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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Der gechipte Mensch"

[9.Kalenderwoche] War das nicht Adenauer, der gesagt hat: Was kümmert es mich, was ich gestern gesagt habe? So geht es doch den meisten Menschen, und zwar nicht deswegen, weil sie ihre Ansichten ändern wie die Hemden, sondern ...

... weil niemand in der Lage ist, ein lückenloses Gesprächs- und Aussagenprotokoll zu führen. Manchmal ereilt mich eine entsprechende Verzweiflung auch an dieser Stelle. Sie geht justament auf den Umstand zurück, dass ich meine Meinungen nicht so rasend schnell wechsel, obwohl ich sie durchaus gelegentlich anpasse. Aber am Dienstag wächst jeweils die Angst, dass ich Euch mit etwas belästige, das ich schon zig Mal vertreten habe. Da mache ich es mir einfach und verweise heute gleich zum Vornherein auf die Sendung vom 1. Juli 2003, wo ich mich über den Einbau von Chips in unsere Haustiere geäußert habe. Meine damalige Anregung, die kleineren Hunde gleichzeitig Mobiltelefonie-tauglich zu machen, hat sich nicht durchgesetzt, wie manche andere visionäre Ideen auch nicht, und trotzdem gefällt mir die Vorstellung nach wie vor, dass ich meinem Chiwauwau ins Ohr hineinspreche, und aus seinem Mund heraus tönt die Antwort von Onkel Otto. Aber daran erinnert habe ich mich aus dem aktuellen Anlass, dass ich am Sonntag ein Produkteangebot gesehen habe, dem ich einen durchschlagenden Erfolg vorhersage, nämlich ein Kinder-Handy mit einerseits einem beschränkten Angebot an Rufnummern, nämlich Stücker 4, und anderseits einem eingebauten GPS. An anderer Stelle habe ich, wenn es mir recht ist, mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Handy oder ein Mobiltelefongerät nichts anderes ist als ein äußerer Chip für den Menschen, und bei diesen Kinder-Ortungsgeräten haben wir nun die einfachste Ausführung dieser Funktion. Ein Kinder-GPS. Ja mei und Herrgottsackrament, es ist uns einfach völlig unerklärlich, wie die Menschen überhaupt erwachsen werden konnten, wo doch die Eltern die Kontrolle über ihre Brut fast täglich während mehreren Stunden verloren. Das hätten wir nun endlich korrigiert. Gerade heute, wo Kinder ja zu raren Gütern geworden sind und dementsprechend gehätschelt und gepflegt werden, kann man sich Verlust oder Beschädigung eines solchen Anlagewertes nicht mehr erlauben, da müssen neben den Versicherungen eben schon so ne GPS-Systeme drauf geklebt werden.

Aber, ich sage es Euch: Es wäre einfacher, wenn diese Kinder wie die Hunde gleich von Anfang an gechipt würden. Denn so ein Kind, vor allem, wenn es noch etwas jung ist, kann zwar dann vielleicht schon davon laufen, aber so ein GPS-Handy verliert es dann relativ speditiv. Das würde nicht passieren, wenn das kleine Herzkäferchen schon ordentlich digital markiert wäre. Selbstverständlich würde ein entsprechender Chip auch steuer- und regeltechnische Funktionen übernehmen, in erster Linie betreffend die Aufnahme von Flüssigkeiten und Nahrung, aber man könnte das auch mit Mineralisierungs- und Vitaminisierungsgraden anreichern, und natürlich wäre der Darm- und Blasenfüllungsgrad ebenfalls einfach abzulesen, das heißt, so ein Kind könnte viel einfacher stubenrein gemacht werden, indem der Chip automatisch die Zeit zum Scheißen und zum Brunzen anzeigt, ganz so, wie es ja schon in der Bibel heißt.

