Artikel

Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Demokratische Grundlagen"

[14.Kalenderwoche] Irgendwann werden die fortgeschrittenen Gesellschaften ihre politischen Systeme an die neueren Erkenntnisse anpassen. Wenn wir von Demokratie reden, bedienen wir uns eines Begriffes aus der Antike, aus dem ...

... vorchristlichen Griechenland, aus einem System, dessen Demokratie auf einer Schicht von Sklaven beruhte – was bei uns natürlich nicht mehr der Fall ist – und in erster Linie unendlich viel kleinere Bevölkerungen umfasste, abgesehen von den unvergleichlich tieferen Produktionsständen; wenn so ein Spartanerfürst heute in eine Sozialwohnung träte, würde es ihn glattweg die Sprache verschlagen, aber der Lebensstandard der Durchschnittsbevölkerung liegt bei Weitem jenseits des Vorstellungsvermögens sämtlicher vorindustrieller Gesellschaften und Denker. Die wunderbare Kombination von Massenproduktion mit dem, eben: demokratischen System ermöglicht die unendliche Verbreitung des Reichtums dank der Konzentration der Massenproduktion. Demokratie ist bei uns wirklich ein unerläßliches Element des Reichtums, denn nur das als demokratisches Subjekt konstituierte Individuum eignet sich als Konsument. Nur wer scheinbar im Vollbesitz seiner intellektuellen Fähigkeiten ist, kann unter dreizehn Zahnpastabürsten auswählen oder eben unter den unterdessen noch etwa drei Anbietern von vierklingigen Rasiergeräten. Unmündige BürgerInnen sehen solche Nuancen nicht. Und ganz allgemein ist Massenproduktion ohne Massenkaufkraft undenkbar, das ist nichts Neues. Umso interessanter sind dagegen die Versuche, die Staatsfinanzen auf Kosten der Sozialhilfebezüger zu sanieren, wie dies der Sozialdemokratie unter dem Schrödergerhard mit dem HartzIV-Modell beigefallen ist; solche Formen von Staats- und Wirtschaftsverständnis sind weder sozialdemokratisch noch bürgerlich-liberal, sie sind per Saldo einfach doof. Der einzige Vorteil, den dieses Hartz-Modell zu Beginn hatte, war der, dass es für alle BewohnerInnen galt; aber wie sich dies seither entwickelt hat, da beginnen ja die Kniescheiben zu schlottern. Aber damit sind wir wieder beim alten Phänomen, dass sich nämlich die Politik von CDU/CSU und SPD unterdessen in nichts mehr unterscheiden. Alle tun gerade noch das, was als notwendig erscheint, haben aber keinerlei Prioritäten oder Grundsätze mehr neben den längst ausgelutschten Parolen; und das ist einerseits frustrierend und weist anderseits überdeutlich darauf hin, dass unsere bzw. Eure Demokratie eben eigentlich keine Demokratie ist, sondern, wie ich hier seit Jahren immer wieder darlege, das Schauspiel einer Demokratie.

Beziehungsweise: Vielleicht ist die aktuelle demokratische Ordnung noch halbwegs tauglich in jenen Bereichen, wo man einigermaßen Zugang und Überblick hat, also in erster Linie auf kommunaler Ebene. Aber sobald die Dimensionen weiter werden, hat das Subjekt der Demokratie, nämlich die Stimmbürgerin oder der Stimmbürger, doch gar nicht mehr die Kompetenz, die nötig wäre, um wirklich von Demokratie sprechen zu können. Das Ulkige am Ganzen ist bloß, dass diese Kompetenz offenbar auch bei den Damen und Herren PolitikerInnen selber durchaus nicht vorausgesetzt werden muss. Sonst würden die ja nicht tagein, tagaus solchen Stuss von sich geben.

