren letztlich doch nicht vollzogen hat, auch wenn er die Taxifahrer, die Rechtsanwälte, die ApothekerInnen usw. usf. alle gegen sich aufgebracht hat, ohne aber eine nennenswerte Modernisierung auch wirklich durchgebracht zu haben. – Mindestens nach meinen Beobachtungen; aber mit meinen Beobachtungen kann ich ganz weit daneben liegen, denn was in den Medien auftaucht, deckt solche effektiven Veränderungen in der institutionellen Landschaft durchaus nicht zwingend ab. Mit anderen Worten: Ich kann berichten, dass die italienischen Medien laut jammern über Prodi, aber ob er wirklich etwas zustande bringt, darüber schreiben die italienischen Medien nichts.

Unsereiner sieht dann ja nur gewisse Vorurteile bestätigt, zum Beispiel bezüglich Neapels, wo praktisch alle Gelder für öffentliche Infrastrukturen direkt in den Taschen der lokalen Mafia landen, oder aber was Sizilien selber angeht – hier fragt man sich wirklich, weshalb die Regierung diese Landesteile nicht entweder meistbietend zum Verkauf stellt, wobei sich wohl kein Interessent fände, oder aber diese Gegenden schlicht mit dem Militär erobert. Für ein einfaches Gemüt wie mich ist es schlicht nicht vorstellbar, in Neapel ohne Kriegsrecht halbwegs so etwas wie eine moderne Zivilisation herzustellen. Ich meine, Leute begaunern, auch sich selber gegenseitig, mag ja einen gewissen Reiz haben kurz- und mittelfristig; aber dass der gesellschaftliche Wohlstand längerfristig am sichersten über den Äquivalententausch erreicht wird und nicht über den Betrug als System, das müsste sich doch auch in Neapel herum gesprochen haben. In Sizilien ist das wohl etwas anders, da geht es nicht um Betrug, sondern in Sizilien sollte man einfach die Staatsmacht direkt der Mafia übertragen und nach zwanzig Jahren diplomatische Beziehungen mit dem Inselreich aufnehmen. Aber so weit will der Italiener denn auch wieder nicht gehen.

Die sollen sich doch mal ein Beispiel nehmen an Deutschland, wo sich Nordrhein-Westfalen jetzt definitiv zu den Benelux-Ländern schlagen will und damit den Spruch vom Europa der Regionen effektiv in die Tat umsetzt, mindestens wenn es nach dem Willen der dortigen CDU geht. Damit wird ein neues Kapitel eröffnet. Das Baskenland will unabhängig werden, darf aber nicht; Katalanien erzwingt alle paar Jahre ein zusätzliches Stück an Autonomie; Sizilien sollte man als Piratenrepublik mit eigenen Gesetzen auf dem Mittelmeer aussetzen, aber die Mafia will nicht, und Nordrhein-Westfalen erhält demnächst wohl auch ein Autonomiestatut eben im Rahmen des Benelux-Verbunds, Benelux-NRW. Da bleibt dann wohl nichts mehr anderes übrig, als dass sich die ehemalige DDR halt wieder im Rahmen des Comecon mit Polen, Ungarn und der Tschechei und der Slowakei zusammen tut; wie man die bittere Pille Polens schluckt, hat ja der Sport- und Dopingminister Polens vorgemacht, welcher jetzt wegen Kokains entlassen wurde. Ein Kilogramm hat man bei dem gefunden, angeblich ausschließlich für den Eigengebrauch. Wenn man das auf den Staatschef und auf den Regierungspräsidenten hoch rechnet, erklärt sich das Phänomen Kacynskizwillinge allerdings recht sauber. Also: Begrünt die Braukohle-Brachen mit Koksplantagen, das wird etwas Gescheites.