Davon unabhängig verfolgen die Eltern zu Hause oder aber, wenn beide berufstätig sind, eine eigens dazu eingerichtete Kinder-GPS-Anstalt das Kreuchen und Fleuchen der Progenitur, wann sie ein Bäuerchen macht, und wenn sie sich trotz maximalen Sicherheitsmaßnahmen im Sandkasten mal ein Knie aufschürft, kommen gleich, tatütata und lalilalü, die Heftpflaster-SanitäterInnen herbeigeeilt. So schaut sich das nämlich aus.

Daneben kann das Gerät weiter entwickelt werden und auch leichte oder auch stärkere Stromschläge austeilen, wenn das Kind etwa einmal fluchen sollte. Wahrscheinlich ist dann ein Empfänger dabei, und gleich nach dem Stromschlag sagt eine synthetische, sympathische, warme und bestimmte Stimme: Du sollst nicht fluchen, Kind, das gehört sich nicht in der modernen Gesellschaft.

Jaja, so geht das, dem Kind wird das Überich sozusagen auch noch physisch implantiert, und so ein Chip ist auch später, wenn das Erziehungsmodul dann angepasst wurde, durchaus nützlich. Neben der Datenspur, die der moderne Mensch ohnehin schon überall hinterlässt mit seinen Geldkarten bei Tankstellen und in Kaufhäusern, beim Internet-Versandhandel und wo auch immer registrieren dezentrale und untereinander verbundene Computer laufend die physischen Fortbewegungen der Menschen. Gleichzeitig kann ihnen auch wirklich überhaupt nichts mehr passieren, da ihre Körperfunktionen fortwährend über immer den gleichen Chip kontrolliert werden; und wenn da zum Beispiel mal bei einer Blutzuckerpatientin der Blutzuckerspiegel unter das gewünschte Niveau abfällt, dann erteilt der Chip bei der nächsten Konsumation einfach den Auftrag, dem bestellten Getränk automatisch eine Zusatzdosis Zucker beizumischen oder aber gerade heraus Insulin. So weit kommt das. Nur noch die Gedanken sind frei, und einer dieser Gedanken wird sein, dass damals der Staatssicherheitsdienst in der damaligen DDR gerade mal eine lächerliche Vorform war dessen, was im Jahr, was soll ich sagen? 2020? 2015? Oder schon 2010, also in 3 Jahren?, der Normalfall sein wird.

Wenn ich all dem doch endlich die positive Seite abgewinnen könnte, die es vielleicht auch hat! Aber es gelingt mir nicht so recht. Ich bin mir völlig im Klaren darüber, dass der bei Weitem überwiegende Teil unserer Bedürfnisse, aber sogar unserer Wahrnehmungs- und sogar Denkinhalte bereits heute das Resultat von wissenschaftlich säuberlich ausgefeilten Marketing- und Kommunikationsstrategien ist. Was ich mir großspurig jeden Morgen als Zeitungslektüre in den Kopf schiebe, hat mit Zeitung und mit Information nicht mehr viel zu tun; vielmehr wird mein Kopf bestätigt in einer Denkrichtung bzw. einem Informationsstand, den er aufgrund von was weiß ich welchen Entwicklungen und Kräfteverhältnissen halt momentan gerade besitzt. Dementsprechend ist die nahtlose Registrierung sämtlicher Tätigkeiten, welche ich bisher für mir unverwechselbar persönlich eigen aufgefasst habe, nichts anderes als eine weitere Verfestigung der absoluten Gewissheit, dass ich in keiner Art und Weise etwa ein Individuum bin; vielmehr bin ich ein blinkender Punkt unter 7 Milliarden anderen, vielmehr und korrekterweise: Ich bin ein blinkender Punkt unter jener Milliarde an Menschenpunkten, welche überhaupt die Ehre haben, als Blinkpunkt aufzutauchen; um die anderen 6 Milliarden Menschen kümmert man sich dann bei Gelegenheit, in erster Linie aber später. Insofern ist das Dasein als blinkender Punkt auf dem Bildschirm bereits ein Existenzbeweis, ein Veredelungsbeweis, denn die anderen Menschen tauchen ja nicht mal auf.