Es wäre wohl nicht korrekt, den Fehler allein bei den PolitikerInnen zu suchen. Vielmehr existiert schlicht und einfach noch kein begriffliches Muster, in dem die Aspekte des modernen Lebens, die eben über die kommunale Ebene hinaus gehen, halbwegs brauchbar gefasst werden. Wir haben einerseits die Welt der Produktion, welche ganz selbstverständlich und ohne jedwelche theoretische Grundlage in einen voll globalisierten Wirtschaftskreislauf eingespannt ist und jederzeit noch im kleinsten Handwerksbetrieb auf Veränderungen in Hinterasien und Vorderafrika reagiert; dem ordne ich eine ganz selbstverständliche Beweglichkeit der Individuen zu, welche ihren Urlaub, aber zum Teil auch ihre berufliche Tätigkeit reisenderweise verbringen oder auch in anderen Ländern und Kontinenten Aus- und Weiterbildungen absolvieren. Aber ein politisches Verständnis davon fehlt vollkommen.

Vielleicht wäre es auch gar nicht im Detail möglich. Aber dann müsste man sich doch mindestens auf gewisse Grundsätze einigen können. Zum Beispiel wäre ein Grundsatz, dass Armut und Ignoranz kategorisch nicht mehr toleriert werden und zur Not durch Inlandeinsätze der Bundeswehr ausgerottet werden. Wenn es wirklich stimmt, was unterschwellig durch verschiedene Berichte über üble Viertel in Berlin oder in Mecklenburg-Vorpommern durchsickert, dann steht eine moderne Gesellschaft in der Pflicht, solche Gebiete halt mit den vorhandenen Zwangsmaßnahmen zu kultivieren. Ignoranz und Armut sind die übelsten Feinde der modernen Gesellschaft; da sind uns die so genannten Heuschrecken fast noch lieber, all die Managertierchen mit ihren Idiotenlöhnen. Und was die Ausbildung angeht, so schickt man dann halt in solche Quartiere nicht die am zartesten besaiteten LehrerInnenpflänzchen hin, sondern Personen, die nicht nur in Sachen Bildung, sondern auch im Judo den schwarzen Gürtel tragen. Ist denn das so schwierig? Ich meine, gerade bei den Lehrerinnen und Lehrern kann man doch eine gewisse Bildungsfähigkeit voraussetzen. Also: Wieso gibt es keinen Schlachtplan zur Zivilisierung der verloren gehenden Gebiete des Landes? Zu diesem Schlachtplan würden ganz selbstverständlich flankierende Maßnahmen gehören, mit denen den Menschen in solchen Krisengebieten auch echte Perspektiven geboten würden. Also, wo finde ich sowas?

Ich finde nichts. Stattdessen gibt es unterdessen Burnout-Kliniken, die zu 80 Prozent von Lehrkräften belegt sind, da diese Krankheit, nämlich das Burnout, fast noch ansteckender ist als Armut und Ignoranz, und wenn man die Lehrpersonen unbeaufsichtigt lässt, dann fallen sie eine nach der anderen diesem Phänomen anheim. Nä, wirklich, in der Schule wird ein ordentlicher Schabernack getrieben, durchaus nicht zu meiner Freude und auch nicht zur Freude der Gesellschaft insgesamt. Das Verbot der Prügelstrafe hat sich in den Köpfen vieler LehrerInnen so festgesetzt, dass man nun das Schülergut überhaupt nicht mehr anfassen soll, nicht mal pädagogisch. Das ist eine echte Schwachstelle, in die man nun nicht einfach mehr Geld hinein buttern sollte, sondern im Gegenteil eher weniger, aber dafür am richtigen Ort.