Die deutsch-polnische Freundschaft wird ja auch von der katholischen Kirche in der Abfolge ihrer jüngsten Päpste zelebriert. Eigentlich ist der Vatikan ja ein witzfreies Gelände. Seit irgend einem päpstlichen Dummerchen vor hundertfünfzig Jahren beigefallen ist, dass der Papst als Stellvertreter Gottes auf Erden ebenso unfehlbar ist wie Gott selber, dass also der Papst nicht nur der Nachfolger Gottes, sondern Gott selber ist, bleibt in dieser Richtung sämtliche Pointe erschöpft. Der Papst mag noch so viele heilige Konzilien zusammen rufen und meinetwegen auch die frühkirchlichen Riten wieder zulassen, es wird kein Christenwitz über den Papst möglich sein, solange der von sich behauptet, unfehlbar zu sein (und gleichzeitig laufend die Fehler seiner Vorgänger und der Institution selber auszubügeln versucht). Und trotz alledem habe ich vor zehn Tagen einen Papstwitz gehört, bei dem ich leicht schmunzeln musste, und zwar ging der so: Zum Abschluss des Besuchs einer österreichischen Delegation beim Papst wünschte der Leiter dieser Delegation, und hier kann man jetzt einsetzen, wen man will, Gusenbauer, Klestil, Schlüssel, Haider, gleichviel, also wünschte der Leiter dem Papst alles gute zum Namenstag, worauf sich Papst Ratzinger freundlich gab: Lieber Delegationsleiter, der Namenstag des Heiligen Benedikt ist aber der 11. Juli!, worauf der Leiter zur Antwort gibt und spricht: Ja, wohl, aber heute ist doch der XVI.!

Daneben, wie gesagt, tote Hose mit Vatikanwitzen. Ein Gleiches gilt für Eure Bundeskanzlerin. Verschiedene deutsche Kabarettisten habens noch nicht gemerkt, aber Frau Merkel ist absolut untauglich für Witzchen, ich weiß gar nicht so recht, weshalb, wahrscheinlich in erster Linie deswegen, weil ihr jedes Talent zum Schmalzen und Sülzen und zur dicken Rhetorik abgeht. Wenn die Emotion einmal mit ihr durchgeht, gerät sie dermaßen ins Stolpern, dass sie sogleich wieder auf die Bremse treten muss, und so haben wir als Resultat eine weitgehend nüchterne Frau, der man auch nicht alles glaubt, aber die im Vergleich eben auch relativ wenig puren Stuss absondert. Dazu kommen einige günstige Konjunkturen, so zum Beispiel der Doppelrücktritt von Tony Blair in England und von Jacques Chirac in Frankreich, wodurch sie innerhalb der EU plötzlich zur Elder Stateswoman geworden ist nach kaum zwei Jahren Amtszeit. Dann muss man nur noch den natürlichen Hang der Medien nach Übertreibung dazu geben, und schon ist Angela Merkel die Königin Europas oder die strahlende Führerfigur. Das ist dann auch wieder ziemlich absurd, beziehungsweise: Wenn die wahren Führer in Zukunft so aussehen, dann lasse sogar ich mir eine Führerfigur gefallen. Als Kanzlerin des Aufschwungs kann sie zwar für diesen Aufschwung selber nicht allzu viel, aber es ist sicher einfacher, ein Land in einer wirtschaftlichen Blütephase zu führen als durch lange Sumpf- und Durststrecken. Im Übrigen verweist unsereins reflexhaft darauf, dass man eigentlich gerade die Phasen der Prosperität dazu nutzen sollte, die anstehenden Reformen umzusetzen; in der Regel geschieht allerdings gerade das Gegenteil. Sowieso hängt die Umsetzung der Reformen sehr stark davon ab, welche man sich überhaupt auf die Traktandenliste gesetzt hat und welche Art der Reform geplant ist. Um nur die Bildung als Beispiel zu nennen: Neben der Spitzenforschung, die ohnehin stattfindet und auch stattfinden muss, ist es meines Erachtens ziemlich sinnlos, Geld in diesen Sektor zu pumpen. Vielmehr müsste man ganz einfach bei der Selektion des Lehrpersonals viel strengere Maßstäbe ansetzen. Abgesehen von einheitlichen Lehrplänen und halbwegs tauglichen Lehrmitteln braucht es nämlich in erster Linie Menschen, welche nicht besonders didaktisch-pädagogisch geschult sind, sondern die aus eigenem Antrieb ihrem Schülerinnen- und Schülermaterial das erforderte Fachwissen beibringen, und zwar radikal allen, also nicht nur den Intelligentesten. Und die besten Lehrpersonen werden an den schwierigsten Stellen der Lernfront eingesetzt, in den Slums und Sozialhilfequartieren; gerade dort sind die echten Eliteschulen notwendig, wie ich hier schon mehrfach betont habe. Und eben: Dies ist ja nur ein Beispiel für viele andere Modernisierungsschritte, deren der deutsche Staat, aber auch die deutsche Gesellschaft insgesamt ziemlich viele nötig hat.


Albert Jörimann





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11.07.2007

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