Dass also meine uralte, antike Vorstellung davon, dass ich selber etwa ein unverwechselbares Individuum sei, nun mit aller Macht dementiert wird, während gleichzeitig in den Medien der Schein des Gegenteils aufrecht erhalten wird, nicht zuletzt mit den immer populärer, d.h. immer dümmer werdenden Jekami-Serien (ich warte wirklich auf nationale Meisterschaften im Karaoke und solche Späße) – Nein, der Nachweis meines Massencharakters ist erbracht, und damit werden auch alle meine Theorien vom schlechten Demokratieschauspiel untergraben. Die Vorstellung des Menschen als zwar nicht gerade autark, aber doch autonom denkendes Individuum ist leider geplatzt, und zwar, ich wiederhole es unmissverständlich, vom Punkt der Einführung der Mobiltelefonie an.

Aber solange ich mich noch über ein paar Sachen weiter ärgern oder lustig machen kann, tut das gar nicht so viel zur Sache, denn ich habe mit meinen Kommentaren zur neutralen Sicht weder Gerhard Schröder aus dem Amt gehebelt noch Jacques Chirac zum Rücktritt gezwungen. Dies erfolgt dann wieder aus ganz anderen Gründen. So wie gegenwärtig wieder in Italien, wo sich das Drama einer Mitte-Links-Regierung aus dem Jahr 1998 zu wiederholen droht. Scheinbar; in Tat und Wahrheit hat Romano Prodi seine Schäfchen wohl doch besser im Griff, als man dies allgemein annimmt. Gerade, dass er nicht gezögert hat, seinen Rücktritt einzureichen, nachdem ihm zwei kommunistische Senatoren, vor allem aber zwei Senatoren auf Lebzeit, nämlich unter anderem Giulio Andreotti, dieses Gespenst aus oder über sämtlichen italienischen Regierungen der Nachkriegszeit, das Politisieren verunmöglichen wollten. Ich gehe mal davon aus, dass diese Senatoren in Zukunft etwas besser aufpassen werden, ob sie ihre Stimme abzugeben vergessen, wie dies der Trottel Andreotti als Begründung angab. Vielmehr sagte er, er hätte nicht gewusst, dass seine Stimmenthaltung zum Sturz der Regierung führte. Aber jetzt weiß er es ja dann wohl.

Daneben sind vor ein paar Tagen die Tagebücher von Benito Mussolini aufgetaucht. An die Öffentlichkeit getreten damit ist Marcello Dell’Utri, ein enger Vertrauter von Berlusconi, Parlamentarier von Forza Italia und von Berlusconi beauftragt mit den Beziehungen zur Mafia, wie gerichtsnotorisch ist. Jetzt hat er, aus welchen Gründen auch immer, ein Riesentrara veranstaltet mit diesen Büchern, die alles andere als nachweislich authentisch sind. Laut dem Nachrichtenmagazin Espresso wurden diese Tagebücher zum ersten Mal der internationalen Presse angeboten, und zwar der englischen Times, im Jahr 1983. Das war zufällig exakt jenes Jahr, in dem der Stern die gefälschten Tagebücher von Hitler publizierte, die 2 Wochen später in Schall und Rauch aufgingen. So fügt sich hier wirklich ein Zufall an den anderen, bis am Schluss jener steht, dass der nachweisliche Mafiakontaktmann, Berufslügner und unangefochtene italienische Parlamentarier Marcello Dell’Utri diese Mussolini-Tagebücher publiziert, an deren Echtheit nicht mal die eingefleischten Faschisten glauben. Italien, Italien – was auch immer man über dieses Land sagen oder spotten will, eines steht fest: Keine einzige Anarchismustheorie und noch viel weniger eine halbwegs geordnete Schar tatdurstiger und entschlossener Anarchisten wäre in der Lage, das herzustellen, was in Italien seit Jahrzehnten als System ein ganzes Land beherrscht. Da werden wohl auch die blinkenden Pünktchen im Zentralnervensystem des Überwachungscomputers für einige Überraschungen sorgen.



Albert Jörimann
27.02.2007

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