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Aus neutraler Sicht von Albert Jörimann "Wissen und Wahrnehmung"

[38.Kalenderwoche] Wie stark das Wissen von der Wahrnehmung abhängt, lässt sich nicht klar eruieren, da die Wahrnehmung immer stärker über die Vermittlung irgend eines Mediums erfolgt und nicht mehr in der fröhlichen ...

... Unmittelbarkeit der Sinne, wie man sie zunächst unterstellt. Dass aber die Wahrnehmung vom Wissen geprägt ist bzw. vom vermuteten oder, noch besser: vom gefühlten Wissen, soviel steht fest, man braucht sich bloß die gesammelten Stammtischgespräche vor Augen zu führen bzw. sozusagen vor das innere Ohr. Nicht einmal mehr am Stammtisch traut der Stammtischbewohner seinen fünf Sinnen, sondern er kommuniziert in erster Linie auf einem populärwissenschaftlichen Stand, als hätte er in allen Bereichen ein Bachelor und bei der Kriminalistik und beim Steueraufkommen sogar ein Master. Noch die Milchausfällungsquote der Bauernkühe wird mit dem Klimawandel berechnet oder wenigstens begründet. Bei der Meldung, dass die Nordwestpassage jetzt erstmals völlig von Eis frei sei, hat der gesamte Stammtisch eine Extrarunde Bier bestellt, so heiß ist ihm auf einmal geworden. Oder nur schon die Wahrnehmung der Kinder! – Jetzt ist das Gelände auch wieder etwas in Bewegung geraten, aber eine Zeit lang stand die versammelte Elternschar ihren eigenen Kindern gegenüber wie echten Abgesandten des Lieben Gottes, denen kein Haar gekrümmt werden durfte, unabhängig davon, was sie gerade anstellten. All dies ist das Ergebnis von vierzig Jahren Volkspädagogik und Volkshochschule mit Blättern wie «Wir Eltern» und sehr intelligenten Kinder/Eltern-Abteilungen in den einschlägigen Medien. Wenn ich sage, dass hier etwas in Bewegung geraten ist, so meine ich nun nicht die Doktrin, dass man Neugeborene heutzutage nicht mehr auf den Bauch legen darf zum Schlafen, sonst drohen sofort zwanzig Jahre Zuchthaus wegen versuchten Kindsmordes, sondern nur noch auf den Rücken, wo die Kleinen dann schnuckelig und hilflos zappeln. Nein, ich meine, dass sich nicht nur Wissen und Wahrnehmung, sondern auch die Vernunft hin und wieder bemerkbar macht und darauf hinweist, dass ein Kind eben ein Kind ist und keineswegs ein unantastbares höheres Wesen, als das es viele Eltern manchmal behandeln; in der Gruppe verwandeln sich solch höhere Wesen dann zu ziemlichen Teufeln und stellen mit ein Grund dafür dar, dass beim pädagogischen Personal, also im Lehrkörper das Burnout-Syndrom so überhand genommen hat, dass es mittlerweilen eigentliche Burnoutkliniken für diesen Berufsstand gibt. Wenn sich Wissen und Wahrnehmung dieser Dynamik jetzt noch ein bisschen verschärfen, kann so eine Lehrperson dann gleich nach Abschluss der Ausbildung in die Burnoutklinik begeben, da Wissen und Wahrscheinlichkeit eine derart hohe Burnoutwahrscheinlichkeit ergeben, dass man die Leute besser präventiv hospitalisiert, was vermutlich billiger und vor allem bezüglich der sozialen Kostenfolgen oder Folgekosten bedeutend effizienter ist; mit der Zeit entwickeln sich diese Burnoutkliniken dann dank dem hohen Frauenanteil im Lehrkörper zu eigentlichen Reproduktionsanstalten einer eigentlichen Lehrerkaste, welche dann aber niemals mehr ein Kind im Schulraum von vorne, hinten, unten und oben gesehen haben wird, während die Schulen selber zunehmend in die Hand der Hausmeisterinnen und Hausmeister übergehen oder vielleicht direkt von der Polizei betrieben werden.

Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Weltgeist mit mir kommuniziert über die Medien. Es geht also durchaus nicht darum, dass ich etwa an Wissen gewänne, wenn ich eine Meldung lese wie jene, dass der britische Rüstungsbetrieb BAE Systems zu einem Konsortium gehört, welches eine Bestellung für 72 Eurofighter-Flugzeuge von Saudiarabien erhalten hat. Dies sichert BAE Arbeit für 20 Jahre. Vor zwei Monaten gabs hier einen kleinen Aufruhr, weil die britische Wettbewerbsaufsicht partout ihre Untersuchungen wegen eines früheren saudiarabischen Rüstungsauftrags an BAE nicht einstellen wollte. Eigentlich war die Untersuchung abgeschlossen und die Bestechung nachgewiesen, aber es sollte nicht zum Prozess und zur Verurteilung kommen. Meiner Treu, der Weltgeist hat mich schlampig informiert, ich weiß gar nicht, ob diese Untersuchung jetzt letztlich abgebrochen wurde oder ob sie auf die eine oder andere Hundsart sonstwie still und heimlich abgeschlossen wurde, jedenfalls muss ich aus dem neuen Auftrag schließen, dass die Saudiaraber zufrieden sind. Dies erinnert mich ja wiederum an jenen Bestechungsfall, ebenfalls im Zusammenhang mit einem saudiarabischen Rüstungsgeschäft, bei eurem deutschen Hüpf- und Spähpanzer Luchs oder Fuchs oder Eichelhäher, ich weiß doch nicht mehr, wie ihr eure Wirtschaftswunder alle benennt. Das ging damals noch um die Ära Kohl, in der bekanntlich niemals Bestechungsgelder geflossen sind. Vielmehr, wie wir alle wissen: Selbstverständlich sind in der Ära Kohl Bestechungsgelder geflossen, zum Teil legal wie z.B. anhand der Wiedervereinigung die Leuba- oder Buna-Raffinerien, die an den Franzosen gingen, und fragt mich nicht, wie das jetzt genau abgegangen war damals, aber irgendwie so gings eben; die Schwarzgeldaffären mit den Schweizer Konten der CDU ist hierbei nur ein ziemlich beklopptes Beispiel, denn sowas lässt man nun mal einfach nicht ans Licht kommen bzw. vollstreckt es im Lichte der Öffentlichkeit. Nein, wirklich, was soll das, ein Rüstungsgeschäft ohne irgendwelche Gegenleistungen? BAE Systems, nur um daran zu erinnern, ist praktisch das einzige europäische Rüstungsunternehmen, das auch am nach wie vor boomenden US-amerikanischen Rüstungsmarkt teilhat, weshalb, natürlich weil der Pudel Tony Blair dem Hampelmann Wilhelm Busch kläffend in den Irakkrieg hinterher gezogen ist. Die Bestechung liegt ganz offen zutage. Man muss dabei nicht etwa meinen, die britische Regierung oder die wichtigen Parteien in England seien bei all diesen Spektakeln leer ausgegangen, oh nein, mein Herr. Und bei den Saudiarabiern verhält es sich so, dass die einfach einen Teil ihrer Erdölüberschüsse, mit denen sie ganz allgemein nichts anzufangen wissen, irgendwie an die USA und an Europa zurückerstatten, und dafür gibt es nichts intelligenteres, als überteuerte Flugzeuge. Davon abgesehen ging es beim ersten Auftrag an BAE Systems glaub ich um Unterseeboote. Bestechung? Dass ich nicht lache! – Oder nehmen wir den Bereich der Luftfahrt. Die beiden größten Flugzeughersteller der Welt, EADS in Europa und Boeing in den Vereinigten Staaten, werden praktisch direkt von den zuständigen Staaten finanziert, Boeing über das Rüstungsgeschäft und EADS direkt. Indirekt führt dies dazu, dass die Transportleistungen in der weltweiten Luftfahrt unterdessen so billig geworden sind, dass Importmilch aus Sulawesi bedeutend billiger wäre als die deutsche Milchkühemilch, von der Schweiz will ich schon gar nicht sprechen.

Nein, Bestechung ist wirklich kein Begriff, der auf dieser Ebene etwas zu suchen hat. Korrekt heißt der Ausdruck: Freie Marktwirtschaft. Beziehungsweise, um mich mindestens ein paar Zentimeter vom Stammtischniveau und vom Weltgeist abzuheben, all diese Dinger zeigen, dass die freie Marktwirtschaft kein globales Wirtschaftskonzept ist, sondern nur für bestimmte Sphären des Wirtschaftens die angebrachte Marktform. Dagegen liegt in zentralen Bereichen eine Art der gemischten Planwirtschaft vor.