Stattdessen veräppeln die Lehrkräfte das Schülergut nach Strich und Faden, zum Beispiel durch die Einführung pseudodemokratischer Institutionen, wenn möglich schon im Kindergarten. Dass die SchülerInnen ihre Geschicke auch durch die allerbeste aller SchülerInnenkonferenzen nicht in die eigene Hände nehmen können, werden die hoffentlich selber auch wissen; das wäre ja noch schöner, wenn die Objekte der Erziehung und Ausbildung plötzlich selber über Erziehung und Ausbildung bestimmen täten. Da wären Erziehung und Ausbildung schnell ganz abgeschafft. Neinnein, das sind durchaus undemokratische Prozesse, und wer ihnen demokratische Mäntelchen umzieht, der verhöhnt die Demokratie als solche. In der Schule hat ein Kind zu lernen, und zwar auf vielen Ebenen; in erster Linie soll ihm der Lehrstoff nicht wie eine schlecht schmeckende Medizin auf linke Art und Weise untergejubelt werden. Nach der absolut korrekten Abschaffung der sklavischen Zucht und Disziplin in den Lehranstalten ist es jetzt an der Zeit, wieder an das elementare Grundverhältnis zwischen Lehrperson und SchülerInnen zu erinnern, welches besagte Lehrpersonen halt auch durchsetzen müssen, und zwar notfalls auch gegen die Eltern des Schülergutes. Hier müssen die PädagogInnen natürlich Unterstützung finden im Bildungssystem; wenn dauernd eine strafrechtliche Maßnahme wegen Körperverletzung oder seelischer Grausamkeit gegen die Lehrpersonen droht, kann man am Schluss natürlich nicht mehr unterrichten. Ich habe aber den Eindruck, als würde sich eine hübsche Mehrheit des pädagogischen Personals nur allzu gerne in eine solche Rolle hinein drängen lassen, um dann dafür eben umso schneller eine Burnout-Klinik aufzusuchen und dann durchaus nicht auf Hartz-IV-Niveau in Rente zu gehen.

Einiges in den modernen Gesellschaften weiß man nicht und kanns nur ungewiss beeinflussen; andere Sachen, eben zum Beispiel das Bildungswesen, kann man aber sehr wohl verbessern. Beziehungsweise eben: Man muss, denn es ist ein Imperativ moderner und reicher Gesellschaften, dass die Menschen nicht in Armut und Ignoranz leben. Die dümmste Ausdrucksform solcher Ignoranz findet sich ohne Zweifel bei den Neonazis; die zweitdümmste aber liegt bei den Produzenten der Ignoranz, nämlich bei faulen und desinteressierten Lehrkräften und bei jenen Personen, die dafür sorgen, dass sich das Bildungssystem nicht verbessert. Dafür wiederum ist nichts besser geeignet als interessierte Laien ohne Prinzipien. Das ist eindeutig eine Schwachstelle der Demokratie.

Aber es gibt nach wie vor auch genug zu lachen. Am letzten Wochenende war zwar auch ein kleines Lächeln und Augenzwinkern wert, wie Ehud Olmert Hand in Hand mit Angela Merkel seine Bereitschaft verkündete, auf den ersten Schritt der arabischen Allianz unter Führung der erzreaktionären Saudis, welche höchstpersönlich die Al-Kaida-Idioten herangezüchtet haben, einzugehen und nun auch israelischerseits an einem allfälligen Gipfel teilzunehmen. Vielleicht organisiert den Frau Merkel dann auch noch in Deutschland, im Ruhrgebiet oder wo auch immer. Aber lustiger habe ich zuvor gefunden, dass der unverwüstliche Muammar Al Gadhafi an besagter arabischer Gipfelkonferenz gar nicht erst teilgenommen hat und stattdessen in laute Bewunderungsrufe für Condoleeza Rice ausgebrochen ist. Es sei doch herrlich, wie Condoleeza, die er offenbar Lisa nennt, die arabischen Toren an den Fäden zappeln lasse, hat er gesagt und angefügt, Lisa sei absolut in Ordnung, weil sie nämlich eine Schwarze sei. Wahrscheinlich bietet er ihr demnächst den Posten als Leiterin seiner persönlichen Amazonen-Leibgarde an. So macht Politik doch Spaß, und solche Facetten muss man dann auch für die Demokratie erst noch so richtig ausbauen und entwickeln.



Albert Jörimann




Hier findest du alle Kolumnen von Albert Jörimann des Jahres 2007


03.04.2007

Kommentare

Zu diesem Artikel sind keine Kommentare vorhanden.