Gemischt ist sie deswegen, weil längstens nicht alle Bereiche planbar sind. Ich habe verschiedentlich den Aufstieg von China erwähnt oder die markanten Verbesserungen auf den Emerging Markets, wo die Frage immer deutlicher hervortritt, ob dies nun wirklich eine Folge des Irakkriegs sei, weil eben die Vereinigten Staaten einerseits ihre wirtschaftlichen Druckmittel zunehmend verlieren und anderseits die militärische Potenz voll auf den Mittleren Osten konzentriert haben, sodass vor allem Lateinamerika freien Ausgang hat. Wenn dies der Fall wäre, müsste man für das nächste Jahr wünschen, dass die Republikaner die Wahlen gewinnen; denn im Fall eines Wahlsiegs der Demokraten müsste man mit Versuchen zur Stärkung der USA durch verstärkte Drohungen rechnen, was allerdings nur mit einer drastischen Umverteilung der militärisch/wirtschaftlichen Mittel bei gleichzeitig oberflächlich freundschaftlichem Rauschen von Friede und Solidarität denkbar wäre. Der Clintonwilli hatte das absolut meisterhaft im Griff, und ich sehe keinen Grund, weshalb die geschätzte Hillary nicht diesen Hillybilly abrunden sollte in einem Jahr. Ich bin ja auch für die Demokraten und für Hillary Clinton, aus verschiedenen Gründen, so Knarschjockel wie der ins Feld ziehende Busch, sprich Feldbusch schlagen mir auf den Magen/Darm-Trakt, auch wenn sie objektiv gesehen die Hegemonie der USA auf der Welt einem schnellen Ende zuführen. Was ich ja auch wieder begrüße. Aber hier stoßen wir wieder auf das doppelte Problem, dass mein Wissen um die fortschrittliche Funktion von Wilhelm Busch im Weltgetriebe massiv kollidiert mit meiner Wahrnehmung dieses siebt-, acht- oder neuntklassigen Amateurdarstellers eines US-amerikanischen Präsidenten. Erinnert sich noch jemand daran, wie er nach der Eroberung Bagdads den Piloten eines Kampfjets spielte und sich von seinem Mitpiloten auf einem Flugzeugträger landen ließ, in der Druckmontur aus der Maschine kletterte und sein Siegeszeichen hisste? Pffrrrrt. So eine schlechte Besetzung für eine so reiche Rolle färbt am Schluss auch auf das Stück selber ab.

Wobei wir Theaterkritiker natürlich immer was zu meckern finden. Der andere Typ da, der vor sieben Jahren mehr Wähler-, aber weniger Elektorenstimmen erzielte als Georgieboy, dieser Al Gore hat mir mit seinen unangenehmen Wahrheiten den Himmel auch etwas verdüstert. Zwar hat er mit seinen Prognosen insofern recht behalten, als die Nordwestpassage jetzt wirklich frei ist; aber hätte man den ins Weiße Haus gewählt, dann hätte er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen grünen Daumen gekrümmt für die Umwelt. Nun mag man sagen, dass dies eben die Rollenanordnung in diesem Demokratietheater sei: Wer selber an den Schalthebeln der Macht sitzt, darf diese kaum berühren und schon gar nicht etwa einen originellen Gedanken oder politische Grundsätze haben, die sie oder er in die Praxis umsetzen will. Die Schalthebel der Macht bedienen jene Figur, die daran sitzt, nicht umgekehrt. Aber es macht dann immer einen eigenartigen Eindruck, wenn der unterlegene Kandidat sozusagen aus Protest oder auch als zweite Wahl ein Umweltengagement aufnimmt, so wie eine Atomphysikerin, welche ihren Job schmeißt, weil sie sich der Erziehung der Kinder widmet, und wenn diese Kindererziehung dann fertig ist, nimmt sie ein Studium auf der Kunstgeschichte. Was aber hats im Fall von Al Gore für Auswirkungen auf den Energieverbrauch der US-Amerikaner? Zwar liegt ihre Automobilindustrie in Trümmern, aber fahren die etwa weniger Autos? Kühlen sie ihre Wohnungen im Sommer nicht mehr auf 18 Grad runter bzw. heizen sie im Winter auf 25 Grad? Nein, soweit sind wir noch nicht gekommen. Stattdessen kann man sich sein Umweltgewissen jetzt erleichtern, indem man nicht zertifizierten Organisationen freiwillig eine Kompensationsabgabe überweist, wenn man mal wieder für ein Wochenende nach New York gejettet ist. Das wird die armen Länder dieser Erde aber freuen. Aber folgerichtig schlägt der Inder jetzt zurück: Er baut einen Volkswagen, den sogenannten Tata, der in Indien vom nächsten Jahr an für 2000 Euro pro Stück zu haben ist. In dieser Beziehung hat sich die Wahrnehmung und das Wissen der effektiven Energieprobleme noch durchaus nicht durchgesetzt. Mit allerlei Schlaumeiereien wird der Norden seinen Energieverbrauch nicht senken; dafür verliert er aber auch noch die letzten Reste an Glaubwürdigkeit gegenüber der Mehrheit der Erdbevölkerung, welche jetzt auch ihre eigenen Bedürfnisse geltend macht. Für all dies steht dieser Jockel Al Gore genau so gut wie die besonders intelligenten CO2-Kompensierer.



Albert Jörimann





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18.09.2007

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